David North
Verteidigung Leo Trotzki

Die postsowjetische Schule der Geschichtsfälschung

Erstmals veröffentlicht auf der World Socialist Web Site am 9.–12. Mai 2007, deutsch am 5.–12. Juni 2007.

1. Stalins Terror und die politische Lüge

2007 jährt sich zum siebzigsten Mal das schrecklichste Jahr in der Geschichte der Sowjetunion. Nach dem politischen Schauprozess, den Stalin 1936 in Moskau inszeniert hatte, um der Ermordung Leo Kamenews, Grigori Sinowjews, Iwan Smirnows und anderer Führer der Oktoberrevolution den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben, begann 1937 ein Terrorfeldzug, der alle Überreste marxistischen politischen Denkens und marxistischer Kultur in der Sowjetunion zerstörte. Der Terror zielte auf die Vernichtung aller, die in der Oktoberrevolution von 1917 eine wichtige Rolle gespielt hatten, irgendwann in ihrem Leben mit einer Form marxistischer und sozialistischer Opposition gegen das stalinistische Regime identifiziert worden waren oder – sei es persönlich, durch Genossen, Freunde oder Familie – mit einem marxistisch beeinflussten politischen, geistigen und kulturellen Umfeld in Verbindung standen.

Selbst nach siebzig Jahren steht die Zahl der vom stalinistischen Regime Ermordeten noch nicht eindeutig fest. Laut einer neueren Analyse von Professor Michael Ellman von der Universität Amsterdam kommt »die genauste Schätzung zu den Opfern der Repression von 1937–1938, die gegenwärtig möglich ist, auf eine Zahl zwischen 950 000 und 1,2 Millionen, also etwa eine Million. Historiker, Lehrer und Journalisten, die sich mit der Geschichte Russlands (und der Welt) im zwanzigsten Jahrhundert befassen, sollten sich an dieser Schätzung orientieren«.[1] Die Entdeckung neuen Tatsachenmaterials könnte aber laut Ellman eine Revision dieser Zahl erfordern.

Inzwischen liegt umfangreiches Archivmaterial vor, das ein klares Bild ergibt, wie Stalin und seine Henker im Politbüro und NKWD ihren Massenmord organisierten und ausführten. Das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofs der Sowjetunion spielte bei diesem gerichtlich sanktionierten Massenmord eine zentrale Rolle. In den drei öffentlichen Schauprozessen in Moskau wurden insgesamt 54 Angeklagte verurteilt. Zehntausende jedoch zerrte das Militärkollegium vor Geheimgerichte und verurteilte sie zum Tode nach »Prozessen«, die meist nur zehn oder fünfzehn Minuten dauerten.[2] Auf Listen, die vom NKWD erstellt worden waren, standen die Namen der Opfer, daneben eine Urteilsempfehlung. Diese Listen wurden Stalin und dem Politbüro zur Überprüfung vorgelegt. Die Namen waren die von »führenden Funktionären der Partei, der Sowjets, des Kommunistischen Jugendverbands Komsomol, der Gewerkschaften, der Roten Armee und des NKWD, sowie die von Schriftstellern, Künstlern und bekannten Vertretern von Wirtschaftsinstitutionen, die von eben diesem NKWD verhaftet worden waren«.[3] Stalin und sein Politbüro gingen diese Listen durch und segneten in beinahe allen Fällen das empfohlene Urteil ab: in der Regel Tod durch Erschießen. In den Sonderarchiven in Moskau gibt es 383 Listen, die Stalin zwischen dem 27. Februar 1937 und dem 29. September 1938 vorgelegt wurden. Darauf stehen maschinenschriftlich die Namen von 44 500 Personen sowie die Unterschriften von Stalin und seinen Mitarbeitern und deren handschriftliche Kommentare.[4]

Im Jahr 1937 verkündete das Militärkollegium 14 732 Urteile und 24 435 weitere im Jahre 1938. Stalin befehligte den Terror an vorderster Stelle und war in die täglichen Vorgänge tief verstrickt. Am 12. September 1938 unterzeichnete Stalin an einem Tag 3 167 Todesurteile zur Vollstreckung durch das Militärkollegium.[5] Wir verfügen heute über umfangreiche Informationen darüber, wie das Militärkollegium seiner Arbeit nachging. Seine Geheimprozesse führte es gewöhnlich im Moskauer Lefortowo-Gefängnis. Der in erster Linie verantwortliche Beamte war der Präsident des Kollegiums, Wassili Ulrich. An einem arbeitsreichen Tag konnte das Kollegium dreißig oder mehr Fälle bearbeiten. Oft musste das Kollegium zusätzliche Gerichte einsetzen, um der unzähligen Gefangenen Herr zu werden. Ein Häftling wurde gewöhnlich dem Kollegium vorgeführt. Die Anklage wurde verlesen, und man forderte den Gefangenen meistens auf, die Aussage, die er während des früheren »Verhörs« gemacht hatte, zu bestätigen. Der Prozess wurde dann für beendet erklärt, unabhängig davon, ob der Angeklagte mit Ja oder Nein geantwortet hatte. Nach fünf solchen Fällen zog sich das Kollegium zurück, um sein Urteil zu fällen, das bereits im Voraus festgelegt und schriftlich fixiert worden war. Die Angeklagten wurden dann wieder hereingeführt, um ihr Urteil zu vernehmen: in aller Regel die Todesstrafe. Die Urteile wurden meist am selben Tag vollstreckt.[6]

Für die Mitglieder des Kollegiums bedeutete dies harte Arbeit, sie brauchten reichlich Stärkung, um weitermachen zu können. Zu den Mahlzeiten zogen sie sich in den Beratungsraum zurück. Nach den Aussagen eines Beamten des Lefortowo-Gefängnisses gab es »verschiedene Kleinigkeiten, z. B. mehrere Sorten Wurst, Käse, Butter, schwarzen Kaviar, Gebäck, Schokolade, Obst und Fruchtsaft«. Ulrich spülte das Essen mit Schnaps hinunter.[7]

Das Kollegium sprach nicht nur Urteile. Häufig waren seine Mitglieder bei den Exekutionen anwesend oder führten sie sogar selbst aus. Wenn Ulrich von seiner Arbeit nach Hause kam, war seine Uniform zuweilen vom Blut seiner Opfer verschmiert.

Nicht nur in Moskau wurden geheime Prozesse abgehalten. In Städten im ganzen Land fanden ähnliche Prozesse statt. Der Terror ließ erst nach, als das stalinistische Regime praktisch alle Vertreter der marxistischen und sozialistischen Kultur vernichtet hatte, die die geistigen Grundlagen für die Oktoberrevolution und die Gründung der Sowjetunion gelegt hatten. Die sowjetische Gesellschaft war von diesem massenhaften Morden traumatisiert. Wie der marxistische Historiker Wadim S. Rogowin schrieb:

Im Umkreis der vernichteten Führer bildete sich eine menschenleere Ödnis, da nach ihnen auch ihre Frauen, Kinder und engsten Mitarbeiter beseitigt wurden. Die Furcht, die der stalinsche Terror auslöste, hinterließ ihre Spuren im Bewusstsein und Verhalten mehrerer Generationen von Sowjetbürgern, nahm vielen die Bereitschaft, das Bestreben und die Fähigkeit, nach ehrlichen neuen Ideen zu suchen. Zugleich machten die Henker und Denunzianten der stalinschen Periode weiter Karriere, die ihr eigenes Wohlergehen und das ihrer Nachkommen darauf begründeten, dass sie sich aktiv an Fälschungen, Parteiausschlüssen, Misshandlungen usw. beteiligt hatten.[8]

Stalins Verbrechen wurden mit haarsträubenden Lügen gerechtfertigt, die marxistischen Gegner und Opfer des bürokratisch-totalitären Regimes – allen voran Leo Trotzki – als Saboteure, Terroristen und Agenten verschiedener imperialistischer und faschistischer Mächte dargestellt. Diese Lügen jedoch, die die Grundlage für die Anklagen in den Schauprozessen gegen Trotzki und andere alte Bolschewiki abgaben, waren im Lauf der vorangegangenen fünfzehn Jahre vorbereitet worden, angefangen mit der Kampagne, die Stalin und seine selbstzerstörerischen Verbündeten Sinowjew und Kamenew 1922 gegen Trotzki geführt hatten.

Wie Trotzki nach den ersten beiden Moskauer Prozessen (dem Prozess im August 1936 folgte der zweite Schauprozess im Januar 1937) erklärte, lagen die Anfänge des Justizkomplotts in der Verfälschung der historischen Tatsachen. Diese Geschichtsfälschung war notwendiger Bestandteil des politischen Kampfs gegen den »Trotzkismus«, d. h. gegen die politische Opposition, die sich gegen das von Stalin angeführte bürokratische Regime gebildet hatte. »Es bleibt eine unwiderlegbare historische Tatsache, dass die Vorbereitung der blutigen Justizkomplotte mit den ›geringfügigen‹ Entstellungen der Geschichte und der ›harmlosen‹ Fälschung von Zitaten begann.«[9]

Niemand, der den Ursprung des stalinistischen Terrors studiert und sich ernsthaft mit seinen Konsequenzen befasst, wird die politisch reaktionären und gesellschaftlich zerstörerischen Auswirkungen historischer Fälschung unterschätzen. Das Beispiel der Sowjetunion lehrt uns, dass die politische Entwicklung, die mit der Fälschung der Geschichte der Russischen Revolution begann, schließlich zum Massenmord an russischen Revolutionären ausartete. Ehe Stalin als einer der schlimmsten Mörder in die Geschichte einging, hatte er sich bereits den Ruf als größter Lügner der Geschichte erworben.

Trotzki entlarvte nicht nur die Lügen Stalins, er erklärte auch die objektiven Wurzeln und die Funktion, die dieser systematischen Verlogenheit des Regimes in politischen und gesellschaftlichen Fragen zugrunde lagen:

Tausende von Schriftstellern, Historikern und Ökonomen in der UdSSR schreiben auf Befehl hin, woran sie nicht glauben. Professoren in Universitäten und Lehrer an Schulen werden gezwungen, eiligst die Lehrwerke zu ändern, um sich den jeweiligen Erfordernissen der offiziellen Lüge anzupassen. Der Geist der Inquisition, der die Atmosphäre des Landes durchdringt, nährt sich … aus tiefen sozialen Quellen. Um ihre Privilegien zu rechtfertigen, verdreht die herrschende Kaste die Theorie, die die Abschaffung aller Privilegien zum Ziel hat. Die Lüge dient also als wichtigster ideologischer Zement der Bürokratie. Je unversöhnlicher der Widerspruch zwischen der Bürokratie und dem Volk wird, desto plumper wird die Lüge, umso unverfrorener wird sie zur verbrecherischen Fälschung und juristischen Verschwörung eingesetzt. Wer diese innere Dialektik des stalinistischen Regimes nicht verstanden hat, wird auch die Moskauer Prozesse nicht verstehen können.[10]

In der Rückschau mag es verwunderlich erscheinen, dass so viele Menschen, die sich als Linke begriffen, bereit waren, die Anklagen, die Wyschinski, der stalinistische Staatsanwalt, den angeklagten Altbolschewiki entgegenschleuderte, zu rechtfertigen oder ihnen tatsächlich Glauben zu schenken. Ein nennenswerter Teil der liberalen und linken Öffentlichkeit erkannte die Legitimität der Moskauer Prozesse an und unterstützte auf diese Weise den Terror, der in der UdSSR wütete. Zumindest bis zum Abschluss des Nichtangriffspakts zwischen Hitler und Stalin im August 1939 sah man im stalinistischen Regime einen politischen Verbündeten gegen Nazi-Deutschland, welcher Verbrechen es auch innerhalb der UdSSR schuldig sein mochte. Hinter der pro-stalinistischen Rechtfertigung, die von großen Teilen der »linken« Öffentlichkeit getragen wurde, standen pragmatische Erwägungen, die den gesellschaftlichen Anschauungen dieser kleinbürgerlichen »Freunde der UdSSR« entsprangen. Stalins Fürsprecher ignorierten selbst die Widerlegung zentraler Anklagepunkte.[11] Die Arbeit der Dewey-Kommission, benannt nach dem liberalen amerikanischen Philosophen, der 1937 bei der Untersuchung der sowjetischen Anklagen gegen Leo Trotzki den Vorsitz einnahm, stand in vornehmem Gegensatz zu der zynischen, unehrlichen und reaktionären Haltung, die im Milieu der linken Öffentlichkeit, insbesondere in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten vorherrschte.

Die Werke von E. H. Carr und Isaac Deutscher

Es sollte noch beinahe zwei Jahrzehnte dauern, ehe das bei den Moskauer Prozessen errichtete stalinistische Lügengebäude einzustürzen begann. Entscheidend für diese Entwicklung war die »geheime« Rede Chruschtschows im Februar 1956 vor dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, die den verbrecherischen Charakter von Stalins Terror erstmals einräumte. Diesen Enthüllungen waren jedoch wichtige Entwicklungen auf dem Gebiet der Geschichtsforschung vorausgegangen, die unermesslich viel zu einem tatsachengetreuen und tieferen Verständnis der Geschichte der Sowjetunion und der Rolle Leo Trotzkis beitrugen.

Der erste wichtige Schritt zur historischen Rehabilitierung Trotzkis war die Veröffentlichung von E. H. Carrs monumentaler Geschichte Sowjetrusslands, insbesondere des vierten Bands mit dem Titel »The Interregnum«. Dieser Band, der in großem Umfang offizielle sowjetische Dokumente verwendet, die damals im Westen zugänglich waren, stellt detailliert die politischen Kämpfe dar, die 1923–1924 in der Führung der sowjetischen Kommunistischen Partei ausgebrochen waren. Carr war kein politischer Anhänger Trotzkis. Doch er analysierte die komplizierten Fragen von Programm, Politik und Prinzipien, mit denen sich Trotzki in einer schwierigen und entscheidenden Periode der sowjetischen Geschichte intensiv befasst hatte, in hervorragender Weise und fasste sie zusammen. Aus Carrs Darstellung geht klar hervor, dass Trotzki zur Zielscheibe eines prinzipienlosen Angriffs wurde, der anfänglich vom persönlichen Machtstreben seiner Rivalen motiviert war. Carr übt zwar deutliche Kritik an Trotzkis Reaktion auf die Provokationen von Stalin, Sinowjew und Kamenew, doch lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass er in Trotzki, neben Lenin, die herausragende Persönlichkeit der bolschewistischen Revolution sah. In »vielen Bereichen« revolutionären politischen Handelns, schreibt Carr in einem späteren Buch, »überstrahlte« Trotzki sogar Lenin. Zu Stalin meint Carr, dass Trotzki ihn »in fast allen Fragen in den Schatten stellte«. Das Abflauen des revolutionären Enthusiasmus innerhalb der UdSSR, seit 1922 immer deutlicher zu beobachten, wirkte sich auf Trotzkis politisches Schicksal aus. »Trotzki war ein Held der Revolution«, schreibt Carr. »Er fiel, als die heroische Ära endete.«[12]

Der zweite wichtige Meilenstein in der Erforschung der sowjetischen Geschichte war Isaac Deutschers maßgebliche dreiteilige Biografie: »Der bewaffnete Prophet«, »Der unbewaffnete Prophet«, »Der verstoßene Prophet«. Im April 2007 jährte sich der Geburtstag Deutschers zum hundertsten Mal – Anlass genug, seine Leistung als Historiker und Biograf zu würdigen. Auch wenn ich mit vielen politischen Einschätzungen Deutschers keineswegs übereinstimme – vor allem, wenn es um die Entscheidung Trotzkis geht, die Vierte Internationale zu gründen (die Deutscher ablehnte) –, kann man die Bedeutung von Deutschers »Propheten«-Trilogie kaum überschätzen. Es war keine Unbescheidenheit seinerseits, wenn er sein eigenes Werk mit dem von Thomas Carlyle verglich, der als Biograf eines anderen Revolutionärs, Oliver Cromwell, »den Lord Protector unter einem Berg toter Hunde, unter einer riesigen Last falscher Beschuldigungen und des Vergessens hervorziehen« musste.[13] Deutscher zitierte mit Stolz einen britischen Kritiker, aus dessen Sicht der erste Band der Trilogie, »Der bewaffnete Prophet«, »drei Jahrzehnte stalinistischer Verleumdungen zunichtemacht«.[14]

Neben Carr und Deutscher leistete in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren eine neue Generation von Historikern wichtige Beiträge zu unserem Verständnis der Russischen Revolution, ihrer Ursprünge, der Entstehung der Sowjetunion und ihrer führenden Persönlichkeiten. Man denkt hier sofort an Leopold Haimson, Samuel Baron, Robert Daniels, Alexander Rabinowitch, Robert Tucker, Moshe Lewin, Marcel Liebman, Richard Day und Baruch Knei-Paz. Den Wert ihrer Arbeit und ihr wissenschaftliches Verdienst anzuerkennen, bedeutet nicht, und muss es auch nicht, dass man mit ihren Einschätzungen und Schlussfolgerungen übereinstimmt. Die Arbeit von ihnen und anderen, die ich nicht genannt habe, ist von bleibender Bedeutung wegen ihres Beitrags zur Widerlegung der Lügen, Entstellungen und Halbwahrheiten, unter denen die Geschichte der Russischen Revolution und der Sowjetunion so viele Jahrzehnte verschüttet lag. Nicht nur Verfälschungen der sowjetischen Regierung wurden damit widerlegt, sondern auch die abstumpfende antimarxistische Propaganda der US-Regierung in der Ära des Kalten Kriegs.

Lasst mich einige Absätze aus einer Arbeit über Trotzkis Leben zitieren, die 1973 im Rahmen der bekannten Reihe »Great Lives Observed« veröffentlicht wurde, um einen Eindruck von dem Einfluss dieser Historiker auf das geistige Klima ihrer Zeit zu vermitteln. Diese Reihe des traditionsreichen Wissenschaftsverlags Prentice-Hall gehörte in den 1960er- und 1970er-Jahren zur obligatorischen Lektüre in Geschichtsseminaren an den Universitäten. Tausende von Studenten, die sich für russische oder neuere europäische Geschichte eingeschrieben hatten, lernten durch diesen Band die Person Leo Trotzki kennen. Im ersten Absatz konnten sie Folgendes lesen:

Mit der Zeit verlieren oder gewinnen geschichtliche Gestalten an Statur. Im Fall Leo Trotzkis hat die Zeit, nachdem er kurz in Vergessenheit geraten war, sein Ansehen erhöht, so dass er heute, im Guten oder Schlechten, als einer der Giganten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erscheint. Das neuerliche Interesse an Trotzkis Leben zeigt sich an den zahlreichen Arbeiten, die gegenwärtig erscheinen, und daran, dass beinahe alle seine Schriften plötzlich verfügbar sind. Für viele aus der Generation der Neuen Linken hat er sowohl das Ansehen als auch die Bedeutung des revolutionären Führers.[15]

Die Einleitung gab auf der Basis der Forschungsergebnisse zeitgenössischer Wissenschaftler eine präzise Einschätzung von Trotzkis revolutionärer Laufbahn. »Trotzkis Bedeutung beruht auf seinem Beitrag zur politischen Theorie, seinem literarischen Vermächtnis und vor allem seiner Rolle als Mann der Tat.« In theoretischer Hinsicht zeigten Trotzkis Analyse der gesellschaftlichen Kräfte Russlands und seine Ausarbeitung der Theorie der permanenten Revolution, »dass er als marxistischer Denker durch seine große Kreativität die Lehre von Marx und Engels bereichern konnte«. Daher könne man Trotzki zu Recht »in eine Reihe mit glänzenden marxistischen Theoretikern wie Plechanow, Kautsky, Luxemburg und sogar Lenin selbst stellen«. Als Literat stehe Trotzki sogar über diesen großen Marxisten. »Großartige Wortspiele, beißender Sarkasmus und hervorragende Charakterstudien zeichnen sein Schreiben aus. Trotzki lesen heißt dem Literaten bei der Arbeit zusehen.« Dann kommen Trotzkis Erfolge als Mann der Tat zur Sprache. Die Einleitung hebt »Trotzkis Rolle in der revolutionären Geschichte Russlands« hervor, die »nur von der Lenins übertroffen« werde, sowie seine »entschiedene Führungsrolle im Militärischen Revolutionskomitee, die den Weg für die Oktoberrevolution freimachte«. Der Leser wird auch auf Trotzkis »entschlossene Anstrengungen« hingewiesen, »trotz gewaltiger Hindernisse die Rote Armee aufzubauen«.[16]

Keine dieser Leistungen sei der Masse der sowjetischen Bürger bekannt. Eine ehrliche Darstellung von Trotzkis Leben und Werk gebe es in der UdSSR nicht, weil »sowjetische Historiker eine verantwortungsbewusste Geschichtsschreibung schon lange aufgegeben haben und sich dem absurden Bemühen widmen, eine neue Dämonologie zu schaffen«. Innerhalb der Sowjetunion bleibe Trotzki »eine Abstraktion des Bösen – eine Kraft, die gegen die Zukunft des sowjetischen Volks arbeitet«.[17] Außerhalb der UdSSR allerdings sei die Situation anders:

Die sowjetische Dämonologie war von Beginn an absurd und ist zumindest in der westlichen Welt weitgehend überwunden. Der dritte Teil dieses Buchs enthält ausgewählte Texte relativ neuer Autoren zum Thema Trotzki. Beste Beispiele für diese objektivere wissenschaftliche Haltung sind Edward Hallett Carrs mehrbändige Untersuchung »The bolshevik revolution« und Isaac Deutschers detailgenaues dreibändiges Werk über Trotzki. Auch wenn die historische Debatte auf Dauer unentschieden bleiben mag, kann im Licht dieser neueren Untersuchungen die Rolle Trotzkis in der russischen Erfahrung aus neuer und positiver Perspektive gesehen werden. Im Westen hat sich die unheilvolle Wolke aufgelöst, die Dämonen wurden vertrieben. Jetzt können wir uns ganz mit den materiellen Kräften und Problemen beschäftigen, die das Handeln Leo Trotzkis motivierten und inspirierten.[18]

Ich habe diesen Text ausführlich zitiert, weil er in klaren Worten zusammenfasst, was ein gewöhnlicher Geschichtsstudent an der Universität vor etwa fünfunddreißig Jahren über Trotzki hörte.[19] Wenn wir uns dagegen die Texte ansehen, welche die Studenten heute zu lesen bekommen, merkt man sogleich, dass wir in einem sehr veränderten – und viel ungesünderen – geistigen Umfeld leben. Zuvor aber muss ich wenigstens kurz darauf eingehen, wie das Thema Trotzki in der sowjetischen Literatur nach der »Geheimrede« von Chruschtschow auf dem 20. Kongress behandelt wurde.

Sowjetische Geschichte nach dem 20. Kongress

Die offizielle Enthüllung der Verbrechen Stalins im Jahr 1956 drängte die Kreml-Bürokratie und ihre zahlreichen Verteidiger in die Defensive. Die von der Partei vertretene Version der Geschichte war fast zwei Jahrzehnte lang Stalins »Kurzer Lehrgang der Geschichte der KPdSU« gewesen. Kaum war Chruschtschow ans Rednerpult des 20. Parteikongresses getreten, da büßte dieses bluttriefende Kompendium unfassbarer Lügen jegliche Glaubwürdigkeit ein. Wodurch aber konnte es ersetzt werden? Auf diese Frage fand die stalinistische Bürokratie niemals eine tragfähige Antwort.

Jede wichtige Frage zur Geschichte der russischen revolutionären Bewegung – die Ereignisse von 1917, der Bürgerkrieg, die frühen Jahre des Sowjetstaats, die innerparteilichen Konflikte der 1920er-Jahre, das Anwachsen der sowjetischen Bürokratie, das Verhältnis der Sowjetunion zu internationalen revolutionären Bewegungen und Kämpfen, die Industrialisierung, die Kollektivierung, die Kulturpolitik der Sowjetunion und der stalinistische Terror – führte unvermeidlich zu Leo Dawidowitsch Trotzki. Jede Kritik an Stalin mündete in der Frage: »Hatte Trotzki Recht?« Die historischen, politischen, theoretischen und moralischen Fragen, die sich aus der Aufdeckung der stalinistischen Verbrechen ergaben, sowie die katastrophalen Auswirkungen der stalinschen Politik und Persönlichkeit auf jeden Aspekt der sowjetischen Gesellschaft waren nicht damit erledigt, dass man Stalin von seinem Platz im Mausoleum neben Lenin entfernte und seinen Leichnam an der Kremlmauer bestattete.

Isaac Deutscher hatte die Hoffnung – und in dieser Hoffnung zeigte sich die Begrenztheit seiner politischen Anschauungen –, die stalinistische Bürokratie werde irgendwann doch mit der Geschichte ins Reine kommen und ihren Frieden mit Leo Trotzki schließen. Das erwies sich als vergebliche Hoffnung. Ein ehrlicher Umgang mit Trotzki hätte bedeutet, seine Schriften der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Doch das revolutionäre Potential von Trotzkis Enthüllungen und Anklagen gegen das stalinistische Regime war auch Jahrzehnte später noch ebenso explosiv wie zu seinen Lebzeiten.

Als Gorbatschow 1985 an die Macht kam und seine Glasnost-Politik verkündete, wurde in der Öffentlichkeit viel über die offizielle Rehabilitierung Trotzkis gesprochen. Vor dem 70. Jahrestag der Oktoberrevolution ging man weithin davon aus, dass Gorbatschow die Gelegenheit nutzen werde, um Trotzkis Rolle in der Führung der Oktoberrevolution und seinen Kampf gegen Stalin zu würdigen. Jedoch trat genau das Gegenteil ein. Am 2. November 1987 griff Gorbatschow in einer landesweit im Fernsehen übertragenen Rede Trotzki noch einmal in traditioneller stalinistischer Manier an. Trotzki, sagte er, war »ein extrem von sich eingenommener Politiker, der immer unklar blieb und intrigierte«.[20]

Zur gleichen Zeit, als Gorbatschow seine beschämende Rede hielt, entwickelte sich in der Sowjetunion ein rasch wachsendes Interesse an Trotzki und dem Kampf der Linken Opposition gegen den Stalinismus. Sowjetische Zeitungen, die zum ersten Mal seit den 1920er-Jahren Dokumente über Trotzki veröffentlichten, so die Zeitschrift »Argumenti i Fakti«, erfreuten sich einer starken Auflagensteigerung. Trotzkisten aus Europa, Australien und den USA reisten in die Sowjetunion und hielten sehr gut besuchte Vorträge. Gorbatschows Rede stellte sicherlich den Versuch dar, dieser veränderten Situation entgegenzuwirken; dieser erwies sich jedoch als völlig erfolglos. Die alten stalinistischen Lügen – die Leugnung der Rolle Trotzkis in der Oktoberrevolution, seine Darstellung als Feind der Sowjetunion – hatten jede Glaubwürdigkeit verloren.

Kaum mehr als vier Jahre nach Gorbatschows Rede hörte die Sowjetunion auf zu existieren. Trotzkis Warnung, dass die stalinistische Bürokratie, wenn sie nicht von der Arbeiterklasse gestürzt würde, letztlich die Sowjetunion zerstören und den Weg für die Restauration des Kapitalismus freimachen würde, hatte sich bestätigt.

2. Swain, Thatcher und der »Mythos« Trotzki

Die Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 warf die Frage nach der historischen Rolle Trotzkis mit neuer Dringlichkeit auf. Schließlich musste es eine Erklärung geben für den Zusammenbruch der Sowjetunion. Inmitten des Triumphgeschreis der Bourgeoisie, das die Auflösung der Sowjetunion begleitete – die, das sei am Rande vermerkt, kein einziger wichtiger bürgerlicher politischer Führer vorhergesehen hatte –, schien die Antwort auf der Hand zu liegen. Das Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 ergab sich zwangsläufig aus der Oktoberrevolution von 1917. Diese Theorie, die auf der Annahme gründet, eine nicht-kapitalistische Form der menschlichen Gesellschaft sei schlechterdings unmöglich, wurde in einigen Büchern vertreten, die nach dem Ende der Sowjetunion erschienen. Das wichtigste davon war »Vollstreckter Wahn« des inzwischen verstorbenen Professors Martin Malia.

Bücher dieser Kategorie vermieden allerdings die Frage nach historischen Alternativen wie: War der politische Kurs Stalins und seiner Nachfolger die jeweils einzige Option für die UdSSR? Hätte eine andere Politik zu verschiedenen Zeitpunkten in der 74-jährigen Geschichte der Sowjetunion zu einem deutlich anderen historischen Ergebnis führen können? Auf den Punkt gebracht: Gab es eine Alternative zum Stalinismus? Ich will damit keine abstrakte hypothetische Gegenmeinung aufstellen. Gab es eine sozialistische Opposition zum Stalinismus? Vertrat diese Opposition ernst zu nehmende und realistische politische und programmatische Alternativen?

Die Antwort auf solch entscheidende Fragen erfordert, sich aufs Neue ernsthaft mit den Ideen Leo Trotzkis und der oppositionellen Bewegung zu befassen, an deren Spitze er in der UdSSR und international stand. Doch das ist bisher nicht geschehen. Statt auf den Leistungen früherer Generationen von Wissenschaftlern aufzubauen und die gewaltige Masse des in den letzten fünfzehn Jahren neu zugänglichen Archivmaterials auszuwerten, ging die vorherrschende Tendenz in der historischen Forschung zur Sowjetunion in eine deutlich andere Richtung.

In den Jahren nach dem Fall der Sowjetunion hat sich etwas herausgebildet, was am zutreffendsten die postsowjetische Schule der Geschichtsfälschung genannt werden kann. Das vorrangige Ziel dieser Schule besteht darin, Leo Trotzki als wichtige historische Persönlichkeit zu diskreditieren, zu leugnen, dass er eine Alternative zum Stalinismus verkörperte und dass sein politisches Erbe etwas Wichtiges oder Wertvolles für Gegenwart und Zukunft beinhaltet. Jeder Historiker hat das Recht auf einen eigenen Standpunkt. Doch muss er sich in seiner Geschichtsauffassung ernsthaft, ehrlich und prinzipiell mit Faktenmaterial auseinandersetzen und historische Beweise anerkennen. Diese entscheidende Eigenschaft lassen zwei neue Biografien über Trotzki bedauerlicherweise völlig vermissen. Die eine stammt von Professor Geoffrey Swain[21] von der Universität Glasgow und die andere von Professor Ian Thatcher[22] von der Brunel-Universität in West-London. Beide Bücher sind bei großen und einflussreichen Verlagen erschienen, Swains Trotzki-Biografie bei Pearson Longman, die Thatchers bei Routledge. Ihre Abhandlungen zu Trotzkis Leben sind wissenschaftlich völlig wertlos. Beide Arbeiten greifen kaum auf Trotzkis eigene Schriften zurück, bieten nur wenige substanzielle Zitate und ignorieren einige seiner wichtigsten Bücher, Essays und politischen Erklärungen vollständig.

Beide Verlage behaupten zwar, die Biografien stützten sich auf wichtige Originaldokumente, doch man findet keinen Hinweis darauf, dass Swain oder Thatcher die umfangreichen Trotzki-Archive an der Harvard- und Stanford-Universität genutzt hätten. Gesicherte Tatsachen zu Trotzkis Leben werden von ihnen, ohne glaubhafte Belege, »infrage gestellt« oder als »Mythen« abgetan, so die bevorzugte Ausdrucksweise der Autoren. Während sie Trotzki klein reden und sich sogar über ihn lustig machen, bemühen sie sich wiederholt, Stalin Legitimität und Glaubwürdigkeit zu bescheinigen. Sie verteidigen Stalin an vielen Stellen gegen Trotzkis Kritik und finden Begründungen, um die Angriffe auf Trotzki und die Linke Opposition zu rechtfertigen. In vielen Fällen ist ihre eigene Kritik an Trotzki nur eine aufgewärmte Version alter stalinistischer Fälschungen.

In der äußeren Aufmachung und der Seitengröße ähneln sich die Biografien. Beide Bücher richten sich eindeutig an eine studentische Leserschaft. Natürlich wissen die Autoren, dass ihre Bücher für die meisten Studenten die erste Bekanntschaft mit Trotzki bedeuten, und sie haben sie gezielt so gestaltet, dass die Leser jedes weitergehende Interesse am Thema verlieren. Sichtlich zufrieden äußert sich Professor Swain im ersten Absatz seines Buchs: »Die Leser dieser Biografie werden nicht zum Trotzkismus gelangen.«[23] Noch werden sie, so hätte er hinzufügen können, verstehen, für welche Ideen und Prinzipien Trotzki stand und was sein Platz in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ist.

Der »Mythos« Trotzki

Beide Biografien verkünden, sie würden »Mythen« über Trotzkis Leben und Werk auf den Prüfstand stellen, erschüttern und sogar widerlegen. In einem kurzen Vorwort zur Biografie von Thatcher schreibt der Verlag: »Zentrale Mythen über Trotzkis heroisches Wirken als Revolutionär, insbesondere in der ersten russischen Revolution von 1905 und im russischen Bürgerkrieg, werden hinterfragt.«[24] Swain behauptet, in seinem Buch entstehe »ein ganz anderes als das traditionelle Trotzki-Bild, eines, das mehr den Menschen zeigt und weniger den Mythos«.[25] Welche »Mythen« sollen hier entkräftet werden? Bezeichnenderweise greifen beide Autoren das Werk Isaac Deutschers an, dem sie die Verantwortung dafür anlasten, Trotzki zu der heroischen historischen Persönlichkeit gemacht zu haben, als die er bis heute vorwiegend gilt. Thatcher meint herablassend, Deutschers Trilogie lese sich wie »eine Abenteuergeschichte für Jungs«. Diese Charakteristik gebe einen Hinweis darauf, »was Deutschers Wälzer interessant macht, aber auch, wo seine Schwächen liegen«. Thatcher unterstellt, Deutschers Trotzki-Biografie betreibe eine dubiose Heldenverehrung. Es wimmle darin von Fällen, »in denen Trotzki tiefer und weiter sah als seine Zeitgenossen«. Mit offensichtlichem Sarkasmus behauptet Thatcher, Deutscher schreibe Trotzki eine unwahrscheinliche Menge von politischen, praktischen und intellektuellen Leistungen zu. Er wirft ihm vor, er ergehe sich in unstatthaften »Erfindungen« und gleite »ins Fiktive ab«. Diese Mängel, so Thatcher, »schmälern die Qualität des Werks als Geschichtswerk, und als Historiker müssen wir Deutscher kritisch und mit Vorsicht begegnen«.[26]

Selbstredend müssen alle Geschichtswerke, auch Meisterwerke auf diesem Gebiet, kritisch gelesen werden. Doch Thatcher verunglimpft Deutschers Werk nicht wegen seiner Schwächen, sondern wegen seiner größten Stärke: dass es in meisterhafter Manier Trotzki als revolutionäre Persönlichkeit wieder zum Leben erweckt. Das konkrete Beispiel, das Thatcher zur Erhärtung des Vorwurfs anführt, Deutscher erfinde und gleite ins Fiktive ab, entpuppt sich als unvollständiges Zitat aus „Der bewaffnete Prophet“. Liest man es im Zusammenhang, kann man Deutschers Verwendung einer Analogie, um die Stimmung im Kreis der bolschewistischen Führung während einer heftigen Krise – dem Konflikt über den Vertrag von Brest-Litowsk im Februar 1918 – lebhaft zu veranschaulichen, als Beispiel für seine außergewöhnlichen schriftstellerischen Fähigkeiten und sein psychologisches Verständnis würdigen.[27]

In Swains Biografie wird sehr deutlich, was die Antipathie der beiden Professoren gegen Deutschers Trilogie zu bedeuten hat. Im Ton des Anklägers schreibt Swain: »Deutscher hat den Trotzki-Mythos hingenommen und sogar gefördert, die Auffassung nämlich, er sei ›der beste Bolschewik‹ gewesen: Zusammen hätten Lenin und Trotzki die Oktoberrevolution durchgeführt, und Trotzki, unterstützt von Lenin, habe Stalin seit Ende 1922 konsequent infrage gestellt, um die Revolution vor ihrer bürokratischen Entartung zu bewahren. Diese Version der Ereignisse stellt Trotzki als Erben Lenins dar.«[28]

Ein »Mythos« ist, nach der Definition des Webster-Wörterbuchs, »eine unbegründete oder falsche Vorstellung«. Doch alle Punkte, die Swain als Bestandteile des von Deutscher propagierten »Trotzki-Mythos« anführt, stützen sich auf Tatsachen, belegt durch Dokumente, aus denen zahlreiche Historiker im Lauf des letzten halben Jahrhunderts immer wieder zitiert haben. Während Swain andeutet, Deutscher verschwöre sich gegen die historische Wahrheit (er habe »den Trotzki-Mythos hingenommen und sogar gefördert«), besteht sein wirkliches Ziel darin, historische Arbeiten zu diskreditieren, welche – wie die Deutschers und vieler anderer – Jahrzehnte stalinistischer Fälschungen zerpflückt haben. Gesicherte Fakten über Trotzkis Leben werden in einer Art literarischem Standgericht abgeurteilt und zu bloßen »Mythen« erklärt. Swain und Thatcher liefern keinerlei faktische Beweise, die einer ernsthaften Prüfung standhalten, um ihr Pauschalurteil zu stützen. Mit ihren Pseudo-Biografien wollen sie Trotzki wieder den Platz in der Geschichte zuweisen, den er hatte, bevor die Arbeiten von Deutscher oder E. H. Carr veröffentlicht wurden – in der schwärzesten Periode zur Zeit der stalinschen Schule der Fälschung.

Berufung auf Autoritäten

Untersuchen wir nun die Methode, die die beiden Professoren anwenden, um gesicherte historische Fakten in Zweifel zu ziehen. Zu den bevorzugten Mitteln von Swain und Thatcher gehört es, eine unhaltbare und provokative Aussage über Trotzki zu machen, die im Gegensatz zu allen gesicherten Tatsachen steht, und dann ein Zitat aus dem Werk eines anderen Autors als Beleg anzuführen. Die Leser erfahren keine neuen Fakten, die Swains und Thatchers Behauptung beweisen. Ihnen wird lediglich gesagt, die Behauptung stütze sich auf das Werk eines anderen Autors.

Swain beispielsweise verkündet, er habe

in starkem Maß die Arbeiten anderer Wissenschaftler herangezogen. Ian Thatcher hat den Trotzki von vor 1917 wiederentdeckt und auch deutlich aufgezeigt, wie wenig Verlass manchmal auf Trotzkis eigene Schriften ist. James White hat die Beziehung zwischen Trotzki und Lenin im Jahr 1917 völlig neu bewertet und dabei gezeigt, dass die Vorstellungen, die diese beiden Männer vom Aufstand hatten, völlig unterschiedlich waren. Eric van Ree hat die Auffassung, Trotzki sei Lenins Erbe gewesen, gründlich widerlegt. Richard Day hat schon vor über dreißig Jahren überzeugend nachgewiesen, dass Trotzki, weit davon entfernt Internationalist zu sein, fest von der Möglichkeit überzeugt war, der Sozialismus könne in einem Land aufgebaut werden. Umstrittener ist die von Nikolai Walentinow vor beinahe fünfzig Jahren vertretene These, dass Trotzki 1925 keinesfalls Gegner von Stalin, sondern mit ihm im Bunde war; Walentinows Behauptung eines bei einem geheimen Treffen geschlossenen Pakts konnte nicht nachgewiesen werden, doch anderes Beweismaterial legt nahe, dass es eine Zeit versuchter Zusammenarbeit gab.[29]

Was uns hier präsentiert wird, nennt man die Berufung auf Autoritäten. Diese Berufung ist aber nur insoweit vertretbar, wie die Autoritäten glaubwürdig sind. Im speziellen Fall ist die Frage nicht einfach dadurch gelöst, dass man Thatcher, White, van Ree, Day und Walentinow als Quellen nennt. Wir müssen mehr über sie erfahren, über ihr Werk und das Material, auf dessen Basis sie zu ihren Schlussfolgerungen gelangt sind. Auch müssen wir wissen, ob sie die Standpunkte, die ihnen zugeschrieben werden, auch tatsächlich vertreten haben. Wir werden noch sehen, dass gerade diese Frage von besonderer Bedeutung ist, denn wenn wir uns mit dem Werk von Swain und Thatcher befassen, können wir wirklich gar nichts als selbstverständlich voraussetzen.

Was Swains Verweis auf Professor James White von der Universität Glasgow angeht, so gehört dieser – für alle, die mit seiner Arbeit vertraut sind – wohl kaum zu den Historikern, deren Urteile zum Thema Trotzki als maßgeblich oder überhaupt als glaubwürdig akzeptiert werden können.[30]

Zu van Ree, den Thatcher bevorzugt als Quelle heranzieht, lässt sich sagen, dass man sich seinen Schriften zu geschichtlichen Fragen mit Vorsicht, besser noch mit Schutzmaske nähern sollte. Als Ex-Maoist, der inzwischen ein leidenschaftlicher Antikommunist geworden ist, gab er vor nicht langer Zeit in einem Buch mit dem Titel »Wereldrevolutie: De communistische beweging van Marx tot Kim Jong Il« folgende Einschätzung Lenins und Trotzkis zum Besten:

Nimmt man aber alles zusammen, so waren auch sie Schurken und standen an der Spitze von politischen Verbrecherbanden. Sie fanden Vergnügen daran, Bürgerkrieg zu führen. Sie verkündeten den Roten Terror, weil sie sich selbst für Darsteller in einem grandiosen Drama der Geschichte hielten. Sie hatten den Vorteil, dass man ihnen zu wiederholen erlaubte, woran Maximilian de Robespierre scheiterte, und sie waren entschlossen, dieses Mal niemanden am Leben zu lassen, der ihnen einmal zum Verhängnis werden könnte. Lenin und Trotzki waren stolz darauf, dass sie sich nicht ein Jota um Demokratie oder Menschenrechte kümmerten. Sie genossen es, ihre Brutalität auszuleben.[31]

Selbst wenn man den überhitzten Ton weglässt, kann keine dieser Behauptungen als Beispiel für ein nüchternes geschichtliches Urteil gelten. Professor van Ree ist offensichtlich ein sehr zorniger Mann mit vielen schlechten politischen Erfahrungen. Für ein maßgebliches Urteil über die Beziehung Lenin-Trotzki ist er nicht qualifiziert. Dennoch will ich darauf hinweisen, dass nach van Rees Darstellung in dem oben zitierten Werk Lenin und Trotzki Komplizen waren, die die gleiche verbrecherische Weltsicht teilten. Wie konnte van Ree mit einer solchen Ansicht »die Auffassung widerlegen, dass Trotzki Lenins Erbe [war]«? In einer Diskussion über die Beziehung zwischen Lenin und Trotzki hat das Wort »Erbe« überdies mehr eine politische als eine juristische Bedeutung. Ob Trotzki als Lenins »Erbe« betrachtet werden sollte oder nicht, gehört zu den Fragen, über die Historiker vermutlich noch Jahrzehnte streiten werden. Sie kann bestimmt nicht in einem Aufsatz abschließend geklärt werden, selbst nicht von einem Historiker, der über wesentlich mehr Begabung, Wissen, Einsicht und Urteilsvermögen verfügt als Herr van Ree. Wenn Swain behauptet, van Ree habe »die Auffassung widerlegt, Trotzki sei Lenins Erbe gewesen«, so beweist dies nur, dass Swain die komplexen historischen, politischen, gesellschaftlichen und theoretischen Fragen nicht genügend durchdacht hat, die eine ernsthafte Untersuchung der Beziehung zwischen Lenin und Trotzki aufwirft.

Sehen wir uns nun an, wie Swain unter Berufung auf Professor Richard B. Day seine eigene provokative These erhärten will, dass Trotzki, »weit davon entfernt, Internationalist zu sein, fest von der Möglichkeit überzeugt war, der Sozialismus könne in einem Land aufgebaut werden«. Ich gebe gerne zu, dass ich meinen Augen nicht trauen wollte, als ich sah, dass Professor Day als maßgebliche Quelle einer so haarsträubenden Aussage zitiert wurde. Anders als die Herren, über die ich mich bereits geäußert habe, ist Professor Day ein herausragender und anerkannter Historiker, der sich seit vielen Jahren auf seriöse Weise mit den Auseinandersetzungen in den 1920er-Jahren innerhalb der sowjetischen Regierung über Fragen der Wirtschaftspolitik befasst. Insbesondere hat er die Schriften von Jewgeni Preobraschenski einer ernsthaften Analyse unterzogen und bedeutende Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Linken Opposition zu wichtigen Fragen der Wirtschaftstheorie und -politik aufgedeckt.

Swain verzerrt und fälscht Day, wenn er auf ihn verweist. In dem von Swain zitierten Buch »Leon Trotsky and the Politics of Economic Isolation« verwendet Day bestimmte Formulierungen, die nahelegen, dass Trotzki die Möglichkeit des Sozialismus in einem Land nicht ausschloss. Jedoch lehnte Trotzki die Konzeption Stalins ab, dass dies auf der Basis von Autarkie erreicht werden könne. Days Erörterung der Position Trotzkis über den »Sozialismus in einem Land« muss man im Zusammenhang mit der Darstellung der Debatte über die Wirtschaftspolitik der Sowjetregierung in dem Buch von Day lesen. Doch Swain greift sich einige nicht ganz eindeutige Sätze Days auf den ersten Seiten des Buchs heraus und verfälscht im Folgenden den Kern der Analyse von »Leon Trotsky and the Politics of Economic Isolation«. Days Argumentation mag zu kurz greifen, doch nichts in seinem Buch stützt Swains Behauptung, Trotzki sei kein ­Internationalist ­gewesen.[32] Es handelt sich um eine krasse Verfälschung der Auffassungen des Buchs »Leon Trotsky and the Politics of Economic Isolation«.[33]

Ich möchte meine Zeit nicht damit vergeuden, Swains Verweis auf Walentinow zu entkräften, ein alter Menschewik und erbitterter Gegner Trotzkis. Swain führt nicht einmal ein Zitat von Walentinow an. Für seine Behauptung führt er keinerlei Belege an. Zu Walentinows Geschichte »eines bei einem geheimen Treffen geschlossenen Pakts« sagt Swain selbst, dass »sie nicht nachgewiesen werden [konnte]«, also eine Erfindung war. Doch warum erwähnt Swain sie dann überhaupt?

»Rhetorischer Internationalismus«

Dass Swain Quellen heranzieht, von denen er selbst sagt, sie seien unzuverlässig, kennzeichnet seine zynische Haltung gegenüber geschichtlichen Tatsachen. Er hat keine Skrupel, Behauptungen aufzustellen, die allem, was über Trotzkis Leben bekannt und dokumentiert ist, widersprechen. Er erklärt uns, dass »Trotzki an die Weltrevolution glaubte, doch nicht mehr und nicht weniger als jeder andere Bolschewik, und wie bei allen anderen Bolschewiki war dieser Glaube mehr rhetorischer Natur«.[34] Wenn es nach Swain geht, bestand also kein Unterschied zwischen der Bedeutung, welche die Perspektive der Weltrevolution im Lebenswerk Trotzkis hatte, und dem Denken und Handeln von Molotow, Woroschilow und Stalin! Wo soll man bloß anfangen, um eine derartige Absurdität zu widerlegen?

Die Leser sollen glauben, dass die politischen Auffassungen, die Trotzkis politisches Handeln über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren bestimmten und die sich in zahllosen Reden und Tausenden von Seiten an verfassten Dokumenten niedergeschlagen haben, nichts weiter seien als Imponiergehabe, ohne ernsten geistigen, emotionalen und moralischen Gehalt. Alles war nur politische Trickserei, die Tarnung von im Wesentlichen nationalistischen Absichten im Zusammenhang mit dem fraktionellen Machtkampf, den Trotzki in der Sowjetunion führte. Swain schreibt:

Seine Kritik an der fehlgeschlagenen deutschen Revolution von 1923 sollte nur einen Angriff auf seine damaligen innenpolitischen Gegner Sinowjew und Kamenew kaschieren. So verhielt es sich auch mit seinen Schriften über den britischen Generalstreik, wenn auch seine Gegner in diesem Fall Bucharin und Stalin waren. Auch sein begeistertes Eintreten für China 1927 war im Wesentlichen innenpolitisch motiviert … Erst in der Emigration, 1933, als er die Konzeption des Thermidors aufgegeben hatte, beschäftigte er sich näher mit dem Gedanken, wie das Wiederaufleben der Arbeiterbewegung in Europa einen günstigen Einfluss auf die Sowjetunion ausüben und die Entartung des Arbeiterstaats aufhalten könne. Dann wurde der Internationalismus zum Mittelpunkt seines Wirkens.[35]

Swain geht offenbar davon aus, dass seine studentischen Leser über die behandelten Ereignisse und Fragen keinerlei Kenntnisse haben. Er legt keine Tatsachen vor, um seine Schlussfolgerung zu stützen. Ebenso wenig versucht er, seine Thesen durch die Analyse der Schriften Trotzkis zu belegen. Dieses grobe Versäumnis widerspiegelt sein generelles Desinteresse an Trotzki als Schriftsteller. Swain weist seine Leser eigens darauf hin, dass seine Biografie das »großartige« Werk von Professor Baruch Knei-Paz »The Social and Political Thought of Leon Trotsky« nicht berücksichtigt. Er räumt ein, dass dies Trotzki-Experten überraschen mag, verteidigt dieses Versäumnis aber damit, dass Knei-Paz den Schriften Trotzkis größere Bedeutung beimesse, als ihnen zukomme.

Knei-Paz stellt Trotzkis Schriften nach bestimmten Themen zusammen, bringt frühere und spätere Aufsätze in eine zusammenhängende Darstellung; diese Herangehensweise macht aus Trotzki einen weitaus größeren Denker, als er wirklich war. Trotzki schrieb extrem viel, und als Journalist schrieb er gern über Themen, von denen er sehr wenig wusste.[36]

Wenn ein Historiker ein derart pauschales Urteil abgibt, sollte man erwarten, dass er seine Behauptung untermauert. Swain hätte sie beweisen sollen, indem er auf bestimmte Essays oder Artikel aufmerksam machte, an denen Trotzkis mangelnde Kenntnis der von ihm behandelten Themen zum Vorschein kam. Swain liefert kein einziges Zitat zur Begründung seines Arguments, sondern fährt in derselben Art fort. »Trotzki konnte wunderbar schreiben, doch er war kein Philosoph.«[37] Das hat Trotzki allerdings auch nie behauptet. Ungeachtet dessen war er in der Lage, die sozialen, politischen und ökonomischen Realitäten seiner Zeit tiefgründiger und genauer zu erfassen als die Philosophen seiner Generation. Wer verstand den Charakter des Imperialismus und Faschismus des zwanzigsten Jahrhunderts besser: Martin Heidegger, der sich offen zu Hitler bekannte, oder Trotzki? Wer verstand klarer, warum die Fabier in Großbritannien mit ihrem Reformismus Schiffbruch erlitten: Bertrand Russell oder Trotzki?[38]

Ein ehrlicherer und fähigerer Historiker hätte bei der Analyse von Trotzkis Rang als Schriftsteller vielleicht den folgenden Auszug aus den Tagebüchern des großen deutschen Literaturkritikers Walter Benjamin erwähnt: »3. Juni 1931 … Am Abend vorher Gespräch mit Brecht, Brentano, Hesse im Café du Centre. Die Rede kommt auf Trotzki; Brecht meint, es ließe sich mit gutem Grund behaupten, dass Trotzki der größte lebende Schriftsteller von Europa wäre.«[39] Man kann nur spekulieren, was Swain, wäre er zugegen gewesen, zu dieser Unterhaltung im Café du Centre beigetragen hätte. »Kann sein, Bertolt. Aber ein Philosoph ist Trotzki nicht!«

Beim Durcharbeiten der gesamten Biografie muss man immer wieder über die Gleichgültigkeit staunen, die Swain gegenüber Trotzkis Schriften an den Tag legt. Viele seiner wichtigsten Werke werden kaum erwähnt oder gänzlich ignoriert. Zwar räumt Swain die entscheidende Rolle Trotzkis beim Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg ein, übergeht aber seine wichtigen Schriften zur Militärtheorie. Dies ist eine wichtige Auslassung, denn viele der in späteren Jahren auftauchenden politischen und theoretischen Differenzen zwischen Trotzki und der Stalin-Fraktion waren in den früheren Konflikten über die Militärpolitik bereits vorweggenommen.[40] Trotzkis außergewöhnliche Manifeste und Reden, die er für die ersten vier Kongresse der Kommunistischen Internationale (1919–1922) schrieb, erwähnt Swain nicht einmal. Ebenso unterschlägt er Trotzkis weitsichtige Analyse in Bezug auf den Aufstieg des amerikanischen Imperialismus zur Weltmacht und die künftige Entwicklung der Beziehung zwischen den USA und einem im Niedergang befindlichen und abhängigen Europa. Das hindert Swain aber nicht daran, auch noch großspurig zu verkünden, dass Trotzki »absolut kein Verständnis hinsichtlich der europäischen Politik hatte«.[41] Ebenso gut könnte man sagen, Einstein hätte kein Verständnis von Physik gehabt! Solche lächerlichen Behauptungen dienen nur einem Zweck: das Gehirn von Studenten, die mit Trotzkis Leben und mit der geschichtlichen Periode, in der er lebte, nicht vertraut sind, mit absurden und irreführenden Vorstellungen zu füllen.

Swains Versuch, Trotzki in einen begeisterten Befürworter des stalinistischen Programms des »Sozialismus in einem Land« umzudeuten, stellt eine groteske Verzerrung und Verfälschung der wirklichen Ansichten Trotzkis dar. Swain macht Lenin als Urheber dieser Theorie aus und merkt an, dass Stalin in seiner Rede, in der er das neue Programm bekannt gab, ein Zitat aus einem Artikel Lenins aus dem Jahr 1915 anführte. Swain unterschlägt, dass Stalin dieses Zitat aus dem Zusammenhang riss und im Sinne seiner Absichten die unzähligen Äußerungen Lenins ignorierte, in denen dieser mit Nachdruck hervorhob, das Schicksal des Sozialismus in Russland hinge von der Weltrevolution ab. Noch schwerer wiegt, dass Swain, ob aus Unwissen, Unverständnis oder vorsätzlich, Leo Trotzkis Ansichten verfälscht. Swain geht auf eine Artikelserie Trotzkis aus dem Jahr 1925 ein, die unter dem Titel »Kapitalismus oder Sozialismus?« erschien, und behauptet, die Logik darin sei »eindeutig: Sozialismus in einem Land ist möglich, wenn eine richtige Wirtschaftspolitik betrieben wird und der Staat in zunehmendem Maße in die Wirtschaft investiert«.[42]

Wenn man die Möglichkeit, mit dem Aufbau des Sozialismus in der UdSSR zu beginnen (was Trotzki befürwortete und wozu er ermutigte), gleichsetzt mit der langfristigen Lebensfähigkeit einer sowjetischen Form des Nationalismus (was Trotzki ausdrücklich ablehnte), werden der theoretische Inhalt und die politischen Implikationen der Debatte über die Wirtschaftspolitik schlichtweg unverständlich. Selbst in »Kapitalismus oder Sozialismus?«, verfasst im Jahre 1925, als er die Auswirkungen des nationalistischen Schwenks in den theoretischen Grundlagen der sowjetischen Wirtschaftspolitik noch analysierte, warnte Trotzki ausdrücklich davor, dass bei einem Weiterbestehen des Weltkapitalismus über eine lange Periode »der Sozialismus in einem rückständigen Land unmittelbar mit den größten Gefahren konfrontiert wäre«.[43] Im September 1926 erklärte Trotzki, »die Linke Opposition ist vollständig vom Sieg des Sozialismus in unserem Land überzeugt, nicht weil sich unser Land aus der Weltwirtschaft herauslösen kann, sondern weil der Sieg der proletarischen Revolution auf der ganzen Welt gewiss ist«.[44] Der Sozialismus konnte also in Russland aufgebaut werden, wenn die Arbeiterklasse durch revolutionäre Kämpfe in anderen Ländern die Macht eroberte. Trotzkis Rede vor der Fünfzehnten Parteikonferenz am 1. November 1926 stellte einen Generalangriff auf die Perspektive des nationalen Sozialismus dar.[45] Swain geht natürlich darüber hinweg, wie auch über andere entscheidende Texte, die man untersuchen muss, will man sich mit dem Thema »Sozialismus in einem Land« angemessen auseinandersetzen.

Swain über 1923

Swains Behandlung des so wichtigen Beginns von Trotzkis Kampf gegen die Degeneration der sowjetischen Kommunistischen Partei kommt einer Verteidigung der entstehenden stalinistischen Fraktion gegen die Kritik Trotzkis gleich. In diesem Zusammenhang ist besonders bezeichnend, dass Swain sich vehement gegen einen Brief und eine Reihe von Artikeln wendet, die Trotzki Anfang Dezember 1923 unter dem Titel »Der Neue Kurs« verfasste. Swain schreibt:

In der programmatischen Schrift »Der Neue Kurs«, geschrieben am 8. Dezember und am 11. Dezember 1923 nach einigen Querelen in der Prawda veröffentlicht, prangerte Trotzki die zunehmend bürokratische Führung der Partei an und behauptete, die alte, etablierte Führung befinde sich im Konflikt mit einer jüngeren Generation. Mit einer weit hergeholten Parallele, wie es so seine Art war, verglich er die Situation in der bolschewistischen Führung mit jener Phase in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratischen Partei, als die vormals radikalen Verbündeten von Marx und Engels beinahe unmerklich in eine neue Rolle schlüpften und die Väter des Reformismus wurden. Ein schönes Bild, doch Kamenew, Stalin und Sinowjew fanden ganz gewiss keinen Gefallen an der Andeutung, nur Trotzki sei ein wahrer Revolutionär und sie nichts weiter als Reformisten.

Mit »Der Neue Kurs« beleidigte Trotzki nicht nur seine Kollegen im Politbüro, er verlieh ihnen auch, aus bolschewistischer Sicht, moralische Überlegenheit. Er hatte mit ihnen ein Übereinkommen getroffen und es nun gebrochen. So hatte er auch gegenüber Lenin gehandelt, als die Krise in der Brest-Litowsk-Frage am schärfsten war. Während der Debatte über die Gewerkschaften war er der Sinowjew-Kommission beigetreten, um dann zu erklären, er werde sich nicht an ihrer Arbeit beteiligen. Die Resolution über das Fraktionsverbot, die der Zehnte Parteikongress verabschiedet hatte, richtete sich ganz spezifisch gegen derartige Verhaltensweisen. Man konnte zwar unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob Trotzkis Verhalten im Herbst 1923 schon als fraktionistisch gelten musste, doch »Der Neue Kurs« war ganz ohne Zweifel fraktionistisch. Trotzki hatte zuvor einem Kompromiss zugestimmt, dann gegen ihn verstoßen und dabei den revolutionären Ruf seiner Genossen im Politbüro in Frage gestellt.[46]

Swain berichtet hier nicht objektiv über die politischen Ursprünge, Fragen und Ereignisse im Zusammenhang mit dem Konflikt, der in der sowjetischen Kommunistischen Partei aufbrach, schon eher verteidigt er höchst parteilich die von Trotzki Kritisierten. Swains wütende Verweise auf Trotzkis Verhalten während der Brest-Litowsk-Krise 1918 und in der Gewerkschaftsdebatte 1920 lesen sich, als seien sie aus Stalins Reden abgeschrieben. Kamenew, Sinowjew und Stalin, erklärt uns Swain, »fanden ganz gewiss keinen Gefallen« an Trotzkis Kritik, als könne dies Trotzkis Argumente in »Der Neue Kurs« irgendwie entkräften.

Es ist, vorsichtig ausgedrückt, schon eigenartig, wenn ein Historiker im Jahr 2006 Trotzki »fraktionistisches« Verhalten vorwirft, weil er einen politischen Konflikt eröffnete, der sich als prägend für den weiteren Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts erwies. Swain, der den Vorteil des heutigen Wissensstands hat, weiß, wohin sich die Dinge schließlich entwickelten. Aus der Unterdrückung der innerparteilichen Demokratie, wogegen Trotzki seinen Protest anmeldete, erwuchs letztendlich eine brutale totalitäre Diktatur, die Massenmord verübte. Trotzkis Kritik kränkte vielleicht das Ego von Kamenew und Sinowjew, doch das Schicksal, das die beiden Altbolschewiki dreizehn Jahre später durch Stalin erlitten, war weitaus schrecklicher. Und es ist geradezu unfassbar, wenn Swain Trotzkis Warnungen vor der Gefahr der politischen Degeneration in der älteren Generation von Bolschewiki als »weit hergeholt« verurteilt. Die Geschichte sollte auf tragische Weise zeigen, dass Trotzki mit dem Hinweis auf das Beispiel der deutschen sozialdemokratischen Führer das Ausmaß der Tragödie, der die bolschewistische Partei entgegenging, eher unterschätzte als übertrieb.

Was den konkreten Vorwurf angeht, es sei unangebracht und fraktionistisch gewesen, »Der Neue Kurs« zu schreiben, so gründet er sich nicht auf eine ehrliche Wiedergabe der historischen Fakten. Swain lässt einfach unter den Tisch fallen, dass das Politbüro von einer geheimen Fraktion – Stalin, Sinowjew und Kamenew – beherrscht wurde, die nicht auf programmatischer Übereinstimmung basierte, sondern auf der gemeinsamen Entscheidung, Trotzkis politischen Einfluss zu untergraben. Trotzki arbeitete also in einem Politbüro, dessen Beratungen von Absprachen beeinträchtigt waren, die Stalin, Sinowjew und Kamenew untereinander und hinter den Kulissen getroffen hatten. Überdies war Trotzkis Brief vom 8. Dezember 1923 – er bildete eines von mehreren Dokumenten, die die Schrift »Der Neue Kurs« ausmachten – von einer prinzipiellen Haltung geprägt, wie E. H. Carr 1954 überzeugend darlegte.

Carr erklärte auch, dass das Triumvirat und Trotzki mit ganz unterschiedlichen Zielen und Kriterien an die Formulierung der Resolution über die Parteireform vom 5. Dezember 1923 herangingen. Für Stalin, Sinowjew und Kamenew war der eigentliche Inhalt der Resolution von zweit- oder gar drittrangiger Bedeutung. Ihr Interesse an einer Übereinkunft mit Trotzki war von rein taktischen Erwägungen im Machtkampf bestimmt. Angesichts der Opposition gegen die zunehmend bürokratischen und eigenmächtigen Methoden der Führung wollten die Mitglieder des Triumvirats einen offenen Bruch Trotzkis mit der Führung im Zentralkomitee verhindern, mindestens aber verzögern. Für Trotzki dagegen drehte sich die Resolution um ganz grundsätzliche Fragen. Carr wies auf den Unterschied zwischen Trotzki und seinen Gegnern hin. »Trotzki war gewohnt, dass Differenzen in der Partei durch Parteiresolutionen ausgefochten und beigelegt wurden, maß also einem Sieg auf dem Papier einen praktischen Wert bei, den die Resolution bei der neuen Konstellation in der Parteiführung nicht mehr hatte.«[47]

Der Historiker Robert V. Daniels bestätigt Carrs Einschätzung in seinem einflussreichen Buch »The Conscience of the Revolution«. Daniels erläutert die Abfolge der Ereignisse, die zu »Der Neue Kurs« führten, und schreibt: »Trotzki war sich der Feindseligkeit seiner Person gegenüber bewusst, die die Resolution nur schwach kaschierte, und strich in einem offenen Brief an eine Parteiversammlung am 8. Dezember heraus, was die Resolution für die Reform der Partei bedeute. Dieser Brief über den Neuen Kurs bekräftigte und erklärte in leidenschaftlichen Worten die Resolution vom 5. Dezember und hob besonders die Rolle der einfachen Parteimitgliedschaft bei ihrer Umsetzung hervor.«[48]

Völlig vergebens sucht man bei Swain eine Analyse der objektiven Prozesse, die der Verschärfung des politischen Konflikts zugrunde lagen. Er gibt praktisch keinerlei Einschätzung der Veränderungen, die durch die Neue Ökonomische Politik (NÖP) innerhalb der Sowjetunion stattfanden, und wie sich diese Veränderungen innerhalb der Partei widerspiegelten. Swain charakterisiert weder die politischen Eigenschaften noch das Denken der Gegner Trotzkis. Er untersucht nicht die Veränderung in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft der bolschewistischen Partei, ebenso wenig das Phänomen der Bürokratisierung mit ihren so verheerenden Folgen für die bolschewistische Partei und die sowjetische Gesellschaft.

Swain über Trotzkis letztes Exil

Nur 25 Seiten widmet Swain den letzten zwölf Jahren von Trotzkis Leben. Diese Darstellung als oberflächlich zu charakterisieren, wäre ein Kompliment. Das katastrophalste Ereignis in der europäischen Geschichte nach dem ersten Weltkrieg, die Machtübernahme Hitlers und seiner Nazi-Partei in Deutschland, fällt fast völlig unter den Tisch. Swain geht nicht auf die Beziehung zwischen diesem Ereignis und der wichtigsten politischen Entscheidung ein, die Trotzki in seinem letzten Exil traf: Er rief auf zur politischen Revolution in der UdSSR und zur Gründung der Vierten Internationale. Swain erwähnt kurz, dass Trotzki nach seiner Ausweisung aus der UdSSR, als er 1929 in Prinkipo ankam, seine Anhänger aufforderte, in der Kommunistischen Internationale zu bleiben, und schreibt dann: »1933 hatte er seine Meinung geändert …«[49] Das welterschütternde Ereignis, das diese Veränderung in der politischen Linie veranlasste – Hitlers Machtübernahme als Ergebnis des Verrats der Kommunistischen Internationale und ihrer deutschen Sektion – findet keine Erwähnung. Wir erfahren nicht, wie Swain Trotzkis Schriften über die Krise in Deutschland bewertet. Man vergleiche nur einmal das fast völlige Schweigen von Swain zu diesem Thema und E. H. Carrs Ausführungen zu Trotzkis Bemühungen, die deutsche Arbeiterklasse angesichts der Gefahr des Faschismus aufzurütteln. In seinem letzten Werk, »Twilight of the Comintern«, schätzte Carr Trotzkis Schriften über die Krise in Deutschland von 1931–1933 als so bedeutsam ein, dass er ihnen einen eigenen Anhang widmete: »Trotzki schrieb während der Periode von Hitlers Aufstieg zur Macht so beharrlich und so überwiegend weitsichtige Kommentare über die Entwicklung in Deutschland, dass die Erinnerung daran gewahrt bleiben muss.«[50]

Ähnlich tut Swain auch die Moskauer Prozesse und die anschließenden Säuberungen mit wenigen Sätzen ab, behandelt sie viel knapper als die kurze persönliche Beziehung Trotzkis zu Frida Kahlo in Mexiko. Trotzkis wichtigste politische Abhandlung, »Verratene Revolution«, wird in einem Satz erwähnt. Seine leidenschaftlichen Artikel zur spanischen Revolution, in denen er davor warnte, die stalinistische Politik der Volksfront ebne den Weg für Francos Sieg, tauchen in Swains Buch gar nicht auf, auch nicht das »Übergangsprogramm«, das Gründungsdokument der Vierten Internationale. Swain ignoriert auch die letzte große polemische Arbeit Trotzkis über den Charakter der UdSSR. Er beschließt seine Biografie mit der Äußerung, für Trotzki wäre es besser gewesen, nach der Oktoberrevolution von 1917 aus der Politik auszusteigen und sich ausschließlich dem Journalismus zu widmen. Dann hätte Trotzki sicherlich, wie Swain uns bereits erklärt hat, »über Themen schreiben [können], von denen er sehr wenig wusste«.

3. Thatchers Methode der Geschichtsfälschung

Ich bin bereits kurz auf die Methode Ian Thatchers eingegangen. Am Beispiel von drei Absätzen aus der Einleitung zu seiner Trotzki-Biografie möchte ich diesen Punkt noch einmal aufgreifen.

Nach Trotzkis Darstellung hatte nur er das Jahr 1917 ehrenvoll bestanden. Stimmte man 1924 den »Lehren des Oktober« inhaltlich zu, dann konnte nur einer den inzwischen verstorbenen Lenin ersetzen, nämlich Leo Trotzki. Es ist also vollkommen verständlich, dass Trotzkis Kollegen seine »Lehren des Oktober« widerlegen wollten, weil er ihnen darin vorwarf, 1917 menschewistische Sünden begangen zu haben. Sie taten dies in einer Reihe von Reden und Artikeln, die dann als Sammelband auf Russisch und in mehreren Übersetzungen veröffentlicht wurden.

Führende Bolschewiki (u. a. Kamenew, Stalin, Sinowjew und Bucharin) sowie prominente Vertreter der Kommunistischen Internationale (Komintern) und des Kommunistischen Jugendverbandes (Komsomol) vertraten die Auffassung, Trotzkis Schrift sei keine wahrheitsgetreue Geschichte der Oktoberrevolution. Ziehe man etwa die wichtigsten Dokumente der damaligen Zeit und einen wachsenden Bestand von schriftlich niedergelegten zeitgenössischen Erinnerungen zu Rate, behaupteten die Gegner Trotzkis, könne man feststellen, dass er aus seiner Erinnerung heraus ein sehr verzerrtes Bild gezeichnet habe. Es falle insbesondere ins Auge, dass Trotzki die Rolle Lenins und der bolschewistischen Partei heruntergespielt und seinen eigenen Beitrag übertrieben habe. Falsch sei beispielsweise die Behauptung, 1917 habe ein langer und erbitterter Kampf zwischen einem Lenin stattgefunden, der die Partei mit Trotzkis Theorie der permanenten Revolution neu bewaffnen wollte, und einer rechten, menschewistischen Fraktion in den Reihen der Bolschewiki. Vielmehr habe sich Lenins Analyse der Ereignisse von 1917 aus einer seit langem vertretenen Theorie der russischen Revolution ergeben. Nachdem Lenin seine Mitstreiter von der Richtigkeit der Weiterentwicklung seiner Strategie überzeugt habe, hätten Trotzki oder der Trotzkismus weder Lenin noch die Partei in irgendeiner Weise beeinflusst.

In der Tat, so die weiteren Argumente gegen Trotzki, sei die gesamte Geschichte des Leninismus und Bolschewismus vor und nach 1917 eine Geschichte der Opposition gegen den Trotzkismus gewesen. Trotzki habe leider nicht verstanden, dass er 1917 nur deshalb eine Rolle spielte, weil er unter Anleitung der bolschewistischen Partei handelte. Er sei nicht mit voller Überzeugung zum Bolschewismus gekommen, sonst hätte er eine ganz andere Version der Geschichte geschrieben. Er hätte zum Beispiel seine in der Vergangenheit und jüngst begangenen theoretischen und organisatorischen Fehler eingestanden. Nur so hätte die Jugend verstehen können, worin die wirkliche Beziehung zwischen Leninismus und Trotzkismus bestehe und wie man die Sünden Trotzkis vermeiden könne. »Lehren des Oktober« sei der Versuch Trotzkis, den Leninismus durch den Trotzkismus zu ersetzen. Dies werde die bolschewistische Partei jedoch nicht zulassen. Die Führung erkannte die Gefahr des Trotzkismus, die sich in Trotzkis Unterschätzung der Bauernschaft zeigte sowie in seiner falschen Politik während der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, in der Debatte über die Gewerkschaften und in der Frage der Währungsreform.[51]

An diesen Absätzen zeigt sich beispielhaft eine raffinierte stilistische Technik, die Thatcher immer wieder einsetzt, um zu vertuschen, dass er die Geschichte fälscht: Er konstruiert eine scheinbar objektive Darstellung der Geschichte aus den voreingenommenen Aussagen von Trotzkis politischen Todfeinden. Die eben zitierten drei Absätze bestehen fast ausschließlich aus Lügen. Thatcher hat für die »Kritik« an Trotzki eine Reihe von verlogenen Vorwürfen zusammengestellt, die Stalin, Sinowjew und Kamenew im November und Dezember 1924 gegen Trotzki richteten, um seine glänzende Analyse der politischen Differenzen und Kämpfe innerhalb der bolschewistischen Partei in diesem für die Revolution so wichtigen Jahr zu verunglimpfen.

Trotzkis »Lehren des Oktober« untersucht Ereignisse und Kontroversen, die Sinowjew, Kamenew und Stalin nicht öffentlich thematisiert sehen wollten, da ihre rechte und versöhnlerische Politik sie 1917 mehrmals in Opposition zu Lenin gebracht hatte. Stalin und Kamenew unterhielten im März 1917, vor Lenins Rückkehr nach Russland, ein Bündnis mit den Menschewiki. Im Oktober 1917 hatten sich Kamenew und Sinowjew gegen den Aufstand ausgesprochen. Zudem konnte sich nur Lenins eigener Beitrag zum Sieg der Bolschewiki im Oktober 1917 mit dem Trotzkis messen. Die Argumente in den zitierten Passagen wurden zurechtgezimmert, um die Wirkung von Trotzkis Kritik in »Lehren des Oktober« abzuschwächen und seinen Ruf als revolutionärer Führer zu zerstören. Wie der Historiker Robert V. Daniels bemerkte, waren die als Reaktion auf »Lehren des Oktober« gegen Trotzki erhobenen Vorwürfe »entweder völlig konstruiert oder über alle Maßen übertrieben – die gekränkten Führer waren darauf aus, den Menschen zu zerstören und nicht theoretische Fehler zu bekämpfen«.[52]

Thatcher erklärt uns weder, in welchem Zusammenhang der Angriff auf Trotzki geführt wurde, noch überprüft er, ob er auf richtigen Tatsachen beruht. In der Pose einstudierter Ausgewogenheit präsentiert er Lügen und Konstrukte. Die »Argumente gegen Trotzki« – Thatchers schönfärberische Bezeichnung für die monströse Verleumdungskampagne der Bürokratie – werden als vernünftig, würdig und legitim dargestellt. Thatcher stellt seine Biografie als Müllkippe für politische und historische Fälschungen zur Verfügung, auf welche die aufsteigende Sowjetbürokratie ihren Kampf gegen Trotzki gründete. Diese heimtückische und unehrliche Methode, mit der alte Lügen in neuer Verpackung als objektive Darstellung der Geschichte präsentiert werden, wendet Thatcher immer wieder an.

Der »Mythos« 1905

Wie Swain verspricht auch Thatcher, »zentrale Mythen« über Trotzkis Leben aufzudecken, wie etwa seine Rolle in der Revolution von 1905. Wir wollen untersuchen, wie Professor Thatcher seine Aufgabe angeht. Da Trotzkis entscheidende Rolle in der Revolution von 1905 unter Wissenschaftlern auf der ganzen Welt allgemein anerkannt ist, müsste für Thatcher eigentlich klar sein, dass eine Kampfansage an diesen wissenschaftlichen Konsens eine sorgfältige Sichtung und Präsentation neuer Fakten und Argumente erfordert. Es stellt sich jedoch heraus, dass Thatchers »Entmythologisierung« der Rolle Trotzkis im Jahr 1905 gerade einmal einen relativ kurzen Absatz in Anspruch nimmt, und dies trotz des (auch auf dem Buchrücken zitierten) Einführungstextes des Verlags, der speziell auf dieses Thema hinweist.

Thatcher beginnt so: »Es ist schwierig, den genauen Einfluss zu bestimmen, den Trotzki auf den Verlauf der Revolution von 1905 hatte.«[53] Ja, es mag schwierig sein, den genauen Einfluss zu bestimmen, doch es gibt eine Fülle von Informationen, die ein begründetes Urteil über Grad und Ausmaß seines Einflusses erlauben. Zahlreiche Memoiren aus dieser Zeit bezeugen seine überragende politische Präsenz. Trotzki wurde zum Vorsitzenden des Petersburger Sowjets der Arbeiterdeputierten gewählt, war Herausgeber zweier Zeitungen, der »Russkaja Gaseta« und der »Natschalo«, die eine hohe Auflage hatten. Als wolle er diesen Einwand entkräften, behauptet Thatcher: »Wir können nicht wissen, wie viele Menschen er als Journalist erreichte.«[54] Auch das entspricht nicht der Wahrheit. In einem von ihm selbst verfassten Artikel in »History Review« vom September 2005 gibt Thatcher zu, dass die Auflage dieser beiden Zeitungen möglicherweise bei 100 000 Exemplaren lag und damit mindestens um 20 000 höher war als die konkurrierender Zeitungen.[55] Abrupt führt Thatcher dann ein neues Argument ein, das mit Trotzkis politischem Einfluss in der Revolution von 1905 nichts zu tun hat. »Es ist unwahrscheinlich«, schreibt er, »dass Trotzki viele Bauern erreichte. Er hatte gar keine Verbindungen zum Dorf, und seine Aufrufe wurden nicht massenhaft unter den Bauern verteilt.«[56]

Das geht nun wirklich an der Sache vorbei. Der Einfluss von Trotzki und der russischen sozialdemokratischen Bewegung als Ganzer entwickelte sich durch ihre Massengefolgschaft unter dem städtischen Proletariat. Der Petersburger Sowjet war ein politisches Organ der Arbeiterklasse, entstanden auf einer Welle revolutionärer Aktivität der Arbeiterklasse, darunter der von den Massen getragene Generalstreik im Oktober 1905. Die Bauernschaft schloss sich den Unruhen erst 1906 in großer Zahl an, als die von Sozialisten geführte Bewegung der Arbeiterklasse bereits niedergeschlagen war.

Weiter heißt es bei Thatcher: »Selbst in der Hauptstadt, seiner Hochburg, gründete er keine spezielle Institution und bildete keine Fraktion. Beispielsweise war er nicht die führende Kraft bei der Entstehung des Sowjets der Arbeiterdeputierten, auch wenn er vielleicht später, wie ein Beteiligter berichtet,der unangefochtene Führer der Menschewiki im Petersburger Sowjetwar.« (Hervorhebung hinzugefügt.)[57] Wie schon beim Thema Bauernschaft, bringt Thatcher die Frage, welcher Fraktion Trotzki angehörte, nur deshalb ins Spiel, um schweres Geschütz gegen gesicherte historische Beweise aufzufahren. Zu dem fraglichen Zeitpunkt in der Geschichte der russischen sozialdemokratischen Bewegung waren die Fraktionszugehörigkeiten weitaus fließender als schließlich im Jahr 1917. Trotzkis relative Unabhängigkeit von den wichtigsten politischen Fraktionen stärkte in Wirklichkeit seine politische Stellung. Man beachte Thatchers schwerfällige Formulierung, »auch wenn er vielleicht später« der unangefochtene Führer der Menschewiki im Petersburger Sowjet war. Nur »vielleicht«? Thatcher legt hier keine gegenteiligen Beweise vor, man kann aber sicher sein, dass er sie gleich herausposaunt hätte, wenn es sie gäbe. Stattdessen führt er ein neuartiges Argument ein: »In den Memoiren des damaligen Premierministers Graf Witte wird Trotzki überhaupt nicht erwähnt … Das bestätigt lediglich, dass Trotzki im Bewusstsein der Bevölkerung zu dieser Zeit kaum Eindruck hinterließ.«[58]

So argumentiert ein gerissener Gauner, kein verantwortungsvoller Wissenschaftler. Graf Witte, der Premierminister des Zaren, ließ Trotzki in seinen Memoiren unerwähnt. Diesem Detail misst Thatcher außergewöhnliche historische Bedeutung bei. Er behauptet, man könne aus dieser Tatsache weitreichende Schlussfolgerungen über den Stellenwert Trotzkis im Bewusstsein der Bevölkerung im Herbst 1905 ableiten. Warum, diese Frage stellt sich sofort, hat Thatcher nicht andere Memoiren zitiert, von Personen, die mit dem Leben in den Arbeiterbezirken von St. Petersburg vertrauter waren als der betagte Aristokrat Graf Witte, der sich meist in Palästen und weitläufigen Ländereien im Grünen aufhielt. Für skrupellose und schlechte Wissenschaftler ist es charakteristisch, dass sie historische Beweise unterdrücken oder unbeachtet lassen, die im Widerspruch zum eigenen Standpunkt stehen. Genau das hat Thatcher getan. Er hätte seine Studenten zum Beispiel auf die Erinnerungen von Anatoli Lunatscharski aufmerksam machen sollen, der als Mitglied der bolschewistischen Fraktion an der Revolution von 1905 teilnahm. In seinem berühmten Buch »Profile der Revolution« urteilte Lunatscharski folgendermaßen über Trotzkis Rolle 1905:

Seine [Trotzkis] Volkstümlichkeit beim Petersburger Proletariat war zur Zeit seiner Verhaftung enorm und stieg infolge seines pittoresken und heroischen Verhaltens vor Gericht noch mehr. Ich muss sagen, dass von allen sozialdemokratischen Führern der Zeit von 1905–1906 Trotzki sich zweifellos, trotz seiner Jugend, als derjenige erwies, der am besten vorbereitet war. Weniger als irgendjemand von ihnen trug er den Stempel einer Art emigrationsbedingter Enge der Anschauungen, die, wie ich schon sagte, zu dieser Zeit sogar Lenin in Mitleidenschaft zog. Trotzki verstand besser als die anderen, was es hieß, den politischen Kampf in einem breiten nationalen Maßstab zu führen. Er ging aus der Revolution als ein Mann hervor, der sich eine ungeheure Popularität errungen hatte, während dagegen weder Lenin noch Martow dergleichen gewannen. Plechanow verlor wegen seiner kadettenhaften Tendenzen viel von seinem Ansehen. Trotzki stand damals an der Spitze.[59]

Lunatscharski erinnerte auch an eine Begebenheit, bei der Trotzki in Gegenwart Lenins als der starke Mann des Petersburger Sowjets gewürdigt wurde. Zu dieser Zeit gehörten Lenin und Trotzki unterschiedlichen Fraktionen an, so dass Lenin nicht unbedingt erfreut gewesen sein dürfte, den politischen Triumph seines Rivalen zu vernehmen. Lunatscharski schreibt: »Lenins Gesicht verdunkelte sich einen Augenblick. Dann sagte er: ›Ja, Trotzki hat es mit seiner glänzenden und unermüdlichen Arbeit verdient.‹«[60]

Thatcher lässt auch eine andere Kurzbiografie dieser Zeit unerwähnt – die von Fjodor Dan, einem Führer der Menschewisten, die keinen Zweifel über den immensen politischen Einfluss Trotzkis im Jahr 1905 lässt. Die politische Perspektive, die mit dem Namen Trotzki nun einherging – die Anerkennung des proletarischen und sozialistischen Charakters der Revolution – fand bei großen Teilen sowohl der bolschewistischen wie der menschewistischen Tendenz starken Anklang.

Dan erinnert sich:

Die Situation in den ›Tagen der Freiheit‹ war … so, dass sie praktisch die Menschewiken wie die Bolschewiken auf die Seite des »Trotzkismus« drängte. Der »Trotzkismus« wurde für kurze Zeit (freilich damals noch ohne Namen) zum ersten und letzten Mal in der Geschichte der russischen Sozialdemokratie eine gemeinsame Plattform. Es war deshalb auch kein Zufall, dass gerade Trotzki … nach der Verhaftung Chrustalews, des Vorsitzenden des Petersburger Rats der Arbeiterdeputierten, im November dessen natürlicher und von niemandem bestrittener Nachfolger wurde – für die kurzen Tage, die dem Rat noch zu leben beschieden waren.[61]

Dass Thatcher jene wichtigen Augenzeugenberichte ignoriert, die ihn hindern, Trotzkis Rolle in der Revolution von 1905 in Zweifel zu ziehen, entwertet nicht nur die Biografie, sondern beschädigt auch seine Integrität als Historiker. Ich muss betonen, dass die unzulässige Art, in der er Trotzkis Rolle 1905 behandelt, kein Einzelfall ist, sondern vielmehr symptomatisch für die Methode, die er in dieser Biografie durchgehend anwendet, um Trotzki zu diskreditieren.

Thatcher fälscht die Geschichte des innerparteilichen Kampfs

Thatchers Darstellung des politischen Kampfs, der in den frühen 1920er-Jahren innerhalb der russischen Kommunistischen Partei aufkam, ist ein Hohn auf jede wissenschaftliche Geschichtsschreibung. Wie schon in der Einleitung greift er die Argumente der fraktionellen Gegner Trotzkis auf und gibt sie als objektive Darstellung der historischen Ereignisse aus. So schreibt er in einem der wichtigsten Abschnitte der Biografie, der sich mit dem Ausbruch des innerparteilichen Kampfs im Oktober 1923 befasst, Trotzki habe »sein Anti-Bürokratie-Programm mit der ihm eigenen Eindringlichkeit und Leidenschaft verfochten, weil er glaubte, dass die Partei in eine neue Epoche eintrete, die sie nur mit seinen Methoden unbeschadet überstehen könne«. (Hervorhebung hinzugefügt.)[62]

Thatcher fährt fort:

Doch seine Kollegen in den führenden Gremien der Partei waren nicht davon überzeugt. Sie hatten ihre Zweifel, ob die Dinge wirklich so schlecht lagen, wie sie Trotzki beschrieb. Natürlich gab es ökonomische Probleme, doch damit hatte man ja auch gerechnet. Jedenfalls gab es keine unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs. Die Partei stellte sich auf einige Jahre anstrengender und kontinuierlicher Arbeit ein, um die Wirtschaft zu konsolidieren. Was die Partei anging, so meinten Trotzkis Genossen, könnten sie stolz darauf sein, eine neue Generation von Kadern erzogen zu haben. Dieser Zustrom an frischem Blut werde die Lösung wichtiger Fragen zweifelsohne vorantreiben. Eine Mehrheit der Altbolschewiki lehnte Trotzkis Analyse ab, das Regime leide an angeblichen Krankheiten, und fragte sich, ob man von Trotzki vernünftige und rationale politische Vorschläge erwarten könne. Trotzki übertreibe gern, wenn es um Schwierigkeiten gehe, behaupteten sie, während seine Lösungsvorschläge bemerkenswert schwammig seien. Für die Mehrheit im Politbüro war Trotzki Teil des Problems, nicht seiner Lösung. Wenn er sich um fehlende systematische Führung sorgte, weshalb nahm er dann nicht an wichtigen Sitzungen des Rats für Arbeit und Verteidigung und des Kabinetts teil? Trotzkis Arbeitsgewohnheiten ließen nicht unbedingt auf Gewissenhaftigkeit schließen. Überdies war sehr auffällig, dass nur selten konkrete Vorschläge von ihm kamen. Überraschend war das kaum, denn seine politischen Verdienste waren überhaupt nicht vielversprechend. In den Jahren zuvor hatte Trotzki eine Reihe von Niederlagen erlitten, unter anderem als er sich während der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und in der Gewerkschaftsfrage gegen Lenin gestellt hatte. Für Trotzkis Kollegen gründete sich seine Unzufriedenheit nicht auf der Realität, sondern sie entsprang einem Gefühl verletzten Stolzes, das sich aus persönlichen Enttäuschungen nährte. Er war beispielsweise gar nicht erfreut, als im April 1923 der zwölfte Parteitag seinem militanteren Kurs in der Religionspolitik die Zustimmung versagte. Im September 1923 fühlte sich Trotzki bestimmt persönlich gekränkt durch personelle Veränderungen im Militärischen Revolutionskomitee. Schließlich, und das hat Trotzki am meisten verärgert, weigerte sich das Zentralkomitee, ihm diktatorische Vollmachten einzuräumen. Trotzki wurde gewarnt, dass seine unbegründete Kritik parteifeind­liche Bestrebungen ermutige, wichtige Aktivitäten der Partei unnötig behindere und die Gefahr eines Kriegs zwischen alter und junger Generation heraufbeschwöre.[63]

Thatcher erweckt hier den Eindruck, als habe die Mehrheit des Politbüros, von ihm schönfärberisch als »Trotzkis Genossen« bezeichnet, auf dessen Kritik zurückhaltend und vernünftig reagiert. Das Politbüro habe es mit einer unberechenbaren Person (Trotzki) zu tun gehabt, mit der eine Zusammenarbeit schwer, wenn nicht unmöglich war. Trotzki habe seine »Kollegen« mit übertriebenen Warnungen und unsinnigen Forderungen belästigt und gleichzeitig die Aufgaben, für die er Verantwortung trug, vernachlässigt. Obendrein sei sein Realitätssinn schwach ausgeprägt gewesen, und er habe schon immer gern Streit angezettelt, sogar mit Lenin. Subjektive Verbitterung sei der Motor seines Handelns gewesen, und, was am schlimmsten war, er habe diktatorische Vollmachten gefordert. Thatchers Darstellung lädt sein studentisches Publikum regelrecht ein, sich eine negative Meinung über Trotzki und seine politische Arbeit zu bilden.

Thatcher verschweigt seinen Lesern dabei, dass der eben erwähnte Absatz seine eigene tendenziöse Neufassung eines skrupellosen und unehrlichen fraktionellen Dokuments ist, das die erbitterten politischen Gegner Trotzkis – von Thatcher beschwichtigend »Genossen« und »Kollegen« genannt – am 19. Oktober 1923 vorlegten, als Reaktion auf Trotzkis wichtigen Brief vom 8. Oktober 1923 und den berühmten oppositionellen »Brief der 46« vom 15. Oktober 1923. Keine Anführungszeichen, keine Fußnote, und auch kein deutlicher Hinweis von Thatcher, dass die Argumente, die er in so harmlosen Worten zusammenfasst, in Wirklichkeit eine Ansammlung fraktionell motivierter Lügen und Halbwahrheiten waren.[64]

Auch erfahren seine Leser mit keinem Wort davon, dass Trotzki eine vernichtende Antwort auf diesen Brief schrieb, die er am 23. Oktober 1923 verschickte. Darin widerlegte er die Anschuldigungen von Sinowjew, Kamenew und Stalin, dem sogenannten Triumvirat, die eine prinzipienlose Anti-Trotzki-Fraktion gebildet hatten.

Es genügt, E. H. Carrs »Interregnum« zu Rate zu ziehen, wo er dieses Material untersucht (bzw. den Teil, der bis Anfang der 1950er-Jahre bekannt war), um zu erkennen, dass Thatcher bewusst irreführen will. Carr zitiert aus Trotzkis »scharfer Erwiderung« an das Triumvirat und beseitigt jeden Zweifel daran, wer bei dieser Auseinandersetzung die Wahrheit auf seiner Seite hatte.[65]

Trotzkis Rede auf dem 13. Parteitag

Zu Deutschers großen Verdiensten als Biograf gehört, dass er den Heroismus und die Leidenschaftlichkeit des Kampfs vermittelte, den Trotzki unter immer schwierigeren Umständen gegen die gewaltige und reaktionäre Bürokratie führte, die sich gegen ihn formiert hatte. Thatcher, der unbedingt die historische Wahrheit auslöschen will, setzt rhetorische Tricks ein, die mit seriöser Wissenschaft unvereinbar sind, um Trotzkis Kampf zu schmälern und ihn in einem abwertenden und wenig schmeichelhaften Licht erscheinen zu lassen. Erneut muss ich hier auf Thatchers irreführende Verwendung von Zitaten aufmerksam machen. Thatcher bezieht sich auf Trotzkis Hauptrede auf dem 13. Parteitag im Mai 1924 und schreibt: »Es war, so wurde behauptet, ›die unangebrachteste Rede seines Lebens‹.«[66]

Man fragt sich, wer dieses vernichtende Urteil fällte? War es vielleicht ein Teilnehmer des Parteitags, einer der Gegner oder Anhänger Trotzkis? Man findet den Urheber schließlich in dem 1974 von der Universität Toronto veröffentlichten Band »Resolutions and Decisions of the Communist Party of the Soviet Union«. Darin enthalten sind einige Dokumente des 13. Parteitags, versehen mit einer kurzen Einleitung von Professor Richard Gregor, dem Herausgeber des Bands. Gregor schreibt, Trotzki habe »die vielleicht unangebrachteste Rede seines Lebens gehalten«.[67] Er begründet diese Einschätzung nicht, und die Rede selbst ist auch nicht abgedruckt. Gregor zählt wohl kaum zu den Historikern, von denen man eine begründete und unvoreingenommene Einschätzung sowjetischer Politik erwartet.[68] Einen zwingenden Grund dafür, Gregors hingeworfene Bemerkung über die Rede auf dem 13. Parteitag zu zitieren, als handele es sich um ein maßgebliches Urteil, gibt es nicht – außer zu dem Zweck, Trotzki herabzusetzen.

Sehen wir uns an, wie Thatcher im Weiteren von Trotzkis Rede auf dem 13. Parteitag Gebrauch macht. Diese Rede endete mit dem bekannten und oft zitierten Ausspruch: »Richtig oder falsch – aber es ist meine Partei, und ich werde die Folgen ihrer Entscheidung tragen.« Thatcher selbst zitiert einige Sätze aus Trotzkis Rede, einschließlich des eben angeführten. Dann schreibt er: »Trotzki hatte also keinen Grund, sich zu beschweren, als der 13. Parteitag die gegen Trotzki gerichtete Resolution der 13. Konferenz bestätigte.«[69] Es scheint alles ganz einfach. Trotzki sagte, richtig oder falsch, es ist meine Partei – wie also konnte er Einwände haben, wenn die Partei eine gegen ihn gerichtete Resolution verabschiedet? Doch Thatcher hat seinen Lesern die Teile seiner Rede vorenthalten, aus denen ersichtlich wird, dass sie deutlich differenzierter und kämpferischer war, als es in dem von ihm verwendeten Zitat anklingt. Trotzki betonte darin mit Nachdruck, dass er mit der Resolution nicht übereinstimmte, und bestand auf seiner Verantwortung, gegen eine Politik aufzutreten, die er als falsch betrachtete.[70] Thatcher verfälscht Trotzkis Position mit einem bereinigten Zitat und legitimiert damit das Vorgehen seiner Gegner gegen ihn.

Thatcher verfälscht die Beziehung zwischen Lenin und Trotzki

»Lenins Beziehung zu Trotzki war äußerst problematisch«, behauptet Thatcher. Er versichert, Lenin habe in seinem politischen Testament vom Dezember 1922 »Trotzki nicht stärker ­empfohlen als irgendeinen anderen Genossen«. Das ist nicht wahr. Lenin äußerte Vorbehalte wegen Trotzkis »übermäßigem Selbstvertrauen« und seiner »übermäßigen Leidenschaft für rein administrative Maßnahmen«, sagte aber auch, dass Trotzki sich »durch hervorragende Fähigkeiten [auszeichnet]« und »persönlich wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen ZK [Zentralkomitee]« sei.[71] In seinem Testament warnte Lenin auch davor, dass Stalin »eine unermessliche Macht in seinen Händen konzentriert« habe.[72] In der berühmten Nachschrift zu seinem Testament, die Thatcher unerwähnt lässt, drängte Lenin das Zentralkomitee, Stalin als Generalsekretär abzulösen.[73] Thatcher fährt fort: »Es ist unwahrscheinlich, dass Lenin Trotzkis Ernennung zum Generalsekretär gebilligt hätte, denn schon von Dezember 1922–1923, als er den Kriegskommissar Trotzki beauftragte, einige seiner (Lenins) Ansichten vorzutragen, behielt er sein Misstrauen gegen ihn bei. Lenins Biograf hat eigens darauf hingewiesen, dass er Trotzki bei der nächsten günstigen Gelegenheit hätte fallen lassen.« (Hervorhebung hinzugefügt)[74]

Dies ist eine bewusst irreführende und falsche Darstellung. Zahlreiche historische Untersuchungen haben auf der Basis gut dokumentierter Ereignisse nachgewiesen, dass Lenin in seinen letzten Lebensmonaten einen immer stärkeren Verdacht gegen Stalin hegte und ihm ablehnend gegenüberstand. Dieses wachsende Misstrauen gegen Stalin zeigt sich in mehreren Dokumenten, geschrieben in den Monaten und Wochen vor seinem Schlaganfall im März 1923, der seiner aktiven politischen Teilnahme ein Ende setzte. Genau in dieser Zeitspanne näherte sich Lenin immer mehr Trotzki an, den er als seinen wichtigsten Verbündeten im beginnenden Kampf gegen Stalin ansah. Doch wir räumen gerne ein, dass die politische Entwicklung in der entscheidenden Periode zwischen Dezember 1922 und März 1923 unterschiedliche Interpretationen zulässt. Dann müssen wir immer noch Thatchers Verweis auf die angebliche Entdeckung von »Lenins Biografen« klären, dass Lenin, hätte er noch gelebt, »Trotzki bei der nächsten günstigen Gelegenheit hätte fallen lassen«.

Der in dieser Fußnote zitierte Biograf ist Robert Service, Autor einer dreibändigen Studie über Lenin. Hier ist nicht der Ort, um die Qualität von Herrn Services Biografie zu bewerten, die ich nicht sehr hoch einschätze. Doch es geht hier darum, wie Thatcher mit Zitaten hantiert. Schlägt man die Seite 273 der Biografie von Service auf (die in Thatchers Fußnote genannt wird), findet man, dass ein Plan Lenins, Trotzki loszuwerden, gar nicht erwähnt wird. Service schätzt Lenins Pläne vielmehr völlig anders ein. In der Vergangenheit, so Service, habe Lenin Stalin benutzt, um Trotzki zu kontrollieren, doch »die Konflikte mit Stalin in Fragen der Außenhandelspolitik und in anderen Bereichen veränderten die Situation grundlegend: Trotzki wurde jetzt gebraucht, um den zunehmend unkontrollierbaren Stalin zu kon­trollieren«. Trotz seiner früheren Konflikte mit Trotzki hätten »die Oktoberrevolution und der Bürgerkrieg sie zusammengebracht, und Lenin bot Trotzki an, die enge Zusammenarbeit wieder aufzunehmen«.[75] Wenige Seiten später geht Service noch einmal auf Lenins Ansichten über Trotzki und Stalin ein: »Trotz seiner Vorbehalte zog Lenin inzwischen Trotzki Stalin vor. Das kam in Lenins Briefen zum Ausdruck, in denen er Trotzki ein Bündnis in Tagesfragen gegen Stalin vorschlug. Ende Dezember [1922] bat Lenin seine Frau Krupskaja, Trotzki die Botschaft zu übermitteln, dass er Trotzki gegenüber, seit dieser 1902 aus Sibirien geflohen und nach London gekommen war, genauso empfinde wie damals und ›bis in den Tod‹ so empfinden werde.«[76] Wieder einmal zeigt sich, dass Thatcher einem anderen Historiker eine falsche Aussage unterschiebt, im Sinne seiner eigenen Absicht, Trotzki unglaubwürdig zu machen.

Historiker sind, wie wir alle, nicht unfehlbar. Sie machen Fehler. Nicht jedes falsche Zitat zeugt von mangelnder Professionalität, schon gar nicht von einem geheimen Plan, Tatsachen zu verzerren und zu fälschen. Begegnet man solchen Irrtümern, muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. In Thatchers Biografie haben wir es aber nicht mit einer Reihe voneinander unabhängiger Fehler zu tun, sondern mit einem System der Verzerrung und Verfälschung von Tatsachen. Thatchers Darstellung zielt darauf ab, bei seinen Lesern – besonders bei Studenten – ein falsches Bild nicht nur von Trotzki zu erzeugen, sondern auch ein verfälschtes und verzerrtes Bild einer ganzen historischen Epoche.

In den Biografien Swains und Thatchers wird eine Entwicklung sichtbar, die man wohl zu Recht als Untergrabung der historischen Wahrheit bezeichnen darf. Das geschichtliche Bild Trotzkis als großer revolutionärer Kämpfer und Denker, das durch die Entlarvung von Stalins Lügen und Verbrechen zum Vorschein kam – d. h. durch die Widerlegung der allgegenwärtigen Verteufelung Trotzkis, die von der Sowjetunion verbreitet wurde (und natürlich auch von den osteuropäischen Staaten und China) und von zahllosen, mit den stalinistischen Parteien verbundenen Akademikern auf der ganzen Welt aufrechterhalten wurde –, gerät erneut unter Beschuss. Eine Art geschichtsfeindliche intellektuelle Konterrevolution ist im Gange, zu der Thatcher und Swain ihren eigenen infamen Beitrag leisten. Nur vor diesem Hintergrund können wir den Feuereifer verstehen, mit dem sie versuchen, Trotzkis Bedeutung herunterzuspielen und ihn sogar lächerlich erscheinen zu lassen.

Fragen des Alltagslebens

Untersuchen wir, wie Thatcher mit Trotzkis bemerkenswerten Essays umgeht, die unter dem Titel »Fragen des Alltagslebens« erschienen sind. Thatcher gibt sich alle Mühe, Trotzki als verweichlichten Snob zu schildern, der »von den allgemeinen Sitten der russischen Gesellschaft gar nichts hielt. Die Masse der Russen war in seinen Augen unkultiviert. Er beschrieb sie als ungebildet, ineffizient, dreckig, unpünktlich, mit Neigung zum Fluchen und vulgärer Sprache und beherrscht vom Aberglauben.«[77] Diese Darstellung ermutigt den Leser natürlich, Trotzki als elitären Menschen aufzufassen, der der großen Masse der russischen Bevölkerung distanziert und unzugänglich gegenüberstand. Thatcher verstärkt diese beabsichtigte Wirkung mit seiner sarkastischen Bemerkung: »Man gelangt unweigerlich zum Schluss, dass er sich den Idealmensch als Verallgemeinerung seiner eigenen Gewohnheiten vorstellte. Seine Ratschläge strotzen vor den ihm eigenen Vereinfachungen.«[78]

Thatchers Zusammenfassung ist eine gehässige und unehrliche Karikatur von Trotzkis Aufsätzen über »Fragen des Alltagslebens«. Was Thatcher als Beispiel für Trotzkis selbstherrlichen Dünkel anführt, als schamloses Lob seiner eigenen Vorzüge, das gehört, wenn man es ernsthaft und mit entsprechender Kenntnis im Kontext der Geschichte der russischen revolutionären Bewegung betrachtet, zu den besten und einfühlsamsten Darlegungen zur Beziehung zwischen Kultur, der Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins und des Kampfs für den Sozialismus. Was Thatcher als langatmigen Katalog von Trotzkis persönlichen Vorurteilen gegenüber den russischen Arbeitern präsentiert – sie seien ungebildet, ineffizient, neigten zum Fluchen etc. –, waren alles Ergebnisse und Erscheinungsformen der schrecklichen Unterdrückung, unter der die Massen im zaristischen Russland gelitten hatten. Sie waren Teil dessen, was die besten Elemente der demokratischen und sozialistischen Intelligenz über Generationen hinweg oft als »unsere schreckliche russische Wirklichkeit« bezeichneten. Ihr Kampf gegen die beschämenden Formen menschlicher Erniedrigung fand schließlich eine mächtige Resonanz in der Arbeiterklasse.[79]

Liest man diese Schriften als Beiträge zur Entwicklung von Klassenbewusstsein und kul’turnost, lernt man schätzen, wie umfassend und facettenreich die Themen sind, die Trotzki in seinen »Fragen des Alltagslebens« anschneidet, und man versteht die Bedeutung von Aufsätzen wie »Der Kampf um die Sprachkultur« und »Ein kleines Stück einer großen Frage«. Interessanterweise, darauf weist Professor S. A. Smith hin, verschwand der Kampf um Sprachkultur in den späten 1920er-Jahren von der politischen Tagesordnung, als Stalin seine Machtstellung gefestigt hatte.[80] Es bleibt nur noch hinzuzufügen, dass viel von dem, was Trotzki in diesen Artikeln schreibt, nicht nur historisch oder nur für ein russisches Publikum von Interesse ist. Da wir heute mit unserer eigenen schrecklichen Wirklichkeit konfrontiert sind, in der die Kultur unter Dauerbeschuss steht und jede Form gesellschaftlicher Rückständigkeit kultiviert und gefördert wird, behält »Fragen des Alltagslebens« auch für die heutige Zeit seine Aktualität.

An manchen Stellen in seiner Biografie sinkt Thatcher auf ein Niveau herab, das man als vollkommen absurd bezeichnen muss. Er erklärt: »Man kann sogar behaupten, dass Trotzki seine weiblichen Mitstreiter ebenso abweisend behandelte, wie es jeder andere egozentrische Mann tut.«[81] Zum Beweis zitiert er einen Absatz aus der Kurzbiografie eines Buchhändlers, der sich erinnert, dass Trotzkis Frau anscheinend eine Zeitschrift für ihn ausleihen wollte. »Wir entdecken, wie Trotzki seine Frau als (unbezahlte?) Sekretärin benutzte«[82], schreibt Thatcher. Er schilt Trotzki auch, weil dieser nicht selbst tue, was er in einem seiner Essays empfohlen habe, »die Wirklichkeit sehr ernsthaft mit den Augen einer Frau« zu betrachten. Wie belegt Thatcher seinen Vorwurf? »Er schlug mit Sicherheit nicht vor, dass eine Frau an Lenins Stelle vorrücken sollte, und er schrieb auch nicht ausführlicher, wie er es versprochen hatte, darüber, wie seiner Meinung nach die Sicht einer Frau auf die Welt aussehen könnte.«[83] Wie kann man auf diese Art von Kritik überhaupt antworten?[84]

4. Lügen gegen historische Wahrheit

Thatcher über die Unmöglichkeit der Revolution

Zwei miteinander verbundene Argumente führt Thatcher in seiner Biografie immer wieder an: 1) Es gibt keinen Grund zu der Annahme, die russische oder europäische Geschichte hätte sich anders entwickelt, wenn Trotzki Stalin besiegt hätte; und 2) die Kritik Trotzkis an Stalin war insgesamt gesehen unfair. Zur Wirtschaftspolitik stellt Thatcher fest: »Selbst wenn Trotzki wie durch ein Wunder an die Macht gelangt wäre, kann man natürlich aus vielen Gründen daran zweifeln, ob er die politischen Erfolge gehabt hätte, die sein Programm versprach. So kann man sich fragen, ob eine von Trotzki geleitete Sowjetwirtschaft eine Ausdehnung des industriellen Sektors und einen besseren Lebensstandard erreicht hätte.«[85]

Gewiss, man kann sich alles fragen. Es geht aber nicht darum, mit Bestimmtheit festzustellen, ob das Programm der Linken Opposition Erfolg gezeitigt hätte. Gewissheit kann hier nicht erreicht werden. Die Frage lautet tatsächlich: Hat die Linke Opposition ein deutlich größeres Verständnis in Hinblick auf die Probleme der Sowjetwirtschaft bewiesen als die stalinistische Führung und hat sie, wesentlich weitblickender als die Bürokratie, die Probleme vorhergesehen und Verbesserungsvorschläge zur Vermeidung einer Katastrophe unterbreitet? Diese beiden Fragen können wir unzweideutig mit Ja beantworten. Auf dieser Grundlage können wir dann fragen, ob – bei einer rechtzeitigen Reaktion auf drohende Gefahren und bei Vermeidung der schlimmsten Konsequenzen – die Annahme begründet ist, dass die Sowjetwirtschaft dann erfolgreicher gewesen wäre und gleichzeitig weniger menschliche Opfer gefordert hätte. Auch hier lautet die Antwort eindeutig Ja. Thatcher nähert sich keinem Punkt in solcher Weise. Das detaillierte Programm der Linken Opposition aus dem Jahr 1927 erwähnt er gar nicht. Alles, was er uns anbietet, ist eine spezifische Form des Fatalismus, der sich als historische Rechtfertigung für Stalin und den Stalinismus erweist. So geht Thatcher an jede wichtige Frage der internationalen revolutionären Politik heran.

Zu der verheerenden Niederlage der chinesischen Revolution 1927, zu der Stalins Unterordnung der chinesischen Kommunistischen Partei (KPCh) unter die bürgerliche Kuomintang von Chiang Kai-shek wesentlich beitrug, erklärt Thatcher: »… selbst wenn die KP China 1926 aus der Kuomintang ausgetreten wäre, so gibt es doch keine Belege dafür, dass sie 1927 deshalb erfolgreicher gewesen wäre.«[86] Welche »Belege« hat Thatcher ausgewertet? Anhand welcher Quellen hat er die Ereignisse von 1925–1927 erforscht? Es gibt einen großen Bestand an politischer und historischer Literatur, die die katastrophalen Konsequenzen von Stalins Politik in den Jahren 1925–1927 analysiert, und ein bedeutender Teil davon stammt von chinesischen Revolutionären.

Es gibt allerdings keine Belege dafür, dass Thatcher mit diesen Schriften auch nur im Geringsten vertraut ist. Es ist eine historische Tatsache, dass das Massaker, welches Chiang Kai-shek im April 1927 an den Arbeitern von Shanghai verübte, begünstigt wurde durch das Versäumnis der chinesischen Kommunistischen Partei, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, um den Angriff zu verhindern oder den Kader in die Lage zu versetzen, ihn zurückzuschlagen. Die Passivität der KP China wurde von Stalin diktiert, der darauf bestand, dass die chinesischen Kommunisten alles vermieden, was Chiang und die bürgerliche Kuomintang brüskieren könnte. Über den Zeitraum von beinahe einem Jahr warnten Trotzki und die Linke Opposition vor den selbstmörderischen Gefahren einer solchen Politik. Behauptet man nun, ein rechtzeitiges Befolgen ihrer Warnungen wäre ohne Wirkung geblieben, dann erhebt man die Hoffnungslosigkeit zum festen Bestandteil der Geschichte, zumindest sofern es sich um die sozialistische Revolution handelt.

In gleicher Weise argumentiert Thatcher, wenn es um das Thema Deutschland geht. »Trotzkis Analyse der Fehler der KPD und die Möglichkeit, dass Hitlers Triumph durch einen anderen Kurs der deutschen Kommunisten hätte vermieden werden können, klingt verlockend«, schreibt Thatcher. »Es überrascht also kaum, dass spätere Untersuchungen diese Sichtweise unterstützt haben. Wer wünschte sich schließlich nicht, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) niemals an die Macht gelangt wäre? Dennoch bleibt die Frage, ob die Geschichte wirklich so viel anders verlaufen wäre, wenn Trotzki die Ereignisse stärker hätte beeinflussen können … Trotzki überschätzte die Macht der Arbeiter und unterschätzte die Stärke des Faschismus. Hitler hätte selbst noch bei einer Koalition von Kommunisten und Sozialdemokraten an die Macht kommen können … Eine Veränderung der Politik der KPD, wie Trotzki sie forderte, hätte vielleicht nicht ausgereicht, um die NSDAP von der Macht fernzuhalten.«[87]

Dass die katastrophale Politik der beiden wichtigsten Arbeiterparteien SPD und KPD entscheidend zum Sieg Hitlers beigetragen hat, ist historisch ziemlich unumstritten. Natürlich gibt es viele Fragen dazu, warum diese Parteien eine so verheerende und selbstzerstörerische Politik verfolgten. Doch dass sie trotz millionenfacher Mitgliedschaft eine Politik machten, die sie zu völliger politischer Ohnmacht verurteilte, ist so gewiss, wie dies historisch überhaupt möglich ist. Wer behauptet, die Tätigkeit oder Untätigkeit der beiden Massenparteien hätten ohnehin keine Auswirkung auf den Ausgang des politischen Kampfs in Deutschland gehabt, Hitler hätte in jedem Fall gesiegt, der erklärt das Thema Arbeiterbewegung und sozialistische Politik für politisch und historisch bedeutungslos. Diese Schlussfolgerung ergibt sich unvermeidlich aus Thatchers Standpunkt.[88]

Während Thatcher betont, eine Annahme der von Trotzki vorgeschlagenen Politik hätte keinen Unterschied gemacht, wendet er sich immer wieder gegen Trotzkis Kritik an Stalin. Seine Feindschaft gegen Trotzki und seine Sympathie für Stalin ist so unerschütterlich, dass man annehmen muss, sein Werk werde durch unausgesprochene politische Ziele motiviert. Vor langer Zeit hat uns E. H. Carr in seinem zu Recht berühmten Werk »Was ist Geschichte?« den Rat erteilt, darauf zu achten, wo einen Historiker der Schuh drückt. Bei einem guten Historiker gibt es einen Gleichklang zwischen seiner Persönlichkeit als Historiker und seinem Umgang mit dem Faktenmaterial. Doch von Herr Thatchers Persönlichkeit als Historiker geht ein lauter, disharmonischer und tendenziöser Misston aus, der eher nach Stalinismus klingt. Mich beunruhigen hier nicht Thatchers politische Auffassungen – auf die er ein Recht hat –, sondern sein Umgang mit historischen Fakten. Die Persönlichkeit des Historikers wird erst dann zu einem ernsten Problem, wenn sie die Geschichte übertönt und unkenntlich macht.

Thatcher verteidigt Stalin

Thatcher verteidigt Stalin gegen Trotzkis Kritik, indem er erklärt, Trotzkis »These von einem stalinistischen Verrat der Weltrevolution ist einseitig und nicht überzeugend. Sie ignoriert beispielsweise die positiven Aspekte der Volksfronttaktik, die in Form wachsender Unterstützung für die Kommunistischen Parteien und ihres größeren Einflusses offensichtlich waren.«[89] An diesem Punkt, gegen Ende seiner Biografie, hat Professor Thatcher den Unterschied zwischen Geschichtsschreibung und tendenziöser Polemik bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Den Anspruch, eine Biografie vorzulegen, lässt er praktisch fallen und setzt dem Leser vor, was man einst als stalinistische Parteilinie bezeichnete. Thatcher singt ein Loblied auf die »Erfolge« der Volksfrontära und ignoriert Trotzkis Analyse des siebten Kongresses der Komintern 1935, der (nach der Katastrophe des stalinistischen ultralinken Kurses der »Dritten Periode«) den Schwenk hin zu Bündnissen mit bürgerlichen Parteien zur offiziellen Politik erhob. Thatcher verschweigt die Einschätzung Trotzkis, wonach der siebte Kongress und die Verabschiedung der Volksfrontpolitik bedeuteten, jeden Zusammenhang zwischen Komintern und der Perspektive der sozialistischen Revolution zurückzuweisen – eine Entwicklung, die in den außenpolitischen Interessen des stalinistischen Regimes in der UdSSR wurzelte. Der Hinweis ist angebracht, dass E. H. Carr in »Twilight of the Comintern« diese Einschätzung teilt.[90]

Thatcher fährt fort: »Für Trotzkis Behauptung, die Taktik der Komintern sei nach den Bedürfnissen der sowjetischen Diplomatie ausgerichtet worden, gibt es ebenso keinen Beweis.«[91] Thatcher argumentiert hier nicht nur gegen Trotzki, sondern gegen einen Berg überwältigender historischer Belege. Wer als Autor derartige Behauptungen aufstellt, verwirkt das Recht, als Historiker ernst genommen zu werden. Wie will Thatcher erklären, dass sich die politische Linie der Kommunistischen Parteien überall auf der Welt nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts im August 1939 schlagartig änderte? Oder dass zahlreiche führende Mitglieder der Kommunistischen Parteien verschiedener Länder während des stalinistischen Terrors von 1937–1939 physisch liquidiert wurden? Praktisch die gesamte Führung der polnischen Kommunistischen Partei wurde ausgelöscht, weil Stalin sie verdächtigte, mit dem Trotzkismus zu sympathisieren. Viele ehemals führende Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands, die vor Hitler in die UdSSR geflohen waren, wurden in Moskau während des Terrors hingerichtet. Der Generalsekretär der KPD, Ernst Thälmann, den die Nazis verhaftet hatten, wurde von Stalin im Stich gelassen. Nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts hätte Stalin seine Freilassung in die Sowjetunion erwirken können, lehnte dies jedoch ab. Thälmann wurde in Buchenwald erschossen. Die Führung, die 1945 aus dem sowjetischen Exil nach Deutschland kam, um das zukünftige Ostdeutschland zu kontrollieren, bestand aus Individuen, die Stalin am Leben gelassen hatte, oft um den Preis, ihre KPD-Genossen zu denunzieren. Ist das alles nicht eine Form der Unterordnung der Kommunistischen Parteien unter die Diktate des Sowjetregimes?

Will man den allgegenwärtigen Einfluss der Sowjetunion auf die Politik der Komintern verstehen, kommt man nicht umhin, sich mit den Aktivitäten der GPU (später: NKWD), der Geheimpolizei des stalinistischen Regimes zu beschäftigen. In einem seiner letzten Artikel, »Die Komintern und die GPU«, den er weniger als zwei Wochen vor seiner Ermordung fertig stellte, ging Trotzki detailliert auf diese Frage ein.[92] Anhand der Berichte von Walter Kriwitzki, der der GPU den Rücken gekehrt hatte, und Benjamin Gitlow, einem ehemaligen Führungsmitglied der amerikanischen Kommunistischen Partei, zeigte Trotzki auf, wie die GPU die stalinistischen Organisationen kontrollierte. Sein Artikel beinhaltete eine Untersuchung finanzieller Transaktionen, anhand derer er nachwies, wie Geldzuwendungen eingesetzt wurden, um den nationalen stalinistischen Parteien die politische Linie vorzugeben und sie zu kontrollieren. Er wies auch die finanzielle Abhängigkeit dieser Parteien von den Zahlungen Moskaus nach. Thatcher unterlässt es, dieses Dokument, die letzte wichtige Schrift Trotzkis vor seinem Tod am 21. August 1940, zu untersuchen, zu analysieren und sich dazu zu äußern. Er ignoriert es einfach.

Auch an einer weiteren Front verteidigt Thatcher Stalin leidenschaftlich. Er schreibt: »Trotzki unterschätzte außerdem auch die Fähigkeit der UdSSR, einer deutschen Kriegserklärung, die im Juni 1941 dann auch erfolgte, die Stirn zu bieten. Stalin erwies sich als fähiger Führer im Krieg und stand im anfänglichen Chaos bei den ersten deutschen Angriffen unerschütterlich auf der Kommandobrücke.«[93] Zwei Themen werden hier angesprochen: erstens, für wie widerstandsfähig Trotzki die Sowjetunion im Kriegsfall einschätzte, und zweitens, Stalins Rolle als Führer im Krieg. In der ersten Frage verfälscht Thatcher erneut die Position Trotzkis. Er zitiert nicht einmal die ausführliche Erklärung Trotzkis über die Widerstandskraft der Sowjetunion im Kriegsfall. In seiner Schrift vom März 1934, »Die Rote Armee«, kam Trotzki zu Schlussfolgerungen, die das genaue Gegenteil dessen aussagen, was Thatcher ihm unterstellt. »Wer die Geschichtsbücher studieren will und kann«, schrieb Trotzki, »wird eins sogleich begreifen: Sollte die russische Revolution, die seit dreißig Jahren – seit 1905 – ein ständiges Auf und Ab kennt, gezwungen sein, ihre Strömung in den Kanal eines Kriegs zu lenken, so wird sie eine ungeheure, alles überwältigende Kraft entfalten.«[94] Aus dieser Erklärung kann man kaum eine Unterschätzung der UdSSR ableiten.

Eigenartig, dass Thatcher ausgerechnet Stalins Verhalten während der »ersten deutschen Angriffe« anführt, um ihm ein besonderes Lob als Kriegsführer auszusprechen. Ihm ist sicher bewusst, dass Stalins Reaktion auf die deutsche Invasion am 22. Juni 1941 viele Fragen aufwirft. Zahlreiche Bücher, darunter die Memoiren führender sowjetischer Funktionäre, berichten von einem emotionalen Schockzustand Stalins, als er die Nachricht von der Invasion erhielt, die das völlige Scheitern seiner diplomatischen Abmachungen mit Hitler offenbarte und die Sowjetunion mit dem Ruin bedrohte. Thatcher weiß das und erklärt in einer Fußnote: »Einige Lehrbücher behaupten, Stalin sei beim Einmarsch der Deutschen in die UdSSR in Panik geraten, und sein Sturz wäre möglich gewesen … Diese Behauptungen werden von S. J. Main in ›Stalin in 1941‹überzeugend widerlegt.«[95]

Die Behauptung, die Kritik an Stalins Verhalten nach der Invasion der Deutschen sei von Professor S. J. Mains kurzem, zweiseitigen Artikel »überzeugend widerlegt« worden, der nur einen wesentlich längeren Artikel einer anderen Historikerin kommentiert, ist eine Karikatur auf ein wissenschaftliches Urteil und ein Beispiel für politische Apologetik.[96] Überdies ist die Frage, was Stalin in der letzten Juniwoche 1941, nach der Invasion der Nazis, tat oder nicht tat, zweitrangig für die Beurteilung seiner Verantwortung für die Katastrophe, die über die Sowjetunion hereinbrach. Die entsetzlichen Verluste an Menschenleben, die die sowjetische Bevölkerung erlitt, ergaben sich direkt aus der Politik und dem Handeln Stalins: der Ermordung der führenden sowjetischen Marschälle und Generäle, darunter Tuchatschewski, Jakir, Gamarnik, Blücher, Jegorow und Primakow, der Liquidierung von 75 Prozent aller Offiziere der Roten Armee in den Jahren 1937–1938, der Ermordung der besten Repräsentanten der sozialistischen Intelligenz und der Arbeiterklasse, der systematischen Desorganisation und Schwächung der sowjetischen militärischen Verteidigung, um Hitler nicht zu reizen, seiner Weigerung, auf die Informationen seines Geheimdienstes über eine kurz bevorstehende deutsche Invasion zu reagieren usw. Dies alles ist durch zahlreiche Dokumente in unzähligen Büchern und wissenschaftlichen Artikeln belegt. Doch Thatcher ignoriert es und verkündet, ein zweiseitiger Artikel in einer Zeitschrift kläre endgültig die Frage nach Stalins Rolle im Zweiten Weltkrieg.[97]

Warum »die Bronsteins«?

Angesichts der massiven Verfälschung von Trotzkis Leben und der plumpen Verteidigung Stalins erscheinen die Absichten des Autors selbst zunehmend dubios, nicht nur im intellektuellen, sondern auch im moralischen Sinn. Unter diesem Aspekt ist es bemerkenswert, dass Thatcher Trotzki und seine Frau Natalia Sedowa wiederholt »die Bronsteins« nennt. Ich habe nicht weniger als neun Textstellen gezählt, wo Thatcher das Paar so bezeichnet, meistens wenn er die privaten Lebensumstände oder die Umzüge von einem Exil ins andere schildert. Thatcher schreibt, »In Wien lebten die Bronsteins hauptsächlich von geliehenem Geld« (S. 52); »Schließlich durften die Bronsteins nach Barcelona gehen« (S. 77); »die Bronsteins wurden über die Grenze gebracht« (S. 164); Prinkipo »bot den Bronsteins über weite Teile ihres Aufenthalts ein Zuhause«, »in Frankreich zum Beispiel hatten die Bronsteins nicht weniger als ein Dutzend Wohnsitze« (S. 188); »Der Umzug nach Nordamerika, wo die Bronsteins Mitte Januar 1937 ankamen« (S. 189), und so fort. Weshalb bezeichnet Thatcher Trotzki und Sedowa so hartnäckig als »die Bronsteins«? Die Tatsachen liefern jedenfalls keinen Grund dafür. Trotzki und Sedowa benutzten diesen Namen nicht. Trotzkis Frau Natalia trug ihren eigenen Familiennamen Sedowa. Die beiden Kinder von Leo Dawidowitsch und Natalia, Leon und Sergej, nannten sich mit Nachnamen Sedow. Trotzki benutzte Sedow als legalen Namen; nach 1902 hatte er sich nie wieder Bronstein genannt.

Dies ist keine Nebensächlichkeit, wie es jemandem scheinen mag, der mit Trotzkis Leben nicht vertraut ist. Wie jeder andere Aspekt seines Lebens erlangte auch der Name seiner Familie politische Bedeutung. Im Januar 1937 kommentierte Trotzki die Tatsache, dass sein jüngster Sohn, nachdem er unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet worden war, in der sowjetischen Presse als Sergej Bronstein bezeichnet wurde.

Trotzki schrieb:

Seit 1902 habe ich durchgehend den Namen Trotzki getragen. Wegen meines Status als Illegaler trugen meine Kinder unter dem Zarismus den Familiennamen ihrer Mutter: Sedow. Damit sie den für sie gewohnten Namen nicht ablegen mussten, nahm ich für »zivile Zwecke« den Namen Sedow an (es ist bekannt, dass nach sowjetischem Recht ein Ehemann den Namen seiner Frau annehmen kann). Der sowjetische Pass, mit dem ich, meine Frau und mein älterer Sohn ins Exil gehen mussten, wurde auf den Namen der Familie Sedow ausgestellt. Meine Söhne haben also zu keiner Zeit den Namen Bronstein getragen. Warum bringt man diesen Namen jetzt in die Öffentlichkeit? Die Antwort liegt auf der Hand: wegen seines jüdischen Klangs. Man muss hinzufügen, dass laut Anklage mein Sohn einen Mord an Arbeitern plante. Gibt es wirklich einen großen Unterschied zum Vorwurf gegenüber den Juden, zu Ritualzwecken das Blut der Christen zu vergießen?[98]

Es ist unvorstellbar, dass Thatcher mit diesen und anderen Begebenheiten nicht vertraut ist, bei denen Trotzki die Verwendung seines ursprünglichen Familiennamens als antisemitisches Manöver bezeichnete und verurteilte. Weshalb also spricht Thatcher von den Bronsteins statt von den Trotzkis oder Sedows, wenn er doch weiß, dass dies auch faktisch falsch ist? Es ist seine moralische Verantwortung, den legitimen Verdacht auszuräumen, dass hier niedere Berechnung im Spiel ist. Ich behaupte nicht, dass Thatcher ein Antisemit ist. Fest steht aber zweifelsfrei, dass er, aus welchen Gründen auch immer, den Leser wiederholt auf die jüdischen Wurzeln Trotzkis aufmerksam macht. Er sollte seine Gründe dafür darlegen.[99]

Thatcher verfälscht die Ergebnisse der Dewey-Kommission

Etwa zwei Seiten widmet Thatcher den Moskauer Prozessen und Trotzkis Kampf, deren Anklagen zu widerlegen. Er erörtert die Bildung der Dewey-Kommission und die Anhörung, die im April 1937 in Mexiko stattfand, »wo die Bronsteins wohnten«.[100] Nach einer kurzen Darstellung des Ablaufs und der Zeugenaussage von Trotzki kommt Thatcher zu den Ergebnissen der Kommission. Er schreibt: »Die Moskauer Prozesse wurden als unzuverlässiger Weg zur Wahrheitsfindung erklärt und die Anklagen gegen Trotzki als nicht bewiesen bezeichnet.« (Hervorhebung hinzugefügt.)[101]

Dies ist eine Verfälschung der Ergebnisse der Dewey-Kommission. Am 21. September 1937 gab die Kommission ihre Ergebnisse zu 23 Anklagepunkten bekannt. Die ersten 21 widerlegten spezifische Anklagen gegen Trotzki, die für die Anklageerhebung der sowjetischen Staatsanwaltschaft große Bedeutung hatten. In Punkt 22 und 23 präsentierte die Kommission die entscheidenden Schlussfolgerungen: »22. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass die Moskauer Prozesse juristische Verschwörungen darstellen. 23. Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass Trotzki und [sein Sohn] Sedow nicht schuldig sind.«[102]

Man beachte den Unterschied in der Wortwahl der Dewey-Kommission und der Thatchers. Es macht einen grundlegenden Unterschied, ob ein Verfahren eine »Verschwörung« (engl. »frame-up«, die Bezeichnung der Dewey-Kommission) oder »ein unzuverlässiger Weg zur Wahrheitsfindung« (Thatchers Bezeichnung) genannt wird. Eine Verschwörung ist ein scheinbar rechtmäßiges Verfahren, bei dem Beweise fabriziert und konstruiert werden, um einen im Voraus festgelegten Schuldspruch herbeizuführen. Sie ist nicht nur »ein unzuverlässiger Weg zur Wahrheitsfindung«. Sie zielt darauf ab, die Wahrheit zu unterdrücken, und benutzt Lügen, um, unter Vortäuschung eines rechtmäßigen Verfahrens, die Inhaftierung oder Hinrichtung einer zu Unrecht angeklagten Person zu erleichtern. Thatcher hätte einfach den Punkt 22 der Dewey-Kommission zitieren können. Stattdessen benutzt er die Worte »ein unzuverlässiger Weg zur Wahrheitsfindung«, um etwas völlig anderes zu sagen als der eine Begriff, den die Kommission fand: »Verschwörung«.[103]

Auch zwischen einem Urteilsspruch »nicht schuldig« (den die Dewey-Kommission bekanntgab) und »nicht bewiesen« (Thatchers Ausdruck) besteht ein elementarer juristischer Unterschied. »Nicht schuldig« lässt die Unschuldsvermutung intakt. »Nicht bewiesen« ist etwas ganz anderes. Dieses Urteil impliziert, dass die Geschworenen von der Unschuld des Angeklagten nicht überzeugt waren, während die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichten. Thatcher, der viele Jahre in Glasgow lebte und lehrte, kennt den Unterschied zwischen »nicht schuldig« und »nicht bewiesen« sehr genau. Zu den Eigenarten des schottischen Rechts zählt, dass es ein Urteil »nicht bewiesen« ermöglicht. Darüber wurden Jahrhunderte lang bedeutende juristische Kontroversen geführt, eben weil durch das sogenannte »dritte Urteil« der Angeklagte mit einem moralischen Makel behaftet bleibt.[104] Man muss schon sehr naiv sein, um anzunehmen, seine Wahl des Terminus »nicht bewiesen« anstelle von »nicht schuldig« sei ein harmloser Irrtum. Thatcher macht sich fraglos einer Fälschung hinsichtlich der Ergebnisse der Dewey-Kommission schuldig.

Welchen Zweck verfolgt diese Fälschung, mag sich der Leser fragen. Und warum sollte man ihr große Bedeutung beimessen? Der Leser sollte sich die Methode Thatchers und Swains vergegenwärtigen, die wir bereits untersucht haben. Da sie sich gegenseitig zitieren und ihre Werke von anderen zitiert werden, gelangt der Virus der Fälschung über eine selbstgefällige akademische Welt heimtückisch in die breite Öffentlichkeit. In obigem Beispiel wird die enorme ursprüngliche Überzeugungskraft, die das Urteil der Dewey-Kommission hatte, verwässert und verfälscht. In dem Maße, wie die Verurteilung der Moskauer Prozesse als Verschwörung und der eindeutige Freispruch Trotzkis und Sedows im geschichtlichen Bewusstsein verblassen, tragen Thatchers Formulierungen, die auch von anderen leichtfertigen Historikern übernommen werden, dazu bei, bereits bewiesene Fakten und die objektive Wahrheit zu untergraben.

Thatchers abschließende Äußerungen zu Trotzkis Rolle in der Geschichte

Nach mehr als 200 Seiten Verzerrungen, Halbwahrheiten und glatten Fälschungen sind wir bei Thatchers abschließender Bewertung Trotzkis angelangt. »Trotzki«, so sagt er seinen Lesern, »war kein großer politischer Führer oder Prophet. Den größten Teil seines politischen Lebens war er in der Opposition und vertrat Ansichten, die nur eine Minderheit teilte.«[105] Darauf sollten seine Leser antworten: »Nun, Herr Professor Thatcher, das ist nicht mehr als Ihre Meinung.« Es ist eine Meinung, die durch keinerlei glaubwürdige wissenschaftliche Arbeit untermauert wird, und es gibt daher keinen Grund für den Leser, sie besonders ernst zu nehmen. Man erinnert sich an Hegels Mahnung: »Was kann unnützer sein, als eine Reihe bloßer Meinungen kennenzulernen – was langweiliger?«[106] Der Ausgangspunkt seiner Meinung – Trotzki sei den größten Teil seines Lebens in der Opposition gewesen – verrät mehr über die Ansichten und den Charakter Thatchers als über den revolutionären Führer, über den er urteilt.

Weiter schreibt er:

Gibt es etwas von bleibendem Wert in Trotzkis Werk, oder waren er und seine Schriften nur für seine Zeit und Erfahrungen wichtig? Die Antwort auf diese Frage hängt mindestens teilweise davon ab, wie man den Marxismus und Trotzkis Format als Marxist beurteilt.

Um mit letzterer Frage zu beginnen, so ist zweifelhaft, ob Trotzki irgendeinen bleibenden Beitrag zum marxistischen Denken geleistet hat. Er hat einige grundlegende Schriften von Marx vielleicht nicht einmal gekannt. In »Verratene Revolution« beispielsweise beharrt Trotzki mehrmals darauf, dass Marx nichts über Russland zu sagen hatte, dass der Meister eine sozialistische Revolution zunächst in den Ländern des fortgeschrittenen Kapitalismus erwartete. Damit ignoriert er Marx’ Interesse an der Frage, ob das »rückständige« Russland den Kapitalismus überspringen und auf direktem Wege auf der Grundlage der Bauernkommune zum Sozialismus gelangen könne.

Marx Antwort darauf, die für Trotzkis Theorie der permanenten Revolution natürlich wichtig ist, findet sich in mehreren seiner Schriften, so auch im Vorwort zur russischen Ausgabe des »Kommunistischen Manifests« von 1881. Darin bejaht Marx diese Möglichkeit. Eine Revolution in Russland könne einen direkten Übergang zum Sozialismus anstreben unter der Voraussetzung, dass sie den Startschuss zu sozialistischen Revolutionen im fortgeschrittenen Westen gebe. Hätte Trotzki diesen und andere Texte gekannt, in denen Marx über den Aufbau des Sozialismus in Russland schrieb, hätte er gewiss einen stärkeren Zusammenhang zwischen seiner Theorie der permanenten Revolution und Marx beansprucht und auch weniger Originalität für seine Konzeption des revolutionären Prozesses in Russland geltend gemacht. Wenn wir annehmen, dass Trotzki nicht von Marx’ Beschäftigung mit Russland wusste, so deutet dies darauf hin, dass Trotzkis Marxismus ein Produkt der russischen Verhältnisse war. (Hervorhebung hinzugefügt.)[107]

In diesem Absatz vereint der Autor gleichermaßen Ignoranz und Unverschämtheit. Derartige Ergüsse hätten vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Dutzenden von stalinistischen Zeitschriften stehen können. Die Behauptung, Trotzki »beharrte darauf, dass Marx nichts über Russland zu sagen hatte«, stellt Trotzkis Position völlig falsch dar. Trotzki erklärte vielmehr genau, weshalb es nicht möglich war, aus einer mechanischen Anwendung von Marx’ historischen Konzeptionen eine Analyse der sowjetischen Gesellschaft abzuleiten.[108] Damit bewies Trotzki nicht sein Unwissen über Marx’ Werk, sondern seine kreative Herangehensweise an den Marxismus. Zentrale Argumente in »Verratene Revolution« gründete er außerdem auf Äußerungen von Marx. Er verwandte, um nur ein Beispiel zu nennen, den Begriff des »allgemeinen Mangels«, den Marx in der »Deutschen Ideologie« verwendet, um die Ursprünge und die soziale Funktion der Bürokratie in der UdSSR als »Gendarm« zu erklären, der die so­ziale Ungleichheit mit dem Polizeiknüppel durchsetzt.

Thatchers Behauptung, Trotzki habe Marx’ Schriften von 1881 über die Aussichten des Sozialismus in Russland nicht gekannt und überdies die Verbindung zwischen seiner eigenen Theorie der permanenten Revolution und Marx’ Schriften nicht verstanden, lässt sich leicht widerlegen. Thatcher hat offensichtlich den Essay »Marxismus und die Beziehung zwischen Proletariat und Bauernrevolution« vom Dezember 1928 nicht gelesen. Trotzki untersuchte eigens die Korrespondenz zwischen Marx und der alten russischen Revolutionärin Wera Sassulitsch aus dem Jahr 1881, in der Marx die theoretischen Fragen bearbeitete, die er in knapper Form im Januar 1882 (nicht 1881, wie Thatcher schreibt) im Vorwort zur russischen Ausgabe des »Kommunistischen Manifests« zusammenfasste. Wie sehr er selbst geistig in der Schuld von Marx stand, dazu schrieb Trotzki in diesem Essay: »Der Gedanke der permanenten Revolution gehörte zu den wichtigsten Gedanken von Marx und Engels.«[109] Thatcher behauptet also am Ende seiner Biografie, Trotzki sei mit wichtigen Schriften von Marx über Russland nicht vertraut gewesen, und es stellt sich heraus, dass diese fantastische Hypothese nur darauf zurückzuführen ist, dass Thatcher seine elementaren intellektuellen Hausaufgaben nicht erledigt hat![110]

Wenn Thatcher sarkastisch die Frage nach der Bedeutung Trotzkis stellt, sollte er uns erklären, weshalb er ein 240-Seiten-Buch geschrieben hat, um seine Bedeutungslosigkeit zu verkünden. Warum hat er zusammen mit seinem früheren Kollegen von der Universität Glasgow James D. White das kurzlebige »Journal of Trotsky Studies« gegründet, dessen Herausgabe das erste größere Anti-Trotzki-Projekt Thatchers war? Warum hat Swain seine 237-Seiten-Biografie geschrieben?

Bemerkenswerterweise hat Thatcher keine Zweifel an der Bedeutung Stalins. Bei einer Besprechung mehrerer Arbeiten über Stalin, die anlässlich des fünfzigsten Todestags des Diktators erschienen waren, verriet er, wo ihn der Schuh drückt, gestand eine gewisse Sehnsucht nach »einer gutartigen Version des Stalinismus« und fügte hinzu: »Stalin übt eine anhaltende Faszination aus und löst immer noch Momente moralischer Unsicherheit aus«.[111] Welche Art von moralischer Unsicherheit, muss man sich fragen, kann vom Handeln eines blutrünstigen Tyrannen ausgelöst werden, der eine ganze Generation von Sozialisten liquidierte, die Prinzipien der Oktoberrevolution verriet und die Entwicklung in Gang setzte, die zur Zerstörung der Sowjetunion führte?

5. Schlussbemerkung

Thatchers und Swains Trotzki-Biografien durchzuarbeiten, war eine unangenehme Erfahrung. Ungeachtet der Länge dieses Aufsatzes konnte ich keinesfalls auf alle Verzerrungen und Verfälschungen in den beiden Büchern eingehen. Eine umfassende Darstellung erforderte nichts weniger als ein eigenes Buch. Diese Besprechung hat aber deutlich gemacht, glaube ich, dass keiner der beiden Biografien ein wissenschaftliches Verdienst zukommt. Noch bleibt aber die Frage: Weshalb wurden diese Bücher geschrieben? Welchen Zweck verfolgen sie? Die Antwort ist meiner Auffassung nach auf dem Feld der Politik zu finden. Obwohl Thatcher gegen Ende seines Buchs zynisch über die Bedeutung Trotzkis spekuliert, glaubt er wohl kaum, dass Trotzki eine so unbedeutende historische Erscheinung ist. Thatchers zwanghaftes Interesse an Trotzki legt vielmehr die Vermutung nahe, dass er im Stillen eine deutlich andere Meinung vertritt. Daran täte er gut, denn die Bedeutung Trotzkis als historische Gestalt ist unlösbar verbunden mit dem komplizierten Verlauf des internationalen Klassenkampfs. Um Trotzkis Bedeutung zu bestimmen, muss man sich einige andere Fragen stellen: Welche Bedeutung hat der So­zialismus? Worin besteht die Bedeutung des Marxismus? Welche Bedeutung hat der Klassenkampf in der modernen Gesellschaft? Hat der Kapitalismus eine neue und dauerhafte Stabilität erlangt? Ist gar die Auffassung einer »Krise des Kapitalismus« historisch überholt? Diese Fragen gilt es sich zu stellen, wenn es um den Platz Trotzkis in der Geschichte geht und um die Bedeutung seiner Ideen in der Welt von heute.

Leo Trotzkis Ideen erscheinen im Lichte objektiver Entwicklungen alles andere als fern. Zum einen haben die Entwicklungen auf technologischem Gebiet und ihre Auswirkungen auf Produktion und Handel eine globale Ökonomie geschaffen, die auf die althergebrachten nationalstaatlichen Strukturen einen gewaltigen Druck ausübt. Und der steile Niedergang der USA und ihrer Position in der Weltwirtschaft macht eine neue Weltordnung, die die zwischenstaatlichen Beziehungen reguliert und globale Stabilität garantieren kann, wenig wahrscheinlich. Die kapitalistische Weltordnung steuert auf einen systemischen Zusammenbruch zu, der in seinem Ausmaß an den Zusammenbruch von 1914–1945 heranreicht.

Die Brüchigkeit der wirtschaftlichen und politischen Weltordnung hat sich durch innere soziale Spannungen zwischen den Klassen deutlich erhöht. Im Verlauf des vergangenen Vierteljahrhunderts sind wir Zeuge des Zusammenbruchs der alten Massenparteien und Organisationen der Arbeiterklasse geworden. Es gibt wohl nirgendwo mehr eine politische Partei auf der Welt, die bei den Massen noch in nennenswertem Maße Glaubwürdigkeit genießt. Die alten kommunistischen und sozialdemokratischen Parteien sind entweder zusammengebrochen (so die allermeisten stalinistischen Organisationen) oder fristen ihr Leben als Organisationen, die nur durch einen völlig korrupten Apparat aufrechterhalten werden. Wenn man sie noch als Organisationen der »Arbeiterklasse« bezeichnet, missbraucht man die historische Bedeutung dieses Begriffs. Sie sind allesamt rechte bürgerliche Parteien, die der Verteidigung des Kapitalismus und den imperialistischen Interessen der transnationalen Konzerne ebenso sehr verpflichtet sind wie die alten traditionell bürgerlichen Parteien.

Die stalinistisch und sozialdemokratisch geprägten reformistischen Organisationen der Arbeiterklasse brechen zusammen, während gleichzeitig die soziale Ungleichheit wächst und sich die Klassengegensätze verschärfen. Den alten Organisationen fehlt es an den politischen Mitteln und der Glaubwürdigkeit, sich die zunehmende soziale Unzufriedenheit zunutze zu machen oder sie so zu kanalisieren, dass sie die Stabilität des kapitalistischen Systems nicht gefährden. Die Zuspitzung der Klassengegensätze wird an irgendeinem Punkt einen intellektuellen und politischen Ausdruck finden. Viele werden nach Alternativen zu den bestehenden Verhältnissen suchen. So wird eine geistige und gesellschaftliche Basis entstehen für ein wieder erwachendes Interesse an der Geschichte der sozialistischen Bewegung, an den revolutionären Kämpfen der Vergangenheit. Es ist unvermeidlich, dass mit dem Entstehen eines derartigen Klimas das Interesse an Leben und Werk Leo Trotzkis wieder erwachen wird. Das geschah während der letzten großen Welle der Radikalisierung von Arbeitern und Studenten. Die politisch nachdenklicheren Teile der Bourgeoisie erkennen diese Gefahr und fürchten sie. Wir leben bekanntermaßen in der Zeit von Präventivkriegen, und diese Bücher sind eine Art Präventivschlag, um zu verhindern, dass der Trotzkismus erneut Einfluss gewinnt. Deshalb geben angesehene Verlagshäuser wie Routledge und Longman Biografien in Auftrag, wie sie von Thatcher und Swain produziert wurden.

Die politische Krise geht mit einer tief greifenden intellektuellen Krise einher. Wie soll man die wohlwollende Aufnahme dieser beiden jämmerlichen Bücher erklären? Das hängt meiner Ansicht nach mit der Vorherrschaft reaktionärer Denkweisen seit mehr als einem Vierteljahrhundert zusammen, Denkweisen, die dem Postmodernismus nahestehen und allein die Auffassung ablehnen, es gebe eine objektive Wahrheit. Im Laufe der Besprechung dieser beiden Biografien habe ich mehrmals E. H. Carr erwähnt, und das tue ich jetzt noch einmal. Vor beinahe einem halben Jahrhundert warnte er vor der Anwendung des Prinzips Nietzsches, das in »Jenseits von Gut und Böse« formuliert wird, auf die Geschichte: »Die Falschheit eines Urteils ist uns noch kein Einwand gegen ein Urteil.«[112] Die heutige Zurückweisung objektiver Wahrheit mit der Begründung, es gehe nur um die innere Stimmigkeit einer Erzählung, die nach ihren eigenen Maßstäben beurteilt werden müsse, steht einer ernsthaften wissenschaftlichen Arbeit, ja sogar dem rationalen Denken überhaupt feindselig gegenüber. Damit wird ein geistiges Klima gefördert, in dem »alles erlaubt ist«, in dem Fälschungen Konjunktur haben, das keinen Protest kennt, wenn Geschichtslügen verbreitet werden.

Und was bedeutet das? Am Anfang dieses Essays ging ich auf die Moskauer Prozesse und Stalins Terror ein. Ich erklärte, dass das, was mit Geschichtsfälschungen begann, im Massenmord endete. Diese Entwicklung wiederholt sich in unserer Zeit. Wer die Bedeutung und die Auswirkungen von Geschichtslügen ermessen will, muss nur an die Lügen denken, die benutzt wurden, um die öffentliche Meinung auf den Krieg gegen den Irak vorzubereiten. »Massenvernichtungswaffen« war eine Lüge, die bereits Hunderttausenden das Leben gekostet hat.

Eine neue Generation steht heute vor gewaltigen und lebensbedrohlichen Problemen. In allen Lebensbereichen ist sie mit Krise und Verfall konfrontiert. Die Zukunft des Planeten selbst steht in Frage, wenn auf die Krise des Weltkapitalismus keine Antwort gefunden wird. Das Studium der Geschichte muss bei der Entdeckung der Antworten, auf die die Menschheit im 21. Jahrhundert angewiesen ist, eine zentrale Rolle spielen. Doch wie kann die Geschichte studiert werden, wenn sie gefälscht ist? Die Arbeiter und Jugendlichen der Welt brauchen Wahrheit, und der Kampf, sie zu entdecken und zu verteidigen, ist die geistige Triebkraft menschlichen Fortschritts.


[1]

»Soviet Repression Statistics: Some Comments«, in: Europe-Asia Studies, Jg. 54, Nr. 7. November 2002; S. 1162, aus dem Englischen.

[2]

Das Material über die Arbeit des Kollegiums ist entnommen aus: Marc Jansen und Nikita Petrov: »Mass Terror and the Court: The Military Collegium of the USSR«, in: Europe-Asia Studies, Jg. 58, Nr. 4. Juni 2006; S. 589–602, aus dem Englischen.

[3]

Ebd. S. 591.

[4]

Ebd.

[5]

Ebd. S. 593.

[6]

Ebd. S. 595.

[7]

Ebd. S. 596.

[8]

Wadim S. Rogowin, 1937 – Jahr des Terrors. Essen 1998; S. 20.

[9]

Trotsky, The Stalin School of Falsification; S. ix.

[10]

Ebd. S. xiii

[11]

So bezeugte beim ersten Moskauer Prozess der Angeklagte Holtzman, er sei 1932 als Kurier nach Kopenhagen geschickt worden, wo er sich im Hotel Bristol mit Trotzkis Sohn Leon Sedow getroffen und von ihm aufrührerische antisowjetische Befehle entgegengenommen habe. Bald stellte sich jedoch heraus, dass das Kopenhagener Hotel Bristol fünfzehn Jahre zuvor, 1917, durch einen Brand zerstört worden war. Das entscheidende konspirative Treffen konnte dort gar nicht stattgefunden haben. Beim zweiten Moskauer Prozess sagte der Altbolschewik und frühere Linksoppositionelle Juri Pjatakow aus, dass er 1935 von Berlin aus, wo er geschäftlich für die Sowjetregierung tätig war, heimlich nach Oslo geflogen sei. Pjatakow behauptete, er sei zu Trotzkis Wohnung gefahren worden. Dort angekommen, so Pjatakow (und er zitierte aus einem Text, den die NKWD-Verhörspezialisten geschrieben hatten), hätte ihn Trotzki in Kenntnis gesetzt, dass er (Trotzki) Verbindungen zu Geheimdiensten des Nazi-Regimes unterhalte. Dann gestand Pjatakow, er selbst habe sich bereit erklärt, sich an Trotzkis anti-sowjetischer Verschwörung im Interesse der Nazis zu beteiligen. Noch vor dem Ende des Prozesses löste sich Pjatakows Zeugenaussage allerdings in Luft auf. Die norwegische Presse berichtete, dass zwischen September 1935 und Mai 1936 kein ausländisches Flugzeug auf dem Flughafen von Oslo gelandet sei! Somit war Pjatakows Geschichte, die für die gesamte stalinistische Verschwörung von zentraler Bedeutung war, als dreiste Fälschung entlarvt.

[12]

E. H. Carr, Socialism in One Country, Bd. 1. Baltimore 1970; S. 152, aus dem Englischen.

[13]

Deutscher, Der unbewaffnete Prophet; S. 7.

[14]

Ebd.

[15]

Irving H. Smith (Hg.), Trotsky. Englewood Cliffs 1973; S. 1, aus dem Englischen.

[16]

Ebd.

[17]

Ebd. S. 1 f.

[18]

Ebd.

[19]

Eine Besprechung in der wissenschaftlichen Zeitschrift »The History Teacher« zeigt deutlich, an wen sich der Band richtet: »Für Lehre und Unterricht sollte diese Ausgabe weite Verbreitung finden. Im Unterschied zu anderen Büchern dieser Reihe überhäuft dieser Band seine Leser nicht mit einer Unzahl von Zitaten aus den philosophischen oder politischen Schriften der dargestellten Personen. Er beschreibt in knapper Form die Erfolge Trotzkis und gibt dem Leser die unterschiedlichen historischen Deutungen seiner Laufbahn an die Hand.

Ein guter Dozent eines Kurses über russische Geschichte sollte in der Lage sein, den Text effektiv einzusetzen, indem er die relativ kurzen ausgewählten Texte als Ausgangspunkt für eine weitere Beschäftigung mit den ausführlichen Ansichten der Autoren nutzt. Wer sich gelegentlich mit der Thematik befasst, den wird die Kürze der Darstellung erfreuen: ganze 170 Seiten. Wichtiger ist natürlich der Nutzen, den die eigentlichen Studenten der russischen Geschichte daraus ziehen können. Angeregt vom Inhalt, doch enttäuscht von der Kürze des Textes, werden sie hoffentlich tiefer in die Originaltagebücher, die Autobiografie und die Biografien über Trotzki eintauchen. Der Erfolg jeden Bands dieser Reihe sollte an der Zahl der Studenten, die eben dies tun, gemessen werden.« (The History Teacher, Jg. 7, Nr. 2, Februar 1974; S. 291 f., aus dem Englischen.)

[20]

Damit nicht genug. Gorbatschow fuhr fort:

»Trotzki und die Trotzkisten leugneten, dass man den Sozialismus in kapitalistischer Umzingelung aufbauen konnte. In der Außenpolitik wollten sie vor allem den Export der Revolution, in der Innenpolitik den Bauern die Daumenschrauben anziehen, die Ausbeutung des Dorfs durch die Stadt, die Gesellschaft mit administrativen Vorschriften und militärischen Befehlen leiten.

»Der Trotzkismus war eine politische Strömung, deren Ideologen sich hinter linker pseudorevolutionärer Rhetorik versteckten, während sie in Wirklichkeit eine defätistische Position einnahmen. Im Wesentlichen stellte dies einen Generalangriff auf den Leninismus dar. Es ging wirklich um die Zukunft des Sozialismus in unserem Land, um das Schicksal der Revolution.

»Unter den gegebenen Umständen war es von größter Bedeutung, den Trotzkismus vor dem gesamten Volk zu widerlegen und seinen antisozialistischen Inhalt aufzudecken. Die Situation wurde noch schwieriger durch den Umstand, dass die Trotzkisten mit der neuen Opposition um Grigori Sinowjew und Leo Kamenew gemeinsame Sache machten. Im Bewusstsein, eine Minderheit zu sein, zettelten die Oppositionellen immer und immer wieder Diskussionen an, in der Hoffnung, die Partei spalten zu können.

»Letztlich aber sprach sich die Partei für die Linie des Zentralkomitees aus und gegen die Opposition, die bald darauf ideologisch und organisatorisch besiegt wurde.

»Kurz, der führende Kern der Partei, unter der Führung Josef Stalins, hatte den Leninismus in einem ideologischen Kampf bewahrt. Er legte die Strategie und Taktik in der anfänglichen Phase des sozialistischen Aufbaus fest, und die Mehrheit der Parteimitglieder und der arbeitenden Bevölkerung hieß diesen Kurs gut. Eine wichtige Rolle beim ideologischen Sieg über den Trotzkismus spielten Nikolai Bucharin, Felix Dserschinski, Sergej Kirow, Grigori Ordschonikidse, Jan Rudsutak und andere.« (The New York Times, 3. November 1987; aus dem Englischen)

[21]

Geoffrey Swain, Trotsky. London 2006; 237 Seiten.

[22]

Ian Thatcher, Trotsky. London 2003; 240 Seiten.

[23]

Geoffrey Swain, Trotsky. S. 1, aus dem Englischen.

[24]

Ian Thatcher, Trotsky. S. i, aus dem Englischen.

[25]

Swain, S. 1.

[26]

Thatcher, S. 15–16.

[27]

Thatcher behauptet, »Deutscher schiebt seinen Akteuren einfach Auffassungen unter, für die es keine Belege gibt«. Er zitiert einen Absatz, der, so Thatcher, »die Meinungsverschiedenheiten unter den Bolschewiki zum Friedensvertrag mit Deutschland mit dem Dilemma verglich, vor dem die Kommune von Paris stand: ob sie einen revolutionären Krieg führen sollte, und wenn ja, gegen wen«. Dann führt Thatcher den Absatz an, gegen den er sich wendet:

Trotzki, der die russische Revolution so oft durch das Prisma der französischen sah, musste sich dieser Analogie bewusst gewesen sein. … Er muss sich selbst in einer Rolle gesehen haben, die unter Umständen an Danton hätte erinnern können, während Lenin eine ähnliche Rolle wie Robespierre spielte. Es war so, als ob sich einen Augenblick lang zwischen ihn und Lenin der Schatten der Guillotine gestellt hätte … Diese Erwägung war in Trotzkis Augen entscheidend. Um das Gespenst der Guillotine zu bannen, opferte er in außerordentlicher Weise Grundsätze und persönliche Ambitionen. (Thatcher, S. 16)

Stellt man das von Thatcher gewählte Zitat dem betreffenden Absatz in Deutschers Biografie gegenüber, zeigt sich sofort, dass der Vorwurf, Deutscher gleite ins Fiktive ab, völlig unangebracht ist. Deutscher stellt klar, dass er zu einer Analogie griff, um eine komplizierte politische Streitfrage zu erhellen. Seine Rekonstruktion dessen, was Trotzki in dieser Situation gedacht haben mochte (sein Dissens mit Lenin in der Frage, ob Sowjetrussland die deutschen Friedensbedingungen in Brest-Litowsk akzeptieren sollte), bewegt sich durchaus im Rahmen der Geschichtsschreibung, vor allem weil Deutscher deutlich machte, dass dieser Rekonstruktion etwas Spekulatives anhafte. Die Passagen, die Thatcher unterschlägt, sind kursiv gekennzeichnet:

Eine gewisse Analogie zu der Situation, die sich wahrscheinlich ergeben haben würde, wenn Trotzki anders gehandelt hätte, lässt sich in dem dreiseitigen Kampf finden, der zwischen der Kommune von Paris, Danton und Robespierre während der französischen Revolution entstand. 1793 trat die Kommune (und Anacharsis Cloots), gleich Bucharin und den linken Kommunisten später, für den Krieg gegen alle antirevolutionären Regierungen Europas ein. Danton befürwortete einen Krieg gegen Preußen und ein Abkommen mit England, wo er mit Fox als Amtsnachfolger Pitts rechnete. Robespierre drängte den Konvent, gegen England zu kämpfen; er war bestrebt, mit Preußen ins reine zu kommen. Danton und Robespierre schlossen sich gegen die Kommune zusammen, entzweiten sich aber, nachdem sie unterdrückt war. Der Streit wurde durch die Guillotine beigelegt.

Trotzki, der die russische Revolution so oft durch das Prisma der französischen sah, musste sich dieser Analogie bewusst gewesen sein. Er mag sich an den bemerkenswerten Brief von Engels an Viktor Adler erinnert haben, in dem alle ›Erschütterungen‹ der Französischen Revolution durch die Wechselfälle des Kriegs und die in ihrem Gefolge auftretenden Streitigkeiten erklärt werden. Er muss sich selbst in einer Rolle gesehen haben, die unter Umständen an Danton hätte erinnern können, während Lenin eine ähnliche Rolle wie Robespierre spielte. Es war so, als ob sich einen Augenblick lang zwischen ihn und Lenin der Schatten der Guillotine gestellt hätte. Das heißt nicht, daß Trotzki bei dem Konflikt, wenn er ausgebrochen wäre, unbedingt, wie Danton, der Verlierer gewesen wäre; oder daß Lenin, gleich Robespierre, Neigungen gezeigt hätte, eine innere Parteistreitigkeit mit Hilfe der Guillotine beizulegen. Hier versagt uns die Analogie ihre Dienste. Es war klar, daß die Kriegspartei, falls sie Oberwasser gehabt hätte, zur Unterdrückung ihrer Gegner gezwungen gewesen wäre – sie hätte sich sonst ihrer Aufgabe nicht entledigen können. Eine friedliche Lösung der Krise war nur unter der Herrschaft der Friedensanhänger möglich, die es sich besser leisten konnten, die Opposition zu tolerieren. Diese Erwägung war in Trotzkis Augen entscheidend. Um das Gespenst der Guillotine zu bannen, opferte er in außerordentlicher Weise Grundsätze und persönliche Ambitionen. (Isaac Deutscher: Der bewaffnete Prophet. Stuttgart 1962; S. 369 f.)

[28]

Swain, S. 1.

[29]

Swain, S. 1 f.

[30]

Professor James White lehrt seit vielen Jahren an der Universität Glasgow und hat Thatcher stark beeinflusst. White hat sich große Mühe gegeben, Stalin zu rehabilitieren und Trotzki zu diskreditieren. In seinem Eifer, Trotzkis Bedeutung herunterzuspielen, scheint es bisweilen, als wolle er sich zum Clown machen, so mit der Behauptung in einem seiner unsäglichen Artikel, den er in seinem kurzlebigen Journal of Trotsky Studies (Mitherausgeber: Ian Thatcher) veröffentlichte, dass in der entscheidenden Nacht des Oktoberaufstands 1917 Trotzki nichts Wichtiges getan habe. »Während also andere Mitglieder des Revolutionären Militärkomitees sich in der einen oder andern Form an den revolutionären Aktionen beteiligten, blieb Trotzki mit Kamenew (der gegen den Aufstand war) zurück, um das Telefon zu bedienen.« (Jg. 1, 1993, S. 18). So beschrieb Professor White das Handeln des wichtigsten Strategen und Führers des Aufstands.

White hat auch immer wieder behauptet, und dabei eine gesicherte historische Tatsache missachtet, die politische Linie Stalins gegenüber der provisorischen Regierung im März 1917 habe sich mehr oder weniger mit jener gedeckt, die Lenin vertrat, als er im April nach Russland zurückkehrte. Zur speziellen Frage der Beziehung Trotzki-Lenin im Jahr 1917 ist seit Langem bekannt, und auch Trotzki berichtet in seiner Biografie aus dem Jahr 1929 darüber, dass es zwischen den beiden wichtigsten Führern der bolschewistischen Partei über die Ausführung des Aufstands unterschiedliche Standpunkte gab. Die Differenzen bezogen sich auf die Taktik, nicht auf die »Vision«.

[32]

Eine Beschäftigung mit Days Argumenten würde eine detaillierte Auseinandersetzung erfordern. Seine These lässt sich nicht auf einen einfachen Satz reduzieren. Day behauptet nirgends, es gebe eine Ähnlichkeit zwischen dem »Sozialismus in einem Land«, wie er in Stalins Programm Ausdruck fand, und Trotzkis Auffassung, dass ein sozialistischer Aufbau in der UdSSR möglich sei, solange dieser Aufbau die Notwendigkeit der Verbindung mit dem Weltmarkt anerkenne und sich auf eine korrekte internationale revolutionäre Politik stütze. Day bezeichnet Stalins Bemühungen zur Verteidigung eines Wirtschaftsnationalismus als »vollkommenen Unsinn«, der in einem demoralisierten politischen Umfeld akzeptiert wurde, »in dem die Partei getäuscht werden wollte«. Es sei Stalin gelungen, durch die »geschickte Anordnung von Zitaten einer Auffassung eine gewisse juristische Raffinesse zu verleihen, die sonst als verachtenswürdiger Schwindel abgetan worden wäre.« Richard B. Day, Leon Trotsky and the Politics of Economic Isolation. Cambridge 1973; S. 100 f. Mit diesem letzten Satz ist Stalins Vorgehensweise wohl treffend beschrieben.

[33]

Dies ist nicht nur meine eigene subjektive Meinung. Nach der Lektüre von Swains verfälschter Darstellung des Themas kontaktierte ich Professor Day in Kanada und machte ihn auf diese Sache aufmerksam. In einer E-Mail vom 13. März 2007 zitierte ich die entscheidende Stelle aus Swains Biografie und fragte Professor Day, ob er davon wisse. Ich fügte hinzu, das Zitat von Swain »kommt mir vor wie eine grobe Verzerrung Ihres Standpunkts in ›Leon Trotsky and the Politics of Economic Isolation‹. Nach meinem Verständnis war für Sie die entscheidende Frage im innerparteilichen Kampf um die Wirtschaftspolitik, ob der Sozialismus in einem isolierten Land aufgebaut werden könne. In dieser entscheidenden Frage war die Position Trotzkis – wie Sie immer wieder betont haben – den Konzeptionen Preobraschenskis, von Stalin ganz zu schweigen, diametral entgegengesetzt.«

Professor Day antwortete mir am gleichen Tag und schrieb: »Sie haben völlig Recht, was meine Auffassung betrifft.« Dann fügte er hinzu: »Es ist ja schon so viel Müll über Trotzki geschrieben worden, und dass Professor Swain diese Müllhalde noch größer macht, finde ich betrüblich. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie irgendjemand über Trotzki sagen kann, er sei nicht durch und durch ›Internationalist‹ gewesen. Eine atemberaubende Fehldeutung der historischen Ereignisse.«

[34]

Swain, S. 2.

[35]

Swain, S. 3.

[36]

Ebd. Dass Swain das Werk von Knei-Paz völlig unberücksichtigt lässt, zeigt, dass er mit seiner Biografie unlautere Absichten verfolgt. Er kann keine sinnvolle Verwendung finden für das Werk von Knei-Paz, das von der Erkenntnis ausgeht, dass Trotzki ein wichtiger politischer Denker und eine bedeutende Erscheinung im europäischen Kulturleben des 20. Jahrhunderts war. Für Knei-Paz war Trotzki nicht nur »der Inbegriff eines Revolutionärs in einem Zeitalter, dem es an revolutionären Persönlichkeiten nicht gemangelt hat«. Trotzkis »Leistungen auf dem Gebiet der Theorie und Ideen sind in vielerlei Hinsicht nicht weniger erstaunlich: Er gehörte zu den Ersten, die die Entstehung von gesellschaftlichen Veränderungen in rückständigen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts analysierten, und er gehörte auch zu den Ersten, die versuchten, die politischen Folgen zu erklären, die sich fast zwangsläufig aus solchen Veränderungen ergaben. Er war sein ganzes Leben lang ein äußerst produktiver Schriftsteller, und der politische Denker in ihm war ebenso ein integraler Bestandteil seiner Persönlichkeit wie der besser bekannte Mann der Tat.«

[37]

Swain, S. 3.

[38]

Trotzki schrieb sehr wohl viele glänzende Essays über die Philosophie des dialektischen Materialismus. Doch Swain schweigt sich darüber aus, und er zeigt auch nicht das geringste Interesse an der philosophischen Methode Trotzkis, die in seinen Schriften zum Ausdruck kommt.

[39]

Benjamin, Schriften, Bd. 6.; S. 432.

[40]

Swain schreibt Trotzki zwar das Verdienst für den Sieg der Roten Armee im Bürgerkrieg zu, bezeichnet und analysiert aber nicht die Aspekte seiner militärischen Führungsrolle, die entscheidend für den Sieg der revolutionären Streitkräfte waren. Dem interessierten Leser, der Trotzkis Entwicklung als Militärtheoretiker und revolutionärer Heerführer ernsthaft studieren will, sei das kluge Werk von Oberst Harold Walter Nelson »Leon Trotsky and the Art of Insurrection« (London, 1988) empfohlen. Militärexperte Nelson (Lehrender am US Army War College) liefert eine durchwegs objektive und professionelle Darstellung von Trotzkis Heranreifen zu einer bedeutenden Figur der Militärgeschichte. Nelson konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen 1905 und 1917, und Trotzki erscheint in seiner Darstellung als »authentischer revolutionärer General, der entscheidende revolutionäre Aktionen leiten und koordinieren kann. Er gelangt zu einem Verständnis der Probleme des bewaffneten Konflikts, welche die Revolution lösen muss, er gewinnt eine Einschätzung der Mittel, die der Revolution zur Lösung der Probleme zur Verfügung stehen, er entwickelt Pläne, diese Mittel optimal zu nutzen, und er erkennt die Faktoren, die die Männer motivieren, die für den revolutionären Sieg kämpfen müssen.« (S. 4, aus dem Englischen)

[41]

Swain, S. 195.

[42]

Swain, S. 160.

[43]

Leo Trotzki, Schriften 3.1, Linke Opposition und IV. Internationale 1923–1926. Hamburg 1997; S. 439.

[44]

Leo Trotzki, »Questions and Answers about the Opposition«, September 1926, in: Leo Trotzki, The Challenge of the Left Opposition 1926–27. New York 1980; S. 106, aus dem Englischen.

[45]

Trotzki, Schriften 3.1.; S. 542 f.

[46]

Swain, S. 152.

[47]

E. H. Carr, The Interregnum. London 1969; S. 313, aus dem Englischen.

[48]

Robert V. Daniels, The Conscience of the Revolution: Communist Opposition in Soviet Russia. New York 1960; S. 223, aus dem Englischen.

[49]

Swain, S. 194.

[50]

E. H. Carr, Twilight of the Comintern. New York 1982; S. 433, aus dem Englischen.

[51]

Thatcher, S. 7 f.

[52]

Robert V. Daniels, The Conscience of the Revolution. S. 244. Eine weitere ausgezeichnete Quelle für eine objektive Darstellung der Auseinandersetzungen, die die »Lehren des Oktober« auslösten, ist E. H. Carr, Socialism in One Country. Bd. 2, Baltimore 1970; S. 11–44.

[53]

Thatcher, S. 35.

[54]

Ebd.

[55]

Thatcher versucht, wie abzusehen war, die Bedeutung der Auflagenzahlen herunterzuspielen, indem er andeutet, dass die Zahl der gedruckten Exemplare höher gewesen sein könnte als die tatsächliche Leserzahl. Das ist natürlich möglich. Doch kann die Leserschaft auch größer gewesen sein als die Auflage, wenn man berücksichtigt, dass die Zeitungen weitergereicht wurden.

[56]

Thatcher, S. 35.

[57]

Ebd.

[58]

Ebd.

[59]

Anatoli Lunatscharski, Profile der Revolution. Frankfurt am Main 1968; S. 50 f.

[60]

Ebd. S. 50.

[61]

Theodor Dan, Der Ursprung des Bolschewismus. Hannover 1968; S. 272.

[62]

Thatcher, S. 125. Trotzki behauptete in Wirklichkeit niemals, persönlich unfehlbar zu sein. Und Thatcher präsentiert auch kein einziges Zitat, wo Trotzki behauptet, dass »nur seine Methoden« funktionieren würden.

[63]

Ebenda, S. 125 f.

[64]

Der Brief vom 19. Oktober 1923 ist in einer Dokumentensammlung enthalten, veröffentlicht in The Struggle for Power: Russia in 1923, herausgegeben und übersetzt von Valentina Vilkova (New York 1996). Thatcher zitiert Vilkova zwar des Öfteren, führt aber ihre Arbeit nicht als Quelle für den Brief vom 19. Oktober an und geht auch nicht auf ihre Einschätzung dieses Dokuments ein. Vilkova schreibt, der Brief vom 19. Oktober sei »eine anschauliche Illustration der Methoden, die die Mehrheit in der Diskussion anwandte. Höchstwahrscheinlich verfasste Stalin das Dokument, da es in Argumentations- und Darstellungsweise der Rede des Generalsekretärs beim Oktober-Plenum des Zentralkomitees entsprach. In dem Brief fanden sich äußerst konstruierte Interpretationen, glatte Lügen und eine verfälschte Darstellung sowohl historischer Tatsachen als auch der Situation in der Partei und im ganzen Land.« (op. cit. S. 28, aus dem Englischen).

[65]

E. H. Carr, The Interregnum. London 1969; S. 307, aus dem Englischen.

[66]

Thatcher, S. 127.

[67]

Richard Gregor (Hrsg.), Resolutions and Decisions of the Communist Party of the Soviet Union. Toronto 1974; S. 221, aus dem Englischen.

[68]

In der Einleitung erhebt Gregor erbitterte Anklage gegen Lenin in einer Sprache, die an die antikommunistischen Ideologen des Kalten Kriegs erinnert. Er behauptet, der Stalinismus sei das logische Ergebnis von Lenins persönlicher Intoleranz und seiner politischen Lehre.

»Lenin war der Lehrer und Stalin der Schüler, der das Erbe seines Meisters zu seinem logischen Ergebnis führte. Die Seiten der Geschichte quellen über von Berichten über Grausamkeiten, die im Namen hehrer Prinzipien begangen wurden. Die beiden bolschewistischen Führer bildeten keine Ausnahme. Es mag schwer zu akzeptieren sein, doch beide wollten, auf ihre Weise, dem aus ihrer Sicht vornehmsten Anliegen dienen; und hier begegnet man einer Ironie der Geschichte, denn es gibt keine gefährlicheren und rücksichtsloseren Menschen als die, die ›wissen‹, wie man die Menschheit rettet.« (S. 38)

[69]

Thatcher, S. 128.

[70]

In einem maßgeblichen Abschnitt sagt Trotzki: »Bei den Engländern gibt es ein historisches Sprichwort: ›Right or wrong – my country.‹ Mit weit größerem historischen Recht können wir sagen: Ob sie recht oder ob sie in Detailfragen in bestimmten Momenten unrecht hat – es ist meine Partei. Und wenn ich hier, nach Meinung einiger Genossen, überflüssige Mahnungen ausgesprochen habe, wenn ich hier, nach Meinung anderer Genossen, grundlos Gefahren beschworen habe, so glaube ich doch, dass ich nur meine Pflicht als Mitglied der Partei erfülle, wenn ich meine Partei vor dem warne, was ich für eine Gefahr halte.« Die ganze Rede Trotzkis ist erschienen in: Trotzki, Schriften 3.1; S. 352–369.

[71]

Wladimir I. Lenin, Werke Bd. 36. Berlin 1972; S. 595.

[72]

Ebd. 594 f.

[73]

Ebd. 596.

[74]

Thatcher, S. 131.

[75]

Robert Service, Lenin. A Political Life. Bd. 3, Bloomington und Indianapolis 1995; S. 273 f., aus dem Englischen.

[76]

Ebd. S. 285.

[77]

Thatcher, S. 135.

[78]

Ebd. S. 137.

[79]

Professor S. A. Smith von der Universität Essex erklärt dies sehr gut: »Ab den 1880er-Jahren entstand eine Schicht ›bewusster‹ Arbeiter, die sich gegen die allgemeine Armut und Erniedrigung erhoben und bemüht waren, sich durch Bildung weiterzuentwickeln. Ihr Vorbild war die radikale Intelligenz, und sie identifizierten sich mit dem Ideal kul’turnost, für das die Intelligenz stand. Dieser Begriff von ›Kultiviertheit‹ verband die Vorstellung von der Entwicklung des Individuums mit dem Nachdenken über die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt. Zum einen bezeichnete er innere Veredelung im Sinne geistiger Entwicklung, Verfeinerung der Verhaltensweisen und moralischer Entwicklung, kurz: die Formung eines Selbst, das der angeborenen Würde des Menschen entspricht und bei anderen Respekt hervorruft. Gleichzeitig war kul’turnost eine soziologische Kategorie zur Bewertung des Zivilisationsgrads, den eine gegebene Gesellschaft im Hinblick auf bestimmte Entwicklungskriterien erreicht hatte. In dieser Hinsicht zeichnete sich Russland gerade durch seinen Mangel an kul’turnost aus und wurde wahrgenommen als der ›asiatischen‹ Barbarei näherstehend denn der westeuropäischen Zivilisation.«

Smith fährt fort: »Für ›bewusste‹ Arbeiter gehörte es wesentlich zu kul’turnost, nicht zu fluchen. Wie die Intelligenz sahen sie in der Allgegenwärtigkeit des Fluchens ein typisches Merkmal des Kulturmangels, der die russische Gesellschaft versklavte. Auf individuellem Niveau war Fluchen ein Zeichen von zu gering entwickelter lichnost, dem inneren Sinn für persönliche Würde und Wert als menschliches Wesen, und ein Ausdruck mangelnder Achtung für andere. Seine Sprache (und Emotionen) steuern zu lernen, wurde als wichtiger Schritt verstanden, um die geistige und moralische Eigenaktivität zu erlangen, die das Wesen von kul’turnost ausmachte. Im weiteren Sinne zeigte die Fähigkeit, Sprache zu steuern, die Möglichkeiten eines Individuums, weite Bereiche des Arbeitslebens und schließlich die ganze Gesellschaft zu leiten. Auf gesellschaftlicher Ebene rief die weite Verbreitung von mat [des Fluchens] unter Arbeitern im Verständnis der bewussten Minderheit auf bedrückende Weise die politische Rückständigkeit der Arbeiterklasse in Erinnerung.« (S. A. Smith, »The Social Meanings of Swearing: Workers and Bad Language in Late Imperial and Early Soviet Russia«, in: Past and Present, Nr. 160, August 1998; S. 177 ff., aus dem Englischen.)

[80]

Professor Smith schreibt. »Während der Herrschaft Stalins wurde das Fluchen bei dem neuen Typ Beamter akzeptiert.«

[81]

Thatcher, S. 137.

[82]

Ebd.

[83]

Ebd. S. 138.

[84]

Thatcher gibt uns keinen Hinweis, wer diese Kandidatin hätte sein können. Um auch diesen Punkt wenigstens kurz zu beantworten, möchte ich einen kurzen Passus aus Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin von Alexandra Kollontai zitieren, die ein führendes Mitglied der bolschewistischen Partei war. Nach der Revolution übernahm sie die Leitung der Frauenzentrale. In diesem Zusammenhang schrieb sie: »Das Gesetz über die Unstrafbarkeit der Abtreibung wurde durchgeführt und eine Anzahl von Bestimmungen zugunsten der Frauen von unserer Zentrale eingebracht und gesetzlich bestätigt … Unsere Arbeit fand die volle Unterstützung von Lenin, und der von wichtigen militärischen Aufgaben überlastete Trotzki erschien willig auf unseren Konferenzen.« (München 1970; S. 59) Diese Bemerkung stammt aus dem Jahr 1926. Zu dieser Zeit war es schon nicht mehr angeraten, Trotzki positiv hervorzuheben. Dieser Umstand verleiht Kollontais Worten höchsten Wert.

[85]

Thatcher, S. 151 f.

[86]

Thatcher, S. 156.

[87]

Thatcher, S. 179 ff.

[88]

Kein ernst zu nehmender zeitgenössischer Historiker vertritt die These, Hitlers Sieg sei in jeder Hinsicht unvermeidlich gewesen. Genauer gesagt, wird bis heute allgemein hervorgehoben, wie sehr Hitlers Aufstieg zur Macht an bestimmte Bedingungen geknüpft war. So schreibt Ian Kershaw, Autor einer vielbeachteten zweibändigen Hitler-Biografie: »Hitlers Machtübernahme war keinesfalls unvermeidlich, war kein Naturereignis. Wenn Hindenburg Schleicher den Auflösungserlass gewährt hätte, wie er es im Falle Papens bereitwillig getan hatte, und die Neuwahlen über die verfassungskonforme Sechzig-Tage-Frist hinaus verschoben hätte, wäre es möglich gewesen, einen Kanzler Hitler zu vermeiden. Da die wirtschaftliche Trendwende ebenso bevorstand wie ein Zusammenbruch der NS-Bewegung, falls diese nicht bald die Macht übernahm, hätte die Zukunft sogar unter einem autoritären Kabinett ganz anders ausgesehen. Sogar als das künftige Kabinett am 30. Januar um elf Uhr über den Streitigkeiten zwischen Hitler und Hugenberg den Präsidenten warten ließ, hätte die Kanzlerschaft Hitlers noch platzen können. Die Geschichte vom Aufstieg nach bescheidenen Anfängen, der über einen ›Triumph des Willens‹ im Griff nach der Macht gipfelte, war der Stoff, aus dem die nationalsozialistische Legende gewebt wurde. Tatsächlich spielten bei Hitlers Weg ins Kanzleramt politische Fehlkalkulationen derer, die regelmäßig Zugang zu den Vorhöfen der Macht hatten, eine größere Rolle als persönliche Aktionen des NS-Führers.« (Ian Kershaw, Hitler.1889–1936. Stuttgart 1998; S. 524 f.)

[89]

Thatcher, S. 203.

[90]

Carr schrieb, dass »der siebte Kongress den tieferen Trend ans Tageslicht brachte, der für den aufmerksamen Kritiker schon lange sichtbar war, die Ziele der Komintern mit der Politik der UdSSR gleichzusetzen; und nach dem paradoxen Erfolg des Kongresses schien die Komintern keine reale Bedeutung mehr zu haben. Bezeichnenderweise wurde kein weiterer Kongress und keine weitere wichtige Sitzung des EKKI (Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale) mehr einberufen. Die Komintern erfüllte weiterhin untergeordnete Funktionen, während die Aufmerksamkeit des Publikums in eine andere Richtung gelenkt wurde. Trotzkis Urteil, dass der siebte Kongress der Komintern als ›Kongress der Auflösung‹ in die Geschichte eingehen würde, war nicht ganz ungerechtfertigt. Der siebte Kongress wies den Weg zum dénouement im Jahr 1943 [der formalen Auflösung der Komintern 1943].« (E. H. Carr, Twilight of the Comintern, 1930–35. New York 1982; S. 427, aus dem Englischen).

[91]

Thatcher, S. 204.

[92]

»The Comintern and the GPU« ist in Trotzkis Buch Stalin’s Gangsters enthalten (London 1977). Der verstorbene Harold Robins (1908–1987), Leiter der Wachmannschaft Trotzkis in Coyoacán von 1939–1940, teilte dem Verlag mit, dass Trotzki diesen Titel für eine Artikelsammlung über die Aktivitäten der GPU vorgeschlagen hatte.

[93]

Thatcher, S. 206.

[94]

Leo Trotzki, Schriften 1.1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur 1929–1936. Hamburg 1988; S. 536.

[95]

Thatcher, S. 234.

[96]

Der Artikel, auf den sich Thatcher bezieht, heißt »Stalin in June 1941: A Comment on Cynthia Roberts«, von Steven J. Main, in: Europe-Asia Studies, Jg. 48, Nr. 5, Juli 1996; S. 837–39. Professor Mains Kommentar war eine Erwiderung auf Cynthia Roberts’ »Planning for War: The Red Army and the Catastrophe of 1941« in: Europe-Asia Studies, Jg. 47, Nr. 8, Dezember 1995; S. 1293–1326.

[97]

Es gehört zu Thatchers bevorzugten rhetorischen Tricks, eine äußerst kontrovers diskutierte historische Frage als erledigt zu erklären. Er macht einen Artikel ausfindig, der seine Meinung stützt, und verkündet dann, dieser Artikel sei »überzeugend«. Natürlich sind viele Fachleute weiterhin nicht überzeugt. Zu Stalins Verantwortung für die Katastrophe von 1941 schreibt beispielsweise David E. Murphy: »Stalins persönliche Verantwortung für die kolossalen Verluste, insbesondere in den ersten tragischen Monaten des Kriegs, kann nicht verniedlicht oder geleugnet werden« (David E. Murphy, What Stalin Knew: The Enigma of Barbarossa. New Haven und London 2005; S. 247, aus dem Englischen).

[98]

Leo Trotzki, »Anti-Semitic Devices«; 30. Januar 1937, in: Writings of Leon Trotsky (1936–37). New York 1978; S. 177, aus dem Englischen.

[99]

Ein Biograf wäre durchaus berechtigt, die kulturellen, psychologischen und politischen Aspekte der jüdischen Herkunft Trotzkis zu erkunden. Einige Biografen haben dies früher bereits versucht, wenn auch nicht sehr erfolgreich. Doch Thatcher bekundet kein besonderes Interesse an dieser Frage, und gerade das macht seine plumpen und faktisch falschen Verweise auf »die Bronsteins« besonders merkwürdig und verdächtig.

[100]

Thatcher, S. 197.

[101]

Ebd.

[102]

John Dewey (Jo Ann Boydston, Hg.), Collected Works, Bd. 11, 1935–1937. Carbondale 1991; S. 323, aus dem Englischen.

[103]

Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der Untersuchung bemerkte John Dewey: »Die Mitglieder der Kommission waren ausnahmslos entsetzt über den völlig verleumderischen Charakter des gesamten Moskauer Prozesses, der zugleich fragwürdig und bösartig ist.« (Ebd. S. 324)

[104]

Der Romancier Sir Walter Scott verurteilte es treffend als »Bastard-Urteil«.

[105]

Thatcher, S. 224.

[106]

G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I. Berlin 1984; S. 19.

[107]

Thatcher, S. 215.

[108]

In einem einschlägigen Absatz schreibt Trotzki Folgendes: »Übrigens erwartete Marx, die sozialistische Revolution würde von den Franzosen begonnen, von den Deutschen fortgesetzt und von den Engländern abgeschlossen werden; was die Russen betrifft, so blieben sie weit in der Nachhut zurück. Doch in Wirklichkeit kam es umgekehrt. Wer heute Marx’ universal-historische Konzeption mechanisch auf den Sonderfall der UdSSR in ihrer gegenwärtigen Entwicklungsstufe anzuwenden versucht, wird sich bald in unentwirrbare Widersprüche verstricken.« (Leo Trotzki, Verratene Revolution. Essen 2009; S. 92).

[109]

Leon Trotsky, The Challenge of the Left Opposition 1928–1929. New York 1981; S. 349, aus dem Englischen.

[110]

Thatcher hat auch die Rede Trotzkis vom 14. November 1922 auf dem vierten Kongress der Kommunistischen Internationale übersehen. Trotzki sprach unmittelbar zu Marx’ Spekulation über die Möglichkeit eines Übergangs zum Sozialismus auf der Grundlage von Bauernkommunen. Er sagte: »1883 äußerte Marx in einem Brief an Nicholas Danielson, einen der Theoretiker der russischen Volkstümler (Narodniki), sollte das Proletariat in Europa die Macht ergreifen, ehe die Geschichte die russische Obschina (dörfliche landwirtschaftliche Kommune) völlig zerstört haben würde, dann könnte sogar diese Obschina zu einem der Ausgangspunkte einer kommunistischen Entwicklung werden. Und Marx hatte damit absolut recht.« (»Die Neue Ökonomische Politik und die Weltrevolution«, in: The First Five Years of the Communist International, Bd. 2. London 1974; S. 230, aus dem Englischen)

[111]

Ian Thatcher, »Stalin and Stalinism: A Review Article«, in: Europe-Asia Studies, Jg. 56, Nr. 6, September 2004; S. 918, aus dem Englischen.

[112]

Friedrich Nietzsche, »Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft«, in: Werke, Bd. 2. Stuttgart 1938; S. 4.