Neonazi-Aufmarsch am Tag der Novemberpogrome

Die Gedenkveranstaltungen zum 82. Jahrestag der Novemberpogrome sind in ganz Deutschland wegen der Corona-Pandemie abgesagt oder verboten worden. Die rechtsextreme Pegida-Bewegung durfte dagegen auf dem Dresdener Altmarkt eine Kundgebung durchführen, mit dem Neonazi Andreas Kalbitz als Hauptredner.

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 hatten die Nazis in ganz Deutschland Synagogen angezündet, jüdische Geschäfte geplündert sowie hunderte Juden ermordet und zehntausende in Konzentrationslager gesteckt. Die Novemberpogrome, die von den höchsten Vertretern des Nazi-Regimes koordiniert wurden, kennzeichneten eine neue Stufe der Judenverfolgung, die schließlich im staatlich organisierten Massenmord an sechs Millionen Menschen gipfelte.

Zerstörtes jüdisches Geschäft in Magdeburg (Bundesarchiv, Bild 146-1970-061-65 / CC-BY-SA 3.0)

Die Jüdische Gemeinde Dresden reagierte mit „großer Fassungslosigkeit und voller Empörung“ auf den Aufmarsch der Rechtsextremen im Zentrum der sächsischen Hauptstadt. „Es ist absolut geschmacklos und geschichtsvergessen, dass an einem Tag wie dem 9. November eine Pegida-Demonstration in Dresden durchgeführt werden darf“, beanstandete Landesrabbiner Zsolt Balla. Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland kritisierte, „dass rechtsextremistisches, antisemitisches und islamophobes Gedankengut auf offener Straße skandiert werden darf“, während offizielle Gedenkfeiern wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden seien.

Der Dresdener Oberbürgermeister Hilbert (FDP) rechtfertigte die Genehmigung des rechtsextremen Aufmarsches damit, dass weder das Grundgesetz noch das sächsische Versammlungsgesetz eine Grundlage böten, das Recht auf Versammlungsfreiheit einzuschränken. Doch das ist eine offensichtliche Lüge.

„Herz statt Hetze“, ein breites Bündnis von Kirchen, Parteien und anderen Organisationen, das regelmäßig gegen die Pegida-Aufmärsche mobilisiert, erinnerte daran, dass die Stadtverwaltung über einen Entscheidungsspielraum verfüge und seine eigenen Kundgebungen wiederholt behindert habe. So sei 2015 ein Protest von 6000 Dresdnerinnen und Dresdnern gegen Pegida „diskreditiert und wegbeauflagt“ worden.

„Herz satt Hetze“ habe sich vor dem 9. November mit dem Ziel an den Oberbürgermeister gewandt, keine rassistischen Veranstaltungen im Stadtzentrum zuzulassen, berichtete Sprecherin Rita Kunert. Doch ein mit Polizei und Versammlungsbehörde terminiertes Gespräch sei ohne Angabe von Gründen wieder abgesagt worden. Mit gutem Willen und etwas Geschick wäre es möglich gewesen, dem symbolträchtigen Auftritt von Kalbitz an diesem Tag die Spitze zu nehmen.

Auch Thomas Feist (CDU), Beauftragter der sächsischen Regierung für Jüdisches Leben, kritisierte die Stadtverwaltung, die nicht bereit gewesen sei, bereits im Vorfeld des Aufmarsches „mit Vertretern des Jüdischen Lebens über Möglichkeiten zu sprechen, dies zu verhindern“.

Dass es auch anders geht, bewiesen die Behörden von Salzwedel (Sachsen-Anhalt) und Dannenberg (Niedersachsen). Sie verboten Versammlungen und begründeten dies mit Infektionsschutzmaßnahmen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um Aufmärsche von Rechtsextremen, sondern um Gedenkveranstaltungen für die Opfer der November-Pogrome!

In Salzwedel wurde ein Stolpersteinrundgang verboten, für den die Organisatoren, das „Aktionsbündnis Solidarisches Salzwedel“, ein strenges Hygienekonzept vorgegeben hatten –Abstandsregelungen, Mund-Nasen-Schutz-Pflicht und eine begrenzte Teilnehmerzahl. Erst das Verwaltungsgericht Magdeburg hob das durch den Landkreis verordnete Verbot schließlich auf. In Dannenberg wurde ein Lichtergang zu Orten jüdischen Lebens in der Stadt pandemiebedingt verboten.

Der Pegida-Aufmarsch vom 9. November in Dresden ist der jüngste einer langen Reihe von Vorfällen, bei denen Polizei, Justiz und Regierungen eng zusammenarbeiten, um Rechtsextreme zu fördern. Etablierte Parteien, AfD und Neonazis spielen sich dabei gegenseitig die Bälle zu. Sachsen ist ein Zentrum dieser rechten Verschwörung.

Nur zwei Tage davor, am 7. November, hatten in Leipzig 20.000 Teilnehmer gegen die Corona-Auflagen der Bundesregierung protestiert, unter ihnen hunderte Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet. Obwohl sie sämtliche Hygiene-Vorgaben ignorierten, die Demonstration auch nach ihrer offiziellen Auflösung fortsetzten und gewaltsam Gegendemonstranten und Journalisten angriffen, ließ die Polizei sie gewähren. Im Netz tauchen immer neue Videos auf, die zeigen, wie Polizisten sich mit den Demonstranten solidarisieren.

Inzwischen hat sich neben dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Innenminister Roland Wöller (CDU) auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) uneingeschränkt hinter das Vorgehen der Leipziger Polizei gestellt. „Wir müssen damit aufhören, die Taktik der Polizei im Nachhinein ohne Kenntnis von Details und ohne vollständiges Bild per Ferndiagnose zu hinterfragen“, sagte Seehofer. „Die Polizei hat meine volle Rückendeckung.“

Es dürfte auch kein Zufall sein, dass ausgerechnet das Sächsische Oberlandesgericht in Bautzen die „Querdenker“-Demonstration in der Leipziger Innenstadt gegen den Willen der Stadtverwaltung bewilligte und den Rechtsextremen so eine große Bühne bot.

OVG-Präsident Erich Künzler war bereits vor zwei Jahren von der AfD in den höchsten Tönen gelobt worden. Er hatte sich in der Freien Presse darüber beschwert, dass Flüchtlinge, deren Asylantrag das OVG abgelehnt hatte, nicht unverzüglich abgeschoben würden. Dies untergrabe den Rechtsstaat und frustriere die Richterschaft, sagte er. Sie habe „zunehmend das Gefühl, für den Papierkorb zu arbeiten“.

Die AfD-Fraktion Sachsen jubelte: „Oberster Asylrichter auf AfD-Kurs: CDU-Asylirrsinn untergräbt Rechtsstaat.“ Das Parteiblatt AfD-Kompakt schrieb: „Es verstärkt sich der Eindruck, die CDU will Deutschland bewusst mit illegalen Einwanderern fluten. Dazu passt die Kritik der sächsischen Richter.“

Die Vereinigung demokratischer Juristen und der Republikanische Anwälteverein warfen Künzler „ein gefährliches Zündeln am rechten Rand“ unmittelbar vor der sächsischen Landtagswahl vor. Die auf Migrationsrecht spezialisierte Dresdener Rechtsanwältin Kati Lang, die dem Vorstand des RAV angehört, sagte: „Das Interview ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Die Äußerungen sind einseitig und ein Affront gegen schutzsuchende Menschen, die Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit haben.“

Die enge Verbindung von Staat, Regierung und Rechtsextremen war bereits im Sommer 2018 offen in Erscheinung getreten, als führende AfD-Mitglieder und Neonazis Seite an Seite durch Chemnitz marschierten und einen ausländerfeindlichen Mob anführten, der Migranten, Journalisten und Linke angriff sowie ein jüdisches Restaurant überfiel.

Sowohl der sächsische Ministerpräsident Kretschmer wie Bundeinnenminister Seehofer unterstützten damals den rechtsextremen Aufmarsch. „Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz“, behauptete Kretschmer in einer Regierungserklärung. Seehofer äußerte sein Verständnis, „dass die Bevölkerung aufgewühlt und empört ist“, und sagte der Rheinischen Post: „Ich wäre, wenn ich nicht Minister wäre, als Staatsbürger auch auf die Straße gegangen.“

Seither wird das enge Geflecht von Justiz, Polizei, Verfassungsschutz, Regierung, AfD und Neonazis immer offensichtlicher. In der Führung der AfD finden sich zahlreiche Vertreter der Sicherheitsbehörden, die ihrerseits von rechtsextremen Netzwerken durchzogen sind. So sitzt Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden, seit 2017 für die AfD im Bundestag.

Steffen Janich, sächsischer Polizeibeamter, ist Kreisrat der AfD in Pirna und hat dort im April eine der ersten, äußerst aggressiven Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen organisiert. Mittlerweile ist er vom Dienst suspendiert. Er wurde im Wahlkreis der ehemaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry zum Direktkandidaten der AfD für den Bundestag nominiert. Auch der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse aus Bautzen ist Polizist. Er sprach letzte Woche in einem „Querdenken“-T-Shirt im Bundestag.

Der Strafvollzugsbeamte Daniel Zabel, der 2018 den Haftbefehl gegen einen tatverdächtigen Asylbewerber an die rechte Szene weitergab und so die rechten Krawalle in Chemnitz mit auslöste, sitzt inzwischen für die AfD im sächsischen Landtag. Zuvor war er zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

Andreas Kalbitz (Bild: Wikimedia / Professusductus)

Maier, Janich und Zabel werden dem ultrarechten „Flügel“ der AfD zugerechnet, der zwar formal aufgelöst ist, aber in der Partei weiterhin den Ton angibt. Der brandenburgische AfD-Vorsitzende Andreas Kalbitz war neben dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke Wortführer des „Flügels“, bevor er in diesem Jahr aus der Partei ausgeschlossen wurde, weil er seine frühere Mitgliedschaft in einer mittlerweile verbotenen Neonazi-Organisation nicht angegeben hatte.

Doch dieser Ausschluss ist rein kosmetischer Natur. Letzte Woche stand Kalbitz demonstrativ vor der Bühne, als sein politischer Ziehvater, AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, in Cottbus auf einer Versammlung des rechtsextremistischen Vereins Zukunft Heimat sprach. Der Auftritt in Dresden war Kalbitz‘ erste öffentliche Rede seit dem Parteiausschluss.

Auch Gordian Meyer-Plath, der von 2013 bis 2020 den sächsischen Verfassungsschutz leitete, steht weit rechts. Er ist Mitglied der schlagenden Studentenverbindung Marchia Bonn und war als V-Mann-Führer in Brandenburg am Aufbau der rechtsextremen Szene beteiligt, die in enger Verbindung zur Terrorzelle NSU stand. In diesem Frühjahr wurde er von Innenminister Wöller gefeuert, nicht weil er so rechts ist, sondern sich geweigert hatte, die Daten von AfD-Abgeordneten zu löschen.

Die rechtsextreme Kundgebung in Dresden am Tag der Novemberpogrome zeigt, wie weit die Rechtsentwicklung in Staat und Politik fortgeschritten sind. Verantwortlich dafür sind alle Parteien. Die SPD ist 2014 und die Grünen sind 2019 in die sächsische Staatsregierung eingetreten. Sie halten Ministerpräsident Kretschmer den Rücken frei und decken die rechte Verschwörung im Staatsapparat. Auch die Linkspartei steht fest hinter Justiz und Polizei.

In der Bevölkerung haben die Rechtsextremen dagegen wenig Unterstützung. Zur Pegida-Kundgebung in Dresden kamen nur wenige hundert Teilnehmer. Die Rechtsextremen werden gezielt von oben aufgebaut, um die wachsende Opposition gegen soziale Ungleichheit, Militarismus und die tödliche Öffungspolitik einzuschüchtern und zu unterdrücken.

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