Ageeb-Prozess muss vor Landgericht neu aufgerollt werden

Der Prozess gegen drei BGS-Beamte, die bisher der fahrlässigen Tötung des 30-jährigen Aamir Ageeb beschuldigt wurden, ist am 22. März vom Amtsgericht an das höhere Landgericht verwiesen worden und muss dort neu verhandelt werden. Amtsrichter Ralph Henrici war nach elf Verhandlungstagen zum Schluss gelangt, dass gegen die drei Angeklagten Schmidt, Schwalb und Denizdelen ein hinreichender Tatverdacht auf gemeinschaftlich begangene Körperverletzung mit Todesfolge bestehe, was die Verhandlung vor einem Schwurgericht erforderlich macht.

Anschaulich beschrieb der Richter noch einmal den Tathergang. Vor fünf Jahren, am 28. Mai 1999, sollte der Sudanese Aamir Ageeb stark gefesselt in einer Lufthansa-Maschine abgeschoben werden. Während der Startphase sagte er zweimal deutlich: "Ich bekomme keine Luft mehr", richtete sich danach auf und schrie laut. Um ihn am Schreien zu hindern, drückten die drei Beamten - einer von links, einer von rechts und der dritte vom Vordersitz aus - Ageeb minutenlang gemeinsam hinunter.

Wörtlich sagte der Richter: "Damit haben sie bei ihrem Opfer Schmerzen, panische Angst und Todesangst billigend in Kauf genommen, auch wenn ihnen nicht klar war, dass es schon ein Todeskampf war. Das Gericht geht davon aus, dass die Angeklagten nicht bewusst Ageeb töten wollten, aber sie haben ihm eine körperliche Misshandlung und leichte Gesundheitsbeschädigung zugefügt und ihm die Luft entzogen, um ihn am Schreien zu hindern. Ageeb selbst konnte sich nicht rühren, von ihm ging keine Gefahr für die öffentliche Ordnung aus."

Der Richter fuhr fort, es sei "grob unverhältnismäßig" gewesen, Ageeb im wahren Wortsinn die Luft zum Atmen zu nehmen, soviel sei für die Angeklagten überblickbar gewesen. Was die Angeklagten dabei dachten oder beabsichtigten, entziehe sich der Kenntnis des Gerichts, da sie sich zu keinem Zeitpunkt dazu geäußert hätten. Deshalb müsse das Gericht aufgrund von Indizien, Hinweisen und Zeugenaussagen zu einer Entscheidung kommen. Diese hätten aber den Tatbestand des Hinunterdrückens klar belegt.

Mit dieser Entscheidung hat das Gericht politische Bestrebungen vereitelt, den Fall möglichst niedrig zu hängen und die beteiligten BGS-Beamten mit einer Ordnungsstrafe davonkommen zu lassen. Die Reaktion der im Publikum anwesenden Bundesgrenzschützer - wohl Kollegen der Angeklagten - auf die Entscheidung war denn auch deutlich ungehalten, sie stöhnten und verzogen die Gesichter.

Die Bemühungen, Aamir Ageebs Tod als Bagatelle zu behandeln, waren schon darin zum Ausdruck gekommen, dass es fünf Jahre dauerte, bis der Fall endlich zur Verhandlung kam, und dass man ihn nur vor das Amtgericht brachte - die niedrigst mögliche Instanz. In der sechs Wochen dauernden Verhandlung hatten dann die drei Verteidiger versucht, ihre Mandanten, die selbst während des ganzen Prozesses kein einziges Wort äußerten, als kleine Befehlsempfänger hinzustellen, die nur ausgeführt hätten, was man von ihnen verlangt habe.

Aber die Schilderungen zahlreicher Zeugen, darunter Angehörige des Flughafenpersonals und Passagiere, ließen keinen Zweifel daran, dass die BGS-Beamten den stark gefesselten Ageeb mit massiver Gewalt heruntergedrückt hatten. Zwei sachverständige medizinische Gutachter veranschaulichten, welche Auswirkungen dieses Herunterdrücken hatte, und dass das Opfer qualvoll erstickt war.

Eine Stewardess sagte im Zeugenstand aus, wie sehr sie sich damals gewundert habe, dass gleich drei BGS-Beamte den schwer Gefesselten mehrere Minuten lang hinunterdrückten. Diese Aussage wurde vom Nebenkläger Dieter Kornblum, der Ageebs sudanesische Familie vertritt, zum Anlass für einen Antrag genommen, den Fall an das Landgericht zu verweisen. Am letzten Prozesstag vertrat auch Staatsanwalt Möller zeitweise diese Ansicht, obwohl er keinen diesbezüglichen Antrag stellte. Der Richter folgte zuletzt dem Antrag des Nebenklägers.

Nun ist die Schwurgerichtskammer des Landgerichts aufgerufen, den Fall noch einmal neu zu verhandeln. Diesmal lautet die Anklage nicht mehr auf "fahrlässige Tötung", sondern auf "gemeinschaftlich begangene Körperverletzung mit Todesfolge", worauf eine Mindeststrafe von drei Jahren Gefängnis steht.

Siehe auch:
Interview mit einer Prozessbeobachterin
(27. März 2004)
Schily muss bei Ageeb-Prozess nicht aussagen
( 12. März 2004)
Fünf Jahre nach Aamir Ageebs Abschiebung und Tod: Bundesgrenzschützer wegen "fahrlässiger Tötung" in Frankfurt vor Gericht
( 11. Februar 2004)
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