Der Zusammenbruch der Sabena

Drastische Einschnitte in der europäischen Luftfahrtindustrie stehen bevor

Am 7. November beendete die belgische Fluggesellschaft Sabena (Société Anonyme Belge d'Exploitation de la Navigation) ihre 78jährige Unternehmensgeschichte und erklärte ihren Konkurs. Der Zusammenbruch der Sabena, bei der 12.000 Mitarbeiter beschäftigt waren, ist die größte Firmenpleite in der Geschichte Belgiens und ein weiteres Glied in der Kette von Zusammenbrüchen in der Luftfahrtindustrie in diesem Jahr nach dem Ende der Swissair, der zweitgrößten kanadischen Fluggesellschaft Canada 3000 und der australischen Ansett.

Bereits am Dienstagabend, dem 6. November, wurden die letzten Flüge abgewickelt und Flugzeuge, die sich noch auf ausländischen Flughäfen befanden, zurückgeflogen, um sie vor einem eventuellen Zugriff durch Gläubiger zu bewahren. In ganz Belgien und auf dem Brüsseler Flughafen Zaventem kam es am darauffolgenden Tag zu dramatischen Szenen. Tausende Sabena-Beschäftigte waren nicht der Aufforderung der Geschäftsführung gefolgt, zu Hause zu bleiben, und versammelten sich zu Protestkundgebungen auf dem Flughafengelände.

Am Donnerstag blockierten Demonstranten die Zugänge zur Zoll-Abfertigung, so dass nichts mehr ging, und am Freitag wurde die Autobahn besetzt. Der Zorn richtete sich gegen die Regierung und das Sabena-Management. Presseberichten zufolge erhielt der deutsche Vorstandsvorsitzende Christoph Müller sogar Todesdrohungen und wohnt seitdem sorgfältig bewacht im Brüsseler Sabena-Hotel. Bereits seit dem 5. November wurde das Polizeikontingent auf dem Flughafen um 150 erhöht.

Belgiens Premierminister Guy Verhofstadt verkündete, dass mindestens 5.100 der 7.600 Stellen bei Sabena S.A. sofort wegfallen sollen. Das Schicksal der Angestellten der Sabena-Tochterunternehmen, die noch weiter existieren sollen, ist indessen ungewiss. Auch die Folgen für die weiteren 30.000 bis 40.000 Arbeitsplätze, die indirekt von der Fluggesellschaft abhängen, sind noch nicht absehbar.

Nach dem Vorbild der schweizerischen Swissair-Crossair-Lösung soll die Sabena in ihrem eigenen Tochterunternehmen, dem Billigfluganbieter Delta Air Transport (DAT), aufgelöst werden, die künftig auf fast alle Transatlantikrouten verzichtet und sich nahezu ausschließlich auf Destinationen innerhalb Europas konzentriert.

Mit der Bankrotterklärung der Sabena wurde bewusst ein Schlussstrich unter die lange Geschichte von Problemen und Auseinandersetzungen um die Fluggesellschaft gezogen. Sie gehörte zu den kleineren Unternehmen dieser Branche in Europa und war allen Bemühungen zum Trotz nie in der Lage gewesen, zu einer ernsthaften Konkurrenz insbesondere der großen Drei - British Airways, Lufthansa und Air France - aufzusteigen.

Die in Staatsbesitz befindliche Sabena war dem belgischen Staat spätestens seit Beginn der 90er Jahre ein Dorn im Auge. Damals wurde die Entscheidung getroffen, die bereits in den 80er Jahren begonnene Liberalisierung der europäischen Luftverkehrsunternehmen vehement voranzutreiben, um dem zunehmenden Konkurrenzdruck vor allem aus den USA entsprechen zu können. Dort wurden bereits in den 80er Jahren alle Marktbarrieren in dieser Branche beseitigt und gegen zum Teil erbitterte Arbeitskämpfe - wie den PATCO-Fluglotsenstreik von 1981 - Massenentlassungen und Billiglohnbedingungen auf breiter Ebene durchgesetzt.

Im Rahmen des Vertrages von Maastricht einigten sich die einzelnen europäischen Staaten darüber hinaus in Vorbereitung auf die Europäische Währungsunion auf restriktive Grenzen ihrer Verschuldung. Belgien verfehlte die vereinbarte Zielmarke bei der Staatsverschuldung von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts mit knapp 140 Prozent um mehr als das Doppelte und leitete einen drastischen Sparkurs ein.

Eine der wichtigsten Maßnahmen dabei war die Privatisierung von Staatsbetrieben, zu denen auch die Sabena gehörte. Diese hatte während ihrer gesamten Unternehmensgeschichte nur zweimal schwarze Zahlen geschrieben und musste vom belgischen Staat immer wieder finanziell unterstützt werden. Sie spielte damit eine nicht unwesentliche Rolle im belgischen Sozialstaatsgefüge, zu dessen Finanzierung die Regierungen in Brüssel und ganz Europa nun nicht mehr bereit sind.

Bereits 1990 beteiligten sich die holländische Fluggesellschaft KLM und British Airways zu jeweils 20 Prozent an Sabena, gaben ihre Pläne jedoch noch im selben Jahr wieder auf. Air France unternahm zwischen 1992 und 1994 einen ähnlich missglückten Versuch.

Während der gesamten 90er Jahre versuchte die Unternehmensleitung ohne Erfolg, die immer wieder geforderten drastischen Einschnitte bei Löhnen und Personalbestand durchzusetzen, um die "notwendige Konkurrenzfähigkeit" herzustellen. Die Beschäftigten reagierten mit spontanen Streiks, die außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften von verschiedenen Teilen der Belegschaft organisiert wurden. Aus diesem Grund musste der damalige Vorstandsvorsitzende Pierre Godfroid 1995 seinen Sessel räumen, weil er nicht den von ihm beabsichtigten Stellenabbau von 2000 Mitarbeitern durchsetzen konnte.

Im Mai 1995 wurden 49,5 Prozent der Sabena an die Swissair verkauft. Die Strategie der Swissair war es, durch den Zusammenkauf von mehreren, sogar noch kleineren Fluggesellschaften als der Sabena wie der portugiesischen TAP, der - mittlerweile ebenfalls Konkurs gegangenen - französischen AOM/Air Liberté oder der polnischen LOT zum viertgrößten europäischen Anbieter zu werden. Sie stellte den Ende der 90er Jahre von den großen Fluggesellschaften geschaffenen Flugallianzen ihre so genannte Qualiflyer Group entgegen, die aus diesen fast durchgängig wenig rentablen Airlines bestand.

Doch die in die Ausweitung des internationalen Flugverkehrs gesetzten Erwartungen erfüllten sich nicht, so dass sich dieser Zusammenschluss mit dem Austritt der amerikanischen Delta Airlines ab 2000 wieder aufzulösen begann. Die Swissair und die Sabena wurden nun - als die beiden schwächsten europäischen Fluggesellschaften - als erste von der sich anbahnenden Krise in der Luftfahrtindustrie erfasst.

Im Jahr 2000 musste die SAirGroup (der Konzern, zu dem die Swissair gehörte) einen Rekordverlust von 2,88 Milliarden Schweizer Franken (1,89 Milliarden Euro) hinnehmen. Im vergangenen Monat löste sie dann die Swissair in deren Billigtochter Crossair auf.

Auch die Sabena rutschte seit dem Jahr 2000 immer tiefer in die Krise, deren Auslöser zunächst die hohen Ölpreise waren. Im August wurde der deutsche Christoph Müller zum neuen Vorstandsvorsitzenden ernannt, um die als längst überfällig angesehenen Einschnitte durchzusetzen. Er begann seine Amtszeit mit den Worten: "Wenn wir nicht bis zum Ende dieses Winters entscheidende Fortschritte machen, muss man sich fragen, ob dieses Unternehmen eine Existenzberechtigung hat." In der Folgezeit legte er einen radikalen Restrukturierungsplan vor, der vorsah, 400 bis 500 Arbeitsplätze abzubauen und 90 Prozent der Tochterunternehmen zu verkaufen, um die Sabena auf ihr "Kerngeschäft" zu konzentrieren.

Immer wieder verhinderten spontane Streiks jedoch die Verwirklichung dieser Absichten, so dass allein der Verlust des Jahres 2000 fast 75 Prozent des Eigenkapitals aufzehrte. Die Drohgebärden seitens des Vorstandes, die Sabena fallen zu lassen, sollten sich die Beschäftigten weiterhin gegen die Umstrukturierungspläne sperren, wurden immer aggressiver.

Während neuer Verhandlungen im Januar und Februar zwischen der Swissair und dem belgischen Staat, bei denen sich beide Parteien auf eine Finanzspritze von 250 Millionen Euro einigten, kam es zu Pilotenstreiks, nachdem bekannt wurde, dass nun bis zu 700 Arbeitsplätze abgebaut werden sollten. Müller warnte, dass eine Ablehnung dieses "Rettungspaketes" durch die Belegschaft die Sabena im Laufe eines Monats an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringen würde. Ein anderer Unternehmenssprecher erklärte, dass die Piloten "12.000 Angestellte als Geiseln halten" würden.

Der weltweite Konjunkturabschwung verschärfte die Krise der Sabena weiter. Die massiven Verluste aus dem ersten Halbjahr und die Krise der Swissair mündeten in neue Verhandlungen, deren Ergebnis ein Plan zur Entlassung von 1420 Beschäftigten war. Außerdem sollten weitere 430 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Während des ganzen Sommers über kam es aber zu spontanen Streiks, die die Verwirklichung dieses Planes unmöglich machten. Noch Anfang September fand ein mehrtätiger Pilotenstreik statt, der fast den gesamten Flugverkehr der Sabena lahm legte.

Angesichts der Einbrüche seit den Terroranschlägen vom 11. September und der immer bedrohlicher werdenden Lage des Unternehmens drängten Vorstand und Aufsichtsrat zu einem Ende der Auseinandersetzungen um den Sanierungsplan, weil Sabena sonst "nicht bis Jahresende überleben" werde, wie der Aufsichtsratsvorsitzende Fred Chaffart in einer Mitteilung erklärte.

Mit dem Zusammenbruch der Swissair Anfang Oktober fiel im Grunde genommen auch in Brüssel die Entscheidung, der Sabena den Todesstoß zu versetzen. Die ausbleibende Ratenzahlung der Swissair in Höhe von 135 Millionen Euro wurde mit einem 125 Millionen Euro betragenden Überbrückungskredit des belgischen Staates ausgeglichen. Der Sabena wurde ein einmonatiger Gläubigerschutz zugestanden, das heißt, Gläubiger des Unternehmens durften einen Monat lang ihre Forderungen nicht geltend machen.

Bedingung dafür war, dass die Sabena innerhalb dieser Zeit neue Kapitalgeber findet, die das Unternehmen weiterführen sollten. Die belgische Regierung wollte keine weiteren Verpflichtungen übernehmen. Dafür sorgte auch der Druck der EU-Wettbewerbskommission, die diese "Unternehmenshilfe" lediglich unter der Auflage genehmigte, dass mit dem Kredit nur die laufenden Kosten gezahlt werden und keine Kapitalerhöhung vollzogen wird.

In dieser Zeit fand sich kein Kapitalgeber, der die Sabena in ihrer bisherigen Form übernehmen wollte, so dass der Plan mit der Übernahme durch die Billigtochter DAT nach der Konkursanmeldung der Sabena am 7. November umgesetzt wird. Aller Voraussicht nach wird sich der Billiganbieter Virgin Express ebenfalls daran beteiligen.

Der Zusammenbruch der Sabena ist nur ein weiterer Schritt einer Politik, die die Entwicklungen seit dem 11. September zum Anlass nimmt, Zehntausende gut bezahlter Arbeitsplätze in der europäischen Luftfahrtindustrie zu zerstören.

Die EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio prophezeite, dass in Europa noch mehr Fluglinien den Betrieb einstellen werden: "Es ist kein Platz für 15 Airlines in Europa, einige Fluggesellschaften werden diese Krise nicht überleben." Die nächsten Kandidaten könnten Alitalia und die griechische Olympic Airways sein. KLM und British Airways hatten ihre Beteiligungen an diesen beiden Linien schon im Frühjahr beendet.

Die spanische Iberia will auf ihre gegenwärtig hohen Verluste und großen Umsatzeinbußen mit einer Reduzierung der Belegschaft um 10 Prozent reagieren, und die skandinavische Fluggesellschaft SAS kündigte die Streichung von 3.600 Stellen an.

Der Vorstand der deutschen Lufthansa setzt seine Beschäftigten bereits seit Wochen unter Druck. Zur Vermeidung von Verlusten in diesem Jahr seien "gemeinsame Anstrengungen" notwendig, erklärte Vorstandschef Jürgen Weber. Während sich der Vorstand freiwillig eine 10-prozentige Kürzung seiner Millionenbezüge auferlege, wird mittlerweile offen von einer Viertagewoche für die Beschäftigten gesprochen - ohne Lohnausgleich natürlich, was eine Einkommenseinbuße von 20 Prozent zur Folge hätte. Andernfalls werde man um Entlassungen nicht mehr herumkommen.

Beispielhaft und richtungsweisend gilt jedenfalls die jüngste Einigung zur Rettung der Charterfluggesellschaft LTU. Dort werden die Löhne der Beschäftigten um 10 Prozent gekürzt.

Siehe auch:
Der Zusammenbruch der Swissair
(11. Oktober 2001)
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