Job-Massaker bei Real: Jede dritte Stelle in Gefahr

Der Handelskonzern Metro AG plant, zum Ende des Monats alle 277 Filialen der Supermarktkette „Real“ an ein Immobilienkonsortium zu verkaufen. Bis auf wenige Ausnahmen sollen die Märkte anschließend an Wettbewerber wie Rewe, Edeka und Kaufland weiterverkauft werden. Die Ankündigung markiert den bisherigen Höhepunkt der seit 2012 andauernden Bemühungen des Konzerns, Real mitsamt seinen Beschäftigten abzustoßen, um die Kosten zu senken und eine beherrschende Position im europäischen Lebensmittelgroßhandel einzunehmen.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung rechnet der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Werner Klockhaus insgesamt „mit etwa 10.000 Arbeitslosen“ – also der Entlassung von nahezu jedem dritten Mitarbeiter. Neben mindestens 50 Filialen drohe voraussichtlich auch den Logistik-, Werbe- und IT-Abteilungen sowie der Düsseldorfer Zentralverwaltung die Schließung.

Wem nicht gekündigt wird, dem soll stattdessen der Lohn gekürzt werden. Die Süddeutsche Zeitung weist darauf hin, dass die ohnehin schon niedrigen Tariflöhne der Realkette gegenüber „marktbeherrschenden Konkurrenten“ wie Edeka und Rewe nicht „wettbewerbsfähig“ seien. Diese zahlten ihren Kassierern und Lageristen bis zu 30 Prozent weniger. Nach jahrelanger Knochenarbeit und vielen Monaten nervenaufreibender Unsicherheit würden unzählige Beschäftigte künftig wohl auf einen angemessenen Lohn „verzichten müssen“, schreibt die Zeitung. Alleine eine derartige Lohnsenkung hätte für Real-Arbeiter und ihre Familien katastrophale Folgen.

Sollten Metros Konkurrenten im Lebensmitteleinzelhandel wie geplant die Kapazitäten von Real unter sich aufteilen, käme für die Beschäftigten die Gefahr von weiterem Lohndumping aufgrund der erhöhten Marktkonzentration hinzu. Weder Bundesregierung noch Kartellbehörden hatten zuletzt Einwände gegen die Verkaufspläne des Mutterkonzerns erhoben.

Die zynischen Klagen von Betriebsratschef Werner Klockhaus über das bevorstehende „Drama“ bei Real sind völlig verlogen. Klockhaus ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Metro AG. Als solcher steht er in engem Austausch mit Vorstand und Unternehmensleitung und muss seit langer Zeit von diesen Plänen gewusst haben – wenn er nicht gar an ihrer Ausarbeitung beteiligt war. Nachdem er die Belegschaft monatelang in Unwissenheit über ihre Zukunft gehalten hat, tritt er nun, da sämtliche „Verhandlungen“ mit der Kapitalseite abgeschlossen sind und die gemeinsame arbeiterfeindliche Agenda unter Dach und Fach gebracht wurde, an die Öffentlichkeit und zeigt sich „enttäuscht“ von der „Untätigkeit“ der Großen Koalition.

In Wirklichkeit ist die Regierung aus SPD und CDU keinesfalls „untätig“, sondern vertritt unermüdlich die Interessen der deutschen Banken, Konzerne und der kapitalistischen Oligarchie gegen die Belegschaften. Als Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Jahr 2018 vor protestierenden Real-Mitarbeitern demagogisch behauptete, er wolle „ein Zeichen gegen Tarifflucht setzen“ und sich „für den Flächentarif stark machen“, trat die World Socialist Website dieser großspurigen Lüge entgegen und erklärte: „Bis heute ist nichts geschehen, und das wird es von Seiten der Bundesregierung auch nicht.“ Diese Einschätzung hat sich heute erneut bestätigt und gilt nach wie vor.

Seit Langem arbeiten Metro AG und Gewerkschaften hinter dem Rücken der Arbeiter daran, der Belegschaft von Real Armutslöhne aufzuzwingen. Begründet wurde dies stets mit der Lüge, solche „Zugeständnisse“ seien nötig, um Arbeitsplätze nicht zu gefährden.

Bereits seit Frühjahr 2018 erhalten Neueingestellte aufgrund von Neuverhandlungen der Tariflöhne durchschnittlich 23 Prozent weniger Lohn als zuvor. Die World Socialist Website schrieb damals, die Gewerkschaft DHV sei „Teil des Christlichen Gewerkschaftsbunds Deutschlands (CGB), dessen einziger Zweck darin besteht, bestehende Tarife auszuhebeln“. Die DHV einigte sich mit Metro damals darauf, neue Mitarbeiter knapp oberhalb des gesetzlichen Brutto-Mindestlohns von 8,84 Euro zu bezahlen und ihnen Spätarbeitszuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen.

Der bisherige Tarifpartner Verdi, der daraufhin zeitweise einen Zuwachs seiner Mitgliedschaft verzeichnen konnte, ist jedoch keine Alternative. Die Gewerkschaft organisiert in enger Absprache mit Deutschlands Unternehmensbossen auf Bundesebene seit Jahrzehnten Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau im Einzelhandel und unzähligen anderen Branchen.

„Verdi kann man getrost vergessen“, erklärt Josef, ein Real-Mitarbeiter aus München, in einem Facebook-Eintrag. Er spricht offenbar für Viele, wenn er erklärt: „Es hat meines Wissens nach noch kein einziger von Verdi organisierter bundesweiter Streik stattgefunden.“ Stattdessen, so Josef, unterschreibe die Gewerkschaft „jahrelangen Lohnverzicht“.

In der Tat tut Verdi alles in ihrer Macht Stehende, um zu verhindern, dass sich die angestaute Wut unter Reals Belegschaft Bahn bricht. Dies ist unter Mitarbeitern von Real mittlerweile ein offenes Geheimnis.

So erklärt etwa Sebastian aus Grevenbroich mit Blick auf das bevorstehende Job-Massaker, Verdi sei „das erste, wo ich austreten werde, wenn es soweit kommt“. Birgit (57) aus Bremen fügt hinzu, sie sei „am Ende mit Verdi“, und Renate, eine Rentnerin aus Dülken in NRW, findet es „einfach lachhaft“, über Verdi zu diskutieren. „Wo wart ihr die ganze Zeit?“, fragt sie ironisch.

Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein entschlossener Kampf gegen Real und Metro unter Arbeitern auf große Unterstützung stoßen würde. Besonders Konzernchef Koch verkörpert in den Augen unzähliger Mitarbeiter eine Gier und Skrupellosigkeit, die mittlerweile für die herrschende Klasse in jedem Land so typisch ist.

„Olaf hat die Taschen voller Geld und interessiert sich (einen) Dreck für die Mitarbeiter von Real“, sagt Dennis, ein junger Arbeiter aus Dormagen bei Düsseldorf. Sein Kollege Willi, der 35 Jahre für das Unternehmen gearbeitet hat, berichtet, Koch sei ein „Märchenerzähler“, dessen zynische Versprechungen über etwaige Absicherungen „einfach nur lächerlich und unverschämt“ seien. „Hier spricht jemand, der kein Gewissen hat.“

Sabrina, deren Familie aus Lüdenscheid kommt, bringt die Sache auf den Punkt: „Es geht einfach nicht in meinen Kopf, wie so jemand schon eine gefühlte Ewigkeit weiterhin diesen Posten bezieht.“ Unternehmensleitung, Gewerkschaften und Betriebsräte, so schließt sie, steckten offenbar „alle unter einer Decke“.

Arbeiter müssen aus dieser Situation politische Konsequenzen ziehen. Den Gewerkschaften muss jede Berechtigung, in ihrem Namen zu sprechen, verweigert werden. Stattdessen müssen Real-Mitarbeiter ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und einen Kampf zur Verteidigung ihrer Jobs und ihres Lebensstandards aufnehmen. Die Voraussetzungen für einen solchen Kampf liegen vor – entscheidend ist jedoch, sich unabhängig von den Gewerkschaften zu organisieren. Deren Vertretern darf keinerlei politisches Vertrauen entgegengebracht werden.

Um eine Katastrophe wie bei Schlecker zu verhindern, bei dessen Zerschlagung im Jahr 2012 über 25.000 Verkäuferinnen der Job genommen wurde, müssen sich Arbeiter bei Real und in der gesamten Branche über alle nationalen und sonstigen Grenzen hinweg zusammentun.

Die World Socialist Website wird dafür kämpfen, ihnen dabei behilflich zu sein, und wird sie mit Arbeitern auf der ganzen Welt in Kontakt bringen, die mit denselben Fragen konfrontiert sind. Die Notwendigkeit für eine solche internationale Strategie zeigt sich gerade im Falle der Metro AG besonders deutlich. Der Konzern hatte erst im vergangenen Oktober sämtliche Unternehmensteile in China abgestoßen und die chinesischen Mitarbeiter von 97 Großmarktfilialen damit in eine Situation gebracht, die sich kaum von derjenigen der Real-Belegschaft unterscheiden dürfte.

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