Oberster US-Gesundheitsberater rechnet mit Millionen Infizierten und 100.000 bis 200.000 Toten durch COVID-19

Am Wochenende erreichte die Krise des öffentlichen Gesundheitswesens in Folge der Corona-Pandemie in ihrem Zentrum, den USA, einen neuen Höhepunkt. Landesweit stieg die Zahl der COVID-19-Fälle auf mehr als 135.000 und zum ersten Mal um mehr als 20.000 an einem Tag. Die Zahl der Toten verdoppelte sich in zwei Tagen auf über 2.400. Nach jüngsten Zahlen vom Montagabend sind inzwischen über 162.000 Menschen infiziert und mehr als 3.100 verstorben.

Weltweit gibt es mittlerweile über 783.000 offiziell bestätigte Infektionen und mehr als 37.000 Tote durch die Pandemie (Stand Montagabend).

Im Bundesstaat New York, dem aktuellen Epizentrum der Krise in den USA, ist die Zahl der bestätigten Fälle auf fast 60.000 angestiegen, die Zahl der Toten hat die 1.000er-Marke überschritten.

Am Sonntag veröffentlichten die beiden führenden Gesundheitsberater von Trumps Coronavirus-Taskforce, Dr. Tony Fauci (Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten) und Dr. Deborah Birx (Koordinatorin für die Reaktionen der Taskforce), beunruhigende Warnungen vor einer rapiden Erhöhung der Zahlen von Erkrankten und Toten. Fauci erklärte am Sonntagvormittag in der CNN-Sendung „State of the Union“, er rechne in den USA mit einer Entwicklung der Krise zwischen dem schlimmsten und dem besten Fall, mit „Millionen von Infizierten [...] und zwischen 100.000 und 200.000 Toten“.

Leichenzelte des Bellevue Hospital in New York City (Quelle: Bryan R. Smith/AFP)

Birx gab in der NBC-Sendung „Meet the Press“ zu, dass die Regierung mit einer Ausbreitung der Krise auf alle Landesteile rechnet: „Alle Metropolregionen sollten mit einem ähnlichen Ausbruch wie in New York rechnen.“

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Katastrophe des öffentlichen Gesundheitswesens sind nicht abschätzbar. Wenn die Produktion und die Realwirtschaft weiter schrumpfen, werden nicht einmal die billionenschweren Geldspritzen, die von beiden Parteien des Großkapitals genehmigt wurden, die Finanzmärkte stabilisieren können. Sie sind die größte Sorge der Finanzoligarchie und ihres obersten Vertreters Trump.

Die sozialen und die Klassenspannungen werden sich weiter verschärfen und unweigerlich zu einer Explosion des Widerstands der Bevölkerung führen. Auch die völlige Diskreditierung aller politischen Institutionen des amerikanischen Kapitalismus, die sich als unfähig erwiesen haben, sich auf eine seit langem vorhergesagte Grippepandemie vorzubereiten oder auf sie zu reagieren, befeuert eine enorme Verschärfung der Spannungen innerhalb der herrschenden Elite und ihres Staates.

Der ganze konstitutionelle Rahmen der USA, einschließlich der Beziehung zwischen der Bundesregierung und den Staaten, bricht sichtlich zusammen.

Innerhalb von zwei Tagen musste Trump Rückzieher von zuvor angekündigten Entscheidungen machen. Am Samstag kündigte er plötzlich an, er werde in Kürze eine „vollstreckbare“ Quarantäne für die drei Staaten New Jersey, New York und Connecticut anordnen. Diese Maßnahme, die vorgeblich die Ausbreitung des Virus eindämmen soll, würde 30 Millionen Einwohnern das Verlassen ihrer Staaten verbieten.

Die Gouverneure von Florida, Texas und Rhode Island haben Reisende aus New York bereits zu „unerwünschten Personen“ erklärt. In Florida und Rhode Island haben die Gouverneure die Nationalgarde an Kontrollpunkten auf Flughäfen und an Interstate-Autobahnen stationiert, um New Yorker aufzuhalten und sie für 14 Tage in Quarantäne zu schicken. In Rhode Island gehen Soldaten der Nationalgarde von Haus zu Haus, um Bewohner aus New York unter Androhung einer Geld- oder Haftstrafe in Quarantäne zu zwingen.

Der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, bezeichnete am Samstag Trumps Ankündigung, eine Quarantäne des Bundesstaates sei möglich, als „Kriegserklärung der Bundesregierung“, die „Diskussionen über einen möglichen Bürgerkrieg“ eröffnet hat.

Auf immensen Druck aus seiner Partei und seiner Regierung hin ließ Trump den Vorschlag am Samstagabend fallen und kündigte stattdessen eine „starke“ Reisewarnung für Bewohner der drei Staaten an. Da in diesen drei Staaten bereits eine Ausgangssperre existiert, ist diese Maßnahme bedeutungslos.

Bei der täglichen Pressekonferenz zum Coronavirus am Sonntag distanzierte sich Trump von seiner Forderung, bis Ostern (12. April) den Normalzustand im Land wiederherzustellen und alle Beschäftigten wieder an die Arbeit zu zwingen. Stattdessen verlängerte er das faktische Verbot der meisten öffentlichen Versammlungen und die Schließung vieler Unternehmen, das er Anfang März erlassen hatte, bis zum 30. April. Dies geschah vor dem Hintergrund der Tatsache, dass zahlreiche Gouverneure beider Parteien deutlich gemacht hatten, dass sie jede Anweisung der Bundesregierung zur Aufhebung der „sozialen Distanzierungsmaßnahmen“ ignorieren und ihre strengen Ausgangsbeschränkungen aufrechterhalten werden.

Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten haben sich bereits in Angriffen Trumps auf die Gouverneure von Washington und Michigan geäußert. Diese hatten verhaltene Kritik daran geäußert, dass er weder Massentests noch lebensrettende Ausrüstung wie persönliche Schutzkleidung, Gesichtsmasken oder Beatmungsgeräte organisieren konnte. Ebenso wenig reagierte er darauf, dass die Krankenhäuser durch eine Welle von Coronavirus-Patienten überrumpelt werden. Nur wenige Tage zuvor hatte er die eindringliche Bitte des New Yorker Gouverneurs Cuomo um 30.000 bis 40.000 Beatmungsgeräte mit der Behauptung abgelehnt, er halte so viele Geräte nicht für notwendig.

Der Gouverneur von Washington, Jay Inslee, war zuvor am Sonntagmorgen auf CNN direkt gefragt worden, ob er eine Anweisung von Trump umsetzen würde, die Ausgangsbeschränkungen zu lockern. Darauf antwortete er: „Nein. Wir müssen unsere Entscheidungen auf der Grundlage von Wissenschaft und Realität treffen.“

Doch trotz ihrer taktischen Differenzen sind alle politischen Vertreter des Großkapitals in beiden Parteien entschlossen, das Eigentum und die Profite der herrschenden Elite zu verteidigen, egal wie viele Menschenleben es kosten wird. Cuomo erklärte beispielsweise am Samstag, wenn es Massentests auf das Virus gebe, könnten alle negativ getesteten Arbeiter sofort wieder zur Arbeit geschickt werden – trotz der fehlenden Sicherheitsmaßnahmen für sie und ihre Familien.

Die zunehmende politische Krise wird durch Berichte aus dem ganzen Land verschlimmert. Darin ist von Mängeln an wichtigen Gütern, überfüllten Krankenhäusern, fehlenden Tests und von Ärzten die Rede, die vor der schrecklichen Entscheidung stehen, lebenserhaltende Maßnahmen zu rationieren und zu entscheiden, wer leben und wer sterben wird. In weiteren Berichten ist von völligem Chaos bei der Produktion und Verteilung wichtiger Ausrüstung die Rede. Das alles ist das Produkt der jahrzehntelangen Plünderung der Gesellschaft durch die Superreichen und des Niedergangs der grundlegenden sozialen und Gesundheits-Infrastruktur.

Kalifornien rechnet mit einem Bedarf von 10.000 Beatmungsgeräten und hat nur 170 beschädigte Geräte von der Trump-Regierung erhalten. Louisiana hat 5.000 aus dem nationalen Bestand beantragt, aber kein einziges erhalten.

Die Krankenhäuser in New York City haben große Probleme damit, für Schwerkranke Beatmungsgeräte zur Verfügung zu stellen. In sozialen Netzwerken kursieren Bilder von erschöpften Ärzten und Pflegekräften, die in OP-Sälen schlafen, um sich einen Moment auszuruhen. Wahrscheinlich werden diese Woche die Vorräte an Masken, Schutzanzügen, Schutzbrillen und Handschuhen zur Neige gehen, die das Krankenhauspersonal davor schützen, infiziert zu werden, während sie Patienten behandeln.

Eine Pflegekraft teilte auf Buzzfeed ein besonders grausiges Foto, auf dem das Innere einer der vielen provisorischen Leichenhallen zu sehen ist, die für die Aufnahme von hunderten Toten vorbereitet wurden. Sie schrieb: „Ich habe es gemacht, um den Leuten die grauenhafte Realität dessen zu zeigen, womit wir es zu tun haben, und wo einige von uns bereits gelandet sind.“

Nach New York sind die am stärksten betroffenen Staaten New Jersey, Kalifornien, Michigan und Massachusetts. Ähnliche Szenarien bahnen sich in allen großen Metropolregionen an, u.a. in Detroit, New Orleans und Chicago.

Es können und müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen und zurückzudrängen sowie Menschenleben zu retten. Dies darf man jedoch nicht den politischen Repräsentanten der herrschenden Klasse überlassen. Die notwendigen Maßnahmen – die Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe, ohne Einkommensverluste für die Arbeiter, sichere Bedingungen, überwacht von medizinischem Fachpersonal, für alle Arbeiter in der lebenswichtigen Produktion, volle Bezahlung für alle Arbeiter für die Dauer der Krise, ein koordinierter Plan zur schnellen Produktion der notwendigen Schutzkleidung, Masken und Beatmungsgeräte, Massentests und Kontaktverfolgung, ohne weitere Kosten für die Bevölkerung und volle sowie gleichwertige Behandlung aller Kranken – stehen im Konflikt mit dem Eigentum und den Profitinteressen der herrschenden Wirtschaftsoligarchie.

Die Arbeiter müssen diese Forderungen erheben und sie mit den Maßnahmen verbinden, die zu ihrer Durchführung notwendig sind. Statt die Konzerne und Banken zu retten, müssen sie verstaatlicht und in öffentliche Versorgungsbetriebe unter demokratischer Kontrolle umgewandelt werden. Die obszönen Vermögen der Finanzoligarchen müssen enteignet und benutzt werden, um Ausrüstung zu kaufen, Krankenhäuser zu bauen und die Arbeiter zu entschädigen, die ihre Stellen verlieren.

Die Alternative zu Millionen Toten, zur Vernichtung von Arbeitsplätzen und dem Niedergang des Lebensstandards ist der Kampf für ein Ende des kapitalistischen Systems und seine Ablösung durch den Sozialismus.

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