Ageeb-Prozess:

Interview mit einer Prozessbeobachterin

Nach der Entscheidung des Richters, den Ageeb-Prozess an das Landgericht zu verweisen, sprachen wir mit Heidrun G., einer Prozessbeobachterin, die selbst Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen hat. Sie hatte den ganzen Ageeb-Prozess vom Zuschauerraum aus mitverfolgt.

Frage: Wie schätzen Sie die heutige Entscheidung des Richters ein?

Heidrun:Der richterliche Beschluss von heute lautet, dass der Ageeb-Prozess vor einem Schwurgericht, dem Landgericht verhandelt werden muss. Ich hoffe, dass das Strafmaß für die BGS-Beamten dadurch höher wird. Natürlich wird man ihre Tat nicht als Mord bezeichnen, aber ich habe eben immer im Hinterkopf, wie BGS-Beamte am Flughafen agiert haben, und dass sie das sicherlich auch heute noch tun. Deshalb muss man einmal deutlich machen, dass das einfach nicht geht. Und wer trotzdem so handelt, der muss mit Konsequenzen rechnen, das heißt, er muss stark bestraft werden.

Hier ist ein Mensch umgekommen, und wie es aussieht, haben sie ihn erdrückt. Dafür müssen sie bestraft werden.

Mir ist es außerordentlich wichtig, dass den BGS-Beamten am Flughafen oder egal wo endlich deutlich dargelegt wird, dass sie auch mit Asylbewerbern wie mit Menschen umgehen müssen und sie nicht behandeln wie ein Paket, das man zum Flughafen bringen und abschieben kann. Es handelt sich um Menschen, mit denen man menschlich umgehen muss. Offensichtlich machen Bundesgrenzschützer das nicht freiwillig.

Frage: Sie haben selbst am Flughafen im Transitbereich gearbeitet?

Heidrun:Ja, 1993 habe ich ein halbes Jahr am Flughafen ehrenamtlich im Sozialdienst mit Asylbewerbern gearbeitet. Und das Verhalten der BGS-Beamten dort war - lasch ausgedrückt - unter aller Garantie. Es gab dort zum Beispiel eine junge Somalierin, mit der ich mich gut verstand - wir nannten uns gegenseitig Schwester. Sie sagte mir eines Tages freudestrahlend, sie hoffe und glaube, dass sie schwanger sei. Ich hab sie noch vor Augen, obwohl es zehn Jahre her ist. Sie wollte Gewissheit haben, und deshalb sollte ich sie doch zur Flughafenklinik begleiten.

Das habe ich dem zuständigen BGS-Chef gesagt, aber er sagte mir nur: "Nein nein, keine Angst, wir haben ja selbst Frauen beim BGS, die das machen können." Nach einer Weile kam Ratija heulend zurück und sagte, bei der Untersuchung durch einen Arzt in der Flughafenklinik seien die ganzen BGS-ler im Kreis darum herumgestanden und hätten zugeschaut. Es war keine Frau dabei, es waren alles Männer, und sie hat sich sehr geschämt. Vielleicht hat es sie noch mehr gestört, weil sie Moslem war.

Man ging dort menschenverachtend mit den Leuten um. Kinder wurden herumgestoßen und den Frauen wurden die Kopftücher heruntergerissen. Das konnten die BGS-Beamten alles machen, weil keine Öffentlichkeit vorhanden war. Der Transitbereich ist ja vollkommen abgeschottet, in dem Gebäude ist außer den Flüchtlingen nur der Sozialdienst oder der Bundesgrenzschutz anwesend.

Frage: Ist das der Grund, warum Sie selbst auch am BGS-Prozess anwesend sind und so für Publikum sorgten?

Heidrun:Ja, es ist immer wichtig, Öffentlichkeit zu schaffen. Das ist auch meine Erfahrung vom Flughafen. Da gab es einmal eine Frau aus dem Irak, sie hieß Mariam, die mehrmals mit Selbstmord gedroht hatte. Das ist übrigens kein Wunder, wenn man sieht, wie sie da leben müssen, kaserniert und schlecht behandelt, ohne zu wissen, was die Zukunft bringt.

Eines Tages sagte man uns vom Sozialdienst: Heute kommt die Presse. Auch Bischof Kamphaus sei dabei, und wir sollten bloß nichts sagen. Da meine Freundin und ich aber ehrenamtliche Hilfskräfte waren, hat uns das nicht interessiert: wir haben natürlich geredet und der Presse auch die Sache mit der Selbstmorddrohung der Mariam gesagt. Daraufhin wurde in den Zeitungen darüber berichtet. Jedenfalls konnte diese Frau schließlich einreisen und hat überlebt, sie war später in Baden-Württemberg verheiratet. Ich habe heute keinen Kontakt mehr zu ihr, aber ich hoffe, es geht ihr gut.

Frage: Wie schätzen Sie den Tod von Aamir Ageeb heute ein, nachdem Sie den Prozess erlebt haben?

Heidrun:Ich denke, es hat einmal mehr gezeigt, dass das ganze System der Abschiebungen menschenverachtend ist. Der Prozess allein genügt nicht. Es muss sich politisch einiges ändern, denn auf der Anklagebank sitzen zwar die Ausführenden, aber nicht die Auftraggeber.

Man muss bei der Politik ganz oben beginnen, das heißt bei Schily. Und wenn ich Schily sage, so fällt mir sofort ein, was der früher einmal vertreten hat, da finde ich noch viel schlimmer, was heute alles passiert. Eins muss doch klar sein: sie haben kein Recht, anderen Menschen gegenüber Gewalt auszuüben, auch wenn diese sogenannte "Illegale" sind. Was man hier mit den Menschen macht - da fehlen mir die Worte.

Aber wenn die BGS-ler auch nur Werkzeuge sind, so haben sie doch immer noch einen eigenen Willen. Und jeder normale Mensch weiß, wenn man jemandem die Luft abdreht, dass der dann irgendwann erstickt. Die Angeklagten haben aber bei dem ganzen Prozess kein Wort gesagt. Nicht einer hat gesagt, es tut uns leid, dass Ageeb tot ist. Natürlich wird keiner sagen: Es tut uns leid, dass wir ihn umgebracht haben. Aber es tut uns leid, dass der Mensch in diesem Flugzeug gestorben ist, das könnten sie sagen. Er ist ja nun mal erstickt.

Für mich beweist das wieder nur, dass diese Person nicht als Mensch betrachtet wurde, sondern als ein Päckchen, das man im Flugzeug abschiebt, und dabei hat Rassismus mitgespielt.

Siehe auch:
Ageeb-Prozess muss vor Landgericht neu aufgerollt werden
(27. März 2004)
Schily muss bei Ageeb-Prozess nicht aussagen
( 12. März 2004)
Fünf Jahre nach Aamir Ageebs Abschiebung und Tod: Bundesgrenzschützer wegen "fahrlässiger Tötung" in Frankfurt vor Gericht
( 11. Februar 2004)
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