Scharons Kriegsverbrechen im Libanon: eine Bilanz

Dieser Artikel untersucht die Verwicklung des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon in die Kriegsverbrechen, die 1982 während der israelischen Invasion im Libanon begangen wurden und die in den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla gipfelten.

Der palästinensische Versuch, den israelischen Premierminister Ariel Scharon vor einem belgischen Gericht wegen Kriegsverbrechen anzuklagen, scheint gescheitert zu sein. Am 14. Februar entschied der internationale Gerichtshof in Den Haag, dass ehemalige und gegenwärtige Regierungsmitglieder wegen ihrer diplomatischen Immunität nicht für Kriegsverbrechen in einem anderen Land vor Gericht gestellt und nur in ihrem eigenen Land zur Verantwortung gezogen werden können.

Mit einem Gesetz von 1993 hatte sich Belgien selbst das Recht gegeben, Kriegsverbrechen zu verfolgen, gleichgültig wo, wann und von wem sie begangen wurden. Am 6. März sollte eigentlich die Entscheidung eines belgischen Richters fallen, ob ein Verfahren gegen Scharon eröffnet wird. Ein juristischer Berater der belgischen Regierung, Jan Devadder, hat jedoch erklärt, dass der Internationale Gerichtshof "eindeutig entschieden hat, dass Regierungsmitglieder und Staatschefs vollkommene Immunität vor Strafverfolgung genießen. Nach meiner Meinung ist der Fall Scharon gestorben."

Das Gericht hat entschieden, dass ein ehemaliges oder aktives Regierungsmitglied nicht vor einem ausländischen Gericht belangt werden kann, da "es während seiner Amtszeit auch im Ausland volle Immunität vor Strafverfolgung genießt". Das gilt unabhängig davon, ob der Beschuldigte offiziell oder privat im Ausland unterwegs ist.

Das Gericht betonte, dass das Urteil keine Auswirkungen auf den Prozess gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic habe, weil dieser von einer internationalen Organisation, der UNO, angeklagt worden sei, und nicht von einer ausländischen Regierung. Lässt man diese juristischen Spitzfindigkeit beiseite, so ist klar, dass der Internationale Gerichtshof nur Personen vor Gericht stellen will, die den Interessen der imperialistischen Mächte im Wege stehen, nicht jedoch deren politische Verbündete wie Scharon.

Offiziell ist die Klage gegen Scharon wegen des brutalen Massakers an 2.000 Palästinensern in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Schatilla im September 1982 zur Zeit noch anhängig. Die Staatsanwaltschaft wirft Scharon im Namen von Angehörigen einiger der Opfer vor, für die Ereignisse verantwortlich zu sein, weil er damals Verteidigungsminister der Besatzungsmacht war, die nach internationalem Recht die Gesamtverantwortung für die Sicherheit der Bevölkerung trug und einem Abkommen zum Schutz der Palästinenser zugestimmt hatte. Sie hält Scharon auch unmittelbar dafür verantwortlich, dass die israelische Armee bei den Massakern und der darauf folgenden Internierung, Folterung und dem Verschwinden vieler Lagerbewohner eine zentrale Rolle spielte.

Scharons Verantwortung für Sabra und Schatilla ist bekannt. Wegen starker Proteste im In- und Ausland musste die israelische Regierung damals eine Untersuchung durchführen. Die damit betraute Kahan-Kommission wies die unmittelbare Verantwortung Elie Hobeika zu, dem Führer von Libanons faschistischer Falange-Miliz, die das Blutbad begangen hatte; aber sie stellte auch Scharons "persönliche Verantwortung" fest. Er wurde 1983 gezwungen, als Verteidigungsminister zurückzutreten, blieb aber in der Regierung.

Scharon hat mit allen Mittel versucht, das Verfahren gegen sich zu hintertreiben, und alle wichtigen Parteien in Israel standen ihm dabei zur Seite. Israel übte Druck auf Belgien aus, seine Gesetze zu ändern, und erhob den Vorwurf des Antisemitismus, um die Eröffnung eines Verfahrens gegen seinen Ministerpräsidenten zu verhindern.

Es gibt auch Vermutungen, der israelische Geheimdienst habe die Ermordung Hobeikas vor ein paar Wochen organisiert, um so einen Schlüsselzeugen der Ereignisse vom 16. bis 18. September 1982 aus dem Weg zu räumen. Mit Zustimmung der israelischen Armee waren Hobeika und Major Saad Haddad von der Südlibanesischen Armee in die Lager eingedrungen und hatten dort 40 Stunden lang gewütet. Sie schlachteten ca. 2.000 Männer, Frauen und Kinder ab, während die israelische Armee die Ausgänge versperrte und zuschaute. Hobeika hatte angekündigt, er wolle gegen Scharon aussagen, und fiel nur wenige Tage danach einem Bombenattentat zum Opfer.

Das Verfahren kam zu einem besonders brisanten Zeitpunkt in Gang. Anklage und Prozess gegen einen amtierenden israelischen Ministerpräsidenten hätte das Ansehen des zionistischen Staates in den Augen der Weltmeinung beschädigt und Scharons wichtigste Stütze, die Bush-Regierung in den Vereinigten Staaten, in große Verlegenheit gebracht. Dass der Fall soweit gediehen ist, zeigt allein schon, wie weit die Interessen Europas und der USA im Nahen Osten im Allgemeinen und im israelisch-palästinensischen Konflikt im Besonderen bereits auseinander driften.

In den europäischen Hauptstädten wächst die Frustration darüber, dass Bush Scharons Kriegstreiberei immer offener unterstützt. Sharons Kurs schürt die sozialen Spannungen im Nahen Osten und bedroht die Stabilität arabischer Regime, die für die Absicherung europäischer Finanzinteressen wichtig sind. Aber keine europäische Regierung, auch nicht die belgische, war besonders darauf erpicht, Scharon vor Gericht zu bringen, und die Entscheidung von Den Haag ist wahrscheinlich vielerorts mit Erleichterung aufgenommen worden.

Wie es auch immer in Belgien weitergehen mag, wer den Charakter des zionistischen Regimes und die Motive verstehen will, die der militärischen Offensive der Likud-Labour-Regierung gegen die Palästinenser zugrunde liegen, tut gut daran, die Ereignisse, die zu den Massakern von Sabra und Schatilla führten, und Scharons kriminelle Rolle dabei zu untersuchen.

Israel, Libanon und zionistische Expansion

Die Gräueltaten von Sabra und Schatilla standen zwar im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, aber sie bildeten lediglich den Höhepunkt fünfzehnjähriger militärischer Aktivitäten Israels im Libanon, von denen viele den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllen. Ziel Israels war es, die palästinensischen Flüchtlinge zu zerstreuen, die durch die Gründung des zionistischen Staates und die Kriege von 1948-49, 1967 und 1973 vertrieben worden waren. Zu diesem Zweck versuchte Scharon, die entstehenden politischen und militärischen Organisationen der Palästinenser zu zerstören, Zwietracht zwischen den Palästinensern und ihren Gastländern zu säen und die Vereinigung der arabischen Arbeiterklasse und unterdrückten Massen gegen Israel und seine imperialistischen Hintermänner zu verhindern.

Israel stellte seine Militäraktionen im Libanon und schließlich die Invasion von 1982, die zur Belagerung und Bombardierung von Beirut, der Vertreibung der PLO und den Gräueltaten von Sabra und Schatilla führten, als eine defensive Reaktion auf palästinensische Überfälle auf Städte im Norden Israels dar. Aber eine historische Untersuchung zeigt, dass die "Operation Frieden für Galiläa" sich zwangsläufig aus der Logik der zionistischen Expansion ergab.

Die israelische Invasion im Libanon vom Juni 1982 wurde durch zahllose Provokationen gegen die Palästinenser und den Libanon vorbereitet, die den Fahd-Friedensplan von 1981 (benannt nach dem damaligen Kronprinzen und heutigen König von Saudi Arabien) torpedieren sollten. Dieser Plan erkannte das Existenzrecht Israels an und schlug einen palästinensischen Staat in den von Israel seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 besetzten Gebieten vor. Eine solche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts wäre dem im Juni 1967 nur teilweise verwirklichten Plan in die Quere gekommen, Israels Grenzen zu erweitern.

Die Zionisten hatten schon lange Interesse am Libanon. Dieser ist eins von vier kleinen Ländern, die entstanden, als der französische Imperialismus nach dem ersten Weltkrieg die syrische Provinz des Osmanischen Reiches aufteilte. 1938 strebte Ben Gurion, der 1948 Israels erster Ministerpräsident werden sollte, einen Staat Israel an, der sich bis in den südlichen Libanon, bis zum Fluss Litani, einem wichtigen Wasserreservoir, erstrecken sollte. Er hatte eine Allianz mit den christlichen Maroniten im Libanon im Sinn, die er als Bollwerk gegen die moslemischen Araber und den arabischen Nationalismus einplante, obwohl viele von ihnen das faschistische Deutschland unterstützt hatten. Die Maroniten sind eine der zahlreichen Gruppierungen, die das französische Kolonialregime benutzt hatte, um die Spaltung der Region zu verewigen.

Mitte der fünfziger Jahre dachte die israelische Regierung über die Zerschlagung des Libanon, die Bildung eines christlichen Staates und die Annektierung des Südlibanon nach. Der Generalstabsvorsitzende Moshe Dayan argumentierte - und nahm damit die Ereignisse Ende der siebziger Jahre vorweg -, dies könne gelingen, wenn man einen Offizier dafür gewinne oder besteche, sich an die Spitze der Maroniten zu stellen und einen Vorwand für eine israelische Invasion zu liefern.

Israel legte diese Pläne aus Rücksicht auf Frankreich, die Schutzmacht des Libanon, in die Schublade, als die beiden Länder sich 1956 mit Großbritannien zusammenschlossen, um in Ägypten einzudringen und Präsident Gamal Abdel Nasser zu stürzen. Dieser hatte es gewagt, den Suezkanal und andere imperialistische Interessen zu verstaatlichen. 1979 wurden Dayans Pläne in gewisser Weise realisiert. Israel übergab den Süden das Libanon unter Missachtung von UNO-Beschlüssen nach einer Invasion an Major Saad Haddad, einen aus der libanesischen Armee desertierten Major.

Der Juni 1967 war ein Wendepunkt in der Geschichte Israels. Der zionistische Staat - einer von vier kleinen, aus der syrischen Provinz des Osmanischen Reichs hervorgegangenen Staaten und von feindlichen arabischen Nachbarn umgeben - war in den bestehenden Grenzen nicht überlebensfähig. Auch wenn es nie die offiziell erklärte Strategie der Labour-Regierung war, nutzte sie doch die Gelegenheit einer von Ägypten provozierten Krise, um einen langgehegten Plan der Armee in die Tat umzusetzen und Israel auf das gesamte ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina und einen Teil Syriens auszudehnen. Solche "natürlichen" Grenzen waren leichter zu verteidigen und gaben Israel Zugang zum Wasser und zum Quellgebiet des Jordan.

Diese "Groß-Israel" Politik rief eine neue gesellschaftliche Schicht ins Leben - besonders unter den jüdischen Siedlern in den besetzten Gebieten -, die mit dieser expansionistischen Politik ideologisch und materiell verbunden war. Diese Schicht, deren Sprecher später General Ariel Scharon wurde, betrachtete die Eroberung des Libanon als ungelöste Aufgabe.

Gleichzeitig schuf der Krieg auch eine neue Generation palästinensischer Flüchtlinge, die vor der israelischen Armee flohen oder von ihr vertrieben wurden. Viele gingen in den Libanon, wo es schon seit 1948 Flüchtlingslager gab. Ihre Zahl wuchs nach dem mörderischen Krieg, den Jordaniens König Hussein 1970-71 gegen die Palästinenser führte, weiter an.

Der Krieg vom Juni 1967 führte auch zur Entstehung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unter der Führung von Jassir Arafat als einer Massenbewegung, die mit dem Mittel des bewaffneten Kampfes einen palästinensischen Staat anstrebte.

Nach der Vertreibung der PLO-Führung aus Jordanien 1970 wurde Beirut nicht nur das politische, soziale und kulturelle Zentrum der palästinensischen Bewegung, sondern auch das militärische Hauptquartier der PLO wurde dort eingerichtet. Für Israel wurde Beirut daher auch zu einer feindlichen Hochburg.

Israels Politik der verbrannten Erde in Libanon

Israel machte zwar viel Aufhebens von terroristischen Angriffen auf seine Bevölkerung, es berichtete aber sehr spärlich über die Politik der verbrannten Erde, die es selbst von 1968-74 im Libanon verfolgte. Diese wurde mit der Notwendigkeit begründet, Israels nördliche Siedlungen gegen palästinensische Überfälle zu schützen.

Um ein Beispiel anzuführen: dem palästinensischen Terrorangriff auf die Siedlung Ma'alot im Mai 1974, dem zwanzig Jugendliche zum Opfer fielen, gingen wochenlange israelische Bombenangriffe mit Phosphor- und Napalmbomben auf palästinensische Flüchtlingslager im Südlibanon voraus, bei denen mehr als 300 Menschen umkamen. Nur zwei Tage vor Ma'alot wurden im Dorf El-Kfeir im Libanon bei einem israelischen Luftschlag vier Zivilisten getötet.

Israels Feldzug hatte auch zum Ziel, die Unterstützung im Volk für die Palästinenser zu unterminieren, Zwietracht zwischen Palästinensern und Libanesen zu säen und die libanesische Regierung zu veranlassen, die PLO zu unterdrücken. Abba Eban, der Außenminister Israels von 1966-74, sagte, die Politik der Regierung stütze sich auf die "vorhersehbare Aussicht, die sich schließlich auch bewahrheitete, dass eine betroffene Bevölkerung sich schließlich irgendwann für die Einstellung der Feindseligkeiten einsetzen werde."

Die libanesische Armee zeichnete von 1968 bis 1974 mehr als 3000 Verletzungen des libanesischen Territoriums durch die israelische Armee auf, das sind pro Tag 1,4 Vorkommnisse. 1974-75 erhöhte sich die Zahl auf sieben pro Tag. Von 1968-74 wurden bei israelischen Angriffen 880 Libanesen und Palästinenser getötet. UNO-Vertretern zu Folge wurden im Libanon, in Syrien und Jordanien 3.500 Menschen bei israelischen Luftschlägen getötet. Es gibt zwar keine gesonderten Zahlen für die Palästinenser, aber man nimmt an, dass ihre Zahl doppelt so hoch ist wie die der Libanesen.

Schon 1975 hatte Israel bei Angriffen jenseits seiner Grenzen etwa zehnmal so viele Palästinenser und Libanesen getötet, wie Israelis bei palästinensischen Kommandounternehmen bis 1982 getötet wurden. Tausende Palästinenser wurden verwundet, und Zehntausende gezwungen, ihre Häuser im Südlibanon zu verlassen und Zuflucht in der relativen Sicherheit Beiruts und anderer Städte zu suchen. Deren Zahl hatte Ende der siebziger Jahre 250.000 erreicht. Das Ziel war, im Süden eine demilitarisierte Zone zu schaffen. Zu diesem Zweck wurde von 150 palästinensischen Lagern und Dörfern buchstäblich kein Stein auf dem anderen gelassen und Olivenhaine und Ernten vernichtet.

Mitte der siebziger Jahre hatte Arafats Fatah-Partei, die wichtigste Fraktion der PLO, eine "Zwei-Staaten-Lösung" akzeptiert: Sie strebte einen palästinensischen Ministaat auf der Westbank und im Gazastreifen an, den sie mittels Verhandlungen mit Israel zu erreichen hoffte, und begann, terroristische Angriffe in Israel abzulehnen. Das verhinderte aber nicht die israelischen Angriffe im Libanon, die sogar noch zunahmen. Als im Dezember 1975 dreißig Kampfflugzeuge palästinensische Flüchtlingslager und angrenzende Dörfer bombardierten und beschossen und dabei 57 Menschen töteten, behauptete Israel, die Angriffe seien keine Strafaktion gewesen, sondern hätten präventiven Charakter gehabt.

Diese Angriffe sollten jede Lösung des langjährigen Konflikts torpedieren, die einen palästinensischen Staat vorsah. Nur zwei Tage vorher hatte der UNO-Sicherheitsrat trotz lauter Proteste Israels eine arabische Initiative für eine Zwei-Staaten Lösung diskutiert und dadurch den Weg für die Teilnahme der PLO an den Gesprächen geebnet. Die USA legten ihr Veto gegen den Vorschlag ein. Die israelischen Angriffe hatten nichts mit der Verhinderung von Terrorismus zu tun, sondern sollten Vergeltungsschläge der Palästinenser provozieren und definitiv ausschließen, dass die UNO einem palästinensischen Staat zustimmte.

Der Ausbruch der ersten Phase des libanesischen Bürgerkriegs (1975-76) war Ausdruck der fehlenden Lebensfähigkeit des von internen Interessengegensätzen zerrissenen Teilstaates, den der französische Imperialismus hinterlassen hatte, um seinen Einfluss und seine Interessen zu wahren. In dem Kampf der Palästinenser und ihrer moslemischen Verbündeten gegen die reaktionäre maronitisch-christliche herrschende Elite, der im Kern ein Klassenkrieg war, unterstützte die israelische Regierung die diversen christlich-maronitischen Milizen - die, um nur zwei zu nennen, die Massaker von Tel al Zaatar und Khiyam verübt hatten. Sie betrachteten diese als ihre Stellvertreter gegen die PLO und deren moslemischen Verbündeten. Als es so aussah, als ob die Palästinenser und die Moslems siegen könnten, griff die syrische Armee ein, um den libanesischen Staat und das maronitische Establishment zu retten.

Im Mai 1977 kam Menachem Begins rechte Likud-Partei an die Regierung und beendete eine dreißigjährige Epoche, in der die Labour-Partei das politische Leben Israels dominiert hatte. Begin war ausdrücklicher Anhänger der "Groß-Israel"-Politik und intensivierte die Beziehungen Israels zu den Maroniten; er unterstützte dabei die Falangisten von Pierre und Bashir Gemayel gegen rivalisierende Parteien.

Der israelische Geheimdienst Mossad verschaffte der Falange Kanonen, Mörser, Panzer, Sprengstoff und eine Kommunikationsausrüstung. Mossad-Offiziere wurden in den christlichen Führungsstab eingeschleust, scheinbar um beim Einsatz israelischer Waffensysteme zu helfen, in Wirklichkeit aber um an Informationen über den Bürgerkrieg heranzukommen und Angriffe gegen palästinensische Stützpunkte im Libanon zu organisieren. Später wurden die Operationen auch auf Angriffe auf die libanesischen Schiiten im Süden des Libanon ausgeweitet, die mit den Palästinensern verbündet waren. Während der folgenden fünf Jahre, in denen der Bürgerkrieg im Libanon mit ständig wechselnden Allianzen mal stärker, mal schwächer tobte, unterstützte Israel die faschistische christliche Miliz, wofür es bis zu 100 Millionen Dollar pro Jahr aufwandte.

1977 gaben die Palästinenser entsprechend der ersten Phase des Shtaura-Abkommens ihr schweres Kriegsgerät ab. In diesem Abkommen hatten sich die libanesische Regierung, Syrien und die PLO verpflichtetet, die grenzüberschreitenden Angriffe der Palästinenser einzufrieren, um eine Lösung des Bürgerkriegs zu ermöglichen. Die Israelis reagierten auf diese Friedensinitiative, indem sie eine provokante und intensive Bombenkampagne begannen, die zum Tod von siebzig Menschen, fast alles Libanesen, führte. Außerdem eröffnete die von Israel kontrollierte Haddad-Miliz im Südlibanon eine Offensive, um mit israelischer Hilfe Pläne der libanesischen Regierung zu hintertreiben, die ihre Armee in den Süden entsenden wollte.

Im März 1978 marschierte Israel im Libanon ein, um Vergeltung für einen Angriff eines Palästinenserkommandos zu üben, das Israel von Beirut aus übers Meer erreicht und 34 Israelis getötet hatte. Die blutige Invasion führte zum Tod von über 2.000 Menschen und zur Vertreibung von über 250.000 Menschen aus ihren Häusern im Süden.

Die israelische Bombenkampagne wurde 1979 fortgesetzt. Die libanesische Regierung führte eine Liste, auf der nur die libanesischen Opfer standen. An einem einzigen Tag im April wurden fast 100 Libanesen getötet oder verwundet, und zwischen April und August wurden fast tausend Menschen getötet und 224 verletzt.

Scharon wird Verteidigungsminister

Die unerwartete Wiederwahl einer Likud-Regierung mit wachsender Mehrheit im Juni 1981 führte zu einer Veränderung in Ministerpräsident Begins Kabinett. General Ariel Scharon wurde Verteidigungsminister. Als junger Mann war Scharon Mitglied in dem paramilitärischen Jugendbataillon Gadna gewesen, ehe er der Haganah, der jüdischen Untergrundarmee und Vorläuferin der israelischen Armee, beigetreten war.

Nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 befehligte Scharon Abteilungen, die darauf spezialisiert waren, hinter den feindlichen Linien zu operieren, und die die Palästinenser zur Flucht aus ihren Häusern zwangen. Seine Einheit 101 hatte im Flüchtlingslager El-Bureig, südlich vom damals noch ägyptischen Gaza, 50 Flüchtlinge angegriffen und getötet. 1953 machte Scharon zum erstenmal von sich reden, als er als Kommandant der Einheit 101 in Jordanien einmarschierte und mindestens 45 Häuser des Dorfes Quibya auf der Westbank, damals unter jordanischer Herrschaft, in die Luft sprengte. Die Einheit 101 tötete 69 Menschen, die Hälfte davon Frauen und Kinder.

Scharon leitete noch andere gewaltsame Übergriffe in Jordanien, in Gaza, das damals zu Ägypten gehörte, und Syrien. In den frühen siebziger Jahren war er als Führer des Südkommandos der Armee für die brutale Niederschlagung des palästinensischen Widerstands im Gazastreifen verantwortlich.

Im Krieg von 1973 führte Scharon die israelischen Kräfte, die schließlich den Suezkanal überquerten und die ägyptische Armee besiegten. Sein Feldzug verschaffte ihm ebenso viele Feinde wie Freunde, da er sich über Befehle und Waffenstillstandsabkommen hinwegsetzte.

Als Scharon in Begins erster Likud-Regierung Landwirtschaftsminister war, rührte er die Werbetrommel für die Siedlerbewegung. "Lasst uns mehr Hügel einnehmen", insistierte er. "Was immer wir besetzen, es wird unser bleiben. Was jedoch unbesetzt bleibt, wird zuletzt in ihren Händen sein." Sein Ziel war es, Fakten zu schaffen, die eine Einigung mit den Palästinensern unmöglich machen würden. Lange Zeit hatte Scharon eine expansionistische Politik vertreten, die auch den Libanon umfasste, und sein Aufstieg ins Kabinett war ein klares Anzeichen dafür, dass Israel dabei war, seine militärischen Operationen im Libanon auszuweiten.

Scharons Priorität bestand darin, wie er später erklären sollte, "das Problem Libanon ein für allemal zu lösen". Er wollte Arafat und die PLO aus dem Libanon werfen, nicht nur aus dem Süden, von wo aus sie israelische Siedlungen beschießen konnten, sondern auch aus Beirut. Er verlangte auch, dass die Syrer aus dem Libanon abziehen müssten. Sie waren 1976 mit stillschweigender Zustimmung Israels in den Libanon gerufen worden, um die rechten Falangisten zu unterstützten und das Auseinanderbrechen des Landes zu verhindern. Dies war in Scharons Augen eine gravierende Fehlentscheidung, da es die Syrer in die Lage versetzte, die Kontrolle über den Libanon zu erlangen und so Israel daran zu hindern, über den Libanon nach Damaskus zu marschieren. Letztlich strebte er einen Friedensvertrag zwischen Israel und dem Libanon an.

Uri Avneri, der liberale israelische Journalist, berichtet, dass ihm Scharon acht Monate vor der Invasion im Libanon im Juni 1982 gesagt hatte, er wolle die PLO im Libanon zerschlagen, die Falangisten an die Macht bringen und aus dem Libanon eine Art christliches Protektorat machen; außerdem wolle er die Syrer aus dem Libanon vertreiben. Er wolle die Palästinenser nach Syrien treiben, in der Hoffnung, dass die Syrer sie weiter nach Jordanien treiben würden, worauf man aus Jordanien einen palästinensischen Staat hätte machen könne.

Nur wenige Wochen, nachdem er Verteidigungsminister geworden war, nahm Scharon nach zweijährigem Frieden wieder militärische Aktionen im Libanon auf. Er ließ Ziele im Südlibanon angreifen und provozierte so Gegenschläge, die ihm dann als Vorwand für ausgedehnte israelische Bombenangriffe dienten. Diese gipfelten am 17./18. Juli 1981 in einem Terrorbombardement Beiruts und anderer ziviler Ziele, das Hunderten das Leben kostete. Der amerikanische Sondergesandte Philip Habib vermittelte zwar einen Waffenstillstand, aber es war offensichtlich nur eine Frage der Zeit, bis Israel einen Vorwand finden würde, in den Libanon einzufallen.

Scharon traf seine Vorbereitungen. Im November beendete er das militärische Besatzungsregime auf der Westbank und in Gaza. Das verbesserte aber die Lage der Palästinenser keineswegs. Er verbot palästinensische politische Gruppen und führte ein neues und noch brutaleres Regime unter seiner eigenen und Menachem Milsons Kontrolle ein, des neuen Zivilverwalters. Praktisch wurden die Westbank und Gaza "Groß-Israel" einverleibt. Im Dezember wurden auch die syrischen Golanhöhen annektiert.

Das Bestreben der Regierung war, so viele israelische Juden auf der Westbank und im Gazastreifen anzusiedeln, dass die besetzten Gebiete nicht mehr an die Palästinenser zurückgegeben werden konnten. Sie plante, die Gebiete zu entwickeln und eine Infrastruktur für Fabriken, insbesondere für hochentwickelte Wissenschaftsindustrien, in den neuen Siedlungen zu schaffen.

Der Schlüssel für die Integration der besetzten Gebiete in ein Groß-Israel war die Zerschlagung der palästinensischen Führung, der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Scharons Ziel war es, und darin unterstützten ihn sowohl der Likud wie auch die Labour Partei, um jeden Preis eine Verhandlungslösung mit der PLO zu vermeiden. Aus Begins und Scharons Sicht war die erfolgreiche Isolierung derjenigen PLO-Fraktionen und der Staaten, die wie Irak und Libyen für die Zerstörung Israels entraten, durch Arafat ein Rückschlag. Es bedeutete, dass die PLO an allen Verhandlungen zur Beilegung des langen arabisch-israelischen Konflikts beteiligt sein würde, was zur Bildung eines palästinensischen Staates führen musste, wie es der Fahd-Friedensplan von 1981 vorgesehen hatte.

Das Friedensabkommen von Camp David 1978 ebnete den Weg für bilaterale Friedensabkommen mit den arabischen Nachbarn Israels. Es bot Israel auch die Chance, die besetzten Gebiete zu annektieren und die Invasion des Libanon vorzubereiten. Zu diesem Zweck hatte Israel bereits mit Ägypten Frieden geschlossen und, wie 1978 in Camp David vereinbart, mit dem Rückzug vom Sinai begonnen; dadurch hatte es das wichtigste arabische Land für den Fall neutralisiert, dass es einen seiner anderen Nachbarn angreifen sollte.

Von August 1981 bis Mai 1982 verletzten die israelischen Streitkräfte mit Scharons Billigung 2.125 mal den libanesischen Luftraum und 652 mal seine Hoheitsgewässer. Arafat hielt an dem von Habib vermittelten Waffenstillstand fest und übte keine Vergeltung, weil er auf Unterstützung der USA für eine Vereinbarung mit Israel hoffte.

Im Dezember 1981 warnte Scharon Philip Habib, den Sondergesandten von Präsident Reagan, und Morris Draper, den US-Sonderbotschafter, er plane, die PLO völlig auszulöschen, wenn diese den angeblich untragbaren Beschuss israelischer Siedlungen nicht sofort einstelle. Die USA waren über die politischen Folgen solchen Vorgehensweise besorgt und Habib machte deutlich, dass Scharon keine Rechtfertigung für einen Krieg habe. Er sagte: "Die PLO verübt nicht viele Überfälle. Es gibt keine Rechtfertigung für eine solche Reaktion Israels. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert.... Man kann nicht einfach so in ein Land einmarschieren." Trotzdem steigerte das Pentagon in den ersten Monaten von 1982 seine Waffenlieferungen an Israel, im vollen Wissen über die Invasionspläne Scharons. Die Lieferungen übertrafen die des Vorjahres um 50 Prozent und gingen auch im Juni, dem ersten Kriegsmonat, noch weiter.

Im Januar 1982 flog Scharon insgeheim nach Beirut, um Pierre Gemayel und seinen Sohn Baschir zu treffen, die alle ihre christlichen Gegenspieler ermordet hatten, um sich die Führung der christlichen Gruppen zu sichern. Baschir wollte bei den bevorstehenden Wahlen zum Präsidenten des Libanon gewählt werden. Scharon kündigte seine Absicht an, bis nach Beirut in den Libanon einzudringen. Er forderte von den Falangisten, sich dem Kampf Israels anzuschließen, die PLO aus Beirut und dem Libanon zu vertreiben und einen Friedensvertrag mit Israel zu unterschreiben.

Pierre Gemayel wies beide Wünsche zurück. So sehr er sich auch die Hilfe der Israelis wünschen mochte, so konnte er es sich doch nicht erlauben, vor aller Augen mit ihnen zusammen zu arbeiten.

Im Mai 1982 flog Scharon nach Washington, um Präsident Reagans Unterstützung zu gewinnen. Nach einem Treffen mit dem Präsidenten nahm Außenminister Alexander Haig Scharon beiseite und gab ihm, sozusagen von einem ex-General zum anderen, einen freundschaftlichen Rat. Er wies ihn darauf hin, dass er einen Casus Belli brauche. "Ariel," sagte er, "ich sage dir, das ist nicht zufriedenstellend... Nichts sollte im Libanon ohne eine international anerkannte Provokation getan werden, und die Verhältnismäßigkeit der israelischen Antwort auf die Provokation sollte gewahrt bleiben." Auch wenn nicht klar wurde, was eine ausreichende Provokation wäre, war Scharon so weit zufrieden. Er hatte seine amerikanischen Zahlmeister über seine Pläne unterrichtet, und sie hatten im Kern keine Einwände. Was er jetzt brauchte, war lediglich noch einen passenden Vorwand.

Später versuchte Haig zu leugnen, dass er grünes Licht für die Invasion gegeben habe, schränkte das aber folgendermaßen wieder ein: "Die Israelis haben deutlich gemacht, dass ihre Geduld erschöpft sei, und dass sie bei der nächsten Provokation reagieren würden. Sie haben uns das gesagt. Der Präsident wusste das." Auf Nachfrage konnte das Außenministerium nicht eine offizielle Erklärung zitieren, in der es sich gegen eine Invasion ausgesprochen hätte, abgesehen von der schnell wieder zurückgezogenen Unterstützung für die erste UN-Resolution, die Israel zur Beendigung seiner Aggression aufrief.

Zwei Wochen später schlug ein Attentat auf den israelischen Botschafter in London, Schlomo Argov, fehl. Es war von der Arafat- und PLO-feindlichen Gruppe Abu Nidals verübt worden, die von Irak aus operierte. Zwar hatte die Gruppe in Beirut kein Büro, doch das wurde von Ministerpräsident Begin genauso ignoriert, wie die Beteuerungen der PLO, weder mit dem Mordanschlag noch mit Abu Nidal irgendetwas zu tun zu haben. Für Begin waren "sie alle PLO." Mit anderen Worten war Arafat als Führer der PLO für sämtliche Aktivitäten aller palästinensischen Gruppen verantwortlich, und alle Palästinenser waren als Terroristen zu betrachten und zu eliminieren. Das Kabinett ordnete Bombenangriffe auf PLO-Stellungen in und um Beirut an. Als die Versammlung auseinander ging, sagte Begin: "Wir sollten auf das Maximum vorbereitet sein. Wir schlagen zu und schauen, was geschieht."

Israel bombardierte heftig PLO-Ziele, darunter auch die Flüchtlingslager Sabra und Schatilla und ein Krankenhaus. Mehr als 200 Menschen kamen bei diesen Angriffen ums Leben. Weil Arafat sich nicht in Beirut aufhielt, sondern zu Besuch in Amman, Jordanien, weilte, reagierten die Palästinenser mit dem Beschuss israelischer Siedlungen in Galiläa. Scharon nutzte das, um das Kabinett einige Tage später damit zu konfrontieren, dass es eine kurze, höchstens ein oder zwei Tage dauernde Operation mit dem Namen "Frieden für Galiläa" geben werde. Sie sollte sich darauf beschränken, die Palästinenser 40 bis 45 Kilometer zurückzudrängen, damit sie den Norden Israels nicht mehr beschießen konnten. Die Syrer im Libanon würden nicht angegriffen, es sei denn sie attackierten israelische Truppen. Als er nach Beirut gefragt wurde, sagte Scharon: "Beirut steht nicht zur Debatte. Das Ziel dieser Operation ist nicht, Beirut einzunehmen." Jedes Wort war eine Lüge.

Wenn einige Minister später behaupteten, Scharon habe sie getäuscht, dann ist das gelinde gesagt unaufrichtig. Zwei Monate vor dem Krieg hatte Begin Schimon Peres und die Labour-Partei über seine Pläne und über die Sprachregelung unterrichtet, mit der die Invasion der Öffentlichkeit verkauft werden sollte. Der altgediente Militärkorrespondent Ze'ev Schiff, der enge Beziehungen zum israelischen Militär hat, schrieb wenige Wochen vor der Invasion in Ha'aretz : "Es ist nicht wahr, dass wir, wie wir den Amerikanern sagen, nicht in den Libanon einmarschieren wollen. Es gibt einflussreiche Kräfte, angeführt vom Verteidigungsminister, die unter Einsatz von Geheimdiensten und faulen Tricks wohlüberlegte Schritte unternehmen, die uns in eine Lage bringen, in der Israel gar keine andere Wahl hat, als in den Libanon einzufallen, selbst wenn das zu einem Krieg mit Syrien führt."

Die israelische Invasion des Libanon im Juni 1982

Kaum hatte Scharon seine Truppen am 6. Juni über die libanesische Grenze marschieren lassen, als sie auch schon nordwärts Richtung Beirut zogen. Auf dem Weg dorthin zerstörten sie palästinensische Lager, trieben die Menschen nach Norden in das überwiegend moslemische West-Beirut und verhafteten viele der männlichen Erwachsenen. Israel nutzte seine totale Luftherrschaft und überlegene Feuerkraft, um alle Hindernisse wegzuschießen. Gelegentlich wurden vorher Flugblätter abgeworfen, welche die Bewohner aufforderten zu fliehen, bevor die Angriffe begannen. Dann wurden Bodentruppen geschickt, um aufzuräumen. Die Jerusalem Post schrieb: "Mit tödlicher Präzision machten die großen Kanonen ganze Häuserreihen und Wohnblocks nieder, die für PLO-Positionen gehalten wurden. Die Felder waren mit Kratern übersät.... Israels Strategie war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich: ein gesäubertes Niemandsland zu schaffen, durch das die israelischen Panzer vordringen konnten, und einen Ausbruch der PLO zu verhindern."

Entsprechend Scharons weitergehendem Plan, Syrien aus dem Libanon zu vertreiben, griff die israelische Armee am 9. Juni unprovoziert die syrischen Truppen in der Bekaa-Ebene an. Nachdem Israel an einem Tag mehr als 60 Flugzeuge ausgeschaltet hatte, ging Syrien jeder weiteren militärischen Konfrontation mit Israel aus dem Weg. Damit hatte Israel Syrien erfolgreich für den Rest des Feldzugs neutralisiert.

Ende Juni war der Süden des Libanon verwüstet. Zehntausend Menschen waren getötet worden, 350.000 bis 400.000 Palästinenser waren vertrieben, die israelische Armee hatte 15.000 Gefangene gemacht und nur Weniges war noch intakt. Ein israelischer Journalist schrieb: "Die schockierenden Szenen der zerstörten Lager beweisen, dass die Zerstörungen systematisch angerichtet wurden." Viele Personen wurden nie wieder aufgefunden. Die Überlebenden wurden der Gnade der Falange-Milizen und der Truppen Haddads überlassen, den Handlangern Israels im Südlibanon.

Die Bombardierung und Belagerung Beiruts

Am 13. Juni, dem achten Tag des Kriegs, erklärte Begin der Knesset, dass die Kämpfe aufhören würden, wenn die Armee die 40 Kilometer-Linie erreicht habe. Zu diesem Zeitpunkt stand Scharon mit seinen Truppen, die West-Beirut umzingelt hatten, bereits in Ba'abda oberhalb der Stadt, die jetzt 500.000 Menschen beherbergte. Die folgende Belagerung sollte 70 Tage dauern.

In dieser Zeit wurde die Stadt heftig bombardiert, unter anderem mit Splitter- und Phosphorbomben. Damit sollten nicht nur die PLO und ihre militärischen Einrichtungen, sondern ihre gesamte soziale Basis und ihr soziales Netzwerk zerstört werden: ihre Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, ihre politischen und gesellschaftlichen Organisationen und vor allem die verwahrlosten Elendsquartiere, die den Palästinensern im Libanon zur Heimat geworden waren.

Nicht einmal die Krankenhäuser wurden verschont, obwohl sie deutlich gekennzeichnet waren. Am 6. August standen dem Roten Kreuz zu Folge in West-Beirut noch 30 Krankenhausbetten von vorher 1.400 zur Verfügung. Die Flüchtlingslager wurden ständig bombardiert, was schon in den ersten Wochen des Krieges zur Flucht von mehr als der Hälfte der 125.000 Bewohner von Sabra und Schatilla führte, obwohl keine schwere Artillerie oder stark befestigte Positionen gefunden wurden. Palästinenser die versuchten, West-Beirut zu verlassen, wurden von in der Stadt patrouillierenden israelischen Soldaten daran gehindert.

Die UN schätzte, dass allein in West-Beirut 13.500 Wohnungen schwer beschädigt wurden, die Palästinenserlager nicht mitgerechnet. Strom- und Wasserversorgung wurden ständig unterbrochen und die Lebensmittel und Medikamentenversorgung brach zusammen. Internationalen Hilfsorganisationen wurde der Zugang verweigert.

Die libanesische Polizei schätzte, dass von Anfang Juni bis Ende Dezember mehr als 19.000 Menschen getötet und 30.000 verletzt wurden. Von diesen wurden 6.775 in Beirut getötet, davon waren 84 Prozent Zivilisten. "Nicht mit gezählt sind die in Massengräbern Beigesetzten, über die die libanesischen Behörden nicht informiert wurden," hieß es. Im Gegensatz dazu wurden von Juni bis Ende November 486 israelische Soldaten getötet. 117 von ihnen fielen im Kampf um Beirut.

Der Zweck der Belagerung Beiruts und der damit einhergehenden Brutalität war es, größtmöglichen Druck auf die libanesische Regierung auszuüben, Arafat und die PLO zum Verlassen des Landes zu zwingen. Um das zu erreichen, riss Israel die Kontrolle über die Hauptstadt eines anderen Landes an sich, brach alle Kriegskonventionen und nahm die halbe Bevölkerung von Beirut (alle Bewohner West-Beiruts) als Geiseln.

Die Rolle der USA bei der Evakuierung der PLO

Die USA griffen keineswegs als ehrlicher Makler ein, sondern intervenierten, um im Interesse Israels die Evakuierung der PLO zu organisieren. Sie boten Garantien, die palästinensischen Zivilisten zu schützen, die absolut entscheidend für die Zustimmung der PLO war, Beirut zu verlassen. Diese Garantien wurden aber nicht eingelöst.

Die USA schickten Habib in den Nahen Osten zurück, um Scharons Bedingungen für eine Beendigung der Kämpfe zu erfahren. Habib fragte: "Wer muss Beirut verlassen? Alle 10.000 [PLO-Kämpfer] oder nur ihre Führer?" Scharon antwortete: "Alle Terroristen. Sie müssen alle gehen. Wenn sie sich weigern, werden sie vernichtet.... Sagt ihnen, dass sie gehen sollen." Als Habib entgegnete: "Ich denke, was Sie verlangen, ist unmöglich," schickte Scharon Dutzende Kampfjets, die Hunderte Tonnen Bomben auf Sabra und Schatilla und panzerbrechende Splitterbomben auf Wohnblocks in West-Beirut abwarfen.

Daraufhin tat Habib alles, um die libanesische Regierung dazu zu bringen, dass sie Arafat drängte, Scharons Bedingungen zu akzeptieren. Weil er wusste, dass Scharon keine Versprechungen akzeptieren würde, brachte er Arafat dazu,, schriftlich den Abzug aller seiner Kämpfer zu garantieren.

Jetzt musste Habib arabische Länder finden, die bereit waren, die Palästinenser aufzunehmen, aber es gab nur wenige aufnahmewillige. Die arabischen Führer hatten sämtlich zugeschaut, als der Libanon überfallen wurde, auch die, die mit dem Mundwerk laut Opposition gegen Israel betrieben. Wenige waren bereit, die PLO-Kämpfer aufzunehmen, die sie als Unruhestifter betrachteten. Jordaniens König Hussein verlangte sogar, dass die bewaffneten Guerilleros, falls sie nach Syrien gehen sollten, weit entfernt von der Grenze mit Jordanien untergebracht werden. Er erlaubte einigen Palästinensern mit jordanischen Pässen die Einreise nach Jordanien. Ägypten und Syrien nahmen überhaupt keine PLO-Kämpfer auf, während Tunesien, Jemen, Sudan, Irak und Algerien einige aufnahmen.

Selbst nach der Zustimmung der PLO zur Evakuierung gingen die Bombenangriffe weiter; so wurde das Flüchtlingslager Bourj al Barajneh mit einem Bombenteppich belegt. Am Samstag, den 21. August verließ das erste Kontingent von 12.000 PLO-Kämpfern Beirut per Schiff. Arafat selbst ging am 30. August 1982 als letzter. Die USA hatten mit Präsident Bourguiba vereinbart, dass er in Tunis Aufnahme finden würde. Weitere 10.000 PLO-Kämpfer blieben im Osten und Norden des Libanon in Gebieten unter syrischer Kontrolle.

Der Schutz in Beirut zurückbleibender palästinensischer Zivilisten war ein zentraler Punkt der Vereinbarung, unter der die PLO ihrer Evakuierung aus der Stadt zugestimmt hatte. Eine multinationale Truppe aus Amerikanern, Italienern und Franzosen sollte in Beirut die Evakuierung überwachen und ihre Sicherheit garantieren. Zusätzlich gab es bilaterale Vereinbarungen der Regierungen der USA und des Libanon mit der PLO und ein Versprechen Israels, nicht in Beirut einzumarschieren.

In der Vereinbarung hieß es: "Die USA geben ihre Garantien auf der Grundlage von Versicherungen der israelischen Regierung und bestimmter libanesischer Gruppen, mit denen wir in Kontakt standen." Habib bestätigte später, dass er persönlich die Vereinbarung zum Schutz der Palästinenser unterzeichnet hatte. "Ich habe konkrete Garantien dazu von Baschir und von den Israelis - von Scharon - bekommen." Habib schrieb persönlich an den libanesischen Premierminister: "Meine Regierung wird alles tun, damit diese Zusagen [der israelischen Seite] genau eingehalten werden."

Die Tinte unter den Vereinbarungen war noch nicht trocken, da brach Israel seine Versprechungen. Die libanesische Armee sollte an der Sicherheitsoperation beteiligt werden, wurde aber von der israelischen Armee daran gehindert, was ein Bruch ihrer Zusage war, sich aus Beirut zurückzuziehen. Das war nur die erste von vielen noch folgenden Verletzungen der Vereinbarungen, die die USA letztlich duldeten. Die israelische Armee hatte Arafat im Visier. Sie hätten ihn leicht töten können, aber die USA hatten Scharon das Versprechen abgenommen, Arafats sichere Abreise und Fahrt nach Tunis zu garantieren: Ein Versprechen, dass Scharon kürzlich öffentlich bedauert hat.

Als Teil des von Habib ausgehandelten Abkommens übernahm die libanesischen Polizei die Kontrolle in West-Beirut und sammelte Waffen und Munition aus den PLO-Depots ein, wobei einiges davon auch der moslemischen Murabitun-Miliz ausgehändigt wurde.

Während der Evakuierung der PLO gewann am 23. August Israels Mann Baschir Gemayel, der die größte Privatarmee des Libanon befehligte, die Präsidentschaftswahl. Die Kontrolle Israels in einem großen Teil des Landes erlaubte es, wichtige Delegierte der Wahlversammlung zu schützen und sie mit Hubschraubern zur Abstimmung nach Ost-Beirut zu fliegen. Gemayel wurde am 23. September als Präsident des Libanon vereidigt.

Israel hatte für die Falange den Krieg gewonnen, ohne dass sie einen Finger rühren musste. Die Falange hatte es sogar abgelehnt zu kämpfen, weil sie in früheren Kämpfen mit den Palästinensern einige Soldaten verloren hatte. Während die israelische Regierung über den Erfolg ihres Feldzugs jubelte, waren die nun schutzlosen Palästinenser und libanesischen Moslems in Beirut voller Angst. Sie waren der Falange, Haddads bewaffneter Miliz in Südlibanon und allen anderen ausgeliefert, die die Unterstützung Israels genossen.

Der Journalist Robert Fisk kommentierte prophetisch in der Londoner Times : "Die Zivilisten in West-Beirut werden höchstens von der libanesischen Armee geschützt. Es ist aber nicht die Art Armee, von denen sich die Menschen im moslemischen Sektor der Stadt viel versprechen können." In seinem Buch "Pity the Nation", das ein Augenzeugenbericht der Gräueltaten von Beirut ist, gab Fisk zu, dass er selbst die wirkliche Bedeutung seiner Worte oder das Ausmaß der folgenden Schlächterei nicht ermessen hatte.

Kaum waren Arafat und die letzten Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) abgereist, verschlechterten sich die Beziehungen Israels zu seinem Schutzpatron und zu seinem Vasallen. Die Interessen begannen auseinander zu driften.

Als erstes stellten die Amerikaner - in der Absicht, die arabischen Regime zu besänftigen und die Auswirkungen des Kriegs auf die amerikanische Innenpolitik zu mildern - eine neue Friedensinitiative, den Reagan-Plan vor. Dieser Plan schloss eine Annexion, Beherrschung oder dauerhafte Kontrolle der besetzten Gebiete durch Israel ausdrücklich aus. Er forderte ein Einfrieren des Ausbaus bestehender und der Gründung neuer Siedlungen und eine "Selbstregierung der Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens in Konföderation mit Jordanien", eine sogenannte Konföderationslösung. Weder die Selbstregierung noch die Grenzen eines solchen Gebildes waren klar definiert, und die PLO sollte keine Rolle spielen, aber trotz dieser Inkonsequenz war der Plan für die Palästinenser günstiger als alles, was bisher angeboten worden war.

So sehr Israel von den USA abhängig war, hatte es nicht die Absicht, dies zu akzeptieren, und erklärte das auch ganz offen und herausfordernd. Scharon sagte: "Israel wird das nicht nur nicht akzeptieren, es wird nicht einmal darüber diskutieren. Die USA hätten sich eine Menge Peinlichkeiten und Frustrationen ersparen können", wenn sie den Vorschlag gar nicht erst gemacht hätten. Israel kündigte umgehend die Gründung neuer Siedlungen auf der Westbank und auf den Golanhöhen an.

Obwohl sich die Konflikte zwischen den USA und Israel in den nächsten zwölf Monaten weiter verschärften, erhöhte Reagan 1983 die Militärhilfe für Israel und schlug vor, sie 1984 auf demselben Niveau zu halten, worauf sie vom Kongress weiter erhöht wurde.

Das Verhältnis zu Baschir Gemayel, der mittlerweile zum Präsidenten gewählt worden war, und auf den Israel nach der Bekanntgabe des Reagan-Plans mehr denn je angewiesen war, verschlechterte sich zusehends. Begin war der Meinung, dass jetzt Zahltag sei. Er bestellte Gemayel zu einem Treffen nach Israel und forderte von ihm am 15. September die Unterzeichnung eines Friedensvertrags. Aber Gemayel war vor allem libanesischer Nationalist, auch wenn er die Hilfe der Israelis noch so gut gebrauchen konnte. Um die Kontrolle in einem vereinten Libanon behalten zu können, musste er sich irgendwie mit den moslemischen Führern einigen. Die Unterzeichnung eines Vertrages mit Israel, das jetzt so ziemlich von allen als Feind gesehen wurde, hätte die Spaltung des Libanon bedeutet.

Begin verlangte von Gemayel auch, in Sabra und Schatilla einzudringen und die restlichen "Terroristen" zu verjagen; er behauptete, Arafat habe 2.000 PLO-Kämpfer zurückgelassen. Das war ein weiterer Vorschlag, den Gemayel nicht direkt umsetzen konnte, ohne die politischen Verhältnisse im Libanon zu destabilisieren. Er war auch über Begins Vorstellung empört, in einem 45-Kilometerstreifen im Südlibanon eine Militärpräsenz unter der Kontrolle einer weiteren israelische Marionette, des Majors Saad Haddad, zu errichten.

Israel hatte Gemayel unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er im Libanon nur mit Zustimmung Israels regieren könne. Im Verlauf des Treffens streckte Gemayel Begin die Arme entgegen und sagte: "Legen Sie mir doch gleich Handschellen an," und fügte hinzu: "Ich bin nicht Ihr Vasall." Er drohte, Haddad des Hochverrats anzuklagen, und lehnte rundheraus ab, einen Vertrag zu unterschreiben oder gegen die Lager vorzugehen. Tatsächlich waren die Falangisten hoffnungslos zerstritten. Einige in der Falange waren gegenüber Israel feindlich eingestellt und arbeiteten jetzt mit den Syrern zusammen, die gegen Gemayels Beziehungen mit Israel waren. Gemayel musste zwischen diesen und den zahllosen anderen Fraktionen im Libanon balancieren.

Am 3. September schickte Israel seine Truppen über die in Übereinstimmung mit Habib festgelegte Waffenstillstandslinie. Sabra und Schatilla am Stadtrand von Beirut waren für viele Palästinenser zum Zufluchtsort geworden, die ihre Wohnungen hatten verlassen müssen. Sie waren die wichtigste Unterstützungsbasis der PLO. Die israelischen Truppen beseitigten dort Landminen und richteten Beobachtungsposten ein. Obwohl das ein klarer Bruch der Waffenstillstandsvereinbarung war, scheinen weder die USA noch sonst jemand in der internationalen Streitmacht von den Israelis verlangt zu haben, sich wieder zurück zu ziehen.

Israel verlangte, die Murabitun Miliz - die größte moslemische paramilitärische Gruppe und stärkste Verbündete der PLO im Libanon - müsse aus Beirut abziehen. Am 11. September zogen die USA zwei Wochen vor Ablauf ihres Mandats ihre letzten Truppen ab, die geschickt worden waren, um die Sicherheit der Palästinenser zu garantieren. Der Abzug der Amerikaner war das Signal auch für den Abzug der anderen internationalen Kräfte. Im Ergebnis hatten die sogenannten internationalen Beschützer die Entwaffnung der Palästinenser und ihrer Verbündeten überwacht und sie dann denen ausgeliefert, die sie am meisten fürchteten: den Israelis und den christlichen Milizen.

Das Massaker von Sabra und Schatilla

Am 14. September wurde Gemayel bei einem Bombenanschlag ermordet, der mit einer riesigen Explosionskraft das zentrale Hauptquartier der Falangisten in Beirut zerstörte. Führer der Palästinenser und der Moslems wiesen jede Verantwortung dafür zurück. Da das Hauptquartier das bestbewachte Gebäude in Beirut war, müssen die Attentäter Unterstützung von innen gehabt haben. Es wurde niemals geklärt, welcher seiner Feinde für Gemayels Tod verantwortlich war.

Kaum hatte Begin von Gemayels Ermordung gehört, als er sein den USA gegebenes Versprechen brach und der israelischen Armee befahl, nach West-Beirut einzumarschieren. Er rechtfertigte seinen Schritt gegenüber Habibs Stellvertreter Morris Draper mit der Notwendigkeit, "Racheakte der Christen gegen die Palästinenser zu verhindern" und nach Gemayels Ermordung Ordnung und Stabilität zu wahren. Ein paar Tage später ließ Scharon die Katze aus dem Sack. "Unser Einmarsch in West-Beirut diente dem Krieg gegen die von den Terroristen hinterlassene Infrastruktur," sagte er vor der Knesset, dem israelischen Parlament. Damit meinte er die palästinensischen Zivilisten und ihre moslemischen Verbündeten.

Scharon befahl dem Generalstabschef Rafael Eitan, der später die ultrarechte Partei Tehiya gründete, die Milizen der Falange in die Lager zu lassen, um sie von den Terroristen "zu säubern". Die israelische Armee sollte die Operation nicht selbst ausführen. Ihre Marionetten konnten die Drecksarbeit für sie erledigen. Der Korrespondent der New York Times, David Shipler, erklärte warum. Er sagte, dass schon Mitte August "israelische Vertreter privat über einen Plan von Verteidigungsminister Ariel Scharon gesprochen haben, die Falangisten nach West-Beirut und in die Lager hineinzulassen, um mit der PLO aufzuräumen. Das Kalkül war, dass die Falangisten, die noch alte Rechnungen zu begleichen hatten und die palästinensischen Kämpfer besser kannten, rücksichtsloser als Israelis vorgehen und wahrscheinlich effektiver sein würden."

Eitan gab Befehl Nummer Sechs heraus, dass die "Flüchtlingslager [Sabra und Schatilla] nicht betreten werden. Die Durchsuchung und Säuberung der Lager wird von den Falangisten und der libanesischen Armee gemacht." Er kontaktierte Elie Hobeika, den mörderischen falangistischen Kommandeur der Damouri-Brigade, und sagte ihm, was man von ihm erwartete.

Am 15. September drang die israelische Armee wieder in Beirut ein und übernahm die Kontrolle; sie tötete dabei 88 Menschen und verletzte 254. Schnell umzingelte sie Sabra und Schatilla und riegelte sie ab. Auf dem Weg dahin hatte sie schon kleinere Lager angegriffen. Am 16. September um 11.20 Uhr gab Israel zu, die Lager zu kontrollieren. Eine israelische Presseerklärung gab bekannt: "Unsere Armee kontrolliert alle Schlüsselpositionen in Beirut. Flüchtlingslager, in denen sich weitere Terroristen verschanzt halten, sind umzingelt und eingeschlossen."

Am gleichen Tag wurden etwa 50 Soldaten der Haddad-Truppe, die nahezu vollständig in die israelische Armee integriert waren und völlig unter ihrem Kommando operierten, nach Beirut gebracht. Mit 100 Falange-Milizionären drangen sie nach Sabra und Schatilla ein - eine lächerlich kleine Truppe, falls sich wirklich in den Lagern noch ganze Waffenarsenale und 2.000 bewaffnete Guerilleros befanden, wie Scharon behauptete.

Mehrere Journalisten, unter ihnen Robert Fisk, haben auf der Grundlage eigener Erlebnisse, von Augenzeugenberichten und von Interviews mit Überlebenden Bücher über die grauenvollen Ereignisse in Beirut geschrieben. Andere Aspekte der Geschichte sind aus dem Beweismaterial der Kahan-Kommission zusammengetragen worden, der offiziellen israelischen Untersuchungskommission über die Massaker. Zwei Punkte müssen betont werden: es sind niemals irgendwelche Waffen in den Lagern gefunden worden und dem Eindringen der christlichen Milizen gingen keinerlei Kämpfe voraus. In den nächsten 36 Stunden wüteten die Marionetten Israels, die christlichen Milizen, in den Lagern und vergewaltigten und töteten wahllos Menschen mit Messern und Gewehren. Leute wurden gefoltert, darunter auch schwangere Frauen, und die Leichen vieler Opfer wurden verstümmelt.

Augenzeugen machten für die meisten Morde Haddads Truppen verantwortlich. Die Falangisten unter dem Kommando von Elie Hobeika waren nicht weniger blutrünstig. Ein Falangist fragte Hobeika über Funk, was mit 50 palästinensischen Frauen und Kindern geschehen sollte. Er antwortete. "Das ist das letzte Mal, dass ihr mir so eine Frage stellt. Ihr wisst genau, was ihr zu tun habt." Der Soldat lachte als Antwort.

Es gab zahlreiche Berichte, dass Hunderte Männer während und nach den Massakern zusammengetrieben und in israelische Internierungslager im Südlibanon geschafft wurden. Viele wurden nie wieder gesehen. Die genaue Zahl der Getöteten und Verwundeten ist zwar nicht bekannt, israelische Schätzungen nennen aber eine Zahl von 800 Toten, während das palästinensische Rote Kreuz eine Zahl von mehr als 2000 angibt. Mindestens ein Viertel von ihnen waren libanesische schiitische Moslems.

Die Gräueltaten wurden vor den Augen der israelischen Truppen auf den Beobachtungsposten auf Anhöhen am Rande der Lager verübt. Schon am Abend berichteten libanesische Soldaten dem Internationalen Roten Kreuz über Exzesse, die ihnen von palästinensischen Frauen in den Lagern berichtet worden waren. Am Morgen des 17. Septembers fand der Journalist Ze'ev Schiff von Ha'aretz heraus, was geschehen war, und berichtete der israelischen Regierung darüber. Er ging allerdings nicht an die Öffentlichkeit, obwohl ausländische Journalisten schon über die Gräueltaten zu berichten begannen. Der israelische Außenminister Itzak Schamir, der später Ministerpräsident wurde, behauptete, die Botschaft nicht verstanden zu haben. Aber auch schon davor hatte ein Falange-Kommandeur dem General Yaron gefunkt: "300 Zivilisten und Terroristen sind getötet worden."

Im Laufe des Tages trafen sich Generalstabschef Eitan und die Generäle Drori und Yaron mit der Führung der Falangisten und gratulierten ihr zu ihrer "guten Arbeit"; sie autorisierten sie, frische Kräfte einzusetzen und ihren Job zu vollenden. Am Nachmittag wussten mindestens 45 israelische Soldaten, was vor sich ging. Die Palästinenser appellierten an sie, das Blutbad zu stoppen. Sie lehnten ab.

Auch die US-Aufklärung hatte von dem Morden erfahren. Morris Draper, der US-Sondergesandte, hatte keinen Zweifel an der Rolle Israels. Am 16. verlangte er von Israel. "Ihr müsst die Massaker beenden. Sie sind obszön. Ich habe einen Offizier in den Lagern, der die Leichen zählt. Ihr solltet euch schämen. Die Situation ist schrecklich. Sie töten Kinder. Ihr habt die volle Kontrolle über das Gebiet und seid deshalb verantwortlich für das Gebiet. " [Hervorhebung hinzugefügt].

Drapers Worte bestätigen, falls noch eine Bestätigung nötig war, Israels Verantwortung nach internationalem Recht und nach den Bestimmungen der von Habib vermittelten Vereinbarung für die Sicherheit der Zivilbevölkerung von Beirut. Er hatte schon am Abend vorher, als die Massaker schon in vollem Gange waren, vor den "schrecklichen Folgen" gewarnt, wenn die Milizen in die Lager gelassen würden. Aber erst am 18. September, 36 Stunden nach Beginn des Blutbads, zogen die Israelis die Milizen aus den Lagern zurück. General Yaron sagte später aus, dass das nicht aus humanitären Erwägungen, sondern auf Druck der Amerikaner geschah. Dieses Eingeständnis beleuchtet nur den kriminellen Charakter der Weigerung der USA, seine Statthalter während der ganzen Zeit im Zaum zu halten.

Die Bilanz zeigt, dass Scharon nach jedem objektiven Maßstab ein Kriegsverbrecher ist, dessen mörderische Aktivitäten und Verletzungen des Kriegsrechts bei der Verfolgung der politischen und wirtschaftlichen Interessen des Zionismus ein halbes Jahrhundert zurückreichen.

Die Bilanz zeigt auch, dass das Massaker nicht nur von den Israelis unterstützt wurde, sondern dass es nur möglich war, weil die USA ihre ausdrückliche Garantie gebrochen haben, von der die Vereinbarung über den Abzug der PLO abhängig war. Die USA haben nie formell gegen die Invasion von Beirut oder die Ereignisse von Sabra und Schatilla protestiert. Auch wenn öffentlich Verärgerung und Unzufriedenheit zur Schau getragen wurde - privat wurde das Vorgehen Israels abgenickt.

Die Kahan-Kommission

Während nicht eines der arabischen Regime einen Finger rührte, um den Palästinensern zu helfen, machte die israelische Arbeiterklasse deutlich, dass sie nicht bereit war zu dulden, dass ihre Regierung die Palästinenser eliminierte, und forderte ein Ende des Pogroms. Sabra und Schatilla riefen weltweit einen Sturm der Entrüstung hervor, aber was noch wichtiger ist, in Israel selbst demonstrierten 400.000 Menschen, d.h. ein Zehntel der Bevölkerung, auf den Strassen von Tel Aviv gegen die Begin-Regierung und forderten eine Untersuchung.

Die Kahan-Kommission wurde eingerichtet, um die öffentliche Entrüstung zu beruhigen. Ihr 1983 veröffentlichter Bericht war inhaltlich begrenzt und in gewissem Maße ein Persilschein. Trotzdem machte er in grobem Umfang den Ablauf der Ereignisse vom 16.-18. September und Israels Rolle erkennbar. Seine Schlussfolgerungen waren aber nicht aus den gewonnenen Erkenntnissen abgeleitet.

Er beschränkte sich auf die unmittelbaren Ereignisse und ignorierte den Kontext und das folgende "Verschwinden" von Palästinensern, die sich im Gewahrsam der israelischen Armee und ihrer Marionetten im Südlibanon befanden. Der Titel des Berichts erwähnte die Palästinenser nicht einmal. Er ignorierte Israels juristische Verantwortung nach internationalem Recht und seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung, an der es beteiligt gewesen war, mittels des einfachen Tricks, Beirut nicht als unter Kontrolle einer Besatzungsmacht zu definieren. Er kam zu dem Ergebnis, dass die israelische Armee nicht direkt an den Schlächtereien beteiligt war, was auch niemand ernsthaft behauptet hatte. Die Kommission akzeptierte die Rechtfertigung der Regierung und der Armee für die Entsendung der christlichen Milizen und hielt trotz gegenteiliger Zeugenaussagen fest, dass die Armee nicht wusste, was in den Lagern vor sich ging.

Er wies zwar die Anschuldigung zurück, die Armee habe die Konsequenzen "vorher gekannt", aber er akzeptierte nicht die Behauptung Begins, die israelische Regierung habe die tragischen Konsequenzen der Entsendung der christlichen Milizen in die Lager nicht erwartet oder vorausgesehen. Die Kommission stellte fest, israelische Beamte hätten bei geheimen Treffen von Mossad-Agenten mit Baschir Gemayel "Dinge von [Baschir] gehört, die keinen Zweifel an den Absichten der Falange-Führung ließen, das Palästinenser-Problem zu eliminieren, wenn er an die Macht komme - selbst wenn das den Einsatz außergewöhnlicher Mittel gegen die Palästinenser erfordere." Außerdem gaben israelische Generäle zu, dass sie die Falange-Miliz einsetzten, weil sie ihr Befehle geben konnten, die sie der libanesischen Armee nicht hätten geben können.

Es ist interessant, dass die Kommission alle Schuld für die Gräueltaten auf die Falange unter der Führung von Hobeika abwälzte und "Gerüchte" zurückwies, dass Haddad und seine Leute bei dem Morden eine Rolle gespielt hätten oder auch nur anwesend gewesen seien, obwohl zahllose Zeugen ihre mörderischen Aktivitäten bezeugten. Dabei war die Falange ein engerer politischer Verbündeter gewesen als Haddad: sie war von den Israelis ausgebildet und mit den gleichen Waffen ausgerüstet worden und leistete Israel die gleichen Dienste in Beirut, dem Schuf-Gebirge und der Region Metn, wie Haddad im Süden.

Die Bereitschaft mit dem Finger auf die Falange zu zeigen kann nur im Zusammenhang mit Israels Plänen für die Zukunft verstanden werden. Für Israel war die politische Nützlichkeit der Falange mit der Ermordung Gemayels erschöpft, obwohl sie noch militärischen Nutzen hatte. Das bedeutete, dass Israel noch mehr auf Haddads Truppen als Polizeitruppe im Süden angewiesen war. Es erklärt auch, warum Hobeikas Aussage vor dem belgischen Gericht vermutlich so kompromittierend für Scharon gewesen wäre. Er war bereit auszupacken und behauptete, Videoaufnahmen und anders Material zu besitzen, das Scharons Rolle in der Affäre bewiesen hätte.

Die Kommission wies Israel eine gewisse "indirekte Verantwortung" für das Massaker zu. Sie verurteilte Begin, Scharon und die Generäle in unterschiedlicher Schärfe. Sie schloss, dass Scharon eine "persönliche Verantwortung" für die Geschehnisse in den Lagern trage und empfahl seine Entlassung als Verteidigungsminister. Scharon wurde zwar tatsächlich als Verteidigungsminister abgelöst, er blieb aber als Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett.

Die Kommission sprach keine Empfehlung hinsichtlich Generalstabschef Rafael Eitan aus - dem Mann, der das Massaker erwartet hatte, der erlaubt hatte, die Truppen, die so gute Arbeit geleistet hatten, durch frische zu ersetzen, und der über die Rolle der Armee gelogen hatte - weil er in Kürze in Ruhestand gehen sollte. Eitan wurde Parlamentsabgeordneter und gründete eine ultrarechte Partei.

General Yaron, der schon am ersten Abend von dem Blutbad wusste und nichts tat, sollte für drei Jahre suspendiert werden. Kurz danach wurde ihm die Rekrutierung und Ausbildung der Armee übertragen und 1986 erhielt er den Spitzenjob des Militärattachés in Washington. Die Kommission empfahl, den Direktor des militärischen Geheimdiensts zu entlassen, und wies General Drori einen großen Teil der Verantwortung zu, "ohne das mit einer Empfehlung zu verbinden".

Es hat fast zwanzig Jahre gedauert, bis Ariel Scharon, der Mann, der 1983 nicht mehr Verteidigungsminister sein konnte, für das höchste Amt als Ministerpräsident tragbar schien. Mit Sabra und Schatilla hat er sich in den Augen der Rechten unvergängliche Verdienste erworben. Die Palästina-Politik, die er seit Jahrzehnten verkörpert - Völkermord oder ethnische Säuberung - hat das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung abgelöst, wie sie in dem Abkommen von Oslo von 1993 festgelegt worden war. Jetzt geifert die extreme Rechte offen nach einem "Bevölkerungstransfer" aus der Westbank, einem Ende der "Zurückhaltung" und der Wiederbesetzung der im Krieg von 1967 eroberten Gebiete, alles Maßnahmen, die ein Blutbad erfordern würden, das die Grausamkeiten von Sabra und Schatilla in den Schatten stellt.

Literatur:

R. Brynon, Security and Survival: The PLO in Lebanon, Westview Press, 1990

M. Chomsky, The Fateful Triangle: The United States, Israel and the Palestinians, Pluto Press, 1999

R. Fisk, Pity the Nation, Oxford University Press, 1990

T. Friedman, From Beirut to Jerusalem, HarperCollins, 1989

Z. Schiff, E. Ya'ari, Israel's Lebanon War, 1985

Siehe auch:

Scharon sucht nach Vorwand für militärischen Angriff
(11. August 2001)

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