Ein Kriegsmanifest des militärisch-akademischen Komplexes

Am Mittwoch vergangener Woche erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Gastbeitrag von 22 Akademikern und Militärs, der nur als Kriegsmanifest des deutschen militärisch-akademischen Komplexes bezeichnet werden kann. Er verlangt die Fortsetzung des mörderischen Stellvertreterkriegs in der Ukraine, denunziert jeden „Wunsch nach einem baldigen Waffenstillstand und nach einer politischen Lösung“ als „gefährlich“ und ruft dazu auf, „das Niveau und die Quantität westlicher Waffenlieferungen“ zu eskalieren.

Der Appell unterstreicht, mit welcher Aggressivität der deutsche Imperialismus den Nato-Stellvertreterkrieg in der Ukraine vorantreibt. Die Verfasser erklären explizit, dass für einen „Waffenstillstand“ oder eine „diplomatische Lösung“ in der Ukraine „kein Spielraum“ existiere. Um einen russischen „Diktatfrieden abzuwenden“ – d.h. die russische Armee in der Ukraine zu besiegen – müsse „vor allem Feuerkraft und Gegenangriffsfähigkeit“ des ukrainischen Militärs „massiv“ gestärkt werden. Ziel des Krieges müsse sein, „Zeit für die Wirkungsentfaltung der Sanktionen zu gewinnen“ und damit langfristig Russlands „Militärmacht zu begrenzen“.

Um diese Agenda zu rechtfertigen, greift das Papier auf die bekannte Propaganda der Nato-Mächte zurück und stellt die Realität auf den Kopf. Das Kreml-Regime habe den Krieg in die Ukraine über „mehrere Jahre systematisch geplant und vorbereitet“ und ziele mit seinem Einmarsch auf „die Zerstörung westlicher Gesellschaften, demokratischer politischer Systeme und internationaler Institutionen“ ab. Darüber hinaus strebe Russland in der Ukraine einen jahrelangen „Abnutzungskrieg“ an und wolle in Deutschland „durch das Herunterfahren der Erdgasversorgung“ eine Rezession auslösen.

Werde der Krieg durch eine „übereilte ‚diplomatische Lösung‘“ beendet, „drohen weitere gravierende Kriegsverbrechen und Zerstörungen in der Ukraine“, so der Orwellsche Höhepunkt des Appells.

In Wirklichkeit sind es die westlichen Mächte und nicht zuletzt Deutschland, die mit der Kriegsführung in der Ukraine eine zerstörerische imperialistische Großmachtpolitik verfolgen und den Konflikt „systematisch geplant und vorbereitet“ haben. Die Nato-Mächte haben Russland systematisch eingekreist und die Ukraine nach dem pro-westlichen Putsch 2014 massiv aufgerüstet und den russischen Einmarsch damit regelrecht provoziert. Nun nutzen sie den Krieg, um das rohstoffreiche Land zu schwächen und letztlich zu unterwerfen, sodass es von den imperialistischen Mächten ausgebeutet und beherrscht werden kann.

Das „Manifest der 22“ spricht dies unmissverständlich aus. Der Ukrainekrieg, so die Autoren, „stellt eine Zeitenwende dar, die in ihren Konsequenzen von vielen immer noch nicht verstanden“ werde. „Der Misserfolg der russischen Truppen“ und „die enorme Abnutzung der russischen Berufsarmee“ verschaffe Deutschland und seinen Verbündeten „Möglichkeiten der Einflussnahme auf die weitere Entwicklung, die nicht vertan werden dürfen“.

Dabei richtet sich die Kriegsoffensive nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China. Das Papier beklagt die „kaum verhüllte Sympathie Chinas für die Position Russlands“, die erkennen lasse, „dass wir uns in einer Phase befinden, in der sich die demokratischen Staaten einer Allianz machtvoller autoritärer Regime gegenübersehen, die die freiheitliche, regelbasierte und auf der Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Probleme beruhende internationale Ordnung beseitigen wollen“.

Tatsächlich bereiten sich die imperialistischen Mächte unter dem Deckmantel von „Freiheit“ und „Demokratie“ auf einen dritten Weltkrieg gegen die Nuklearmächte Russland und China vor. Im neuen Strategischen Konzept der Nato heißt es u.a., man werde „einzeln und kollektiv das volle Spektrum an Streitkräften ... liefern, das zur Abschreckung und Verteidigung benötigt wird, und zwar auch für hochintensive dimensionsübergreifende Kriegsführung gegen gleichwertige Wettbewerber, die Kernwaffen besitzen.“

Die Gefahr eines atomar geführten dritten Weltkriegs hält die Unterzeichner des Kriegsmanifests in der FAZ nicht davon ab, zu fordern, die Beschlüsse des Nato-Gipfels in Madrid „schnell umzusetzen“. Hinter dem Wahnsinn stehen definitive imperialistische Ziele. Allen voran die herrschende Klasse in Deutschland sieht den Krieg als Chance, ihre lange ausgearbeiteten Kriegs- und Großmachtpläne in die die Tat umzusetzen.

Konkret fordert das Papier, dass die Bundeswehr im Rahmen des Nato-Bündnisses „eine führende Rolle einnehmen“ und „rasch“ eine militärische Strategie „für Polen und die baltischen Staaten“ sowie für den gesamten „Ostseeraum“ ins Werk setzen müsse. Zudem müsse eine Strategie entwickelt werden, die „über den unmittelbaren Krieg hinausweist“. Angesichts der „massiven Fehler“ und „demütigenden Verluste“ der russischen Seite wäre es „fahrlässig“, die „Optionen auszulassen“, die die „derzeitige russische Schwäche“ biete.

Die historischen Implikationen dieses Programms sind so klar wie weitreichend. Indem das deutsche Militär erneut in Osteuropa aufmarschiert und in der Ukraine Krieg führt, um Russland niederzuwerfen, knüpft es unmittelbar an seine Kriegsziele im Ersten und Zweiten Weltkrieg an. Es unterstützt und bewaffnet dabei die politischen Erben derjenigen Kräfte, die bereits im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit Wehrmacht und SS zusammengearbeitet haben.

Damals wie heute spielt eine Schicht von Akademikern eine zentrale und abstoßende Rolle dabei, die Kriegspolitik der herrschenden Klasse voranzutreiben und ideologisch zu verbrämen. Unter den Unterzeichnern des Kriegsappells finden sich deutsche Professoren und Lehrstuhlinhaber der Universitäten Kiel, Bradford, Bonn und Potsdam, sowie hochrangige Offiziere und Professoren der beiden Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München. Hinzu kommen Angehörige verschiedener geopolitischer Thinktanks und militaristischer Kaderschmieden. Allein sechs Unterzeichner sind mit dem Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) assoziiert, welches der deutschen Marine nahesteht.

Brigadegeneral a. D. Klaus Wittmann (2014, CC BY-SA 4.0) und Prof. Sönke Neitzel (2011, Copyright: Das blaue Sofa / Club Bertelsmann)

Viele der Autoren werden seit Kriegsbeginn unablässig in den Medien herumgereicht, um das Gift des Militarismus zu versprühen. Zu den prominentesten zählen Carlo Masala (UniBw München) und Sönke Neitzel (Uni Potsdam), sowie der Nato-Militärplaner und DGAP-Fellow Heinrich Brauß, der österreichische Analyst Gustav Gressel (European Council on Foreign Relations) und der Propagandist für deutsche Atomwaffen Maximilian Terhalle (London School of Economics). General a.D. Klaus Wittmann hatte gegenüber der rechten Springer-Presse zuletzt eine mit deutschen Panzern geführte „ukrainische Gegenoffensive“ im Südosten des Landes gefordert.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und ihre Jugendorganisation, die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), haben seit 2013 davor gewarnt, dass die Universitäten wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wieder in Zentren für Militarismus und Kriegspropaganda verwandelt werden sollen. SGP und IYSSE traten damals als einzige politische Organisationen der militaristischen Verschwörung im Staatsapparat entgegen und zeigten auf, wie das Ende der „militärischen Zurückhaltung Deutschlands“ von führenden Kreisen in Politik, Militär, Medien und Wissenschaft systematisch vorbereitet wurde.

Von der Veröffentlichung des programmatischen Papiers „Neue Macht, neue Verantwortung“ über die Ausarbeitung des neuen Weißbuchs der Bundeswehr bis hin zur Relativierung des Nationalsozialismus durch den Humboldt-Professor Jörg Baberowski („Hitler war nicht grausam“) wiesen wir die Rolle von Professoren und Akademikern bei der Rückkehr des deutschen Militarismus nach. Christoph Vandreier, langjähriger Sprecher der IYSSE in Deutschland und heutiger Vorsitzender der SGP, erklärte in seinem Buch „Warum sind sie wieder da?“, dass „die Herrschenden in Deutschland die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte relativieren und verharmlosen [müssen], um erneut an die Ziele zweier Weltkriege anknüpfen zu können“.

An der Humboldt-Universität zu Berlin, die eine zentrale Rolle dabei spielt, stehen die IYSSE an der Spitze des Kampf gegen die Versuche der Universitätsleitung, Kritik an rechtsradikalen und militaristischen Standpunkten zu unterdrücken. Die Positionen von Baberowski und Herfried Münkler – wonach Deutschland „Zuchtmeister Europas“ werden müsse und der Vernichtungskrieg der Nazis letztlich eine verständliche Reaktion auf die Gewalt der Bolschewiki gewesen sei – entsprechen der Politik der herrschenden Klasse.

Unter Bedingungen der konkreten Gefahr eines Atomkriegs und der größten deutschen Aufrüstung seit dem Untergang des Nazi-Regimes zollen führende Regierungspolitiker einem ukrainischen Botschafter Respekt, der weite Teile des Holocausts vor den Augen der Weltöffentlichkeit geleugnet hat. Die Bundesregierung verfolgt das erklärte Ziel, Europa militärisch zu dominieren und die EU „zu einem geopolitischen Akteur“ unter der Führung Berlins zu machen.

Nur eine mächtige internationale Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse kann die Entwicklung eines dritten Weltkriegs stoppen und verhindern, dass die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus durch neue Verbrechen in den Schatten gestellt werden. Die Streiks, Massenproteste und sozialen Unruhen, die sich seit Beginn des Ukrainekriegs überall auf der Welt entwickeln, zeigen, dass die Grundlage einer solchen Bewegung bereits im Entstehen begriffen ist.

Das ist auch den kriegslüsternen Professoren und Generälen bewusst. „Die nächsten zwei Jahre werden sehr schwierig werden“, stellen sie in ihrem Manifest abschließend fest. „Mit großer Sorge“ müsse man feststellen, dass „immer wieder Forderungen nach einer politischen Lösung oder einem Waffenstillstand aufkommen“. Um der absehbaren sozialen und politischen Eruption zu begegnen, sei „eine konzertierte Aktion aller relevanten gesellschaftlichen und politischen Kräfte“ erforderlich.

Die Arbeiterklasse muss der Kriegsverschwörung und der „konzertierten Aktion“ der herrschenden Klasse ihr eigenes Programm entgegensetzen. Die SGP und ihre Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) werden alles in ihrer Macht stehende tun, um den Kampf gegen Krieg, Militarismus und Sozialkahlschlag mit einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive zu bewaffnen. Ihr Aufbau ist das Gebot der Stunde.

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