Frankreich: Mord an Arbeitsinspektoren zeigt scharfe soziale Spannungen

Sylvie Tremouille (40) und Daniel Buffière (45), zwei französische Arbeitsinspektoren, wurden am Nachmittag des 2. September mit einem Jagdgewehr erschossen. Sie wollten auf einer Farm in Saussignac in der Dordogne die Verträge und Arbeitsbedingungen von über einem Dutzend Saisonarbeitern kontrollieren. Ihr Mörder, Claude Duviau, war der Bauer und Teileigentümer des zwanzig Hektar großen Guts mit Weinberg und Zwetschgenplantage. Duviau, ein ehemaliger Soldat und Versicherungsangestellter, schoss Buffière in den Bauch und Tremouille in den Rücken. Darauf richtete er das Gewehr gegen sich selbst, überlebte aber den Schuss.

Es wäre falsch, die Morde einfach als die Tat eines einzelnen, geistesverwirrten Bauern abzutun.

Das tragische Ereignis wirft ein Licht auf die krasse Not kleiner Bauern in Frankreich, die zwischen den Supermarktketten, dem globalen Wettbewerb, dem Preisverfall und den Arbeitskosten aufgerieben werden. Serge Mornac, Bürgermeister von Saussignac, sagte der Presse: "Vor zwanzig Jahren verkauften wir unsern Wein für 4.500 Francs [687 Euro] pro Fass. Heute erzielt er noch immer denselben Preis." Ein Nachbar von Duviau bemerkte: "Bei ihm ist eine Sicherung durchgebrannt. Seit über einem Jahr hat er immer gesagt, dass die Regierung und die Banken es auf ihn abgesehen hätten. Er litt unter Verfolgungswahn und wurde depressiv."

Das Ereignis wirft auch ein Licht auf die Spannungen, die sich zwischen Arbeitern und Arbeitgebern aufbauen. Die Angestellten der Arbeitsinspektion traten am 16. September für einen Tag in den Streik, um ihrer getöteten Kollegen zu gedenken, und forderten "deutlich verbesserte Mittel". Sie verurteilten die Tatsache, dass sie selbst und ihre Aufgabe immer stärker unter Beschuss geraten - sowohl von Seiten der Unternehmen, die eine Vereinfachung des Arbeitsrechts verlangen, wie von Seiten der 81 ultra-liberalen Parlamentsabgeordneten unter Führung von Alain Madelin, die im Sommer 2003 eine Reform der Arbeitsinspektion und die Einschränkung ihrer Kompetenzen vorschlugen.

Eine Sprecherin des Nationalen Instituts für Arbeit, Beschäftigung und Berufsausbildung bei Lyon erklärte: "Dieser Mord ist kein Einzelfall. Ich fürchte, er könnte ein Vorbote von Schwierigkeiten und Tragödien sein, die uns bevorstehen." Sie sagte, das Institut sei sich eines wachsenden Risikos für die Inspektoren bewusst, weil die Arbeitgeber die Arbeits-, Gesundheits- und Sicherheitsgesetze immer stärker ablehnten. Die Erklärung von Jean-Claude Ducatte von der Managementberaterfirma Epsy bestätigte diese Beobachtung: "Der Inspektor untergräbt die Macht der Bosse. (...) Man schickt sie in die Betriebe, wo sie sich den Patron vornehmen sollen - das bringt sie natürlich in Schwierigkeiten."

Dominique, ein Inspektor aus dem Jura, erklärte: "Als ich vor 17 Jahren zu arbeiten anfing, galt es als legitime Maßnahme, dass man von der Arbeitsinspektion kontrolliert wurde. Heute wird unsere Arbeit als Schikane empfunden."

Eine andere Kollegin sagte: "Es fällt auf, dass die Arbeiter sich nicht mehr getrauen, zu uns zu kommen und sich zu beklagen. Heutzutage kommen sie erst in unser Büro, wenn sie entlassen sind, aber dann rücken sie mit allem raus: den unbezahlten Überstunden, dem Druck, den rassistischen Beleidigungen. Wir sagen ihnen: ‚Ihr habt Rechte, ihr könnt sie durchsetzen’, aber wir merken, dass sie Angst haben."

Sie berichtete von einem Kleiderfabrikanten, der den Arbeiterinnen sagte: "Wenn ihr plärrt, dort ist die Tür. Für jede von euch gibt es zehn andere, die sogar bezahlen würden, um hier arbeiten zu können."

Christophe sprach über den Widerspruch, einerseits auf einem Mindeststandard für die Arbeiter einer Firma zu bestehen, andererseits dadurch deren Bankrott zu provozieren: "Oft fasst der Boss den Besuch als Verletzung seines Eigentumsrechts auf, besonders wenn es sich um ein kleines Unternehmen handelt. (...) Der Unternehmer setzt uns unter Druck mit der moralischen Erpressung, Leute entlassen oder sogar den Betrieb verlagern zu müssen. Das hat man im Hinterkopf, wenn man einen Bericht schreibt und Sanktionen verlangt."

An der staatlich bewilligten Personalstärke der Inspektoren, die eigentlich die Einhaltung des Arbeitsrechts garantieren müssten, zeigt sich deutlich, wie gering ihre Arbeit von offizieller Seite her eingeschätzt wird. Es gibt nur 1.240 Arbeitsinspektoren und Gesundheits- und Sicherheitsbeamte, die sicherstellen sollen, dass die Unternehmer die 400 Gesetze und 8.000 Bestimmungen für Löhne und Arbeitsbedingungen von 15,5 Millionen Arbeitern im privaten Sektor einhalten. Die Hälfte der Betriebe hat außerdem keine Belegschaftsvertretung. Der Agrarsektor ist neben dem Bergbau und dem Bausektor als besonders schwierig bekannt. Arbeitsinspektoren berichten, dass jeder Vierte der 800.000 Saisonarbeiter auf dem Land illegal 56 Stunden pro Woche arbeitet und 18 Prozent keinen Arbeitsvertrag haben.

Die übelsten Angriffe auf die Arbeitsinspektion kommen heute von Seiten der Legislative. Das Gesetz [des früheren Arbeitsministers François] Fillon vom 15. Oktober 2002 weicht die Verpflichtung der Unternehmer zur 35-Stunden-Woche auf. Es erweitert das Recht auf Mehrarbeit von 130 auf 180 Überstunden jährlich. Es erlaubt kleinen Unternehmern, die Überstundenzulagen von 25 Prozent auf nur zehn Prozent zu reduzieren.

Schon das Gesetz der früheren Regierung von Lionel Jospin (Sozialistische Partei) über die 35-Stunden-Woche erlaubte es einzelnen Unternehmern, lokale Verträge auszuhandeln, die Flächen- oder nationale Tarifverträge aussetzten. Diese Tendenz, alle Errungenschaften verhandelbar zu machen, wird durch die Abänderungen des Arbeitsrechts durch die jetzige Regierung noch verstärkt. Diese Änderungen untergraben das Prinzip, das für die Arbeitsbeziehungen der letzten fünfzig Jahre gültig war: dass lokale Verträge keine Rechte aushebeln können, die in Flächentarif- oder nationalen Verträgen festgeschrieben sind.

Die neue Gesetzgebung erlaubt es jedem Betrieb, Verträge einzeln abzuschließen, auch wenn sie für die Arbeiter schlechter ausfallen, als im Flächentarif oder in Verträgen für eine oder mehrere Industriebranchen national vereinbart. Das kann beispielsweise für das Nicht-Bezahlen offizieller Feiertage oder bei Heirat, Umzug, einem Trauerfall oder bei Krankheit gelten.

Der Sozialstaat der Nachkriegszeit und der gesellschaftliche Konsens wurden in einer Reihe nationaler Übereinkommen festgeschrieben, die im Rahmen der Zusammenarbeit der Gewerkschaften und linken Parteien einen gewissen sozialen Frieden garantierten. Die Arbeitsinspektion wurde schon Ende des neunzehnten Jahrhundert gegründet, um das gesetzliche Verbot der Kinderarbeit durchzusetzen. Größere Unternehmer akzeptierten und begrüßten sogar den Dienst der Arbeitsinspektion, die zusammen mit den Gewerkschaften zur Besänftigung von unbequemen Beschwerden diente und zu einem glatteren Arbeitsablauf beitrug. Ein allgemein akzeptiertes Niveau der Arbeitsverträge, Löhne, Arbeitsbedingungen, Gesundheits- und Sicherheitsnormen half sogar den großen Firmen, von der Großproduktion und fortgeschrittenen Technologien zu profitieren und ihre kleineren Konkurrenten, die diese Normen nicht erfüllen konnten, auszuschalten.

Die Entstehung des globalisierten kapitalistischen Markts und die wachsende ökonomische und militärische Rivalität innerhalb der Europäischen Union und zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zwingen die herrschenden Eliten heute, mit derartigen Vereinbarungen aufzuräumen, um die Arbeitskosten zu senken.

Die Minimalstandards, die die Arbeits- und Gesundheitsgesetze und die Gesetze zur Arbeitssicherheit immer noch verlangen, werden von der Wirtschaft zunehmend als Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit und für Frankreichs Attraktivität für mögliche Großinvestoren gesehen. Das ist der Grund für die Kampagne der Madelin-Gruppe, die das Arbeitsrecht aushöhlen will. Sie wollen das Recht der Inspektoren beschneiden, widerspenstige Unternehmer zu bestrafen, und sie zu einem reinen Hilfsgremium für die Konkurrenzfähigkeit der Firmen und zur Unterdrückung der Schwarzarbeit zurechtstutzen. Nicholas Sarkozy hatte, als er noch Innenminister war, die Arbeitsinspektoren ermächtigt, sich die Identitätsdokumente der Arbeiter zeigen zu lassen und ihre Aufenthaltsgenehmigung zu überprüfen.

Der wild wuchernde Einsatz von Subunternehmern durch große Firmen hat die Zahl kleiner Unternehmen sehr erhöht, die wie kleine Bauernhöfe stark unter Druck stehen, alle unnötigen Kosten zu vermeiden und die Gesundheits- und Sicherheitsbestimmungen außer Kraft zu setzen. Ihr Einsatz stellt für die großen Firmen eine Möglichkeit dar, die für die eigene Belegschaft gültigen Vereinbarungen zu umgehen. Selbst in staatlichen Unternehmen wie der Post oder den Eisenbahnen ist das mittlerweile üblich. Bei den Eisenbahnen wurde dieses Phänomen schon zur Zeit der Regierung der Mehrheitslinken gefördert, als Jean-Claude Gayssot, Mitglied der Kommunistischen Partei, noch Verkehrsminister war.

Eins der schockierendsten Beispiele dafür, dass die gültigen französischen Arbeitsbedingungen ausgehebelt werden, war der Bau des britischen Luxusliners "Queen Mary 2" auf der Schiffswerft Chantiers de l’Atlantique im westfranzösischen St. Nazaire. Sie wurde zum großen Teil von Arbeitern gebaut, die aus dem Ausland kamen und ganz legal zu den Billiglohnbedingungen ihres Herkunftslandes arbeiteten.

Siehe auch:
Frankreich: Regierung ermutigt Angriffe auf Arbeiter
(16. September 2004)
Agenda 2010 auf französisch
( 3. Februar 2004)
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