Italiens Verfassungsreform: Das Ende der Nachkriegsdemokratie

Silvio Berlusconis Verfassungsreform, die am 16. November im italienischen Senat verabschiedet wurde, verleiht dem Regierungschef präsidiale Vollmachten. Erst wenige Wochen zuvor hat der reichste Unternehmer Italiens bereits das Wahlrecht willkürlich ändern lassen, weil er hofft, sich dadurch in den kommenden Wahlen Vorteile zu verschaffen.

Die Verfassungsreform, die am 20. Oktober schon im Abgeordnetenhaus beschlossen worden war, erhält nun durch die Verabschiedung im Senat Gesetzeskraft. Ihr Hauptmerkmal besteht darin, die Exekutive massiv zu stärken, sowohl im Vergleich mit der Legislative, als auch gegenüber dem Staatspräsidenten. Dieser hatte bisher, entsprechend der Verfassung von 1948, durch seine Kontrollfunktion eine zu große Machtposition des Regierungschefs zu verhindern. Der Premierminister wird künftig direkt vom Volk gewählt und benötigt keine Vertrauensabstimmung im Parlament mehr.

Die Reform ermächtigt den Regierungschef, Minister zu ernennen oder zu entlassen und das Parlament aufzulösen. Außerdem ist er für die allgemeine politische Linie der Regierung und für die Einheit der politischen und administrativen Richtung zuständig. Damit schafft Berlusconi ein zentrales Element der Verfassung von 1948 ab, die nach der Erfahrung mit Mussolinis Faschismus dem Premierminister im Kreis der Minister die Rolle eines primus inter pares zuwies, ihn unter die Kontrolle des Staatspräsidenten stellte und ihn vom Vertrauen des Parlaments abhängig machte.

Der Staatspräsident (presidente della Repubblica) verliert jetzt entscheidende Vollmachten: Es liegt nicht mehr an ihm, den Ministerpräsidenten zu ernennen. Der Staatspräsident kann ohne ausdrückliche Aufforderung des Regierungschefs nicht mehr das Parlament auflösen und dadurch vorgezogene Neuwahlen herbeiführen.

Außerdem wird die Zuständigkeit des Parlaments verändert: Das Abgeordnetenhaus wird die einzige uneingeschränkt gesetzgebende Kammer sein, während der neue Bundessenat (senato federale) für Fragen zuständig sein wird, die in die Kompetenz sowohl des Zentralstaats als auch der Regionen fallen.

Im alten System konnte ein Gesetz nur verabschiedet werden, wenn beide, Repräsentantenhaus und Senat, den gleichen Text annahmen. Wenn künftig die zwei Kammern sich nicht auf einen Gesetzestext einigen können, dann müssen nach der neuen Verfassung die beiden Präsidenten eine Kommission aus dreißig Abgeordneten und dreißig Senatoren ernennen, die einen neuen Text zu erarbeiten haben, der schließlich von beiden Häusern angenommen werden muss.

Betrachtet man die neue Arbeitsweise des Parlaments im Licht der Vollmachten des Premiers, die ihm ja auch die Auflösung des Parlaments erlauben, wird schnell klar, dass es in Zukunft für eine Regierung leichter sein wird, neue Gesetze durch das Parlament zu bringen.

Der Senat verliert außerdem sein Recht, dem Premier das Misstrauen auszusprechen. Dieses steht nur noch der Abgeordnetenkammer zu, die dazu die absolute Mehrheit benötigt. Da jedoch durch das vor kurzem geänderte Wahlrecht die erfolgreichste Parteienkoalition automatisch die absolute Mehrheit erhält, verfügt der Premier über eine sichere Bastion im Parlament.

Stärkere regionale Autonomie

Das zweite Hauptelement der neuen Verfassung ist die sogenannte Devoluzione, die einen Schritt in Richtung Autonomie der Regionen darstellt. Die zwanzig italienischen Regionen erhalten größere Machtbefugnisse und sind in Zukunft für das Gesundheitssystem, die Schulen inklusive ihres Programms und die regionale und lokale Polizei zuständig. Dies führt zu massiven Angriffen auf elementare Rechte der Bevölkerung wie Bildung und Gesundheitsvorsorge.

Es ist ein Zugeständnis an die separatistische Lega Nord von Umberto Bossi, auf deren Unterstützung Berlusconi angewiesen ist, da sie bereits einmal, im Jahr 1994, durch ihren Austritt aus der Regierung den Zusammenbruch der ersten Berlusconi-Regierung provoziert hat.

Die Lega Nord fordert mehr regionale Autonomie, um damit die industrielle Bourgeoisie im Norden von der Steuerverantwortung für den armen Süden zu entlasten. Sie übergeht geflissentlich die Tatsache, dass ein großer Teil der Arbeiterklasse im Norden, die diesen Reichtum schafft, ursprünglich aus dem Süden stammt.

Die Föderalismusschritte der Verfassungsreform gehen letztlich in die Richtung, die Privatisierung des Bildungs- und Gesundheitsbereichs zu erleichtern. Sie greifen somit Grundrechte aller Bürger an, die seit dem zweiten Weltkrieg bestehen, und stellen Errungenschaften in Frage, für die die italienische Arbeiterklasse jahrzehntelang gekämpft hat.

Gespaltene Regierung

Berlusconi hat die Verfassungsreform, die dem Premierminister autoritäre Vollmachten verleiht, aus durchsichtigen Gründen des eigenen Machterhalts vorangetrieben. Die darin enthaltenen Aspekte der Dezentralisierung vertiefen jedoch die Spaltungen in seiner Regierung, der Casa delle Libertà.

Das beste Beispiel ist der Konflikt mit dem Koalitionspartner der neo-faschistischen Alleanza Nazionale von Gianfranco Fini. Sie unterstützt zwar die stärkere Machtkonzentration in der Hand des Regierungschefs, kritisiert jedoch heftig die Schritte zur Dezentralisierung, da sie fürchtet, ihre Wählerbasis im verarmten Süden zu verprellen. Fini und weitere AN-Vertreter sind vor Monaten schon aus Protest gegen die Föderalismuspläne vorübergehend aus der Regierung ausgetreten. Domenico Fisichella, Vizepräsident des Senats und AN-Gründungsmitglied, hat nun erneut mit seinem Parteiaustritt gedroht.

Nachdem es der AN nicht gelungen ist, die devoluzione zu verhindern, hat sie auf der Einführung eines Passus des "Nationalen Interesses" in die neue Verfassung bestanden. Danach kann die Regierung Regionalgesetze blockieren, wenn diese "gegen das nationale Interesse des Landes" verstoßen.

Zahnlose Opposition

Romano Prodi, Oppositionsführer und ehemaliger EU-Kommissionsvorsitzender, klagte im Parlament: "Das Haus der Freiheiten strebt eine gefährliche Diktatur des Ministerpräsidenten an." Aber die Opposition der Unione, zu der die katholische Margherita, die Grünen, die Linksdemokraten und Rifondazione Comunista gehören, verhält sich auffällig passiv. Obwohl sie das Referendum gegen die Reform eingeleitet hat, kann man nicht sagen, sie führe eine echte politische Kampagne gegen Berlusconi.

Um eine Volksabstimmung über diese Verfassungsänderung herbeizuführen, müssen die Unterschriften von einem Fünftel der Mitglieder einer Kammer oder 500.000 Wählern eingereicht werden. Dazu hat die Opposition drei Monate Zeit. Unter Berücksichtigung weiterer vorgeschriebener Fristen - 30 Tage für die Bestätigung der Unterschriften durch die zuständige Behörde und 60 Tage für die offizielle Ankündigung des Referendums durch den Präsidenten - rechnet niemand damit, dass das Referendum noch vor den nächsten Parlamentswahlen im April stattfinden wird.

Kein Oppositionspolitiker hat jedoch erklärt, warum es nicht möglich ist, in einem politischen Kampf gegen die Verfassungsreform die Arbeiter zu mobilisieren. Dabei ist die italienische Arbeiterklasse in wachsendem Maße radikalisiert, sie fordert seit Jahr und Tag in Streiks und Massenprotesten die Rücknahme der sozialen Kürzungen, wie auch den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak. So fand zum Beispiel letzten Freitag, den 25. November, der sechste Generalstreik gegen Berlusconis Wirtschaftspolitik in ganz Italien statt.

Vor einem halben Jahr hat Romano Prodis Ölbaum-Koalition bei den Regionalwahlen elf von 13 Regionen gewonnen. Heute gehen alle Wahlumfragen davon aus, dass Berlusconi bei den kommenden Parlamentswahlen im nächsten April eine Niederlage einstecken muss.

Die Opposition jedoch fürchtet eine Mobilisierung der italienischen Arbeiter ebenso sehr wie die Regierung. Romano Prodis Politik wird von den gleichen Interessen der Konzerne und Banken bestimmt wie diejenige Berlusconis. Die Unterschiede sind rein taktischer, nicht prinzipieller Natur. Romano Prodis neoliberales Wirtschaftsprogramm gleicht dem von Angela Merkel oder Tony Blair.

Vor zehn Jahren hat Prodi, als er an der Spitze einer Mitte-Links-Regierung stand, selbst föderalistische Verfassungsänderungen eingeleitet und mehr Machtbefugnisse für den Ministerpräsidenten gefordert. Niemand anderer als Prodi begann Mitte der neunziger Jahre mit dem Ausverkauf des öffentlichen Sektors, als er unter anderem die Staatsholding IRI privatisierte.

Der Abgrund, der die taktischen Manöver der sogenannten "Opposition" vom erbitterten Kampf der Arbeiter trennt, zeigt erneut die Notwendigkeit, eine neue Partei in der italienischen Arbeiterklasse aufzubauen, die sich auf den sozialistischen Internationalismus stützt. Nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die World Socialist Web Site bieten eine solche Perspektive.

Siehe auch:
Italien: Berlusconi ändert Wahlrecht um an der Macht zu bleiben
(29. Oktober 2005)
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