Deutschland

Hunderttausend demonstrieren für sofortiges Kriegsende

Rund hunderttausend Menschen haben in Deutschland auch am vergangene Samstag wieder an Demonstrationen und Sitzblockaden teilgenommen, um ein sofortiges Ende des amerikanisch-britischen Kriegs gegen den Irak zu fordern. Allein in Berlin gingen 50.000 auf die Straße.

Zwischen Osnabrück und Münster beteiligten sich 30.000 an einer 50 Kilometer langen Menschenkette. In den beiden Städten war 1648 der Westfälische Friede geschlossen worden, der den für Deutschland verheerenden 30-jährigen Krieg beendete. In Dresden, Hamburg, Kiel, Lübeck, Cottbus, Rostock, Bonn und München fanden kleinere Aktionen statt. In Stuttgart und Frankfurt wurden US-Basen blockiert.

Berlin

In Berlin marschierten 50.000 Teilnehmer (nach Polizeiangaben) in zwei getrennten Märschen zur Siegessäule im Tiergarten. Bei glänzendem Sonnenschein trugen die Demonstranten - darunter viele Jugendliche, Schüler und Familien - Transparente wie "Schämen sie sich Herr Bush" und "Schickt Waffeninspektoren nach Amerika".

Der Versammlungsleiter gab bekannt, dass in den zehn Tagen seit Kriegsbeginn allein in Berlin 67 Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen stattgefunden haben. Eine kürzlich veröffentliche Umfrage hat außerdem ergeben, dass mindestens jeder dritte deutsche Schüler an Protestaktionen gegen den Krieg teilgenommen hat.

Auf der Abschlusskundgebung äußerten mehrere Sprecher ihre Empörung über den Krieg. Aber keiner griff die deutsche Regierung an, die den USA und Großbritannien Basen und Luftraum zur Verfügung stellt und sie auch sonst in vieler Hinsicht unterstützt.

Hauptsprecher war der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Er verurteilte den Krieg, fügte aber hinzu, dass man Geld für den Kampf gegen den Terrorismus und auch für die Bekämpfung der Armut ausgeben müsse.

Praktisch haben die DGB-Gewerkschaften, abgesehen von einem kurzen, symbolischen Warnstreik, nichts gegen den Krieg unternommen. Sommer griff die CDU-Vorsitzende Angela Merkel an, die den Krieg unterstützt, sagte aber nichts zur Bundesregierung. Er erntete kaum Applaus und wurde von einigen Teilnehmern als Heuchler beschimpft.

Der angekündigte Sprecher der SPD kam nicht, angeblich hatte er einen anderen dringenden Termin. Auch der Sprecher der Grünen blieb aus. Schließlich ergriff der alte algerische Nationalistenführer Achmed Ben Bella das Wort. Er attackierte George W. Bush und Tony Blair heftig und bezeichnete sie als Faschisten, während er die deutsche und die französische Regierung zu ihrer Haltung beglückwünschte.

Die Abwesenheit von SPD und Grünen ist Ausdruck ihrer zunehmenden Distanzierung von der Antikriegsbewegung. Während diese verstärkt den Abbruch der praktischen Zusammenarbeit mit den USA fordern, lehnen SPD und Grüne dies strikt ab.

Blockade von US-Basen

Wie schon vor zwei Wochen hatte die Anti-Kriegsgruppe "Resist" erneut zu einer 24-stündigen Blockade der Rhein-Main Airbase der US Armee aufgerufen, um diesen symbolischen Ort zur Zielscheibe des Protests gegen den Krieg zu machen.

Die Frankfurter Rhein-Main Airbase ist einer der zentralen Umschlagplätze für Waffen, Ausrüstung und Personal auf dem Weg in den Nahen Osten. Die Flugbewegungen dort haben sich seit den Beginn des Truppenaufmarschs gegen den Irak mehr als verdoppelt.

Die Polizei trat dieses Mal noch massiver auf, als vor zwei Wochen, und beschlagnahmte große Mengen an Gegenständen, die für die Durchführung der Blockadeaktion gebraucht wurden, wie Schlafsäcke, Isomatten und heiße Getränke. Trotzdem beteiligten sich wesentlich mehr Jugendliche und Erwachsene an der Sitzblockade, als das letzte Mal. Sie wurden wiederum nach einigen Stunden von der Polizei weggetragen.

Der Protest gegen die Funktion der Airbase als zentralen logistischen Drehpunkt der amerikanischen Kriegsmaschinerie stellt auch die Rolle der rot-grünen Bundesregierung ins Zentrum der Kritik. Denn diese lehnt es nach wie vor ab, den USA die Nutzung des deutschen Luftraums und der Basen in Deutschland für den Krieg zu untersagen.

Die Kritik an der Bundesregierung fand ihren Niederschlag auch auf vielen Transparenten und Plakaten. So lautete ein Banner: "Rot-Grün Kriegsbeihilfestopp! Luftraum sperren."

Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung stellte die Rolle der Bundesregierung in diesem Krieg in den Mittelpunkt seines Beitrags. Er sagte, die Regierung habe es bisher tunlichst vermieden, den Angriff auf den Irak direkt als völkerrechtswidrig zu bezeichnen, weil sie sich sonst durch die Beibehaltung der Überflugrechte für das US-Militär selbst strafbar machen würde. Pflüger berichtete, dass die in Großbritannien startenden riesigen B52-Bomber, die mit ihren verheerenden Bombenladungen in Bagdad Terror verbreiten, über Deutschland fliegen.

Pflüger erklärte auch, dass das Verteidigungsministerium die Bereitstellung von 3.700 Bundeswehrsoldaten zur Bewachung amerikanischer und britischer militärischer Einrichtungen in Deutschland mit den Worten begründe, so werde ein politischer Schulterschluss vollzogen. Er nannte das "Schmiere stehen, damit andere den Krieg führen können".

Pflüger sah den Grund für diese Haltung darin, dass die Bundesregierung einerseits an der Gestaltung der Nachkriegsordnung im Irak beteiligt sein und andererseits eine Gegenmacht in Europa aufbauen wolle. Er zitierte dazu ein Interview Bundeskanzler Schröders mit der Wochenzeitung Die Zeit, in dem Schröder eine neue Aufrüstungswelle für die Bundeswehr und eine Forcierung der Militarisierung der deutschen Außenpolitik ankündigt.

Weiter berichtete Pflüger, dass die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die Verteidigungsminister Struck im Mai zusammen mit der neuen Bundeswehrplanung vorlegen wird, das gleiche Präventivkonzept wie die nationale Sicherheitsstrategie der USA enthalten.

Laut Pflüger nutzen Deutschland und Frankreich die Situation, um die EU als Gegenmacht zu etablieren. Die USA seien zwar etwas voraus, aber die EU sei dabei, ihre eigenen Kriege vorzubereiten. "Wer die USA berechtigterweise kritisiert, darf nicht vergessen, die deutsche Kriegsunterstützung und die deutsche Kriegspolitik zu kritisieren."

Philip Wehreschild, einer der Organisatoren der großen Schülerproteste, die sofort nach Beginn des Kriegs ausgebrochen waren, berichtete, dass am ersten Tag nach Kriegsbeginn 200.000 Schüler in den Streik getreten seien. Er erklärte, dass SPD und Grüne keine Friedensparteien seien. Unter ihrer Verantwortung seien zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten an Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan beteiligt gewesen.

Er wies darauf hin, dass der zunehmende Militarismus in Deutschland vor allem von der breiten Mehrheit der Bevölkerung durch Sozialabbau bezahlt werden müsse. Wenn die Eltern der 200.000 Schüler auch in den Streik getreten wären, und zentrale Transportmittel und Produktionsstandorte für den Krieg blockiert hätten, dann hätte das große Wirkung gehabt. Er forderte vom DGB, der in Worten angekündigt hatte, sich an die Spitze der Friedensbewegung zu stellen, Taten folgen zu lassen und Streiks zu organisieren.

Siehe auch:
Die Grünen und der Irakkrieg
(29. März 2003)
Weitere Berichte zu weltweiten Antikriegsdemonstrationen
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