Perspektive

Der Mord an Qassim Soleimani:

Abstieg der US-Staatspolitik in die Kriminalität

Am Sonntag veröffentlichte die New York Times eine detaillierte, auf hochrangigen Quellen innerhalb der US-Regierung basierende Darstellung der Entscheidung der Trump-Regierung, den iranischen General Qassim Soleimani am 3. Januar 2020 zu ermorden.

Der Bericht der Times macht deutlich, dass der Mord an Soleimani – weit entfernt davon, eine spontane Entscheidung von Trump zu sein – breite Unterstützung innerhalb der Exekutive und der Geheimdienste hatte, die dieses Verbrechen in den letzten 18 Monaten geplant hatten. Der Bericht zeigt, dass der ehemalige nationale Sicherheitsberater John Bolton, Außenminister Mike Pompeo und CIA-Direktorin Gina Haspel in die Befürwortung und Planung des Mordes verwickelt sind.

Der Bericht zeichnet das Bild eines kriminellen Staates, in dem die schärfsten Gesetzesverstöße zur Routine werden. Er ist ein Zeugnis für den Grad der Kriminalisierung der US-Außenpolitik nach fast zwei Jahrzehnten des „Krieges gegen den Terror“.

Der Artikel macht deutlich, dass die Motive der Trump-Regierung für die Ermordung von Soleimani nichts mit einer angeblich „unmittelbaren“ Bedrohung zu tun hatten, wie von Beamten des Weißen Hauses behauptet. Vielmehr wollten die Vereinigten Staaten Vergeltung an Soleimani für eine Reihe von Rückschlägen in der US-Politik üben, für die der amerikanische Staat ihn verantwortlich machte.

Die Times schreibt:

Bis Ende 2019 konnte sich General Soleimani einer Reihe von iranischen Errungenschaften rühmen: [Der syrische Präsident] Assad, ein langjähriger iranischer Verbündeter, war sicher an der Macht in Damaskus, Syriens Hauptstadt, setzte sich in einem blutigen, jahrelangen Bürgerkrieg mit mehreren Fronten durch, und die Al-Quds-Brigaden hatten eine ständige Präsenz an der Grenze zu Israel. Eine Reihe von Milizen, denen General Soleimani geholfen hatte, wurden von der irakischen Regierung bezahlt und übten die Macht im politischen System des Irak aus.

Die Times fährt fort: „In den letzten 18 Monaten, sagten Beamte, gab es Diskussionen darüber, ob man General Soleimani ins Visier nehmen sollte.“

Der Bericht stellt fest:

Als die Spannungen mit dem Iran im Mai mit Angriffen auf vier Öltanker zunahmen, bat John R. Bolton, damals der nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, das Militär und die Geheimdienste, neue Optionen zur Abschreckung der iranischen Aggression zu entwickeln. Unter denjenigen, die Herrn Bolton vorgelegt wurden, war die Ermordung von General Soleimani und anderen Führern der Revolutionsgarden. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Arbeit an der Überwachung von General Soleimanis Reisen immer intensiver.

Im September wurden das Central Command der Vereinigten Staaten und das Joint Special Operations Command in den Prozess der Planung einer möglichen Operation einbezogen.

Nur wenige Tage bevor er getötet wurde, hatte sich Soleimani mit dem Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah im Libanon getroffen. Nasrallah warnte ihn der Times zufolge, „dass die amerikanischen Medien sich auf ihn konzentrieren und sein Foto veröffentlichen.“ Die Zeitung zitiert Nasrallah mit den Worten: „Das war die mediale und politische Vorbereitung auf seine Ermordung.“

In den Tagen vor dem Drohnenangriff befürwortete die CIA-Direktorin Gina Haspel den Mord, so die Times, und argumentierte, dass „die Konsequenzen, General Soleimani nicht zu töten, gefährlicher seien als abzuwarten“. Haspel leitete ein CIA-Foltergefängnis unter George W. Bush und war an der Zerstörung von CIA-Tonbändern mit Aufnahmen von Gefangenen beteiligt, die Waterboarding unterzogen wurden.

Ankunft der CIA-Direktorin Gina Haspel bei einem Briefing für Kongressmitglieder über die Ermordung von Irans führendem Militärkommandanten General Qassim Soleimani. Mittwoch, 8. Januar 2020, Capitol Hill in Washington. (AP-Foto/Jose Luis Magana)

Zu den aufschlussreichsten Teilen des Berichts gehört der folgende Satz: „Er [Trump] sagte einigen Mitarbeitern, er wolle sich die Unterstützung der republikanischen Falken im Senat im kommenden Amtsenthebungsverfahren bewahren.“ Mit anderen Worten: Wenn die Darstellung der Times stimmt, dann hat das innenpolitische Kalkül bei diesem Verbrechen eine bedeutende Rolle gespielt.

Das Attentat verstößt gegen die US-Verfassung und gegen amerikanisches Recht sowie gegen das Völkerrecht. Die „Bill of Rights“ besagt ausdrücklich, dass niemandem „Leben, Freiheit oder Eigentum genommen werden, außer im ordentlichen Gerichtsverfahren und nach Recht und Gesetz.“

1975 deckte ein Senatskomitee unter Frank Church aus Idaho CIA-Attentate gegen eine Reihe von ausländischen Politikern auf und zwang Präsident Gerald Ford, die Executive Order 11905 zu unterzeichnen, in der es heißt: „Kein Mitarbeiter der US-Regierung darf sich an einem politischen Mord beteiligen oder sich zu einem politischen Mord verschwören.“

Soleimani war ein hoher Regierungsbeamter eines souveränen Staates. Als General war er den amerikanischen Militärführern im Kampf gegen ISIS ebenbürtig. Er wurde in einem Drittstaat, dem Irak, ermordet, während er in offizieller Funktion mit dem irakischen Premierminister zusammentraf. Dies war ein Kriegsverbrechen und eine Kriegshandlung.

Die Bush-Regierung hatte die bis heute unaufgeklärten Anschläge vom 11. September 2001 genutzt, um einen umfassenden Angriff auf die demokratischen Rechte und das Völkerrecht durchzuführen. Sie schuf ein System der massenhaften illegalen Überwachung im Inland (unter Verletzung des vierten Zusatzartikels zur Verfassung) und folterte Tausende von Menschen (unter Verletzung des achten Zusatzartikels).

Die Vereinigten Staaten sind unter Missachtung der Vereinten Nationen illegal in den Irak einmarschiert. Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen, hatte anlässlich dessen erklärt: „Aus unserer Sicht und aus Sicht der UN-Charta war es illegal.“

Die Obama-Regierung hat die Verbrechen der Regierung Bush ausgeweitet. Sie führte mehr als 500 Drohnenschläge im gesamten Nahen Osten und Nordafrika durch, wobei die Zahl der Toten in die Tausende oder sogar Zehntausende ging. In einem Ritual, das als „Terror-Dienstag“ bekannt war, wählte Obama persönlich diejenigen Menschen aus, die von Drohnenrakten in Stücke gerissen werden sollten.

Obama unternahm den außergewöhnlichen Schritt, einen amerikanischen Bürger, Anwar al-Awlaki, zu ermorden. Nur zwei Wochen später folgte dessen Sohn, ein 16-jähriger US-Bürger. Zu dieser Zeit machte Obamas Justizministerium das Recht geltend, US-Bürger zu töten, auch innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten.

Mit jeder Tötung wurde der Einsatz erhöht, wobei der staatliche Mord eine immer größere Rolle im politischen Leben der Vereinigten Staaten spielte.

Die heutige Form der „gezielten Tötung“ war von Israel eingeführt worden. Nach den Worten des israelischen Journalisten Ronen Bergman „hat Israel seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als jedes andere Land des Westens Mord und gezieltes Töten eingesetzt.“

Während der zweiten Intifada in den frühen 2000er Jahren entsandte die israelische Regierung routinemäßig Hinrichtungskommandos oder Kampfhubschrauber, um palästinensische Aktivisten und Politiker zu ermorden.

Eine UN-Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass die Morde „schwere Verstöße gegen das Vierte Genfer Abkommen, Artikel 147, und gegen das humanitäre Völkerrecht“ waren. Damals distanzierten sich die USA und ihre europäischen Verbündeten von der israelischen Mordpolitik.

Während „einige Beamte der Bush-Regierung die Hinrichtungskommandos kritisiert haben“, hat Joe Biden, der „wichtigste außenpolitische Sprecher der Demokraten, den israelischen Gebrauch dieser außergerichtlichen Attentate eindeutig verteidigt“, bemerkte die Denkfabrik Middle East Policy Council.

Nun wurden die Praktiken Israels – vom Standpunkt des Völkerrechts ein Paria-Staat – von den führenden „westlichen Demokratien“ der Welt übernommen. Neben den Vereinigten Staaten haben auch Frankreich und Großbritannien ihre eigenen „Todeslisten“.

Es ist beachtlich, dass trotz der Kritik an der Zweckmäßigkeit der Tötung von Soleimani durch Bernie Sanders, Elizabeth Warren und andere Politiker kein Republikaner oder Demokrat öffentlich den Mord als Verbrechen bezeichnet oder verlangt hat, dass Trump für diese schwere Verletzung der amerikanischen Verfassung angeklagt oder belangt wird.

Niemand sollte glauben, dass die offene Anwendung der außergerichtlichen Tötung durch den Staat auf Regionen außerhalb der Grenzen der USA beschränkt bleiben wird. Früher oder später werden die Vereinigten Staaten eine „unmittelbare Bedrohung“ geltend machen, um einen ihrer eigenen Bürger innerhalb ihrer Grenzen zu ermorden.

Unter dem Druck endloser, katastrophaler Kriege, mit denen es nicht gelang, den Niedergang der globalen Stellung des US-Imperialismus umzukehren – verstärkt durch wirtschaftliche Instabilität, steigende soziale Ungleichheit und das Wachstum des Klassenkampfes –, sieht die herrschende Klasse in der Hinwendung zur offenen Kriminalität das einzige Mittel zur Sicherung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen. Was sie am meisten fürchtet, ist das Anwachsen der massenhaften Opposition in der Bevölkerung, auf die sie mit Gewalt reagieren wird.

Die Ermordung von Qassim Soleimani hat erneut gezeigt, dass es weder in der Demokratischen noch in der Republikanischen Partei eine Fraktion gibt, die demokratische Rechte verteidigt. Die Verteidigung der grundlegendsten Rechte, die in der Verfassung verankert sind, und ein Ende des Drangs der herrschenden Klasse nach Krieg und Diktatur erfordern die Massenmobilisierung der Arbeiterklasse in Opposition zum kapitalistischen System, das die Trump-Regierung verkörpert.

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