„Antikapitalistische Inhalte“ an britischen Schulen tabu

Eine neue Anweisung der Johnson-Regierung, welche antikapitalistische Lerninhalte an britischen Schulen verbietet, wird zu Recht allgemein verurteilt.

Das Bildungsministerium (DfE) veröffentlichte letzte Woche eine Richtlinie, in der Antikapitalismus als „extreme politische Haltung“ eingestuft und mit Antisemitismus und Terrorismus gleichgesetzt wird.

Der ursprüngliche Erlass für Schulleiter in der Vorbereitung auf den Unterricht in dem Fach relationship, sex and health (etwa: Aufklärung, Sexual- und Lebenskunde) schloss alle Lehrstoffe aus, die „den öffentlich erklärten Wunsch beinhalten, Demokratie und Kapitalismus, sowie freie und faire Wahlen abzuschaffen, Meinungsfreiheit abzulehnen, rassistische oder antisemitische Sprache zu nutzen, illegale Aktivitäten zu unterstützen oder sie nicht zu verurteilen“.

In den sozialen Medien löste diese Richtlinie Empörung aus. Viele wiesen darauf hin, dass damit ein großer Teil der englischen Literatur aus den Lehrplänen gestrichen werden müsste, u.a. Shakespeare, Dickens und Priestley. Auch im Geschichtsunterricht würde ein Großteil des Lehrplans entfallen, u.a. der englische Bürgerkrieg, Irland, der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, die russische Revolution und die Geschichte Südafrikas, Israels und Palästinas.

Was die Behauptung angeht, das Verbot entspreche „britischen Werten“, so ist sie absurd. Die herrschende Elite Großbritannien selbst verstößt regelmäßig gegen nahezu alle diese Einschränkungen.

Die Johnson-Regierung hat deutlich gemacht, dass sie bereit ist, gegen internationales Recht zu verstoßen, um den Brexit durchzusetzen. Sie forciert Maßnahmen, die es dem Militär und den Geheimdiensten erlauben, ungestraft Menschen zu verschleppen, zu foltern und zu ermorden. Sie bedient sich regelmäßig rassistischer Sprache, genauer gesagt, immigranten- und moslem-feindlicher Sprache, um ihre rechte Agenda durchzusetzen. Sie hat als eins der wenigen Länder der Welt die Corona-Pandemie als Vorwand benutzt, um Wahlen auszusetzen.

Was die Meinungsfreiheit angeht, so muss man nur den politisch motivierten Schauprozess gegen den Journalisten und WikiLeaks-Herausgeber Julian Assange betrachten. Die Anhörung im Londoner Old Bailey zeichnete sich durch offene Missachtung aller demokratischen und rechtlichen Normen aus. Der ganze Prozess zielt darauf ab, Assange für den Rest seines Lebens in ein amerikanisches Hochsicherheitsgefängnis zu stecken, als Rache dafür, dass er imperialistische Kriegsverbrechen enthüllt hat.

Dass das Bildungsministerium seine Richtlinien zuletzt „korrigiert“ hat, ändert nichts an der Sache. In der korrigierten Fassung heißt es immer noch, das Verbot gelte für Lehrmittel, „die von Organisationen produziert werden, die politisch extreme Haltungen einnehmen. Dies gilt auch, wenn die Inhalte des Material selbst nicht extrem sind, denn ihre Verwendung [im Unterricht] kann als Befürwortung oder Unterstützung dieser Organisation angesehen werden.“

Die Richtlinien basieren auf der Prevent-Strategie, die Tony Blairs Labour-Regierung eingeführt hatte. Durch diese Strategie wurden Muslime im Unterricht als potenzielle Extremisten eingestuft. Die Schulen (später auch kommunale Behörden, Gefängnisse und der National Health Service) wurden dazu verpflichtet, jeden zu melden, der „für Radikalisierung anfällig“ sein könnte.

Diese staatliche Überwachungspolitik soll noch deutlich ausgeweitet werden. Zurzeit liegen dem Parlament entsprechende Entwürfe für eine neue Antiterror- und Strafgesetzgebung vor. Auch die oppositionelle Labour Party will sie unterstützen.

Was alle diese Maßnahmen antreibt, ist die Tatsache, dass der Kapitalismus durch die globale Pandemie völlig diskreditiert ist. Das hat zum Wiederaufleben des Klassenkampfs geführt.

Die herrschende Elite lässt zu, dass sich Covid-19 ungehindert in der Bevölkerung ausbreitet, indem sie die Wiedereröffnung von Betrieben und Schulen forciert. Damit will sie die milliardenschweren Geldgeschenke an die Superreichen und Großkonzerne von der Arbeiterklasse wieder eintreiben.

Als Folge sind weltweit mehr als eine Million Menschen gestorben. Die Gesundheit von weiteren Millionen Menschen wird durch die Politik der „Herdenimmunität“ gefährdet, die nahezu alle Regierungen umsetzen. In Großbritannien wie im Rest der Welt droht das Gesundheits- und Sozialwesen zusammenzubrechen, und Millionen Menschen versinken in Arbeitslosigkeit und Not. Jugendliche sind damit konfrontiert, dass ihre Ausbildung und Gesundheit zerstört und sie jeder Aussicht auf eine gute Zukunft beraubt werden.

In Großbritannien ist mehr als jede sechste Mittelschule von einer Teilschließung betroffen, und zurzeit befinden sich mindestens 20.000 Schüler sowie 25.000 Lehrer wegen Covid-19 in Quarantäne.

Die Einführung der neuen Lehrplan-Richtlinien in einer Situation, in der kaum geregelter Schulbetrieb stattfindet, verdeutlicht das wirkliche Ziel der Ankündigung des Bildungsministeriums. Weil die Bildungseinrichtungen das Epizentrum der „Back-to-Work“-Bestrebungen sind, bereitet sich die Regierung angesichts der Ausbreitung der Pandemie auf massiven Widerstand gegen ihre verbrecherischen Maßnahmen vor. Zu diesem Zweck erklärt sie „Antikapitalismus“ zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit.

Der gleiche Prozess findet weltweit statt, vor allem in den USA. Nur wenige Tage bevor das Bildungsministerium seine Richtlinien veröffentlichte, hatte US-Präsident Trump die staatlichen Schulen in den USA als Zentren „linker Indoktrination“ bezeichnet. Er hatte außerdem die Gründung einer nationalen Kommission angekündigt, die einen „pro-amerikanischen Lehrplan“ ausarbeiten soll, der „die Wahrheit über die großartige Geschichte unserer Nation vermittelt“.

Trumps faschistische Erklärung liegt auf einer Linie mit seinen Bestrebungen, rechte Milizen und Einheiten der Polizei und des Militärs zu mobilisieren, um linke und antirassistische Demonstranten einzuschüchtern, zu terrorisieren und auch umzubringen.

Die spalterische, arbeiterfeindliche Politik der Demokratischen Partei und ihrer pseudolinken Unterstützer begünstigt dieses Bestreben. Sie propagieren ihre eigene Version des so genannten „Kulturkampfs“, die auf Identitätspolitik basiert, genauer gesagt auf der Behauptung, weiße Arbeiter seien grundsätzlich Rassisten.

Der britische Unterrichtsminister Gavin Williamson rechtfertigt die Maßnahmen seines Ministeriums mit der Notwendigkeit „politischer Unparteilichkeit“. Diese Behauptung wird schon dadurch widerlegt, dass die Tory-Regierung und die höchsten Ebenen des Staats bewusst faschistische Ideologie und Bewegungen fördern. Die Propagierung von Eugenik an britischen Universitäten hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Regierung und die Medien die Politik der Herdenimmunität übernommen haben.

Der Feldzug gegen „Antikapitalismus“ richtet sich gegen die Arbeiterklasse. Genau wie in den USA fürchtet auch die Bourgeoisie in Großbritannien, dass ihre mörderische Herrschaft durch eine sozialistische Massenbewegung von unten bedroht wird.

Die schwindenden Reste der Labour-„Linken“ und ihre pseudolinken Anhängsel konzentrieren sich, wie nicht anders zu erwarten, darauf, diese essenzielle Wahrheit über die Klassenverhältnisse zu verschleiern. Der ehemalige Labour-Schattenkanzler John McDonnell bezeichnete die Anweisung des Bildungsministeriums als einen „Schritt vorwärts im Kulturkrieg“. Der rückgratlose politische Opportunist Tariq Ali erklärte, angesichts des Internets sei die Maßnahme „wirkungslos“.

Die ehemalige Tory-Ministerin Esther McVey, eine überzeugte Thatcher-Anhängerin, erklärte auf einer Konferenz zum Thema „Blue Collar Conservatism“ (Konservativismus von Blaumann-Trägern, also Arbeitern), man müsse den „Linksdrall im Bildungssystem“ eliminieren.

Die stellvertretende Tory-Vorsitzende Amanda Milling äußerte sich noch deutlicher. Sie verurteilte die Forderung von Lehrern und Schulpersonal nach der Schließung von Schulen als „linksextrem“ und forderte den Chef der Labour Party, Sir Keir Starmer, und die Gewerkschaft National Education Union (NEU) auf, „einzuschreiten und dieses Treiben zu beenden. Die Wiederaufnahme des Schulbetriebs hat oberste Priorität.“

Labour und die Lehrergewerkschaften haben eine entscheidende Rolle bei der Wiedereröffnung der Schulen gespielt. Im August erklärte Starmer gegenüber Premierminister Johnson, er erwarte die „Rückkehr der Schüler“ in die Schulen „ohne Wenn und Aber“.

Da so viele Schulen ganz oder teilweise geschlossen sind, was den „Back-to-Work“-Kurs der Regierung gefährdet, fordert die Generalsekretärin der NEU, Dr. Mary Bousted, die Schaffung von „Nightingale-Schulen“. Dabei soll es sich um provisorische Schulen, ähnlich wie die „Nightingale-Krankenhäuser“ handeln (improvisierte Krankenhäuser und Krankenstationen in Messezentren und großen Gebäuden, die im März eingerichtet wurden).

Bousted forderte außerdem die „Verpflichtung von pensionierten Lehrern, Hilfslehrern und neu einzustellenden Lehrern, um die Klassengrößen zu verringern“.

Außerdem hat die Regierung unter dem Deckmantel der Pandemie die Rolle der Privatwirtschaft im Bildungswesen deutlich ausgeweitet. Ihr National Tutoring Programme ist Teil eines „Aufhol-Programms“ im Wert von einer Milliarde Pfund, an dem mehrere Privatschulen und angebliche Wohltätigkeitsorganisationen beteiligt sind. Dazu gehören Education Endowment Foundation, Sutton Trust, Nesta und Teach First, sowie globale Beraterfirmen wie KPMG, Bain & Company und die internationale Anwaltskanzlei Freshfields, die als Partner auftreten.

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