Was die Anhörungen über den 11. September ans Licht brachten

Die unabhängige Kommission zur Untersuchung der Terroranschläge vom 11. September 2001 führte an fünf Tagen vom Fernsehen übertragene öffentliche Anhörungen durch. Sie veröffentlichte auf Hunderten Seiten Einschätzungen ihr zugänglicher Dokumente, einschließlich neueren Materials, zur Aktivität der Geheim- und Abwehrdienste in der Zeit vor den Anschlägen.

Die jetzt veröffentlichten Informationen zerstören die Legende der Bush-Regierung, die Anschläge seien unerwartet und unvorhersehbar gewesen und keine Regierungsstelle hätte eine Ahnung davon gehabt, dass Zivilflugzeuge entführt und als Waffe benutzt werden könnten. Mehrere Mitglieder der Kommission haben bereits erklärt, die Beweise hätten sie davon überzeugt, dass die Terroranschläge zu verhindern gewesen wären.

Es entstand der Eindruck, dass die Abwehr vorsätzlich außer Kraft gesetzt wurde - oder, wie Bob Kerrey, Mitglied der Kommission, es ausdrückte, dass die Regierung zwar auf einem Haufen Waffen saß, aber nicht auf Gefechtsposten war. Die Mitglieder der Bush-Regierung zeigten ein unverantwortliches Desinteresse an der Gefahr eines großen Terroranschlags auf amerikanischem Boden. Im Sommer 2001 sagte Justizminister John Ashcroft nach einigen Unterredungen mit FBI-Direktor Thomas Pickard, der ihn auf die wachsende Gefahr hinwies, er wolle von der Sache nichts mehr hören. Ungefähr zur selben Zeit verbot Ashcroft aus Sicherheitsgründen das Nutzen von Zivilmaschinen für Flüge in Regierungsangelegenheiten.

Vizepräsident Dick Cheney, der Beauftragte der Regierung für Terrorbekämpfung, erhielt mehrere Informationen vom FBI, einschließlich einer, die sich mit offenbar aktiven Terrorzellen von Al-Qaida in den USA befasste. Aber wie Pickard feststellte, reagierte Cheney kaum auf diese Informationen und unternahm so gut wie nichts, selbst dann nicht, als er sich massiv für den Irakkrieg einsetzte.

Der Höhepunkt dieses anscheinenden Desinteresses wurde am 6. August 2001 erreicht, als Bush in den Ferien auf seiner Ranch in Texas eine Information über die Bedrohung durch Al-Qaida bekam. Dort erhielt er von der CIA die inzwischen zu Berühmtheit gelangte Tagesinformation des Präsidenten (PDB), die den Titel trug "Bin Laden zum Angriff in den USA entschlossen". Die Information erwähnte Ziele in New York City und Washington und verwies auf die Gefahr von Flugzeugentführungen. Dieses Memorandum widerspricht rundweg der Behauptung der Bush-Regierung, die Angriffe vom 11. September seien ohne Vorwarnung gekommen.

Die Bush-Regierung reagierte auf diesen Tagesbericht mit keiner einzigen Maßnahme. In Wirklichkeit kam es sogar zu einer allgemeinen Lockerung der Sicherheitsmaßnahmen vom Mai 2001, die aufgrund mehrerer Warnungen von CIA und anderer Geheimdienste vor einer Bedrohung durch Al-Qaida erfolgt waren. Die Sicherheit im Bereich der Luftfahrt wurde nicht gelockert, aber nur deshalb, weil sie zuvor auch nicht erhöht worden war. Man forderte die Fluggesellschaften auf, wachsamer zu sein, aber die Luftfahrtbehörde verlangte keine konkreten Maßnahmen, obwohl Flugzeugentführungen als besonders häufige terroristische Taktik gelten.

Diese Passivität ist derart auffällig, dass selbst die zahnlosen amerikanischen Medien sich gezwungen sahen, davon Notiz zu nehmen. In seiner vom Fernsehen bundesweit ausgestrahlten Pressekonferenz vom 13. April 2004, erst der dritten überhaupt in seiner Amtszeit, wurde Bush direkt gefragt, welche Maßnahmen er und seine Regierung als Konsequenz aus dem Tagesbericht vom 6. August getroffen hätten. Bush umging diese Frage und gab darauf keine Antwort. Wenn er darauf geantwortet hätte, so hätte seine Antwort lauten müssen: "Ich setzte meine Ferien noch drei Wochen fort".

Das Weiße Haus hat den Tagesbericht vom 6. August zwei Jahre mit der Begründung vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, er enthalte so sensible Informationen, dass die Veröffentlichung der nationalen Sicherheit der USA schaden könnte. Jetzt, wo er öffentlich bekannt ist, behauptet Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, das Dokument habe lediglich einen "historischen Rückblick" enthalten und sei kein Bericht gewesen, der die Regierung in die Lage versetzt hätte, die fünf Wochen später stattfindenden Terrorattacken zu verhindern. Warum aber dann die Geheimhaltung?

Hat man absichtlich nichts unternommen?

Die Kommission zum 11. September 2001 brachte viele neuen Informationen über die Zeit vor den Terroranschlägen ans Licht. In den vielbeachteten Anhörungen wurde die zentrale Frage aber umgangen: Stand hinter dem außerordentlichen Mangel an Wachsamkeit ein absichtliches Herunterfahren der Sicherheit der USA? Sollte ein Terrorangriff ermöglicht werden, um die Bedingungen zu schaffen, unter denen die Regierung ihr Ziel besser verwirklichen konnte, den Irak zu erobern und am Golf - der Region mit den größten Ölvorkommen der Welt - die Vorherrschaft der USA zu etablieren?

Hohe Sicherheitsbeamte der Bush- und der Clintonregierung sagten vor der Kommission aus, dass es vor den Ereignissen des 11. September in der US-Öffentlichkeit keine Unterstützung für eine Intervention im Mittleren und Nahen Osten und in Zentralasien gegeben habe. Mehrere Zeugen machten explizit klar, dass erst die durch die Schläge gegen das World Trade Center und das Pentagon herbeigeführten Massenmorde einen solchen Schritt politisch möglich machten.

Einer der Zeugen, Bushs ehemaliger Antiterror-Chef Richard Clarke, beschuldigte das Weiße Haus, den 11. September als Vorwand für einen Krieg gegen den Irak genutzt zu haben, der, so Clarke, den Kampf gegen den Terrorismus untergraben habe. Die Kommission ignorierte diesen Vorwurf, denn, so erklärte ihr stellvertretender Vorsitzender Lee Hamilton, ein früherer demokratischer Kongressabgeordneter, Aufgabe der Kommission sei es nicht, den Krieg im Irak zu untersuchen.

Nicht ein einziges Mitglied der Kommission deutete an oder fragte nach, ob die Bush-Regierung die Anschläge möglicherweise nicht nur nutzte, um ihre politischen Ziele umzusetzen, sondern die Terrorangriffe bewusst zu diesem Zweck in Kauf genommen hatte. Bei der Untersuchung eines der größten Verbrechen des Jahrhunderts, einem Massenmord, bei dem nahezu 3.000 Menschen ums Leben kamen, versäumte es die Kommission, der grundlegendsten Frage nachzugehen: "Wem nützte es?"

Eine Kommission der herrschenden Klasse

Es ist vorauszusehen, dass die Kommission zu keinem Ergebnis führen wird. Auf dem Podium sitzen nicht unbefangene Menschen, die nichts mit den politischen Konflikten und der Klassenspaltung Amerikas zu tun haben. Das Gremium besteht aus zehn erprobten Verteidigern des amerikanischen Imperialismus, fünf Republikanern und fünf Demokraten, von denen viele über lange Erfahrung im nationalen Sicherheitsapparat verfügen. Der Vorsitzende, Philip Zelikow, ist eng mit Condoleezza Rice verbunden und war für die Übergabe des Nationalen Sicherheitsrates von der Clinton- an die Bush-Regierung zuständig.

Die Mitglieder der Kommission verfolgen drei wichtige Ziele. Erstens wollen sie gerade so viel über die Umstände und den Hintergrund der Anschläge vom 11. September aufdecken, um eine Aura der Glaubwürdigkeit zu erhalten sowie die Öffentlichkeit und die Opferfamilien zu befriedigen. Zweitens wollen sie jeden ernsthaften Schaden von den wichtigsten staatlichen Institutionen abwenden, dem Verteidigungsministerium, den Geheimdiensten und vom Präsidenten selbst. Drittens versuchen sie die öffentlichen Anhörungen - und den im Juli fälligen abschließenden Bericht - zu nutzen, um den Staatsapparat zu stärken, eine aggressivere Außenpolitik und systematische Repressionsmaßnahmen im Innern umzusetzen.

In beiden Anhörungen, sowohl der ersten, die im Mai mit derzeitigen und ehemaligen Sicherheitsbeamten stattfand, als auch der zweiten, die Anfang April mit ehemaligen und derzeitigen Beamten der Abwehr stattfand, haben die Kommissionsmitglieder beider Parteien einen einheitlichen Standpunkt bezogen: Um den "Krieg gegen den Terror" zu führen, seien konsequentere und weitreichendere Aktionen nötig.

Als es bei den Anhörungen um die Nationale Sicherheit ging, gab Kerrey, der ehemalige demokratische Senator aus Nebraska, den Ton an. Kerrey ist der Präsident der New School University in New York. Er war vor drei Jahren wegen seiner Kriegsverbrechen in Vietnam ins Gerede gekommen. Es war bekannt geworden, dass seine Einheit bei einem Überfall Kinder, Frauen und alte Männer getötet hatte. Er selbst hatte allerdings für den Einsatz eine Auszeichnung erhalten.

In den Jahren 1998-99 warf Kerrey der Clinton-Regierung wiederholt vor, sie würde nicht hart genug gegen Al-Qaida-Lager in Afghanistan vorgehen, und lies die Erklärungen der Politiker nicht gelten, es gebe für eine Invasion der USA in Afghanistan keine öffentliche, internationale Unterstützung. Es sei die Aufgabe des Präsidenten, sagte er damals, die öffentliche Meinung zu verändern und einen Grund für den Krieg zu schaffen, egal wie unpopulär er auch sei.

Er kritisierte sowohl die Beamten der Clinton- als auch der Bush- Regierung, weil sie nicht mit einem Armeeeinsatz auf den Terroranschlag auf das US-Kriegsschiff "Cole" im Oktober 2000 im Jemen reagierten, der 17 Besatzungsmitgliedern das Leben kostete. Die Mitarbeiter der Clinton Regierung sagten, man könne keinen Vergeltungsschlag führen, wenn man die Verantwortlichen für den Anschlag nicht kenne. Aus der Bush-Regierung verlautete im Frühjahr 2001, als die CIA in ihrem Abschlußbericht Al-Qaida als verantwortlich benannte, die Sache sei veraltet.

Während der Anhörung über die Abwehrdienste wandten sich verschiedene Mitglieder der Kommission heftig gegen das FBI und die CIA. Der Vorsitzende der Republikaner und ehemalige Gouverneur New Jerseys, Thomas Kean, verlas eine Erklärung, die das FBI für seine stümperhaften Sicherheitsvorkehrungen im Vorfeld des 11. September verurteilte.

Die Kommissionsmitglieder schlugen wiederholt vor, die Lösung für das angebliche "Geheimdienstversagen" vom 11. September bestehe darin, eine neue, zentralisierte Super-Agentur zu schaffen, die alle in- und ausländischen Geheimdienstoperationen koordiniere. Der Agentur stünde ein Direktor vor, der mit seiner Arbeit faktisch das gesamte Geheimdienstbudget der USA in Höhe von derzeit vierzig Milliarden Dollar kontrollierte. Diese Vorschläge provozierten das seltene Schauspiel, dass FBI- und CIA-Beamte gewählte Politiker auf die Gefahr eines Polizeistaates hinwiesen.

Den Staat zu stärken bedeutet nicht, all jene Personen zu verteidigen, die gegenwärtig hohe Positionen darin bekleiden. Es mag Bauernopfer geben. Es ist durchaus möglich, dass die Kommission eine beißende Kritik gegenüber bestimmten Beamten im FBI und in der CIA oder sogar im Weißen Haus äußert. Sie ist Beamten der Bush-Administration schon bei verschiedenen Gelegenheiten auf die Zehen getreten. Dies geschah jedoch stets vom Standpunkt der Stärkung des militärischen und geheimdienstlichen Apparates, um weitere Angriffe auf demokratische Rechte im Inland zu erleichtern.

Die Arbeit der Kommission wird dadurch erschwert, dass die Untersuchung in ein Wahljahr fällt, und dass angesichts der Verschlechterung der militärischen Lage im Irak ein heftiger Konflikt in der herrschenden Elite entbrannt ist. Die Bush-Regierung hat die Einrichtung der Untersuchungskommission lange Zeit rigoros abgelehnt und sich gegen Forderungen gestellt, Dokumente offen zu legen und Zeugen zu vernehmen, bis sie letzten Endes zum Einwilligen gezwungen war.

Um die politischen Unterschiede in der Kommission zu verdeutlichen, wies Kerrey darauf hin, dass fünf der Kommissionsmitglieder für Kerry und fünf für Bush stimmen würden. Man kann aber hinzufügen, dass alle zehn derselben Finanzaristokratie wie Kerry und Bush angehören und wie diese den Irakkrieg befürworten.

Hinsichtlich der Persönlichkeiten der Kommission kann man sagen, dass keiner der fünf Republikaner mit der christlichen Rechten oder der neokonservativen Fraktion verbunden ist, die in der Bush-Regierung so stark vertreten sind, dass aber auch keiner der Demokraten einer "Anti-Kriegs-Fraktion" angehört. Sie gehören alle zum "Mainstream" des bürgerlichen politischen Spektrums der USA. So gesehen kann man schon jetzt, bevor die Kommission ihre Arbeit beendet hat, sagen, dass sie den breitesten Konsens innerhalb der bürgerlichen amerikanischen Politik repräsentiert.

Zwei Zwischenfälle mit Ashcroft

Die wesentliche Übereinstimmung dieses Zweiparteien-Gremiums zeigte sich letzte Woche an zwei bezeichnenden Ereignissen. Justizminister John Ashcroft ließ während seiner Eröffnungsrede so etwas wie eine politische Stinkbombe platzen, als er die Schuld dafür, dass man so wenig auf den 11. September vorbereitet gewesen sei, der Clinton-Regierung in die Schuhe schob. Die vielbeklagte "Mauer" zwischen der Abwehr und der Kriminalpolizei sei das Resultat einer politischen Anweisung aus dem Jahre 1995, die von der damaligen stellvertretenden Justizministerin Jamie Gorelick stamme, die heute für die Demokraten in der Untersuchungskommission zum 11. September sitzt.

Slade Gorton, ehemaliger Senator in Washington und jetzt als Republikaner Kommissionsmitglied, brachte Ashcroft in arge Verlegenheit, als er ihn fragte, weshalb er in den acht Monaten als Justizminister vor dem 11. September keine Anstrengung unternommen habe, dieses Memorandum rückgängig zu machen. Ashcroft musste sogar zugeben, dass sein eigener stellvertretender Justizminister, Larry Thompson, Gorelicks Memorandum am 6. August 2001 nochmals bestätigt hatte. Beide Politiker hatten nichts weiter getan, als den Beamten des Justizministeriums gesetzliche Vorschriften in Erinnerung zu rufen, die vom Kongress nach den innenpolitischen Spionageskandalen der Watergate-Ära erlassen worden waren.

Seither haben sowohl republikanische als auch demokratische Kommissionsmitglieder Gorelick gegen die Kampagne rechter Kongressabgeordneter und der rechten Presse verteidigt. So forderten das Wall Street Journal und die Washington Post Gorelick zum Rücktritt aus der Kommission auf.

Auch im zweiten Fall der Zusammenarbeit der beiden Parteien ging es um Ashcroft. Zum Ende seiner Anhörung vor der Kommission ermöglichte es der Demokrat Richard Ben Veniste, der schon an der Untersuchung im Watergate-Skandal beteiligt gewesen war, Ashcroft, eine offensichtlich einstudierte Erklärung abzugeben, weshalb er im Sommer 2001 Regierungsmitgliedern dienstliche Flüge mit Maschinen ziviler Fluglinien untersagt hatte. Dieser Wortwechsel war besonders auffällig, weil er auf die eindringliche Befragung Ashcrofts über die Zeugenaussage des FBI-Direktors Pickard folgte, der ausgesagt hatte, Ashcroft habe die Bedeutung von Maßnahmen gegen den Terror heruntergespielt und das entsprechende Budget gekürzt.

Ben Veniste, dessen Fragen sich zunächst eng an der Zeugenaussage Pickards orientierten, wechselte plötzlich das Thema und verwies auf die Versäumnisse der Warren-Kommission, die zahlreichen Verschwörungstheorien bei der Kennedy-Ermordung nicht nachgegangen war. Er sagte, die Kommission vom 11. September dürfe nicht denselben Fehler machen, und bot Ashcroft die Möglichkeit, zu erklären, weshalb er die Nutzung ziviler Linien für Regierungsflüge unterband. Das hatte weitgehende Spekulationen darüber ausgelöst, dass Ashcroft und seinen Mitarbeitern Warnungen vor bevorstehenden Entführungen ziviler Maschinen vorgelegen hätten. Ashcroft hatte seine Antwort parat. Für private Flüge habe er die zivilen Airlines durchaus weiter genutzt. Für dienstliche Flüge habe er sie aufgrund einer Einschätzung des Sicherheitsteams des Justizministeriums eingestellt.

Es kam zu folgendem Gespräch:

Ashcroft: "Es ging dabei nicht um eine Terrorismuswarnung als Bedrohung gegen unser Land. Es ging um eine Einschätzung der Sicherheit des Justizministers, der Bedeutung seines Amtes und seiner Verantwortung. Die Maßnahme berücksichtigte im Wesentlichen die Möglichkeit, dass Personen, die mit ihm reisen, Waffen oder andere Dinge hätten bei sich haben können. Sie ging davon aus, dass wir am besten geschützt wären, wenn wir Regierungsflugzeuge benutzten. In so einem Flugzeug saß ich auch am Morgen des 11. September, als ich auf dem Weg nach Milwaukee war."

Ben Veniste: "Ich freue mich, dass ich Ihnen somit die Gelegenheit geben konnte, diese Angelegenheit für all diejenigen zu klären, die der Kommission geschrieben haben und auf anderen Wegen diese Frage an uns herantrugen."

Obwohl Ben Veniste Ashcrofts Antwort unkritisch akzeptierte, war sie ein Trick. Solche Anordnungen hatte nicht einmal Ashcrofts Vorgängerin, Janet Reno, getroffen, die besonders auf Grund ihrer Rolle im Waco Massaker von 1993 ein ständiges Ziel von Terrordrohungen war. Was hatte sich denn in den Monaten von der Amtsübernahme Ashcrofts bis zu seiner Entscheidung, nicht mit kommerziellen Airlines zu fliegen, verändert? Diese Frage verdient es, genauer beleuchtet zu werden.

Im FBI und Justizministerium werden die Vorwarnungen ignoriert

Die jüngsten Zeugenaussagen vor der Kommission zum 11. September lieferten zahlreiche Beispiele für die unerklärliche Gleichgültigkeit, Untätigkeit oder direkte Fahrlässigkeit der Bush-Regierung angesichts der Vorwarnungen über einen bevorstehenden katastrophalen Terroranschlag.

Die New York Times fasste die Beweisaufnahme mit den Worten zusammen: "Die Vorwarnungen im Sommer (2001) waren eindringlicher und spezifischer als allgemein angenommen. Hinweise auf die Bedrohung kamen im Weißen Haus wiederholt auf höchster Ebene zur Sprache. In mehr als vierzig Lagebesprechungen wurde Präsident Bush von George J. Tenet, dem CIA-Direktor, über Bedrohungen durch Al-Qaida informiert."

Diese Vorwarnungen trafen im Frühjahr und Sommer 2001 ein, aber noch am 6. September teilte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld Senator Carl Levin schriftlich mit, er werde Bush raten, eine Umwidmung von Geldern des Pentagon von der Raketenabwehr zur Terrorabwehr durch sein Veto zu verhindern.

Nur vier Tage später, am 10. September 2001, wies Justizminister John Ashcroft ein ähnliches Ansinnen des FBI zurück. Der amtierende FBI-Direktor Thomas Pickard hatte darauf aufmerksam gemacht, dass das Budget des Justizministeriums für 2003 keine Erhöhung der Ausgaben für Terrorabwehr gegenüber 2002 vorsah, und von Ashcroft die Zustimmung zu einer Erhöhung um 58 Millionen Dollar verlangt. Pickard erhielt Ashcrofts Antwort am 12. September 2001, am Tag nach den Anschlägen auf das WTC und das Pentagon.

Diese offensichtliche Gleichgültigkeit passt in das Verhaltensmuster, das Ashcroft seit seinem Amtsantritt den Terrorwarnungen gegenüber an den Tag legte. Im vorläufigen Bericht der Kommission zum 11. September wird der FBI-Terrorabwehrchef Dale Watson mit der Zeugenaussage zitiert, "vom Sessel gefallen", als er im Mai 2001 erfuhr, dass Ashcroft in einem Memo an die Mitarbeiter des Ministerium die Terrorabwehr nicht einmal als Priorität aufgeführt hatte.

Am 9. Mai 2001 sprach Ashcroft vor einem Kongressausschuss über Terrorabwehr und sagte, der Schutz der amerikanischen Bevölkerung vor Terroranschlägen habe für sein Ministerium höchste Priorität. Am nächsten Tag gab sein Ministerium Richtlinien für das Budget heraus, in denen illegaler Handel und Waffengewalt als Spitzenprioritäten aufgeführt wurden, die Terrorabwehr aber keine Erwähnung fand.

Dazu von der Kommission zum 11. September befragt, gab Ashcroft an, diese Richtlinie sei auf der Grundlage eines strategischen Plans von Janet Reno, seiner Amtsvorgängerin in der Clinton-Regierung, erstellt worden. Renos Dokument, so räumte er ein, habe die Terrorabwehr in verschiedener Hinsicht berücksichtigt. Er habe dies in seiner eigenen Version aber herausgenommen. Dieser Vorgang enthüllt Ashcrofts sonderbare Doppeldeutigkeit in dieser Sache, auf die wir noch zurückkommen werden.

Das FBI und die Warnung vor einer Entführung

Zwei der wichtigsten Hinweise auf bevorstehende Terrorangriffe wurden im FBI unterdrückt. Es sind die heute berühmten Memos der Agenten aus Phönix und Minneapolis. Im ersten warnte Kenneth Williams, ein Antiterrorspezialist aus Arizona, dass Terrorverdächtige an der örtlichen Flugschule Unterricht nehmen wollten. Williams befürchtete vor allem, ein Al-Qaida-Unterstützer könnte eine Bombe in ein Flugzeug einschleusen, wie schon beim Anschlag von Lockerbie geschehen. Wäre sein Vorschlag, Flugschulen systematisch nach islamisch-fundamentalistischen Studenten zu überprüfen, befolgt worden, so hätte man schnell einige der zukünftigen Entführer des 11. September identifiziert.

Das Memo von Minneapolis wurde nach der Verhaftung von Zacarias Moussaoui geschrieben, einem islamischen Fundamentalisten, der in Eagan, Minnesota, versucht hatte, Flugunterricht zu nehmen. FBI-Beamte nahmen ihn wegen eines Verstoßes gegen die Einwanderungsbestimmungen in Gewahrsam. Fluglehrer berichteten, dass sie das Ansinnen des Mannes verdächtig fanden: Er wollte lernen, wie man eine Boeing 747 fliegt, obwohl er sich noch nicht einmal mit einer kleinen Maschine auskannte. Er zahlte in bar und hatte einen leicht reizbaren, aggressiven Charakter. Dieser kam auch in mehreren Wutausbrüchen zum Ausdruck, zu denen er sich nach dem 11. September im Gerichtssaal bei der Verlesung der Anklageschrift hinreißen ließ.

Im Juni 2001 trat Thomas Pickard vom Amt des FBI-Direktors zurück. Er gab nun zu Protokoll, dass er von keinem dieser Memos irgend etwas gehört habe, ehe die Jets in das World Trade Center und das Pentagon einschlugen. Außerdem habe er erst jetzt davon erfahren, dass ein FBI-Informant in San Diego, Kalifornien, Verbindung zu zwei der zukünftigen Flugzeugentführer hatte. Öffentlich zugänglichen Berichten zufolge war der Informant mit den beiden Entführern, Khalid al Nihdhar und Nawaf al Hazmi, befreundet und gewährte ihnen sogar mehrere Monate lang Unterkunft, als sie sich ab dem Frühjahr 2000 in San Diego aufhielten. In dieser Zeit waren die beiden Männer sowohl im Telefonbuch als auch in den Fahndungslisten der CIA-Terrorabwehr eingetragen.

Diese beiden Männer reisten im Januar 2000 in die USA ein, nachdem sie in Malaysia an einem strategischen Treffen von Terroristen teilgenommen hatten, das die örtliche Geheimpolizei im Auftrag der CIA beobachtete. Beamte der CIA gaben unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September an, sie hätten das FBI irgendwann im Jahre 2000 darüber informiert, dass Mihdar und al Hazmi sich in den USA aufhielten. Beamte der CIA wie auch des FBI sagten aber vor der Kommission zum 11. September aus, das FBI habe diese Information erst am 27. August 2001, zwei Wochen vor den Terrorangriffen, erhalten.

Die Bedeutung der Episoden von San Diego wurde in der Zeugenaussage des ehemaligen FBI-Direktors Louis Freeh deutlich, der von Timothy Roemer, einem ehemaligen demokratischen Kongressabgeordneten, in der Kommission befragt wurde. Freeh sagte: "Wie sie sich denken können, war die Anwesenheit der beiden Entführer in San Diego und ihre Verbindung zu unserem Informanten eine sehr günstige Möglichkeit, Geheimdienstinformationen zu bekommen, die im günstigsten Falle zur Verhinderung der Anschläge hätten führen können. Es wäre zu diesem Zeitpunkt für das FBI sehr nützlich gewesen, die Namen dieser beiden Personen zu kennen... wäre alles so gelaufen, wie es hätte laufen sollen, und hätte man den Informanten und alle anderen Informanten in der Reichweite des FBI damit beauftragt, mehr über die beiden Personen herauszufinden. Dann hätte alles ganz anders kommen können."

Aus den Zeugenaussagen vor der Kommission zum 11. September wurde deutlich, dass die CIA die Namen von Mihdhar oder al Hazmi nicht auf ihrer TIPOFF-Liste führte, die allen anderen Bundes- und Einwanderungsbehörden des Terrorismus verdächtigte Personen anzeigt. Für diese Unterlassung wurde bisher keine Erklärung gegeben. Als die CIA das FBI endlich informiert hatte, wurde die Information an das Büro des FBI in New York weitergeleitet, dem Ziel, das al Hamzi und al Mihdhar in ihren Visagesuchen angegeben hatten. Das New Yorker Büro stellte fest, dass die beiden Männer nie dort angekommen waren, und gab die Namen am 11. September 2001 zur weiteren Untersuchung nach Los Angeles weiter. Der FBI-Agent, der den Informanten in San Diego führte, erklärte vor der Kommission: "Ich bin sicher, wir hätten sie [Mihdhar und al Hazmi] aufspüren können, und zwar innerhalb weniger Tage", wenn er nur gewusst hätte, dass man die beiden zum Verhör suchte.

Pickard gegen Ashcroft

Ähnlich wie Dale Watson äußerte auch Pickard Bedenken über Ashcrofts Einstellung zum Terrorismus, weil in dessen Memorandum vom 10. Mai die Terrorabwehr fehlte. Seine Erklärung vor der Kommission zum 11. September war noch eindrucksvoller als diejenige Watsons. Nachdem er den Justizminister im Sommer 2001 zweimal über Terrorgefahren unterrichtet hatte, habe Ashcroft ihm gesagt, er "wolle davon nichts mehr hören".

Pickard wiederholte seine Anschuldigung im Verlauf der folgenden Unterhaltung mit dem Kommissionsmitglied Richard Ben Veniste, einem ehemaligen Watergate-Sonderermittler.

Ben Veniste: "Sie hatten etwa sieben oder acht Zusammenkünfte mit dem Justizminister?"

Pickard: "Ungefähr so viele. Die exakte Anzahl ist mir bekannt, aber ich habe sie im Moment nicht im Kopf."

Ben Veniste: "Und laut Ihrer Erklärung, die unsere Kommissionsmitglieder von Ihnen erhielten, sagten Sie, Sie hätten jedes Treffen mit einer Diskussion über Terrorabwehr oder Spionageabwehr begonnen. Zur selben Zeit stieg das Gefahrenpotential an und war sehr hoch. Dale Watson kam zu Ihnen und sagte, die CIA sei sehr besorgt, dass es zu einem Terrorangriff kommen könne. Sie sagten, dass Sie dem Justizminister dies wiederholt bei den Treffen berichtet hätten. Ist das so richtig ?"

Pickard: "Ich berichtete ihm darüber mindestens zweimal."

Ben Veniste: "Und Sie sagten der Kommission in dieser Erklärung, dass John Ashcroft Ihnen gesagt habe, er wolle davon nichts mehr hören. Ist das so richtig?"

Pickard: "Das ist richtig."

Ashcroft wies Pickards Darstellung im folgenden Gespräch entschieden zurück, das er mit einem ihm freundlich gesonnenen Kommissionsmitglied, dem Republikaner Jim Thompson, dem vormaligen Gouverneur von Illinois führte.

Thompson: "Der amtierende Direktor Pickard sagte heute aus, dass er Sie zweimal wegen Al-Qaida und Osama Bin Laden informiert habe, und dass ihm, als er es ein weiteres Mal tun wollte, von Ihnen gesagt worden sei, sie wollten Derartiges nicht mehr von ihm hören. Könnten Sie uns das erklären?"

Ashcroft: "Zunächst einmal hatten der amtierende Direktor Pickard und ich mehr als zwei Treffen. Wir trafen uns regelmäßig. Niemals sagte ich zu ihm, ich wolle nichts mehr über Terrorismus hören. Ich nehme die Sicherheit des amerikanischen Volkes sehr ernst und war sehr an den Fragen des Terrorismus interessiert, insbesondere befragte ich ihn über die Bedrohung für Amerikaner und speziell die Bedrohung in unserem Land."

Bemerkenswert ist, dass es von Seiten der Kommissionsmitglieder keinen Versuch gab, zu klären, wessen Darstellung nun stimmt. Beide sagten nur wenige Stunden nacheinander unter Eid aus und äußersten sich vor laufenden Fernsehkameras diametral gegensätzlich. Einer von beiden- entweder der Chef der CIA oder der Justizminister der USA - oder gar beide haben in einer zentralen Frage zu den Ereignissen im Vorfeld des 11. September gelogen. Diese Tatsache wurde von den Medien kaum zur Kenntnis genommen.

Der ehemalige FBI-Chef Pickard, der im Herbst 2001 pensioniert wurde, hat kein erkennbares Motiv zu lügen. Der Justizminister dagegen hat gute Gründe, die Wahrheit zu verdrehen. Und dies scheint nicht der einzige Fall zu sein, in dem Ashcroft gelogen hat.

Beide, Ashcroft und Pickard, sagten aus, dass sie nicht gewusst hätten, dass Präsident Bush einen Bericht über mögliche Terroranschläge von Al-Qaida in den USA angefordert habe. Sie seien auch nicht dabei gewesen, als der Tagesbericht vom 6. August an den Präsidenten gegeben wurde, dessen Überschrift lautete: "Bin Laden zum Angriff in den USA entschlossen". In diesem Tagesbericht heißt es, dass das FBI an siebzig verschiedenen Untersuchungen über Al-Qaida arbeite, aber weder Ashcroft noch Pickard haben eine Erklärung dafür, wie die CIA zu dieser Zahl kam.

Ashcroft erklärte, er habe vor dem 11. September keine Kenntnis der PDBs, der Tagesberichte für den Präsidenten gehabt. Aber dieser Versuch, sich als weitgehend außerhalb der nationalen Sicherheitskreise darzustellen, wurde durch die Fragen eines Kommissionsmitglied der Demokraten zunichte gemacht, als Ashcroft von Jamie Gorelick, der ehemaligen Stellvertreterin des Justizministers in der Clinton-Regierung, vernommen wurde.

Gorelick: "Nun, ich habe folgende Frage: Sie hatten nicht Zugang zum PDB, aber Sie erhielten den SEIB (senior executive intelligence brief - Nachrichtendienstliche Informationen für hohe Regierungsmitglieder) der für die nachfolgende Regierungsebene erstellt wurde. Ist das richtig ? Sie haben ihn täglich erhalten?"

Ashcroft: "Der SEIB..."

Gorelick: "Der SEIB."

Ashcroft: "...war mir zugänglich."

Gorelick: "Am 7. August 2001 enthielt ein SEIB vieles von dem - wenn er auch nicht identisch war - vieles von dem, was am 6. August im Tagesbericht für den Präsidenten stand. Ich möchte Sie fragen, ob Sie sich erinnern, ein Dokument mit dem Titel ‚Terrorismus: Bin Laden zum Angriff in den USA entschlossen' im SEIB gesehen zu haben."

Ashcroft: "Ich war informiert, und auf Themen von Interesse wurde ich von Zeit zu Zeit durch mein Personal hingewiesen."

Provokation des Justizministers

Ashcroft versuchte mehrmals, vor der Kommission den Eindruck zu erwecken, er habe kaum oder keine Verantwortung für das Versagen der Bush-Regierung bei der Abwehr der Terroranschläge vom 11. September gehabt. Seine defensivste - und deshalb entlarvendste - Aussage machte er jedoch, als er einen offensichtlich unberechtigten Angriff gegen Gorelick führte.

Er begann mit folgenden Worten: "Hätte ich gewusst, dass im Jahr 2001 ein Terrorangriff auf die USA droht, hätte ich alle Waffen dagegen eingesetzt. Die Kämpfer des Justizministeriums, unsere Agenten und Ermittler, wären dann aller unvermeidlichen Kritik zum Trotz mobilisiert worden. Zu dem kompromisslosen Vorgehen, wie wir es nach dem 11. September entfaltet haben, wäre es dann schon vor den Terrorangriffen gekommen."

Wie wir bereits gesehen haben, ist diese Behauptung, von nichts gewusst zu haben, eine unverschämte Lüge. Ashcroft wurde wiederholt gewarnt, dass ein Terrorangriff bevorstehe, und zwar sowohl in Gesprächen mit Pickard, als auch durch Dokumente der CIA und des NSC.

Dann folgte Ashcrofts politische Provokation. Er fuhr fort: "Die einfache Tatsache hinsichtlich des 11. September lautet: Wir wussten nicht, dass ein Terrorangriff kommen würde, weil unsere Regierung seit fast einem Jahrzehnt die Augen vor ihren Feinden verschloss. Unsere Agenten waren voneinander isoliert, weil die Regierung selbst Mauern zwischen ihnen errichtet hatte. Ihre Hände waren durch Restriktionen der Regierung gebunden, und ihnen fehlte die grundlegendste Kommunikationstechnik."

Ashcroft führte diese Behauptung weiter aus, die sich auf die sogenannte Mauer zwischen der Beschaffung von Geheimdienstinformationen und der Verbrechensbekämpfung bezieht. Diese "Mauer" ist ein Nebenprodukt der Kongressermittlungen über die Inlandsspionage der 1970er Jahre, über die schmutzigen Tricks, politischen Schikanen und über andere kriminelle Praktiken des FBI und der CIA. Diese "Mauer" machte er verantwortlich dafür, dass das FBI nicht von der CIA über Al Hazmi und al Mihkdhar informiert wurde und das FBI der Festnahme Moussaouis nicht weiter nachging, und überhaupt für den allgemeinen Mangel an Wachsamkeit vor dem 11. September.

In der Woche vor seiner Anhörung vor der Kommission gab Ashcroft im Justizministerium ein Memorandum aus dem Jahre 1995 frei, das den Titel "Anweisungen zur Abgrenzung bestimmter Untersuchungen der Spionageabwehr von kriminalpolizeilichen Untersuchungen" trug. Ashcroft präsentierte dieses Memorandum der Kommission und erklärte: "Dieses Memorandum legte die Grundlage für die Trennungsmauer zwischen den kriminalpolizeilichen und den geheimdienstlichen Ermittlungen, und diese Mauer wurde nach dem Anschlag von 1993 auf das World Trade Center errichtet, dem bis damals größten internationalen Terrorangriff auf amerikanischem Boden und dem größten bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001. Obwohl Sie die lähmende Wirkung dieser Mauer kennen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Kommission etwas über dieses Memorandum wusste. Deshalb habe ich es für Sie und die Öffentlichkeit freigegeben, damit Sie es nachprüfen können. Die gänzliche Offenlegung zwingt mich, Ihnen mitzuteilen, dass der Autor dieses Memorandums ein Mitglied dieser Kommission ist." Dieser Seitenhieb bezog sich auf Gorelick.

Es steht außer Zweifel, dass dieses Ablenkungsmanöver Ashcrofts ein wohlüberlegter Schachzug war, der zwei Zwecke verfolgte: Zum einen ging es ihm darum, potentielle Kritiker der Bush-Regierung einzuschüchtern und in ein schlechtes Licht zu rücken. Zum andern sollte die Aufmerksamkeit von der aktuellen Vertuschung der Rolle der Geheimdienste hinsichtlich des 11. September abgelenkt werden.

Das Kommissionsmitglied Slade Gorton, ein ehemaliger Senator der Republikaner im Staat Washington, verteidigte Gorelick, als er Ashcroft befragte. Er unterstrich die Tatsache, dass Ashcrofts eigener Stellvertreter, Larry Thompson, im August 2001 die genannten Richtlinien nochmals bestätigt hatte. Dabei kam es zu folgendem Dialog.

Gorton: "Ihr zweiter Punkt ist eine schwere Kritik an den 1995 erlassenen Richtlinien, die Ihrer Meinung nach drakonische Kommunikationshindernisse zwischen der Strafverfolgung und den Geheimdiensten, die sogenannte Mauer, errichtet hätten. Ich kann jedoch nicht erkennen, dass Sie diese Richtlinien in den acht Monaten vor dem 11. September verändert hätten. Ich habe hier ein Memorandum Larry Thompsons vom 6. August, in dem man auf der fünften Zeile lesen kann: ‚Die Regelungen von 1995 bleiben in Kraft.' Wenn diese Mauer so ein Hemmnis war, warum haben Sie sie dann im Verlauf der acht Monate nicht abgebaut?"

Ashcroft: "Das Memorandum des stellvertretenden Justizminister Larry Thompsons vom 6. August ermöglichte erheblich mehr Informationsaustausch, da es verfügte, dass Personen, die mit geheimdienstlichen Ermittlungen beschäftigt sind und Kenntnis von Bundesverbrechen erlangen, diese sofort an die Kriminalbehörden weitergeben. Das war ein Schritt in die Richtung, die Mauer zu durchbrechen. Es war ein Schritt zum Abbau der Mauer, um eine verbesserte Kommunikation zu gewährleisten."

Gorton: "Aber Moussaoui wurde nach dem 6. August aufgegriffen, und im FBI wurde die Entscheidung getroffen, eine Durchsuchungserlaubnis für seinen Computer zu verweigern. Also können die Änderungen nicht sehr bedeutsam gewesen sein."

Ashcroft: "Ich habe Ihre Frage nicht verstanden."

Gorton: "Nun, als Sie die Richtlinien von 1995 kritisierten, sagten Sie, dass nach der Festnahme Moussaouis durch das FBI einige Agenten Argwohn schöpften, weil er ein so starkes Interesse an ziviler Luftfahrt gezeigt hatte. Sie ersuchten um eine Genehmigung bei der Polizeibehörde, um seinen Computer zu durchsuchen. Diese wurde jedoch vom FBI nicht erteilt, weil die Beamten davor zurückschreckten, die Mauer zu durchbrechen. Dies geschah jedoch nach dem 6. August, der, wie Sie sagten, so bedeutsame Veränderungen brachte."

Viel wichtiger ist jedoch, dass Ashcrofts Provokation - und auch die Medienberichte über den 11. September 2001 - auf einer groben Fehleinschätzung der Bedingungen beruhen, unter denen die Geheimdienste vor den Al-Qaida-Anschlägen in den USA arbeiteten. Ashcrofts Amtsvorgängerin, Janet Reno, erklärte vor der Kommission zum 11. September: "Es gibt einfach keine Mauern oder Restriktionen, die verhindern würden, dass die meisten Antiterrorinformationen allgemein zugänglich sind. Es gibt im Ganzen keine rechtlichen Einschränkungen für Mitarbeiter unserer Geheimdienste, Informationen untereinander auszutauschen.

Was den Austausch zwischen geheimdienstlichen und kriminalpolizeilichen Ermittlern betrifft, so konnten Informationen, die aus der Überwachung einer Person oder dem Bericht eines vertraulichen Informanten stammten, legal weitergegeben werden.

Es gab zwar Einschränkungen bei Informationen, die durch polizeiliche Ermittler im Zusammenhang mit Schwurgerichtsuntersuchungen oder mittels besonderer Abhörmaßnahmen gewonnen wurden, aber in der Praxis stellten sie kein ernsthaftes Hindernis dar, und nur sehr wenige wichtige Informationen konnten nicht ausgetauscht werden."

Die weitgehend mystische "Mauer" ist nicht der Grund dafür, dass FBI und CIA keine ernsthafte Anstrengung unternahmen, um den Terrorangriffen vom 11. September zuvorzukommen. Die Quelle ihrer Inaktivität - oder bewussten Komplizenschaft - muss im Bemühen der Bush-Regierung gesucht werden, einen Vorwand für die Besetzung des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens zu finden.

CIA und Al-Qaida

Die Zeugenaussagen vor der Kommission zum 11. September haben die wiederholten Behauptungen der Bush-Regierung vollständig widerlegt, niemand habe sich vorstellen können, dass Flugzeuge entführt und als Massenvernichtungswaffen eingesetzt würden. Condoleezza Rice, Bushs nationale Sicherheitsberaterin, hatte dies im Mai 2002 behauptet, als bekannt wurde, dass die CIA den Präsidenten bereits am 6. August - sechs Wochen vor den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon - darüber informiert hatte, dass von Seiten von Osama Bin Laden ein Terroranschlag innerhalb der USA drohe.

Die CIA hatte sowohl 1995 als auch 1997 Einschätzungen zur Nationalen Sicherheit (NIE) herausgegeben, die vor Terrorattacken auf wichtige Landziele in Washington und New York und vor dem Einsatz entführter Flugzeuge warnten. Auf diese Tatsache machten CIA-Beamte in den Medien aufmerksam. Sie reagierten damit auf Kritik, die in dem vorläufigen Bericht der Kommission zum 11. September geäußert wurde.

Die Einschätzung von 1995 erwähnte Al-Qaida nicht ausdrücklich, führte jedoch die Bedrohung durch islamistische Fundamentalisten an, die sich gegen die US-Präsenz im Nahen Osten richte. Ein nicht genannter hoher Geheimdienstbeamter wurde von Associated Press zitiert. Ihm zufolge habe die Einschätzung von 1997 "auf Bin Laden und seine Anhänger und deren Drohungen hingewiesen und festgestellt, dies könne auf Anschläge in den USA hindeuten".

Weiter heißt es in der Darstellung von Associated Press : "Der Geheimdienstbeamte sagte auch, dass die Einschätzung von 1995 zwar nicht Bin Laden oder Al-Qaida namentlich benannt, jedoch ganz deutlich davor gewarnt habe, dass islamistische Terroristen darauf bedacht seien, Schläge gegen besondere Ziele in den USA - wie die vom 11. September - zu führen. Der Bericht von 1995 habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein hohes Risiko bestünde, dass die zivile Luftfahrt, Erkennungszeichen der Stadt Washington wie das Weiße Haus oder das Capitol und Gebäude der Wall Street als Ziel von Terrorattacken muslimischer Extremisten ausgewählt würden, sagte der Geheimdienstbeamte."

Der Bericht von 1997 enthielt präzisere Einzelheiten über Bin Laden, die auf den Aussagen eines ehemaligen Spitzenmannes von Al-Qaida beruhten, der ausstieg, als die Gruppe 1996 ihre Operationen vom Sudan nach Afghanistan verlegte. Der vormalige Terrorist wandte sich an eine US-Botschaft in der Region und bot umfangreiche Informationen an.

Der stellvertretende CIA-Direktor John McLaughlin sagte der Kommission zum 11. September, dass der Bericht von 1997 "die Information enthielt, Personen aus dem Umkreis von Bin Laden hätten in den USA Stützpunkte, und deshalb schlossen wir in zunehmendem Maße auf die Wahrscheinlichkeit von Terrorangriffen Bin Ladens in den USA. Das war meiner Meinung nach das wichtigste Ergebnis im 97-er Bericht."

Afghanische Mujaheddin

Die Kommission befasste sich kaum mit den langjährigen Beziehungen der CIA zu Al-Qaida. Und doch hatte die CIA selbst einst die fundamentalistisch-islamistischen Mujaheddin organisiert, damit sie gegen das Sowjet-gestützte Regime in Kabul kämpften. Richard Ben Veniste, Demokrat und ehemaliges Mitglied im Watergate-Untersuchungsausschuss, ging in einem kurzen Wortwechsel mit CIA-Direktor George Tenet auf dieses Thema ein. Das Gespräch verlief wie folgt:

Ben Veniste : Gestützt auf die Theorie, dass die Feinde unserer Feinde unsere Freunde sein können, unterstützte die CIA die gegen die Sowjets in Afghanistan kämpfenden Mujaheddin massiv. Was mich jedoch verblüfft und beunruhigt, George, ist folgendes: Die CIA kannte die Neigungen und den Fremdenhass dieser islamistischen Gruppen, die sie ausgebildet und ausgerüstet hat, versuchte jedoch nicht, sie in späteren Jahren, als die gemeinsame Aufgabe beendet war, weiterhin aufmerksam zu beobachten oder zu unterwandern. Warum nicht?

Tenet : Nun, zunächst gab es eine Vereinbarung zum gegenseitigen Vorteil, weil wir einen gemeinsamen Feind hatten. Wenn Sie sich unsere damaligen Planungen ansehen, so stießen wir bei unserer Rückkehr auf Leute, die schon für uns gearbeitet hatten und wieder Teil unserer Netzwerke wurden. Aber man fand auch Leute, die als Dschihadisten gegen uns kämpften. Es gibt heute in Afghanistan Leute, die gegen uns kämpfen, die wir seit langem kennen, und solche, die auf unserer Seite stehen. Ich denke wir waren da im Vorteil, weil wir die einzelnen Personen kannten, wer sie waren und wie ihre Verbindungen aussahen, das war ein Plus. Aber Sie wissen, dass wir die Russen vertrieben und uns danach im wesentlichen aus Afghanistan zurückzogen. Und die Taliban kamen hoch, beherrschten das Land und ermöglichten es einer Terrororganisation, das Land zu führen.

Ben Veniste : Aber in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um Leute handelt, die für das Töten ausgebildet waren, die Ausländer in muslimischen Ländern hassten, was ja auch die Grundlage dafür war, dass sie die Russen rauswarfen, denken Sie nicht, Sie hätten effektiver sein können, wenn sie einige dieser Personen, wie zum Beispiel Osama Bin Laden, im Auge behalten hätten?

Tenet : Gut, aber wir haben ihn nicht ausgebildet, Richard. Aber der springende Punkt ist: Ein Kerl wie Massud (Mohammed Schah Massud, Führer der Nordallianz, der am 9. September 2001 getötet wurde), das ist jemand, den wir in diesem Konflikt trafen und mit dem wir auch weiter arbeiteten. Ich denke, Du weißt, dass wir solche Leute weiter im Auge behielten. Wir haben nicht alle diese Leute weiter beobachtet. Viele von ihnen tauchten als Dschihadisten in andern Konflikten der Welt wieder auf."

Ben Veniste fragte nur flüchtig, und Tenets Antworten warfen mehr Fragen auf, als sie beantworteten. Er räumte ein, dass die CIA besonders in Afghanistan enorme Möglichkeiten hatte, Al Qaida zu unterwandern, weil sie langjährige Beziehungen zu den antikommunistischen islamischen Fundamentalisten unterhielt, die man unter CIA-Chef William Casey in den achtziger Jahren für den Krieg gegen die Sowjetunion rekrutiert hatte.

Aber nach Tenets Eingeständnis, er "denke, wir waren da im Vorteil, weil wir die einzelnen Personen kannten, wer sie waren und wie ihre Verbindungen aussahen", ließ die Kommission das Thema auf sich beruhen.

Dennoch machen diese Worte den Widersinn der Behauptung deutlich, dass man den Anschlägen vom 11. September nichts hätte entgegensetzen können, weil die CIA keinen "Stützpunkt" innerhalb des Al-Qaida-Lagers gehabt habe. Es wurde klar, dass die CIA in Afghanistan viel besser in der Lage war, Bin Ladens Bewegung und ihre Operationen einzuschätzen und sogar zu beeinflussen, als dies bei anderen Bewegungen in vielen Teilen der Welt der Fall war. Die Frage, die in der Kommission nicht und in der Öffentlichkeit kaum gestellt wurde, lautet, wann oder sogar ob die CIA ihre frühere Waffengemeinschaft mit Bin Laden beendet hat.

Inkompetenz oder Sabotage?

Vor diesem Hintergrund muss man die Behauptung beurteilen, Fälle des Versagens der CIA bei den Ermittlungen gegen Al-Qaida seien mit "Fehlern" zu erklären, wie es der vorläufige Bericht der Kommission oder die im Fernsehen übertragenen Befragungen der Hauptzeugen darstellen. Die angeführten Fälle deuten weniger auf Inkompetenz hin, als auf ein systematisches Muster, nach dem ein effektives Vorgehen gegen Al-Qaida-Führer verhindert wurde. Es handelt sich um folgende Fälle:

* Bereits 1999 erhielt die CIA vom deutschen Geheimdienst den Namen und die Telefonnummer eines zukünftigen Entführers, Marwan al-Shehhi, dem mutmaßlichen Piloten des United Airline Fluges 175, der in einen Turm des World Trade Center einschlug. Aber al-Shehhi wurde nie ausfindig gemacht, obwohl er diese Rufnummer die ganze Zeit bis unmittelbar vor den Anschlägen vom 11. September nutzte.

* Wie schon in einem früheren Teil dieser Serie erwähnt, erfuhr die CIA zu Beginn des Jahres 2000, dass zwei der zukünftigen Entführer, Khalil al Mihdhar und Nawaf al Hazmi, an einem Al-Qaida-Treffen in Malaysia teilnahmen. Bei einer geheimen Durchsuchung des Hotelzimmers al Mihdhars hatte man seinen Pass kopiert. Der Pass enthielt einen Visumstempel, der ihm die Einreise in die USA ermöglichte. Als die beiden in Begleitung eines dritten Al-Qaida-Mitglieds nach Bangkok flogen, gab die CIA die Information über ihre Ankunft in Bangkok nicht rechtzeitig weiter, so dass man die Spur der verdächtigten Terroristen mit US-Visa verlor. Die Agentur behauptet, erst hinterher erfahren zu haben, als al Mihdhar und al Hazmi einen Flug von Bangkok nach Los Angeles gebucht und ihren Zielort mit New York City angegeben hatten.

* Die CIA informierte bis August 2001 keine amerikanische Polizei- oder Sicherheits-Behörde über den US-Aufenthalt der beiden verdächtigen Al-Qaida-Mitarbeiter seit Frühjahr 2000. In dieser Zeit standen al Mihdhar und al Hazmi im Telefonbuch von San Diego. Al Hazmi nahm Flugunterricht und al Mihdhar beantragte und erhielt ein Wiedereinreisevisum vom Außenministerium, das nie gebeten worden war, seinen Namen auf die Liste zur Überwachung von Terroristen zu setzen. Die Namen der beiden Männer erreichten das FBI-Büro von Los Angeles erst am 11. September 2001, wenige Stunden, nachdem sie an Bord von Flug 77 der American Airlines gegangen waren, die sie entführen und mit der sie ins Pentagon rasen sollten.

Die europäische Presse berichtete über Vermutungen, die CIA habe auch mit andern Entführern Kontakt gehabt, doch weder amerikanische Medien noch die Kommission zum 11. September gingen der Sache nach. Die ARD und der britische Guardian berichteten Ende 2001, der mutmaßliche Anführer Mohammed Atta sei vom amerikanischen Geheimdienst im Jahr 2000 einige Monate lang beobachtet worden. In dieser Zeit reiste er zwischen Hamburg und Frankfurt hin- und her und kaufte große Mengen Chemikalien, aus denen man Explosivstoffe herstellen konnte. Noch in den ersten Monaten des Jahres 2001 reiste Atta mehrmals in die USA, wurde aber von der Einwanderungsbehörde nicht aufgehalten, obwohl sein Touristenvisum abgelaufen war.

Noch einmal - der seltsame Fall des Zacharias Moussaoui

Die bei weitem wichtigste Enthüllung über die Rolle des CIA in der Zeit vor dem 11. September lieferte in den Kommissionsanhörungen der Fall Zacharias Moussaouis, des Al-Qaida-Helfers, der heute wegen seiner mutmaßlichen Verbindungen zu Al-Qaida im Gefängnis sitzt. Er wurde am 13. August 2001 wegen Verstoßes gegen die Einwanderungsbestimmungen verhaftet, nachdem er in Minneapolis in einer Flugschule durch sein Verhalten Verdacht erweckt hatte. Er wollte dort eine Boeing 747 fliegen lernen, obwohl er nur wenig Ausbildung auf kleinen Maschinen hatte und keine weitere Flugerfahrung mitbrachte. Er war laut, intolerant und zahlte in bar.

Wie heute bekannt ist, erkannten die FBI-Agenten in Minneapolis, dass Moussaouis Fall möglicherweise von großer Bedeutung war. Sie baten in der FBI-Zentrale in Washington um die Genehmigung, bestimmte Standarduntersuchungen und eine Durchsuchung des Computers des Verdächtigen durchführen zu dürfen. Doch der Abteilungsleiter David Frasca lehnte ab. Führende FBI- und Justizbeamte sagen aus, sie hätten von diesem Antrag vor dem 11. September keine Kenntnis gehabt.

Die Aussagen vor der Kommission zum 11. September ergaben aber, dass diese Information zur CIA weitergeleitet wurden und dort direkt in die Führungsspitze gelangten. Mit dem Fall Moussaoui befassten sich CIA-Beamte, die in einer gemeinsamen Task Force von CIA und FBI in Minneapolis/St.Paul arbeiteten. Sie leiteten die Informationen eine Woche nach Moussaouis Festnahme an ihren operativen Leiter James Pivatt und den stellvertretenden CIA-Direktor McLaughlin weiter und um den 23. oder 24. August an Tenet selbst.

Tenet sagte vor der Kommission zum 11. September aus, dass er die Information "islamischer Fundamentalist lernt fliegen" über Moussaoui erhalten und gelesen hatte. Seine Reaktion auf dieses außergewöhnliche Dokument - dessen Existenz und Namen bisher nie veröffentlicht worden war - bestand in noch ungewöhnlicherer Passivität. Nach einer Dekade gehäufter Warnungen vor Terroranschlägen der Al-Qaida und Drohungen, dass Flugzeuge entführt und als Waffen missbraucht werden könnten, las der CIA-Direktor den Bericht und tat nicht das Geringste.

Der Bericht der Kommission hielt fest: "Ende August wurden der DCI [Geheimdienstdirektor, d.h. Tenet] und andere CIA-Beamte durch ein Dokument mit Namen ‚Islamischer Fundamentalist lernt fliegen’ über die Festnahme Moussaouis informiert... Diese Nachricht zog offenbar keine Warnungen nach sich."

Eine Woche später, am 31. August, informierte Tenet Bush über die jüngsten Erkenntnisse über Terrorattacken, erwähnte aber den Fall Moussaoui nicht. Auch am 4. September verschwieg er denn Fall, als führende Regierungsbeamte bei einem Meeting im Weißen Haus eine neue Sicherheitsdirektive des Präsidenten zum Terrorismus bestätigen mussten.

Tenet sagte, er selbst habe das Thema nicht angeschnitten, weil er davon ausgegangen sei, dass die von Richard Clarke geführte Antiterrorgruppe des Weißen Hauses es übernehmen werde. Aber Clarke wurde nie informiert, obwohl am 26. August sogar der französische Geheimdienst das FBI darauf hinwies, dass Moussaoui schon zur Zeit des Tschetschenienkrieges Verbindungen zu Al-Qaida gehabt habe und damals bereits islamische Fundamentalisten für den Krieg gegen Russland anwarb.

Der zeitliche Ablauf und der politische Kontext dieser Ereignisse rücken Tenets Verhalten in ein besonders grelles Licht. Zeugen aus der Bush-Administration sagten aus, dass Tenet zwischen Januar und Juli 2001 Bush in mindestens vierzig Fällen unbearbeitete Geheimdienstinformationen über mögliche terroristische Bedrohungen vorlegte. Diejenigen, die Bush entlasten wollen, verweisen darauf, wie betroffen er stets war, wenn er von der Bedrohung durch Terroristen erfuhr. Man hofft auf diese Weise Vorwürfe Clarkes und anderer Beamter zu entkräften, dass die Bush-Regierung die offensichtliche Bedrohung durch Al-Qaida missachtete, weil sie mit der Vorbereitung des Irakkrieges beschäftigt war.

Am 6. August, erstellte die CIA angeblich als Antwort auf eine Anfrage Bushs selbst den bereits früher erwähnten Tagesbericht für den Präsidenten (PDB), den Tenet bestätigte. Er trug den Titel: "Bin Laden zum Angriff in den USA entschlossen". Dieser Bericht enthielt eine sehr deutliche Warnung vor Flugzeugentführungen und Terrorschlägen in New York und Washington. Keine drei Wochen später erhielt Tenet den Bericht mit dem Titel "Islamistischer Fundamentalist lernt fliegen". (Es ist nicht bekannt, ob er auch vom Kommentar eines FBI-Agenten aus Minneapolis erfuhr, der davor warnte, dass Moussaoui sich mit der Absicht tragen könnte, eine Boeing 747 in einen Wolkenkratzer zu fliegen.)

Tenet selbst gab vor der Kommission zum 11. September zu, dass ihm eine Reihe Warnungen vor dem Einsatz entführter Flugzeuge als Waffen, die seit 1994 ergangen waren, gut bekannt seien. Auch die Warnung vor der Entführung eines Jets, um damit in den Eiffelturm zu fliegen, war ihm bekannt. Ebenso wusste er, dass Terroristen in Erwägung zogen, einen Jet voller Sprengstoff direkt ins CIA-Hauptquartier in Langley zu steuern.

Das Kommissionsmitglied Timothy Roemer fragte Tenet, weshalb er diesen Dingen vor dem 11. September keine Beachtung schenkte. Er habe doch schließlich unmittelbar nach den Anschlägen auf das WTC geäußert, dass es hier eine Verbindung zu der Festnahme in der Flugschule in Minneapolis geben könne. Offenbar habe er dabei an den Fall Moussaoui gedacht.

Roemer : Aus den Woodward-Aufzeichnungen geht hervor, dass Sie unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September gesagt hatten, Al-Qaida stecke dahinter, und Sie erwähnten jemanden in einer Flugschule. Wie kam es zu dieser Vermutung ihrerseits...?

Tenet : Weil alle Terroristen...

Roemer : Warum informierten Sie nicht das Führungsgremium über die Sache? Es war das erste Treffen des Führungsgremiums in sieben Monaten, das sich mit dem Terrorismus befasste. Warum war das für Sie keine Sache, die es wert war, auf den Tisch zu kommen?

Tenet : In der Diskussion an jenem Morgen ging es um den Predator, wie wir ihn fliegen würden, ob wir...

Roemer : Aber das ist doch eine übergeordnete politische Frage, wie man Al-Qaida bekämpfen kann.

Tenet : Nun, das war es einfach nicht - aus welchen Gründen auch immer. Alles was ich dazu sagen kann, es war nicht der angemessene Ort dafür. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.

Im Verlauf dieser Befragung stellte Tenet ein bemerkenswert schlechtes Gedächtnis zur Schau. Obwohl er mit einer vorbereiteten Erklärung zur Kommission kam und erwarten musste, dass man ihn zu den internen Gesprächen der Regierung vor dem 11. September befragen würde, hatte er "vergessen", dass er Bush im August 2001 zweimal informiert hatte, und behauptete, den Präsidenten in diesem Monat nicht gesehen zu haben.

Außerdem gab er fälschlicherweise an, auch Condoleezza Rice sei am 6. August, bei dem Briefing mit dem PDB zu Bin Laden, zugegen gewesen. In Wirklichkeit fand das Briefing auf Bushs Ranch in Texas statt und Rice war in Washington. Er konnte auch nicht erklären, weshalb der Präsidentenbericht behauptete, das FBI habe über siebzig breit angelegte Untersuchungen in den USA durchgeführt, die auf Bedrohungen durch Bin Laden ausgerichtet gewesen seien. Das FBI wies diese Behauptung seither stets zurück. Und schließlich konnte Tenet sich nicht erinnern, was die CIA auf die Informationen über den Fall Moussaoui hin unternommen habe.

Die Kommission zum 11. September kommt in ihrem vorläufigen Bericht zum Schluss, dass die öffentliche Resonanz "den Plan möglicherweise gestört hätte", dem am 11. September etwa 3.000 Menschen zum Opfer fielen, wenn die Regierung die Festnahme Moussaouis und dessen Absicht, Zivilmaschinen zu entführen, im August 2001 öffentlich bekannt gemacht hätte. Der Kommissionsvorsitzende Thomas Kean erklärte, diese Prognose basiere auf den psychologischen Profilen der Entführer, die als "äußerst vorsichtig und sehr schreckhaft" beschrieben wurden.

"Ein Maximum an amerikanischen Anstrengungen, um den Fall Moussaoui zu untersuchen, hätte vermutlich seine Verbindungen zur Zelle in Hamburg zutage gefördert, obwohl dazu besondere Bemühungen und die Unterstützung ausländischer Regierungen nötig gewesen wäre", heißt es im vorläufigen Bericht.

Die Bundesluftfahrtbehörde wurde am 4. September bezüglich der Aktivitäten Moussaouis gewarnt, aber man leitete diese Warnungen weder an die verschiedenen Luftfahrtgesellschaften, noch an die Öffentlichkeit weiter.

Es gibt einen weiteren Widerspruch in den Zeugenaussagen zu Moussaoui. Tenet und auch andere Zeugen sagten aus, das FBI habe von der CIA Geheimdienstinformationen über Moussaoui erbeten, um darauf basierend einen Haftbefehl nach dem Gesetz über Ausländische Geheimdienstüberwachung (Foreign Intelligence Surveillance Act - FISA) vom FISA-Gericht zu bekommen.

Justizminister John Ashcroft jedoch hatte behauptet, das FBI habe um eine gewöhnliche Erlaubnis im Rahmen einer Kriminaluntersuchung gebeten, um Moussaouis Computer zu überprüfen. Die Erlaubnis wurde nicht als FISA-Genehmigung beantragt, sagte er. Dies hätten die FBI-Beamten abgelehnt, die sich nur vorbehielten, vielleicht später auf eine FISA-Genehmigung zurückzukommen.

Der rechtliche Unterschied ist unbedeutend, aber dennoch ist der Konflikt interessant. Erneut, wie schon bei anderen Gelegenheiten vor der Kommission zum 11. September, widersprachen sich zwei führende Regierungsbeamte - hier der Justizminister und der CIA-Direktor - und gaben zu einer Angelegenheit diametral entgegengesetzte Auskünfte. Aber die Kommissionsmitglieder unternahmen nichts, um auf diesen Widerspruch hinzuweisen oder gar festzustellen, welcher der Beamten gelogen hatte.

Flugzeugentführungen werden absichtlich zugelassen

Im Folgenden der vierte und letzte Teil einer Artikelserie über die Anhörungen in Washington zum 11. September 2001, die sich mit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon befassten.

Eine Standardbehauptung der Bush-Regierung und ihrer Verteidiger war, vor dem 11. September habe sich niemand vorstellen können, dass entführte Flugzeuge als fliegende Bomben missbraucht werden könnten.

Am kategorischsten äußerte sich womöglich die Sicherheitsberaterin des Präsidenten, Condoleezza Rice, im Mai 2002.

Sie reagierte auf zahllose Presseberichte, die nach der Veröffentlichung des inzwischen berühmten Tagesberichtes an den Präsidenten (PDB) vom 6. August 2001 erschienen waren. Im Gegensatz zu ihren früheren Behauptungen, dass die Terrorschläge vom 11. September wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen seien, musste die Regierung nun zugeben, dass der Präsident bereits fünf Wochen vor den Anschlägen von der CIA eine Geheiminformation erhalten hatte, welche ausdrücklich auf die Gefahr von Anschlägen der al Qaida auf amerikanischem Boden hinwies.

Die Regierung geriet unter Beschuss, weil sie diese Geheimdienstinformation verschwiegen hatte. Rice wurde in einer Pressekonferenz gebeten, dies zu erläutern. Sichtlich unter Druck und erregt beantwortete sie eine Frage nach der anderen und erklärte dann: "Meiner Ansicht nach konnte niemand vorhersehen, dass diese Leute ein Flugzeug nehmen würden, um es ins World Trade Center zu stürzen und ein weiteres ins Pentagon, dass sie Flugzeuge als Geschosse nutzen wollten."

Flugzeuge als Waffen

Genau zu diesem Thema hat jedoch ein Mitglied der 9/11-Kommission, der Demokrat und ehemalige Sonderermittler im Watergate-Skandal Richard Ben-Viste, Verteidigungsminister Rumsfeld und den ehemaligen CIA-Direktor Louis Freeh ausgiebig befragt. Dabei wurden zwei wichtige Tatsachen deutlich: Die CIA war sich bereits seit langem über die Gefahr bewusst, dass entführte Flugzeuge als Waffen benutzt werden könnten, und die Bush-Regierung war über diese Erkenntnisse informiert.

Als Rumsfeld während seiner Anhörung vor der 9/11-Kommission ebenso wie zuvor Condoleezza Rice auf die Linie "Niemand konnte sich vorstellen..." einschwenkte, verwies Ben Veniste auf die lange Reihe diesbezüglicher Warnungen, die die Kommission zusammengetragen hatte. Diese Warnungen gründeten sich nicht nur auf Geheimdienstberichte, sondern auch auf Material, welches weitgehend im Internet verfügbar war. Er forderte Rumsfeld auf, dazu Stellung zu nehmen.

Ben Veniste: "In Ihren Ausführungen zu den Inlandsgeheimdiensten und dem Stand der Erkenntnisse am 10. September haben Sie erklärt, dass Ihnen keine Erkenntnisse vorlagen, die darauf hindeuteten, dass man in den USA Flugzeuge entführen und in Gebäude fliegen könnte.

Nun, es steht fest, dass die US Geheimdienste sehr viele Informationen hatten, die darauf hindeuteten, dass Terroristen seit 1994 erwogen, Flugzeuge - voll mit Benzin, Bomben, Sprengstoff - als Waffen zu nutzen. Algerische Terroristen hatten 1994 den Plan ein Flugzeug in den Eiffelturm zu fliegen. 1995 diskutierten die Bojinka-Verschwörer, ein kleines, mit Sprengstoff beladenes Flugzeug ins Pentagon zu fliegen. Ganz sicher war die CIA darüber informiert.

Es gab 1997 Pläne, einen unbemannten Flugkörper zu benutzen. Im Jahr 1998 erwog eine mit al Qaida verbundene Gruppe eine Zivilmaschine in das World Trade Center zu steuern. Im Jahre 1998 deckte der türkische Geheimdienst eine Verschwörung auf, bei der ebenfalls Flugzeuge als Waffen missbraucht werden sollten. 1999 gab es eine Verschwörung, um ein Flugzeug auf einem Flughafen zu sprengen. Im selben Jahr plante eine andere Verschwörung den Einsatz eines mit Sprengstoffen bestückten Gleitschirms. Im Jahr 1999 oder 2000 gab es einen Plan von Terroristen, eine Boeing 747 zu entführen. Im August 2001 erhielten die US-Geheimdienste Informationen hinsichtlich eines möglichen Anschlags auf die US-Botschaft in Nairobi.

Ich behaupte daher, dass angesichts einer solchen Bedrohungslage im Sommer 2001, die darauf hindeutete, dass etwas Großes sich anbahnte und, wie Sie erwähnten, die Bundesluftfahrtbehörde die Leute am Boden nicht vor der Gefahr einer Flugzeugentführung durch islamistische Terroristen warnte, sie anscheinend nichts Konkretes getan hatte, obwohl sie die Möglichkeit einer Flugzeugentführung in den USA gesehen hatte.

Niemand auf den Flughäfen wird vor irgendwelchen besonderen Bedrohungen gewarnt. Niemand vom Flugpersonal ergreift Schutzmaßnahmen.

Ich verstehe, dass es wichtig ist, al Qaida im Ausland zu verfolgen. Aber die USA zu schützen ist ebenso wichtig. Und es scheint mir, dass die Behauptung, ein solches Ereignis (wie das vom 11. September) sei für uns unvorstellbar gewesen, nicht den Stand des Wissens der Geheimdienste aus dem Jahre 2001 widerspiegelt."

Rumsfeld: "Einige Anmerkungen. Ich stimme mit Ihnen weitgehend überein, dass es einige Berichte über potentielle Flugzeugentführungen gab. Ich erinnere mich sogar an Kommentare über UAVs (unbesetzte Flugkörper - Drohnen). Auch über Privatflugzeuge, mit denen Angriffe geführt werden könnten, habe ich Material gesehen. Aber ich kann mich nicht erinnern, während meiner Zeit in der Regierung irgendetwas über die Idee gelesen zu haben, dass eine Zivilluftfahrtmaschine gekapert und als Rakete benutzt werden könnte. Ich kann mich an so etwas einfach nicht erinnern. Du vielleicht, Dick?"

Myers: "Nein, ich auch nicht."

Ben Veniste: "Nun, die Dinge liegen aber nun so, dass unserer Kommission etwa acht bis zehn solcher Beispiele dafür vorliegen, welche den Geheimdiensten alle gut bekannt waren. Du meine Güte! Eines dieser Beispiele berichtete sogar von einem kleinen Flugzeug, das irgendjemand direkt neben dem Weißen Haus landete."

Rumsfeld: "Ich erinnere mich."

Ben Veniste: "Damit eine Bruchlandung hinlegte. Die CIA wusste von einer Verschwörung, die darauf abzielte, ein mit Sprengstoff beladenes Flugzeug in ihr eigenes Hauptquartier zu fliegen. Unsere Geheimdienste wussten sehr wohl, dass es sich hier um eine mögliche Art des Anschlags handelt."

Was die Geheimdienste der USA wussten

Im April kam es in der 9/11-Kommission zu folgendem Wortwechsel mit FBI-Direktor Freeh, der bestätigt, dass der US-Geheimdienstapparat sich seit Mitte der 90-er Jahre darüber im Klaren war, dass der Gebrauch von entführten Flugzeugen als Waffe eine reale Gefahr darstellt.

Ben Veniste: "Lassen Sie mich die Frage behandeln, wieweit die Geheimdienste darüber informiert waren, dass Flugzeuge als Waffen benutzt werden könnten - ein Thema von offensichtlichem Interesse für unsere Kommission. Kam die Frage der Flugzeuge als Waffen während der Vorbereitung der Olympischen Spiele von Atlanta 1996 auf?"

Freeh: "Ja, ich glaube das kam mit einer Reihe von - wie wir es nannten - besonderen Ereignissen auf. Es gab in der Regierung übergreifende Sitzungen zur strategischen Planung. In den Jahren 2000 und 2001, denke ich, vielleicht kann man sogar bis zu den Olympischen Spielen des Jahres 2000 zurückgehen, wurde diese Frage in unseren Planungen berücksichtigt. Die Kapazitäten waren tatsächlich auf eine solche besondere Bedrohung eingestellt."

Ben Veniste: "Es war also in den Geheimdiensten gut bekannt, dass eines der potenziellen Mittel der Terroristen, welches in deren Kreisen nach Erkenntnissen unserer Geheimdienste diskutiert wurde, die Nutzung von Flugzeugen - mit Sprengstoffen vollgepackt oder auf andere Weise - für Selbstmordanschläge war."

Freeh: "Derartiges berücksichtigten unsere Planungen, das ist richtig."

Ben-Veniste konzentrierte sich dann auf die Zeit des Übergangs von der Clinton- zur zweiten Bush-Regierung und besonders die Planung des G8-Gipfels in Genua im Juni 2001.

Ben Veniste: "Kam die Frage auf, dieselbe Frage, kam sie wieder auf? Sie waren ja noch weitere sechs Monate - mehr oder weniger - nach der Clinton Regierung noch für die Bush-Regierung im Amt, wie ich weiß. Spielte die Frage bei der Planung des G8-Gipfels in Genua eine Rolle?"

Freeh: "Ich kann mich daran nicht erinnern, aber ich wäre nicht in diese Planungen einbezogen worden. Das FBI wäre in diese Planungen nicht einbezogen worden."

Ben-Veniste: "Uns wurde mitgeteilt, dass es eine Flugverbotszone gab, die in der Vorbereitungszeit zunächst über Neapel und während des Gipfels der acht Staatsoberhäupter über Genua verhängt wurde. Nach dem Gipfel verlautbarte, dass Mubarak, der Präsident Ägyptens, vor einem Anschlag mit sprengstoffbeladenen Flugzeugen gewarnt hatte, die in das Gipfeltreffen geflogen werden sollten."

Freeh: "Das streite ich nicht ab. Aber die Planungen erfolgten durch den Geheimdienst, wahrscheinlich durch das Verteidigungsministerium. Wir hatten mit diesem außerhalb der USA stattfindenden Ereignis nichts zu tun, obwohl wir vermutlich über einige Personen dort genau unterrichteten."

Die Befragung wandte sich dann den Luftverteidigungsplänen gegen Selbstmordanschläge zu.

Ben Veniste: "Ich möchte Sie fragen: Wissen Sie etwas darüber, ob die im Jahr 2001 gesammelten Geheimdienstinformationen über verschiedene Pläne von Terroristen, Flugzeuge in irgendeiner Weise als Waffen einzusetzen, in die Planungen der Verteidigung und des Schutzes unserer Heimat und besonders unserer Hauptstadt, Eingang fanden?"

Freeh: "Ich weiß von einem solchen Plan nichts."

Ben-Veniste: "Können Sie angesichts der Tatsache, dass wir die Informationen hatten und - wie wir jetzt wissen - unsere Verteidigung wie im Kalten Krieg nach außen gerichtet war, erklären, warum es keine solchen Verteidigungsmaßnahmen in Bezug auf unser Inland gab? Lag hier, angesichts all der zu dieser Zeit verfügbaren Informationen, ein Versagen der Clinton-Regierung oder der Bush-Regierung vor?"

Freeh: "Nun, ich würde das nicht als Versagen einer der beiden Regierungen bezeichnen wollen. Sie und ich wissen, dass es damals Luftverteidigungssysteme gab, die das Weiße Haus schützten. Es gab Verteidigungssysteme, die zum Militärkommando in Washington DC gehörten. Ich glaube nicht, dass es einen Plan gab - zumindest ist mir davon nichts bekannt - der berücksichtigte, dass entführte zivile Maschinen als Waffen missbraucht werden könnten. Ich glaube nicht, dass eine solche Möglichkeit Bestandteil irgendeines Plans war."

Bezeichnenderweise war das Verteidigungsministerium laut Freeh und Ben-Veniste in die Luftverteidigungspläne beim Genua-Gipfel einbezogen. Aus Sicherheitsgründen übernachtete Bush an Bord eines Schiffes der US-Marine, statt in einem Hotel. Luftabwehrwaffen waren rund um Genua platziert und hatten den Befehl, jedes entführte Flugzeug abzuschießen, welches gegen die versammelten Präsidenten und Premierminister gerichtet werden könnte. Aber in Washington DC gab es keine solchen Vorkehrungen.

Das NORAD-Szenario

Zur selben Zeit, als letzten Monat die CIA- und FBI-Beamten öffentlich von der 9/11-Kommission befragt wurden, berichtete die Washington Post, dass das NORAD (Nordamerikanisches Luftverteidigungskommando) wenige Monate vor dem 11. September 2001 - und nachdem Rumsfeld schon Verteidigungsminister war - die Möglichkeit diskutiert habe, ein entführtes Zivilflugzeug könne bei einem Terroranschlag ins Pentagon gelenkt werden.

In dem Artikel vom 15. April 2004 heißt es: "Die Beamten des US-Militärs sagten gestern, dass sie, als sie Monate vor den Anschlägen des 11. September 2001 eine Übung für die höchsten Ränge planten, ein Szenario in Betracht zogen, in dem ein entführtes Flugzeug in das Pentagon gelenkt werden könne."

Der Bericht stützt sich auf die E-Mail eines pensionierten Armee-Offiziers, die dieser kurz nach dem 11. September schrieb, um das Verhalten des NORAD während der Terroranschläge zu rechtfertigen. Die unerklärliche Verzögerung bis zum Erscheinen der Kampfflugzeuge über New York und Washington, nachdem die Luftfahrtbehörde die Entführungen gemeldet hatte, hatte Anlass zu heftiger Kritik gegeben.

Der Offizier wies darauf hin, dass das Entführungsszenario von einem NORAD-Planer vorgeschlagen worden war, vom Stab jedoch als "zu unrealistisch" abgelehnt wurde. Seine E-Mail verwies auch darauf, dass das US-Pazifik-Kommando die Idee ebenfalls ablehnte und dies damit begründete, dass sie eine "Ablenkung von den Übungszielen" darstelle. Ein Sprecher des Pentagon bestätigte, dass das Szenario für die Übung vorgeschlagen und abgelehnt wurde. In dem Manöver namens "Positive Kraft" sollte geübt werden, das Kommando über die Streitkräfte im Kriegsfall auch dann zu halten habe, wenn das Pentagon-Gebäude selbst zerstört sei.

Die Rolle des NORAD im Zusammenhang mit dem 11. September wird im Mai noch Gegenstand weiterer Zeugenaussagen vor der 9/11-Kommission sein. Vierundvierzig Minuten verstrichen vom Zeitpunkt des Einschlages des American-Airlines-Fluges 11 ins World Trade Center bis zum Start der Kampfflieger vom Luftwaffenstützpunkt Langley in Virginia. Kein einziger Kampfflieger kam von der Andrew-Luftwaffenbasis, die Washington am nächsten liegt.

Es bleibt unklar, wann Bush die entführten Maschinen zum Abschuss freigab und ob bzw. wann dieser Befehl dann vom Pentagon an die Piloten der NORAD ging. Beamte des NORAD sagten aus, dass sie am 11. September nicht vor 10 Uhr 10 von diesem Befehl erfuhren, nachdem also der vierte Jet in Pennsylvania in ländlichem Gebiet abgestürzt war. Anfangs weigerte sich NORAD, die von der 9/11-Kommission gewünschten Unterlagen herauszugeben und forderte zunächst einen förmlichen Antrag auf Herausgabe.

Warum gab es keine Schutzmaßnahmen gegen Flugzeugentführungen?

Die Geschichte von der "ungenügenden Vorstellungskraft" fällt sofort in sich zusammen, wenn man sie für einen Augenblick akzeptiert und dann die logisch nahe liegendste Frage stellt. Angenommen, niemand in der Bush-Regierung erkannte die Möglichkeit, dass entführte Linienflugzeuge als fliegende Bomben missbraucht werden könnten. Wie verhält es sich dann aber mit Vorkehrungsmaßnahmen gegen Entführungen, die den häufiger vorkommenden Zweck verfolgen, politische Zugeständnisse zu erpressen? Es geht klar aus den Akten hervor, dass auch Maßnahmen dagegen unterblieben.

Am 5. Juli 2001, nach mehrfachen geheimdienstlichen Warnungen und dem anhaltenden Drängen Richard Clarkes, dem Antiterrorspezialisten im Nationalen Sicherheitsrat, baten die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und der Stabschef des Weißen Hauses, Andrew Card, die Chefs der wichtigsten nationalen Behörden zu einem Treffen im Weißen Haus, um von Clarke Informationen zu bekommen. Zu den versammelten Behörden gehörten neben dem FBI auch die Bundesluftfahrtbehörde, der Zoll und die Einwanderungsbehörde.

Am 6. Juli schickte Clarke eine E-Mail an Rice, in der er die Punkte aufführte, in denen beim Treffen Übereinstimmung erzielt wurde. Dazu gehörte auch ein Beschluss, dass das FBI, die CIA und das Pentagon "detaillierte Pläne für den Fall von drei bis fünf gleichzeitigen Angriffen" ausarbeiten sollte.

Aber der Inhalt dieser Entscheidungen wurden nicht den Beamten mitgeteilt, die für die Umsetzung verantwortlich waren. Weder die Direktorin der Luftfahrtbehörde, Jane Garvey, noch ihr Chef Norman Mineta wurden über die Entscheidungen vom 5. Juli informiert. Die Bundesluftfahrtbehörde gab eine Anweisung an die Fluggesellschaften, dass man mehr Wachsamkeit hinsichtlich der Gefahr von Entführungen walten lassen solle, forderte aber keine konkreten Maßnahmen. Die Außenstellen des FBI wurden nicht über drohende Terroranschläge in den USA informiert.

Im vorläufigen Bericht der 9/11-Kommission heißt es: "Beginnend mit dem 27. Juli erließ die Bundesluftfahrtbehörde (FAA) Direktiven für die Luftfahrtgesellschaften. Zusätzlich gab die FAA eine Reihe allgemeiner Warnungen bezüglich potenzieller - in erster Linie ausländischer - Bedrohungen für die zivile Luftfahrt aus. Die Luftfahrtgesellschaften wurden aufgefordert wachsam zu sein, aber es wurden keine Maßnahmen gefordert."

Das Kommissionsmitglied Jamie Gorelick, Demokrat und stellvertretender Justizminister in der Clinton-Regierung, warf diese Frage gegenüber Condoleezza Rice am 8. April auf. Aber die Zunge der Nationalen Sicherheitsberaterin schien gelähmt zu sein.

Gorelick: "Lassen Sie mich einige Fakten nennen. Sie können diese dann kommentieren.

Zunächst - während Dick Clarke Sie möglicherweise informierte, berichteten viele andere im Nationalen Sicherheitsrat und viele Verantwortliche der Inlandsgeheimdienste ihren Vorgesetzten nicht davon. Mineta, der Minister für Transport, hatte keine Kenntnis von der Bedrohungslage. Der Leiter der FAA, verantwortlich für die Sicherheit der zivilen Luftfahrtgesellschaften, hatte keine Vorstellung von der Bedrohung. Ja, der Justizminister wurde informiert, aber die Information enthielt keine Hinweise auf zu ergreifende Maßnahmen.

In Ihrer Erklärung heißt es, dass das FBI seine Stäbe anwies, herauszufinden, was wirklich vor sich ging. Dazu haben wir nichts in den Akten. Der Terrorismus-Stab in Washington erklärt, nie etwas über die Bedrohung gehört zu haben. Er erfuhr nicht von den Warnungen und wurde nicht zum Treffen (mit Clarke) gebeten. Die Agenten mit besonderen Aufgaben im Land, besonders in Miami, wussten nichts davon. Nun komme ich zurück zu Ihnen. Haben Sie wirklich auf die vom FBI herausgegebenen Nachrichten geachtet?"

Rice: "Ja."

Gorelick: "Mir, und Sie können mich gern korrigieren, erscheinen sie nutzlos. Sie sagen niemand etwas und bringen keinen auf die Beine."

Das Kommissionsmitglied Bob Kerrey, ein ehemaliger Senatsabgeordneter der Demokraten, ist ein begeisterter Befürworter des Irakkrieges. Er fasste die Widersprüche in den Aussagen der Bush-Regierung zusammen. Auf der einen Seite behauptete sie, sie sei vom 11. September überrascht worden, auf der anderen Seite gab sie an, sie habe sich angesichts der Bedrohung durch al Qaida "auf Gefechtsstation" (Rice) befunden. Kerrey befragte den ehemaligen Antiterror-Chef Cofer Black. Er bezog sich auf die Bandaufzeichnung eines Gespräches der Flugbegleiterin Betty Ong, die in einem der entführten Jets umkam, mit dem Personal der FAA am Boden.

Kerrey: "Lassen Sie mich eine letzte Frage stellen. Wie in Gottes Namen konnte es dazu kommen? Ich höre von Gefechtsstationen und allem Möglichen, aber auf den Flughäfen ging alles seinen gewohnten Gang. Wir standen Gewehr bei Fuß. Aber wir waren nicht auf eine Entführung vorbereitet. Sie können jetzt sagen: ‚Gut, aber wir wussten von der ganzen Verschwörung nichts’ - eine einfache Entführung hat uns überrascht. Wie in Gottes Namen konnte das passieren?"

Black: "Soll ich Ihnen darauf antworten ?"

Kerrey: "Ja, wenn Sie können. Wenn nicht, auch gut. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es könnte."

Black: "Meine Antwort lautet, dass ich es nicht weiß. Aber ich möchte sagen, eben deshalb sind wir eine eher paranoide Truppe, die nicht viel zum Schlafen kommt."

Über die Bemerkungen Kerreys sollte man nachdenken. Der Senator, ein "Falke", äußert sich verärgert über die offensichtlich falsche Behauptung der Regierung, dass sie die Terrordrohung vor dem 11. September ernst genommen habe. Selbst elementare Vorkehrungen gegen solche Entführungen, wie man sie bereits erlebt hatte, wurden nicht getroffen. Warum nicht? Die Vorstellung, dass der gesamte Geheimdienstapparat geschlafen habe, das Gerede von "Keiner konnte es sich vorstellen" etc. ist einfach lächerlich.

Die weit plausiblere Antwort - die weder Kerrey noch Black zu äußern wagen - ist, dass die US-Regierung die Verteidigung absichtlich herunterfuhr. Die Bush-Regierung wünschte eine Terrorattacke, vielleicht eine Flugzeugentführung, die ein Risiko für einige Hunderte darstellte, um den Vorwand für eine weltweite militärische Aggressionen zu haben, in deren Verlauf inzwischen schon zwei Regierungen gestürzt wurden und Afghanistan und Irak besetzt worden sind.

Rice, Rumsfeld, Cheney und Co. haben beständig - und mit seltsam gedrechselten Formulierungen - behauptet, dass sie etwas unternommen hätten, wenn sie nur gewusst hätten, dass Terroristen am 11. September vier Flugzeuge zu entführen planten, um sie ins World Trade Center und ins Pentagon zu steuern. Wenn an diesem Gerede irgendetwas wahr ist, dann das: Die Bush-Regierung hatte vermutlich nur unklare Vorstellungen davon, dass ein Anschlag drohte und insgeheim wird sie ihn begrüßt haben, weil er ihr einen Kriegsgrund liefern würde. Ihr "Mangel an Vorstellungskraft" bedeutete, dass sie nicht vorhersehen konnte, welchen kolossalen Schlag der 11. September bringen würde.

Siehe auch:

Anhörungen über den 11. September lassen politische und historische Hintergründe außer acht
( 2. April 2004)

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