WSWS-Chronologie

Das Jahr im Rückblick: 2005

Das Jahr 2005 war dominiert von zwei großen Naturkatastrophen, die das Versagen des Weltkapitalismus zeigten: Zum Einen das Seebeben und der Tsunami im Indischen Ozean, der in Indonesien, Thailand, Sri Lanka und Indien  schwere Schäden anrichtete und fast 300.000 Tote forderte; zum Anderen Hurrikan Katrina, der über die Golfküste der USA zog, New Orleans unter Wasser setzte und mehr als 1800 Tote forderte. Er zeigte außerdem, dass die arbeitende Bevölkerung im reichsten Land der Welt kaum sicherer war als in den ärmsten Ländern.

Scrollen für mehr

Das Seebeben und der Tsunami im Indischen Ozean und Hurrikan Katrina in den USA gehörten zu den größten Naturkatastrophen der Geschichte, aber hinter der Zerstörung und den Opferzahlen steckten nicht nur blinde Naturgewalten. Die World Socialist Web Site erklärte in ihrer Berichterstattung über die Katastrophen, dass soziale Faktoren eine zentrale Rolle bei dem Ausmaß der Zerstörung spielten.

Vor allem war die von Menschen erzeugte Armut ein Grund für die hohen Opferzahlen. Die Menschen, die an den Küsten des Indischen Ozeans und der amerikanischen Golfküste leben, haben gelitten und ihr Leben verloren, weil sie arm waren.

Wissenschaftler und Ingenieure hatten immer wieder gewarnt, aber die herrschenden Klassen haben nichts unternommen und die Bevölkerung unvorbereitet gelassen. Nach den Katastrophen reagierten die Behörden mit einer Mischung aus Inkompetenz und Nachlässigkeit.

Hurrikan Katrina hat vor allem die Gleichgültigkeit der Bush-Regierung gegenüber dem Schicksal hunderttausender Amerikaner aus der Arbeiterklasse gezeigt, die sich unauslöschlich in dem Foto manifestierte, das Bush am Fenster der Air Force One, auf New Orleans hinunterschauend, zeigt. Das hatte tiefe politische Auswirkungen, sowohl in den USA als auch weltweit, angesichts der Tatsache, dass die US-Regierung im Irak, in Afghanistan und anderen Ländern angeblich Kriege führt, um das amerikanische Volk vor einer terroristischen Bedrohung zu schützen. 

Ein Dorf nahe der Küste von Sumatra wurde durch den Tsunami im Indischen Ozean zerstört.
Das Seebeben und der Tsunami im Indischen Ozean

Das Seebeben, das im Indischen Ozean einen Tsunami auslöste, ereignete sich am 26. Dezember 2004, aber es dauerte Tage zu erfassen, wie groß das Ereignis und der Schaden, den es verursachte, waren. Das Beben war mit 9,1 bis 9,3 auf der Richter-Skala das drittstärkste jemals aufgezeichnete; das Epizentrum lag westlich der indonesischen Insel Sumatra.

Indonesien war am stärksten betroffen, am zweitstärksten Sri Lanka und am dritt- und viertstärksten Indien und Thailand. In vierzehn Staaten am Indischen Ozean starben fast 300.000 Menschen durch Überschwemmungen und Zerstörungen, das Wasser stieg in einigen Küstenregionen um bis zu zehn Meter.

Die WSWS berichtete vor Ort, als die Menschen der Region begannen, Überlebende zu retten und die Toten zu bergen. Vor allem in Sri Lanka reisten Mitglieder der Socialist Equality Party in die südlichen und östlichen Regionen und berichteten über die Anstrengungen von tausenden von Freiwilligen, darunter vielen Arbeitern aus dem Gesundheitswesen. Auch aus Südindien gab es Vorort-Berichte.

Die Reaktion der Arbeiter auf das Leid anderer Arbeiter war erstaunlich. Die Tragödie überwand religiöse und ethnische Differenzen ebenso wie Landesgrenzen. Einer der Reporter aus Sri Lanka schrieb:

Wir sahen Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, mit Schaufeln, Spaten und anderen Werkzeugen nach Osten ziehen. Sie gehen auf eigene Initiative dorthin, um bei der Beseitigung der Trümmer zu helfen, die Häuser zu säubern und den Familien wieder auf die Beine zu helfen.

Die Krise vermittelte unter der arbeitenden Bevölkerung schnell die elementare Erkenntnis, dass sie unabhängig von Sprache und Religion vor denselben Problemen steht. Einer der Interviewten fasste es so zusammen: „Unglaublich viele verschiedene Menschen wurden plötzlich ins Elend gestürzt. In solchen Zeiten ist nicht der Moment, um nach Ethnie oder Nationalität zu unterscheiden. Wir sind alle Menschen.“

Im Gegensatz zu der großherzigen Reaktion der einfachen Menschen auf der ganzen Welt, die unabhängig von ethnischen und religiösen Unterschieden handelten, reagierten die Regierungen entweder mit Apathie und Gleichgültigkeit oder versuchten, die Katastrophe für ihre eigenen Interessen auszunutzen. In Sri Lanka setzte Präsidentin Chandrika Kumaratunga in zwölf der zweiundzwanzig Provinzen des Landes Militärregierungen ein.

In Indonesien versuchte das Militär, das Chaos nach dem Seebeben und der Flutwelle für eine Offensive gegen separatistische Rebellen in der Provinz Aceh im Norden Sumatras auszunutzen. In Thailand gab die Regierung des Milliardärs Thaksin Shinawatra der lukrativen Tourismusindustrie den Vorzug und vernachlässigte arme Fischerdörfer. Die indische Regierung blockierte Hilfslieferungen an die niedrig liegenden Andamanen und Nikobaren, auf denen 80 Prozent der Bevölkerung obdachlos wurden, um ihre Stellung als vorherrschende Macht in der Region zu zeigen.

Die imperialistischen Mächte boten nur in geringem Umfang Hilfe an, und diese war noch an außenpolitische und propagandistische Erwägungen geknüpft statt an menschliche Solidarität. US-Außenminister Colin Powell drückte die Hoffnung aus, dass der Einsatz amerikanischer Militärkräfte in einer überwiegend von Moslems bewohnten Region „diese Sümpfe der Unzufriedenheit“ austrocknen würde, „die zu vermehrten terroristischen Aktivitäten führen könnten.“

Die australische Regierung des rechten Premierministers John Howard leistete Unterstützung durch einen bilateralen Pakt mit dem indonesischen Regime des Ex-Generals Yudhoyono. Das Abkommen sah vor, dass das meiste Geld an australische Konzerne ging.

Der Vorsitzende der Redaktion der WSWS, David North, hielt auf einer nationalen Mitgliederversammlung in Ann Arbor, Michigan, vom 8. bis 9. Januar eine Rede mit dem Titel „Marxismus, Internationales Komitee und wissenschaftliche Perspektiven - Eine historische Analyse der Krise des US-Imperialismus“, in der er auf die weltweite Anteilnahme mit den Opfern der Tragödie hinwies.

Doch wie sehr unterschieden sich die widerwilligen, heuchlerischen und formalen Betroffenheitserklärungen der Führer des amerikanischen und britischen Imperialismus von diesen Bekundungen wirklicher Trauer! Weder Bush noch Blair waren in der Lage, ihre Besorgnis über das Schicksal der Millionen Menschen, deren Lebensgrundlage durch die Katastrophe vernichtet wurde, in glaubhafter Weise zum Ausdruck zu bringen.

Über das Gerede der Medien über die „Unvorhersehbarkeit der zerstörerischen Kraft der Natur,“ die sich angeblich durch die Katastrophe gezeigt hatte, erklärte North:

Die Auswirkungen des Tsunami enthüllen auf anschauliche Weise den irrationalen Charakter des Kapitalismus, seine Unfähigkeit, die Produktivkräfte in einer Weise zu entwickeln, die zum Ansteigen des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten führt. Die Medien schwärmen vom "asiatischen Wunder", aber das Kapital, das während des letzten Jahrzehnts in die Region geflossen ist, kommt nur kleinen, privilegierten Eliten zugute. Hunderte Millionen leben in asiatischen Elendssiedlungen, die selbst unter den günstigsten klimatischen Bedingungen kaum Schutz vor den Elementen bieten.

Die Katastrophe wurde noch dadurch verschlimmert, dass es im Indischen Ozean im Gegensatz zum Pazifik kein Frühwarnsystem für Tsunamis gab, wo es dies seit 40 Jahres gibt. Dass ein solches System notwendig ist, war allgemein bekannt. Die WSWS schrieb: „Die Kosten für ein Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean sind, angesichts der Riesenprofite, die amerikanische, europäische und japanische Unternehmen durch die Ausbeutung der billigen Arbeitskräfte der Region angehäuft haben, gering.“

Die WSWS und die srilankische und die australische SEP hielten öffentliche Versammlungen zu den Ursachen und Folgen des Tsunami und den politischen Fragen ab, die sich daraus ergaben. Diese Treffen fanden großen Anklang und zeigten eine wichtige Reaktion auf die Analyse der WSWS.

Einer der Teilnehmer an dem Treffen in Colombo erklärte: „Ich habe nach einer echten Analyse der Tsunami-Katastrophe und einem wissenschaftlichen Programm gesucht, um solche Tragödien zu verhindern. Ich glaube nicht an die Programme zur ‚nationalen Einheit‘ und zum ‚Wiederaufbau der Nation,‘ die die Herrscher propagieren. Deshalb bin ich hierher gekommen, um einen neuen Weg zu finden.“

Der Tsunami im Indischen Ozean erreicht das thailändische Festland.
Hurrikan Katrina und die Golfküste

Hurrikan Katrina entstand ursprünglich am 23. August 2005 über den Bahamas. Als er den Süden Floridas erreichte, wo er für mehrere Tote und Überschwemmungen sorgte, war er ein Hurrikan der Stufe 1. Über den warmen Gewässern des Golfs von Mexiko verstärkte er seine Kraft, und als Katrina am Montagmorgen, dem 29. August, im Südosten von Louisiana und dem Küstengebiet von Mississippi und Alabama  auf das Festland traf, hatte er sich zum sechststärksten Hurrikan der Geschichte Amerikas aufgebaut. 

Der Sturm forderte mehr als 1800 Todesopfer, vor allem in New Orleans, wo die Dämme brachen und ein Großteil der Stadt überschwemmt wurde. Tagelang wurden verzweifelte Einwohner, die nicht rechtzeitig flüchten konnten – hauptsächliche alte Menschen und Arme, die kein Auto hatten – von Dächern gerettet oder mussten unter entsetzlichen Bedingungen im Superdome und dem Konferenzzentrum in der Innenstadt überleben.

Die WSWS erklärte, dass die Todesopfer und die Verwüstungen, unter denen die Bevölkerung litt, das Ergebnis der heruntergekommenen Infrastruktur des amerikanischen Kapitalismus und der Gleichgültigkeit und offenen Feindschaft der herrschenden Klasse gegenüber dem Leid der Beteiligten waren. Am 5. September erschien eine Stellungnahme, in der die Redaktion erklärte, dass Katrina ein entscheidender Wendepunkt in der amerikanischen Politik war.

Die Hurrikankatastrophe in New Orleans und an der Golfküste Mississippis hat sich zu einer historisch beispiellosen Demütigung der Vereinigten Staaten entwickelt.

Die Szenen massiven menschlichen Leidens, der Hoffnungslosigkeit, des Elends und der Verwahrlosung inmitten der Trümmer des einstigen New Orleans führen der gesamten Welt und vor allem der geschockten amerikanischen Öffentlichkeit die innere Fäulnis des amerikanischen Kapitalismus vor Augen.

Die Berichterstattung der WSWS umfasste Berichte über das brutale Vorgehen der lokalen Behörden und der Polizei, sowie Augenzeugenberichte mit Interviews und Fotos von Einwohnern von New Orleans und anderen betroffenen Gebieten. Die Berichterstattung umfasste auch einen Dialog mit Lesern, darunter Briefe von Anwohnern, die in dem Chaos gefangen waren, und Kommentare erschütterter Menschen aus der ganzen Welt.

Die WSWS veröffentlichte von Ende August bis Ende Dezember 60 Artikel und Kommentare über die gesellschaftlichen Ursachen der Katastrophe. Jahrzehntelange Deregulierung, Privatisierung und die Zerschlagung der öffentlichen Behörden und Programme vergrößerten die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Sturms.

Eine Woche nach der Katastrophe erklärte die WSWS in einer Stellungnahme der Redaktion zu den grundlegenden sozialen Widersprüche des kapitalistischen Systems, die die Katastrophe offen gelegt hatte: 

Die arbeitende Bevölkerung sorgt dafür, dass die gesellschaftliche Infrastruktur am Laufen bleibt, aber sie hat keine Entscheidungsbefugnis. Diese gesellschaftlichen Versorgungsleistungen befinden sich fast durchwegs im Besitz und unter Kontrolle der größten Konzerne, für die der Profit, nicht die menschlichen Bedürfnisse, an erster Stelle steht. Die Anlagen, für die der Staat auf verschiedenen Ebenen verantwortlich ist – zu denen zum Beispiel das Deich- und Kanalsystem gehört, das New Orleans umgibt – sind ebenfalls den Profitinteressen unterworfen, weil die Reichen das gesamte politische Leben Amerikas kontrollieren.

Am 15. September erschien eine zweite Stellungnahme der Redaktion, die sich mit den Mitteln befasste, die notwendig waren, um New Orleans wieder aufzubauen. Sie erklärte, diese könnten leicht aus dem Reichtum der herrschenden Elite gewonnen werden. Dafür sei jedoch eine neue Perspektive der Arbeiterklasse notwendig, die auf der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft beruht:

Vor allem zeigt der Wiederaufbau von New Orleans und der Golfküste die Notwendigkeit für eine gesellschaftliche Planung, die mit einer Bestandsaufnahme der verfügbaren materiellen Mittel beginnen muss: Land, Wasser, Bodenschätze, Arbeitskräfte und Ausrüstungen. Diese Planung muss demokratisch unter der vollen Beteiligung der arbeitenden Menschen vor sich gehen, die in der Region leben und im Zentrum der Wiederaufbauarbeit stehen werden. Die Anarchie des Marktes und die Profitinteressen der amerikanischen Wirtschaft müssen den Bedürfnissen der Menschen untergeordnet werden.

Die Bush-Regierung reagierte mit einer Mischung aus Klassendünkel, Dummheit und Gleichgültigkeit. Sie ignorierte die Opfer des Sturms, verweigerte ihnen Hilfe, gab ihnen die Schuld oder versuchte, sie auszunutzen. Als Bush endlich nach New Orleans reiste, um eine Rede an die Nation zu halten, wies die WSWS auf die Nervosität der herrschenden Elite und ihre Angst hin, dass Katrina zu einem Schlüsselereignis werden könnte, das den Widerstand der Bevölkerung gegen das politische und soziale System antreibt.

Die politischen Folgen zeigten sich nicht nur in den USA, sondern weltweit. Nach der dritten großen Naturkatastrophe des Jahres, einem Erdbeben in Kaschmir, das 20.000 Todesopfer forderte, erklärte der nationale Sekretär der srilankischen SEP und damalige Präsidentschaftskandidat, Wije Dias:

Die Haltung der herrschenden Klasse Amerikas gegenüber der arbeitenden Bevölkerung von New Orleans war die gleiche wie gegenüber den Opfern des Tsunamis in Asien und des Erdbebens in Kaschmir. Bush war im August genauso wenig bereit, seine Urlaubspläne für amerikanische Arbeiter zu ändern, wie er im Dezember 2004 bereit war, sie für arme Dorfbewohner in Südasien zu ändern. Vor, während und nach dem Hurrikan war das Leitprinzip bei der Reaktion der Bush-Regierung der Schutz der Interessen der Wirtschaftselite.

New Orleans unter Wasser nach dem Hurrikan Katrina
Ein Satellitenbild von Hurrikan Katrina über dem Golf von Mexiko
Unruhen im Nahen Osten

Im Lauf des Jahres 2005 zeigten sich die Folgen der amerikanischen Invasion und Besetzung des Irak in der wachsenden Krise und den politischen Turbulenzen im ganzen Nahen Osten und Zentralasien, unter anderem im Libanon, in Gaza, im Iran und in Usbekistan.

Zum dritten Jahrestag des Beginns des Irakkriegs schrieb die WSWS in einer Stellungnahme der Redaktion:

Der kriminelle Charakter der Invasion durchdringt wie ein Krebsgeschwür jede Facette der US-Operation im Irak. Alle Verbrechen, die in Verbindung mit den Kolonialkriegen in Nahost, Afrika, Asien und andern unterdrückten Weltregionen begangen wurden, werden hier in großem Maßstab wiederholt.

Es wurde immer schwieriger, die Brutalität des Krieges zu verheimlichen. Im Lauf des Jahres 2005 kamen immer wieder Berichte an die Öffentlichkeit, wie im November des vergangenen Jahres die Stadt Falludscha zerstört worden war. Dabei kam auch Weißer Phosphor zum Einsatz, der durch die Genfer Konvention und andere Verträge verboten ist.

Die Barbarei in Falludscha war kein isolierter Vorfall. Es gab zahlreiche Berichte über Massaker an Zivilisten durch US-Truppen. Mindestens zwei weitere Städte wurden systematisch zerstört: Tal Afar im September und Husaybah im November.

Eine Untersuchung der Verbrechen der amerikanischen Besatzungsmacht waren nicht ungefährlich. Scharfschützen des amerikanischen Militärs erschossen immer öfter Reporter. Im September tötete ein amerikanischer Scharfschütze einen Tontechniker von Reuters. Das war der achtzehnte Medienbeschäftigte, der nachweislich von US-Truppen getötet worden war.

In anderen Fällen wurden die Opfer von irakischen Todesschwadronen getötet, die die USA nach dem Vorbild von El Salvador organisierten. Beispielsweise erstickten im Juli zehn Männer in einem Lastwagen, in dem Temperaturen von 50 Grad herrschten.

Im Sommer und Herbst 2005 wurde der Schauprozess gegen Saddam Hussein vorbereitet. In der Zeit wurden zwei seiner Verteidiger von Todesschwadronen ermordet. Die WSWS schrieb vor dem Prozess:

Zweifellos hat sich Saddam Hussein vieler Verbrechen schuldig gemacht. Aber wenn er für den Einmarsch in ein Land (den Iran), für die brutale Unterdrückung von Aufständischen, mörderische Vergeltungsmaßnahmen gegen die unbewaffnete Zivilbevölkerung sowie für Rechtsbeugung zur Verantwortung gezogen werden soll, dann ist die Bush-Regierung auf Grund ihrer illegalen Invasion und Unterwerfung des Irak derselben Verbrechen schuldig und muss erst recht vor Gericht gestellt werden.

In Afghanistan gingen die Kämpfe zwischen den Besatzungstruppen der Nato und afghanischen Guerillas weiter, allerdings auf niedrigerem Niveau als im Irak. Die Bombenangriffe auf Zivilisten durch US-Truppen schürten häufig den Widerstand. Da die Bush-Regierung ihre Position im Irak zunehmend als bedroht ansah, drängte sie ihre Nato-Verbündeten und asiatische Länder, mehr Truppen zu schicken, vor allem in der Zeit vor der Präsidentschaftswahl, die von den USA kontrolliert wurde und Hamid Karsai im Amt bestätigte.

Die destabilisierenden Auswirkungen dieser imperialistischen Kriege auf den Nahen Osten zeigten sich im Februar in der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafiq Hariri. Die Bush-Regierung beschuldigte – ohne Beweise zu liefern – das syrische Regime, hinter der Ermordung zu stecken und sprach aggressive Drohungen aus. Die WSWS untersuchte, wer am ehesten von Hariris Tod profitierte.

Syrien zog unter dem Druck der USA und der europäischen imperialistischen Mächte seine Truppen aus dem Libanon ab, aber die Hisbollah, die wichtigste schiitische Partei, organisierte eine riesige Demonstration mit bis zu einer Million Teilnehmern gegen die drohende amerikanische Intervention.

Die Palästinensische Autonomiebehörde gab nach der Wahl von Mahmud Abbas dem zunehmenden militärischen Druck der USA nach. Abbas unterzeichnete einen Waffenstillstandsvertrag mit der israelischen Regierung unter Ariel Scharon; im Gegenzug dafür wurden Gefangene freigelassen und Abbas erhielt finanzielle Subventionen.

Das israelische Regime reagierte darauf, indem es im August alle zionistischen Siedler aus dem Gazastreifen abzog. Damit wollte es zum einen die Gunst seiner amerikanischen Geldgeber erhalten, zum anderen eine unrentable und verletzbare Enklave eliminieren. Die WSWS befasste sich in einer vierteiligen Serie mit dem Aufstieg der ultrarechten Siedlerbewegung seit dem Krieg von 1967, in dem Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golanhöhen besetzt hatte.

Im Iran reagierte das islamisch-fundamentalistische Regime mit einer Verschärfung seiner antiamerikanischen Haltung auf das amerikanische Militäraufgebot an seinen Ost- und Westgrenzen. Im Juni wurde Mahmud Ahmadinedschad zum Präsidenten gewählt. Er konnte mit populistischen Angriffen auf die USA und die privilegiertesten Teile der iranischen Bourgeoisie Rückhalt in der Bevölkerung gewinnen.

Im Mai endeten regierungsfeindliche Proteste in Usbekistan, einem wichtigen Durchgangsland für amerikanische Güter nach Afghanistan, in einem brutalen Massaker mit hunderten Toten. Verantwortlich war der Diktator Islam Karimow, der mit den USA verbündet war. Im gleichen Monat führte ein Bericht in Newsweek über die Misshandlung von Gefangenen in Guantanamo – zu Unruhen und Protesten in mehr als einem Dutzend überwiegend muslimischen Ländern. Unter anderem wurden Exemplare des Korans geschändet.

Alle diese Entwicklungen schürten in den USA und Europa die Antikriegsstimmung, vor allem als bekannt wurde, mit welch konspirativen Methoden die Entscheidung gefallen war, in den Krieg zu ziehen. Das Downing Street-Memo, das der britischen Presse im Mai zugespielt wurde, enthüllte, dass  die Bush-Regierung schon wenige Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Entscheidung für den Irakkrieg gefällt hatte; außerdem dass der britische Premierminister Tony Blair schon im Februar 2002 seine Unterstützung zugesagt hatte, und dass das britische Kabinett darauf hingewiesen wurde, dass Washington „Geheimdienstdaten und Tatsachen an die Entscheidung anpasste,“ gegen Saddam Hussein in den Krieg zu ziehen.

Die amerikanischen Mainstreammedien versuchten, die Enthüllung der Lügen zu verhindern, die sie selbst erfunden hatten und den Widerstand der Bevölkerung gegen den Krieg totzuschweigen. Trotz des Boykotts der Medien und der Unterstützung von Politikern beider Parteien des Großkapitals für den Krieg zeigten Meinungsumfragen, dass zwei Drittel aller Amerikaner den sofortigen Abzug aus dem Irak unterstützten.

Die Tatsache, dass es massiven Widerstand gegen den Krieg gab, ließ sich zuletzt nicht einmal mehr in den amerikanischen Medien  leugnen, als Cindy Sheehan, die Mutter eines im Irak getöteten amerikanischen Soldaten, während Bushs einmonatigem Urlaub im August einen Einpersonen-Protest vor seiner Ranch in Crawford, Texas begann. Hunderte schlossen sich ihr an, um sie zu unterstützen.

Die WSWS berichtete ausführlich über Sheehans Kampagne, ihre ausdrückliche und leidenschaftliche Kritik an der Bush-Regierung und dem Krieg, und über die breite Protestbewegung, die sie mit ihrer Forderung ausgelöst hatte: „Holt sie sofort nach Hause“. Die WSWS wies darauf hin, dass dies das Auftauchen neuer Kräfte in der amerikanischen Politik signalisierte, die aus dem offiziellen Pro-Kriegs-Konsens ausbrachen.

Diese Kampagne fand ihren Höhepunkt in einer riesigen Demonstration in Washington, bei der hunderttausende durch die amerikanische Hauptstadt zogen. Sie wurde zur größten Manifestation des Widerstands seit den weltweiten Protesten im Februar 2003. Die WSWS warnte davor, dass die Sprecher auf der Demonstration trotz Sheehans aufrechtem Widerstand gegen den Krieg und ihrer Kritik an beiden Parteien keinen Ausweg boten, sondern nur Druck auf die Demokratische Partei ausüben wollten, die seit langem der Friedhof des sozialen und politischen Widerstandes der herrschenden Klasse Amerikas ist, statt zum Bruch mit den Demokraten und dem ganzen Zweiparteiensystem aufzurufen.

Soldaten auf Patrouille im Westen von Bagdad
Die Krise in Europa verschärft sich

Im Jahr 2005 wurde immer klarer, dass das Projekt der Vereinigung Europas auf kapitalistischer Grundlage – der Europäischen Union – unvereinbar mit Demokratie war. Die Europäische Kommission in Brüssel hatte jahrelang dem ganzen Kontinent Sparpolitik diktiert. Jetzt versuchten die europäischen Regierungen unter Führung Deutschlands diese Verschwörung gegen die Arbeiterklasse mit einer undemokratischen Verfassung zu ummanteln, die in Spanien trotz massiver Enthaltung durch ein Referendum angenommen wurde. 

In den Niederlanden und Frankreich scheiterten die Referenden über die Verfassung im Mai am wachsenden Widerstand der Bevölkerung. Die Redaktion der WSWS veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie die französischen Arbeiter aufrief, die bürgerliche Verfassung abzulehnen, jedoch nicht auf der Grundlage der nationalistischen Appelle der französischen Ultrarechten und kleinbürgerlichen „linken“, sondern auf der Grundlage des sozialistischen Internationalismus und des Kampfes für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Wir erklärten, dass sowohl die Befürworter als auch die Gegner der Verfassung im bürgerlichen Lager den arbeitenden Menschen nichts zu bieten hatten. Die Befürworter der Verfassung sprachen offen zugunsten des europäischen Imperialismus. So argumentierten Bundeskanzler Schröder und der Französische Staatspräsident Chirac, dass sich Europa dem amerikanischen Imperialismus ökonomisch, politisch und militärisch entgegenstellen müsse. Die Gegner der Verfassung, einschließlich der verschiedenen Tendenzen mit linken Namen, verteidigten hingegen den Nationalstaat als Bollwerk gegen die Sparpolitik der EU, unterstützten damit ihre eigene Bourgeoisie und förderten nationalen Chauvinismus. Und weiter: 

Die Arbeiterklasse kann keines der streitenden Lager unterstützen, sonst wird sie zur Manövriermasse in den Händen der einen oder anderen Fraktion der Bourgeoisie. Sie benötigt eine eigene, unabhängige Perspektive. Sie muss der reaktionären Verfassung eine entscheidende Abfuhr erteilen …

Die elementarsten Rechte und Errungenschaften der Arbeiterklasse können heute nur noch im Rahmen eines sozialistischen Programms verteidigt werden, das die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Frage stellt. Ein sozialistisches Programm wiederum kann nur im internationalen Maßstab verwirklicht werde. Es erfordert den Zusammenschluss der Arbeiterklasse über alle nationalen, ethnischen und kulturellen Grenzen hinweg. Die einzige Alternative zur Europäischen Union und ihrer Verfassung, die es der Arbeiterklasse ermöglicht, ihre Interessen zur Geltung zu bringen, sind die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Die Europäische Union zeigte auch ihren wahren Charakter als Instrument für militärische Aggression im Ausland und Sozialabbau im Inland. Anstatt die Völker des Kontinents zu vereinen, wurde sie zur Arena, in der Angriffe auf demokratische Rechte und Sozialleistungen begonnen wurden. Die Sparmaßnahmen in Ost- und Westeuropa führten im März zu den ersten gemeinsamen Demonstrationen ost- und westeuropäischer Arbeiter. Auf der Demonstration in Brüssel mit rund 60 000 Teilnehmer verteilten Mitglieder des Internationalen Komitees der Vierten Internationale mehrere Tausend Flugblätter, in denen eine Perspektive für die europäische Arbeiterklasse gegen Militarismus und Sozialabbau gegeben wird. 

Die WSWS deckte die verheerende Rolle des deutschen Imperialismus vor allem in Osteuropa auf, wo zehn Staaten ein Jahre zuvor der Europäischen Union beigetreten waren. Sie analysierte u.a. die politische Situation in Polen und zeigte in ihren Sozialreportagen die Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung in dieser Region auf, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und durch die Auswirkungen der EU-Osterweiterung rasant ausgebreitet hatte.

Mit der Einschränkung demokratischer Rechte von Flüchtlingen und dem Beschluss zu einem Lagersystem für Flüchtlinge baute die EU die Festung Europa weiter aus. Mit der Verabschiedung des Haager Programms Ende 2004 wurde auf EU-Ebene u.a. die Einführung biometrischer Daten in Pässen und Visen sowie der stärkeren Austausch von Informationen zwischen Polizeikräften und Geheimdiensten vereinbart.

Auch in Deutschland wurde die Beschneidung demokratischer Rechte vorangetrieben. Zu Beginn des Jahres beschlossen SPD, Grüne und CDU/CSU im Bundestag via Eilverfahren die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Innenminister Schily lancierte Angriffe auf die Pressefreiheit. Deutlich zeigten sich die Auswirkungen des neuen Zuwanderungsgesetzes, das die Kompetenzen der Ausländerbehörden enorm erweiterte und ihnen Möglichkeiten gab, äußerst restriktiv gegen Migranten und Flüchtlinge vorzugehen. Die WSWS analysierte die brutale Abschiebepraxis kontinuierlich und veröffentlichte Artikel zur massenhaften Abschiebung afghanischer Flüchtlingen in Hamburg oder zu einem Abschiebefall wegen Sozialbetrugs.

Frankreich übernahm seine traditionelle Rolle als das Land, in dem die Klassenkonflikte ihre offenste politische Form annahmen. Im Februar demonstrierten eine halbe Million Menschen gegen Angriffe der Regierung und 100.000 Schüler demonstrierten gegen die Zerstörung des Bildungswesens.

Ende Oktober explodierten in Paris die sozialen Spannungen, nachdem zwei Jugendliche bei der Flucht vor der Polizei ums Leben kamen. In den Immigranten- und Arbeitervierteln des Landes brachen Unruhen aus. Paris wurde seit Jahrzehnten von der Sozialistischen- und der Kommunistischen Partei Frankreichs regiert, und diese Parteien unterstützten jetzt vorbehaltlos die Stationierung von Bereitschaftspolizei in den Vororten. Die pseudolinke Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR) machte ihren Klassenstandpunkt deutlich, indem sie sich weigerte, diese Jugendlichen zu verteidigen.

In Deutschland führte die wachsende soziale Spaltung zu einem Regierungswechsel bei der vorgezogenen Neuwahl im September 2005. Nach siebenjähriger Regierungszeit wurde die rot-grüne Koalition durch eine große Koalition aus SPD und CDU unter Angela Merkel ersetzt.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte durch die Verdrehung der Bestimmungen der Verfassung vorzeitige Neuwahlen herbeigeführt: Nachdem die SPD in Nordrhein-Westfalen, dem größten und am stärksten industrialisierten Bundesland, das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielt hatte, ließ er den Bundestag vorsätzlich ein Misstrauensvotum gegen ihn aussprechen.

Die Stimmverluste für die Sozialdemokraten waren das direkte Ergebnis der Hartz-Gesetze, die am 1. Januar 2005 in Kraft traten und zu einem starken Anstieg der Armut geführt und einen riesigen Niedriglohnsektor geschaffen hatten.

Gleichzeitig wurde mit der Linken eine neue Partei gegründet. Ihre Absicht war es, das politische Vakuum zu füllen, das der extreme Rechtsruck der Sozialdemokraten geschaffen hatte. Die Linkspartei tauchte im Juli 2005 als Wahlbündnis zwischen der alten stalinistischen PDS in Ostdeutschland und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) auf, einer Abspaltung von der SPD unter Führung des ehemaligen Finanzministers und SPD-Chefs Oskar Lafontaine und langjährigen Gewerkschaftsfunktionären.

Diese völlig bürokratische Gruppierung sollte die Arbeiter in die Falle locken und sie an reformistische Illusionen fesseln. Die Linkspartei verbreitete demagogische linke Phrasen, gleichzeitig unterstützte sie in der Praxis die Angriffe auf die Arbeiterklasse. Sie zog eine ganze Schicht von pseudolinken Gruppen an, die vor der Aussicht erschreckten, dass die Arbeiter mit der SPD brechen und sich auf einen revolutionären Kurs begeben könnten.

Die deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die Partei für Soziale Gleichheit (PSG) war die einzige politische Kraft, die bei den Wahlen im September ein unabhängiges Programm für die Arbeiterklasse formulierte, in dem sie für die Notwendigkeit einer sozialistischen und internationalistischen Perspektive im Kampf für soziale Gleichheit, die Verteidigung demokratischer Rechte, insbesondere der Rechte von Immigranten, und gegen Krieg und Militarismus eintrat. Sie trat in vier Bundesländern mit Kandidaten zur Wahl an: in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen und Berlin: In dem Programm hieß es:

Die Arbeiterklasse ist in diesen Wahlen nicht nur mit dem Bankrott der rot-grünen Bundesregierung konfrontiert, sondern mit einer historischen Krise des kapitalistischen Systems. … 

Wir nehmen an diesen Wahlen teil, um in ganz Europa einer breiten politischen Massenbewegung den Weg zu bereiten, die sich gegen das kapitalistische System richtet. Denn ohne das politische Eingreifen der arbeitenden Bevölkerung ist es unmöglich, diese reaktionären Entwicklungen zu stoppen und ihre katastrophalen Konsequenzen zu verhindern. Die Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg vor zwei Jahren und das Nein-Votum gegen die europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sind der Auftakt zu einer solchen Bewegung. Aber nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms und durch den Aufbau einer europaweiten Partei ist die Vereinigung der Arbeiterklasse möglich.

Kein einziges Problem, vor dem Arbeiter heute hier oder in irgendeinem anderen Land stehen, kann im nationalen Rahmen gelöst werden.

In der Bundestagswahl am 18. September straften die Wähler den rechten Konsens aus SPD und CDU ab, den größten Stimmenzuwachs erhielt die Linkspartei. Die Frage, welche große Partei eine Koalitionsregierung anführen sollte, blieb im ersten Moment offen. Letzten Endes einigten sich die CDU und die SPD auf die Bildung einer großen Koalition. Angela Merkel von der CDU wurde Kanzlerin, die SPD übernahm das Finanzministerium und damit die Verantwortung für die Umsetzung der Angriffe auf die Arbeiterklasse.

In Großbritannien gewann die Labour Party am 5. Mai zum dritten Mal in Folge die Wahl, jedoch mit einer stark reduzierten Mehrheit. Ihre Stimmverluste vor allem in den Labour-Hochburgen, waren die Folge von Großbritanniens Rolle in dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen und der Besetzung des Irak und des Angriffs auf demokratische Rechte.

Am 7. Juli wurden bei einem Terroranschlag in London dutzende Menschen getötet und viele hunderte verletzt. Die Redaktion der WSWS veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie die Anschläge verurteilte. Die Staatschefs, die sich zur gleichen Zeit in Schottland zu einem G8-Gipfel versammelt hatten, nutzten die Tragödie aus, um ihre Kriegspolitik und ihre Angriffe auf demokratische Rechte zu rechtfertigen. Premierminister Blair bekräftigte: „Der Krieg gegen den Terror geht weiter.“

Nach den Bombenanschlägen befasste sich die WSWS mit den politischen Fragen, auf die die offizielle Reaktion nicht eingegangen war: Warum waren die beteiligten muslimischen Jugendlichen und hunderte andere vom religiösen Extremismus angezogen und bereit zu töten und getötet zu werden; und warum war die Blair-Regierung gegen einen Untersuchungsausschuss zum Versagen des Geheimdienstes; was war mit den Berichten, laut denen die israelische Botschaft vor dem Anschlag gewarnt hatte; und was mit den Vorwürfen – die sich später als wahr erwiesen – dass die Täter den Geheimdiensten bekannt waren und von ihnen überwacht wurden.

Am 22. Juli wurde der brasilianische Arbeiter Jean Charles de Menezes in einem Londoner U-Bahnwaggon aus nächster Nahe von einem Polizisten erschossen. Die Tat enthüllte die Existenz des bis dahin geheim gehaltenen Tötungsbefehls. Die WSWS schrieb:

England, das Land der Magna Charta, ist zu einem Land geworden, in dem unschuldige Zivilisten auf den Straßen der Hauptstadt erschossen werden können, ganz nach Ermessen der Polizei und ohne jede Erklärung oder Begründung. Es wird höchstens eine knappe Entschuldigung abgegeben.

Die WSWS fasste in einer Rede, die Julie Hyland bei einer Wahlveranstaltung der PSG in Berlin hielt, die Lehren aus den Terroranschlägen in London und der staatlichen Ermordung von Charles de Menezes zusammen. Sie erklärte, dass die britische Bevölkerung den Sturm erntet, den Blair mit seiner kriminellen Politik gesät hat, die den Nahen Osten destabilisiert und die ethnischen und religiösen Spannungen in Großbritannien angefacht hat.

Ein ausgebranntes Auto in einem Vorort von Paris
Demokratische Rechte und soziale Fragen in Amerika

In den USA verstärkte die Bush-Regierung den Aufbau eines Polizeistaates, angeblich im Namen des Kriegs gegen den Terror, in Wirklichkeit jedoch gegen den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Arbeitsplatzabbau, Senkung des Lebensstandards und Sozialabbau und den wachsenden Widerstand gegen imperialistischen Krieg.

Bush begann seine zweite Amtszeit am 20. Januar mit einer Einführungsrede, in der er unmissverständlich klarmachte – so die WSWS – „dass weder das Desaster im Irak noch der internationale Widerstand gegen Washingtons Militarismus seine neue Regierung daran hindern würden, ihre reaktionären Ziele weiter zu verfolgen.“

Kurze Zeit später hielt er seine Rede zur Lage der Nation. Darin nannte er die Zerschlagung von Social Security, des Rentenprogramms für Ältere, das seit seiner Schaffung unter Franklin D. Roosevelt in den 1930ern die Grundlage des amerikanischen Sozialstaats war, das Herzstück seiner Innenpolitik. Diese Initiative brach er angesichts des massiven Widerstands und einer Reihe von internationalen und nationalen politischen Krisen schnell wieder ab.

Eine wichtige Episode bei der Diskreditierung der Bush-Regierung, der Republikanischen Partei und des politischen Establishments war die Rolle der US-Regierung im Falle von Terri Schiavo aus Florida, die seit fünfzehn Jahren in einem irreversiblen Wachkoma lag. Als ihr Ehemann Michael versuchte, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen und ihre Eltern dagegen protestierten, schritt der christlich-fundamentalistische Flügel der Republikaner ein, um diese private Familientragödie für reaktionäre Ziele auszunutzen.

Die ganze Welt erlebte daraufhin ein abstoßendes Spektakel: George W. Bush, der als Gouverneur von Texas die Hinrichtungsbefehle von 152 Gefangenen unterzeichnet hatte und als Präsident die Zerstörung ganzer Städte im Irak, den weltweiten Einsatz amerikanischer Spezialkräfte und CIA-Todesschwadronen und die Anwendung von Folter im großen Stil angeordnet hatte, spielte sich als Verteidiger des „Respekts vor Menschenleben“ auf. Demokraten wie der Senatsvorsitzende Harry Reid oder Reverend Jesse Jackson unterstützten ihn dabei.

WSWS-Chefredakteur David North äußerte sich bei einem Treffen in Ann Arbor, Michigan, zu dieser rechten Kampagne gegen Wissenschaft und Rationalität. Er erklärte, Bush und die Republikaner im Kongress hätten sich nicht ohne die Unterstützung der Demokraten in die Angelegenheit einmischen können:

Der verheerende Niedergang des politischen und intellektuellen Lebens in den Vereinigten Staaten findet seinen Ausdruck nicht nur in der Agitation der extremen Rechten, sondern auch in der vollkommenen Unterwürfigkeit der Demokratischen Partei und anderer Kräfte, die traditionell als Verteidiger demokratischer Rechte und Vertreter des gesellschaftlichen Fortschritts aufgetreten sind. Ohne die Mittäterschaft der Demokratischen Partei hätten die Republikaner nicht ihr unverhohlen verfassungsfeindliches ‚Terri-Gesetz‘ durch den Kongress peitschen können, das als Parlamentsbeschluss die Außerkraftsetzung zentraler demokratischer Rechte legitimieren sollten.

Der Niedergang der Institutionen des amerikanischen Liberalismus war ein wichtiges Thema im Jahr 2005. Im Sommer war die Verhaftung der New York Times-Reporterin Judith Miller Licht auf die inzestuöse Beziehung zwischen der wichtigsten amerikanischen Zeitung und dem nationalen Sicherheitsapparat.

Miller hatte sich vor dem Einmarsch im Irak im Jahr 2003 zum Sprachrohr für die Desinformationskampagne der CIA und des Pentagons über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen gemacht. Aber sie wurde als Zeugin für einen weiteren ekelhaften Vorfall gebraucht, in dem Lewis Libby, der oberste Berater von Vizepräsident Richard Cheney, beschuldigt wurde, der Presse den Namen einer CIA-Mitarbeiterin verraten zu haben, um ihren Ehemann Joseph Wilson, einen bekannten Kriegskritiker zu bestrafen. Libby wurde später schuldig gesprochen und verurteilt, obwohl Bush intervenierte, um ihm eine Haftstrafe zu ersparen.

In der gleichen Periode kam es zu einer Spaltung innerhalb des AFL-CIO. Ein halbes Dutzend großer Gewerkschaften, vor allem für den öffentlichen Dienst, traten aus dem Dachverband aus und bildeten eine eigene Dachorganisation namens Change to Win. Die WSWS erklärte, dass es zwischen den beiden bürokratischen Banden keine prinzipiellen Differenzen gebe. Beide versuchten, die Arbeiterklasse der Demokratischen Partei und dem amerikanischen Imperialismus unterzuordnen.

Der Spaltung ging ein seit langem andauernder Rückgang der Mitgliederzahlen voraus, die Zahl der Mitglieder im Privatsektor sank auf unter acht Prozent – ein Tiefstand, der seit 100 Jahren nicht mehr erreicht worden war. Die Change to Win-Fraktion stellte zwar vage Forderungen nach Reformen, setzte sich jedoch wie die Gewerkschaften, die im AFL-CIO blieben, ebenfalls dafür ein, die Profitabilität der Konzerne zu erhalten.

Als Mechaniker der viertgrößten Fluggesellschaft des Landes, Northwest Airlines, in den Streik traten, um gegen eine Lohnsenkung von 25 Prozent und die Entlassung der halben Belegschaft zu demonstrieren, wiesen die Gewerkschaften beider Fraktionen ihre Mitglieder an, die Streikposten nicht zu beachten. Die WSWS zog aus dem Streik der Northwest-Mechaniker und den Entlassungen nach dem Bankrott von Northwest Ende des Jahres bittere Lehren.

Die WSWS berichtete über den dreitägigen Ausstand von 34.000 Beschäftigten der New Yorker Verkehrsbetriebe im Dezember. Der Streik legte das größte öffentliche Verkehrssystem des Landes lahm und zeigte die gewaltige soziale Kraft und Militanz der Arbeiter. Sie trotzten dem milliardenschweren Bürgermeister Michael Bloomberg, den brutalen Angriffen der Mainstreammedien, drakonischen Anti-Streik-Gesetzen und ihrer eigenen Gewerkschaft, als sie zur Verteidigung eines angemessenen Lebensstandards in den Streik traten.

George W. Bush bei seiner Rede zur Lage der Nation im Jahr 2005
Die srilankische SEP und die Arbeit des IKVI

Eine zentrale politische Intervention des Internationalen Komitees der Vierten Internationale im Jahr 2005 war der Wahlkampf der SEP in Sri Lanka gegen die Kriegspolitik und die soziale Reaktion, die die Regierung von Präsidentin Chandrika Kumaratunga betrieb. Bei den Präsidentschaftswahlen im November wurde sie von Premierminister Mahinda Rajapakse abgelöst.

Die SEP analysierte die politische Krise, deren Ursprung in Kumaratungas außerparlamentarischem Vorgehen gegen die Regierung der oppositionellen rechten UNP im Jahr 2003 lag und durch die Folgen des Tsunamis in Asien verschärft wurde. Um einen knappen Sieg für die herrschende Sri Lanka Freedom Party zu erringen, verbündete sich Rajapakse mit ultrarechten buddhistischen Gruppen; die kleinbürgerlich-linke NSSP unterstützte die traditionelle rechte bürgerliche United National Party.

Generalsekretär Wije Dias war Präsidentschaftskandidat SEP. Er stellte sich gegen die Vorbereitungen für eine Wiederaufnahme des Bürgerkriegs gegen die tamilische Separatistenbewegung LTTE und trat für ein sozialistisches und internationalistisches Programm gegen die bürgerlichen Koalitionen und die tamilischen Separatisten ein.

Der Wahlkampf der SEP fand bedeutenden Rückhalt bei der singhalesischen und tamilischen Arbeiterklasse, obwohl es gewalttätige Drohungen gegen die SEP gab. Wije Dias sprach auch auf einer öffentlichen Versammlung in Madras, der Hauptstadt des tamilischsprachigen indischen Bundesstaates Tamil Nadu.

Nach Rajapakses Sieg erklärte Dias in einer Stellungnahme, die neue Regierung werde durch die zunehmende internationale Instabilität und die inneren Widersprüche des srilankischen Kapitalismus gezwungen sein, den Waffenstillstand zu brechen und den Bürgerkrieg gegen die LTTE wieder aufzunehmen:

Jetzt, da Rajapakse an der Macht ist, wird es schnell deutlich werden, dass er die Forderungen der großen Mehrheit der Bevölkerung nach einem Ende des Bürgerkriegs, der seit zwanzig Jahren andauert und der Erhöhung des Lebensstandards nicht erfüllen kann.

Rajapakse führte seine Kampagne zusammen mit der Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) und der Jathika Hela Urumaya (JHU) aus, die gegen den Waffenstillstand und Gespräche mit den Befreiungstigern von Tamil-Eelam (LTTE) waren. Jetzt verspricht er einen ‚ehrenhaften Frieden‘, das heißt, einen der als Bedingung für Verhandlungen mit der LTTE unerfüllbare Forderungen stellt. Wer etwas politische Bildung hat, weiß, dass dies kein Weg zum Frieden ist, sondern zum Krieg.

Das andere wichtige Ereignis für das IKVI war die Sommerschulung der amerikanischen Socialist Equality Party, auf der die Führer vieler Sektionen des IKVI wichtige Reden über die Geschichte der revolutionären Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hielten. Diese Berichte wurden von der WSWS im Laufe des Herbstes veröffentlicht. Dazu gehörten:

Die WSWS veröffentlichte eine ausführliche Kritik von Robert Service’ Stalin-Biografie, verfasst von Fred Williams. Diese Biografie strotzte vor sachlichen Fehlern und Auslassungen wichtiger Texte. Vor allem stellte sie jedoch einen Versuch dar, Stalin zu rehabilitieren. Service schrieb später eine Biografie über Leo Trotzki, die zum Ziel einer großen Kampagne des IKVI gegen die Verfälschung der Geschichte und Trotzkis Leben und Werk werden sollte.

Das IKVI ehrte außerdem das Andenken an vier wichtige Persönlichkeiten in der Arbeit seiner Sektionen bzw. der Geschichte der Vierten Internationale, die im Jahr 2005 verstorben waren: den indischen Pionier des Trotzkismus Druba Jyoti Majdumar (1929-2005); den langjährigen srilankischen Trotzkisten Velupillai Sarawanaperumal (1948-2005); den deutschen Trotzkisten Nathan Steinberger (1910-2005), der vor den Nazis geflüchtet war, in der UdSSR ein stalinistisches Lager, und in der DDR die Verfolgung überlebt hatte, und Ralph Edmond (1926-2005), einen amerikanischen Metallarbeiter, der sich in der Mitte seines Lebens der SEP angeschlossen hatte und einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der sozialistischen Bewegung geleistet hatte.

Kunst, Kultur und Wissenschaft

Die WSWS berichtete erneut ausführlich über Filme, darunter eine wichtige Gruppe von politischen Filmen, die zum Ende des Jahres hin veröffentlicht wurden: Goodnight and Good Luck, Jarhead, Syriana und München

Weitere besprochene Filme waren, unter anderem, Aviator, Million Dollar Baby, Hotel Ruanda, Attentat auf Richard Nixon, Gunner Palace, Crash und Der ewige Gärtner.

Reporter der WSWS besuchten die internationalen Filmfestivals in Berlin, San Francisco, Sydney, Toronto, Cottbus, Neubrandenburg und Vancouver.

Im Rahmen der Berichterstattung über Kunst und Musik berichtete sie über eine Ausstellung der Werke der linken deutschen Künstlerin Käthe Kollwitz, eine Ausstellung von Postern aus der russischen Revolutionszeit und besprach das Bestselleralbum The Massacre von 50 Cent.

Kunst-Redakteur David Walsh schrieb einen langen Nachruf auf den amerikanischen Stückeschreiber Arthur Miller, in dem er ihn in seinen historischen Kontext einordnete und erklärte:

Wenn Miller der führende amerikanische Dramatiker der 1940er, 50er und teilweise auch noch der 60er Jahre war - und das war er vielleicht -, so sagt dies vor allem etwas über die schmerzlichen ideologisch-künstlerischen Bedingungen dieser Zeit aus. Es ist fraglich, wie lange seine Stücke als lebendige und bedeutsame Werke überdauern werden.

Im Oktober erhielt der britische Stückeschreiber Harold Pinter den Friedensnobelpreis, was in vielen Medien- und akademischen Kreisen für Überraschung sorgte. Pinter, der auch Drehbuchautor, Poet und Schauspieler war, gilt als eine der einflussreichsten Figuren im Theater der britischen Nachkriegszeit. Zu seinen Werken gehören Stücke wie The Caretaker, The Dumb Waiter und The Homecoming. Er war außerdem ein Antikriegsaktivist, verurteilte die Golfkriege 1991 und 2003 und warf US-Präsident Bush und Premierminister Tony Blair Kriegsverbrechen vor.

Im Jahr 2005 jährte sich zum hundertsten Mal die Veröffentlichung von Albert Einsteins Werk „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“, besser bekannt als die spezielle Relativitätstheorie und vier andere wissenschaftliche Arbeiten, die einen revolutionären Sprung in vielen Feldern der modernen Physik darstellten.

Peter Symonds befasste sich in einer vierteiligen Serie mit Einsteins Leistungen, dann befasste er sich in einer Reihe von Briefen und Antworten zwischen WSWS-Lesern und dem Autoren mit einer Reihe von Fragen über Einsteins politische Ansichten und der Elaboration seiner wissenschaftlichen Theorien.

George Clooney in Syriana