Italien: Berlusconi ändert Wahlrecht um an der Macht zu bleiben

Der italienische Regierungschef Silvio ist seit langem dafür berüchtigt, dass er sich über elementare demokratische Grundsätze hinwegsetzt und seine Macht skrupellos zur Verteidigung persönlicher Interessen nutzt.

So hat er mehrfach Gesetze geändert, um sich und seine Vertrauten staatsanwaltlichen Ermittlungen zu entziehen und die Kontrolle über sein Medienimperium zu behalten. Er hat seinen Einfluss auf private und öffentliche Fernsehkanäle genutzt, um kritische Stimmen zu unterdrücken, und eine öffentliche Hetze gegen Richter betrieben, die Korruption und kriminelle Machenschaften in der Wirtschaft aufdeckten. Nun hat er diesem autoritären Verhalten die Krone aufgesetzt, indem er sechs Monate vor der Parlamentswahl das Wahlrecht abänderte, um einen sich abzeichnenden Sieg der Opposition zu verhindern.

Die italienische Abgeordnetenkammer verabschiedete am 13. Oktober im Eiltempo eine Wahlrechtsreform, deren ausschließlicher Zweck darin besteht, bei den Wahlen vom 9. April 2006 eine Niederlage der von Berlusconi geführten Koalition "Haus der Freiheiten" zu verhindern. Für die Reform stimmten 323 Abgeordnete der Regierungsmehrheit. Die Opposition nahm aus Protest nicht an der Abstimmung teil. Sie sprach von Betrug und einem "Gesetz der Schande".

Das neue Recht löst das Mehrheitswahlrecht ab, das Anfang der neunziger Jahre als Reaktion auf die damaligen Schmiergeldskandale eingeführt und durch einen Volksentscheid besiegelt worden war. Nun führt Berlusconi, gestützt allein auf die rechte Mehrheit im Parlament, das Verhältniswahlrecht wieder ein - allerdings versehen mit so vielen Ausnahmeregelungen, dass es für den Normalbürger kaum mehr durchschaubar ist.

Für die meisten dieser Sonderregelungen gibt es weder ein internationales noch ein historisches Vorbild. Ihr Sinn erschließt sich erst, wenn man die Besonderheiten und das gegenwärtige Kräfteverhältnis der italienischen Parteienlandschaft betrachtet.

Hatte es 1993 noch fünf oder sechs parlamentarische Parteien gegeben, ist deren Zahl mittlerweile auf zwanzig angestiegen. Das Mehrheitswahlrecht hatte die Parteien zu Wahlabsprachen und Bündnissen gezwungen, wollten sie eine Chance haben, im Parlament vertreten zu sein. Berlusconis Rechtsbündnis befand sich dabei lange Zeit im Vorteil, da es einheitlicher und weniger zersplittert war als die Opposition.

Inzwischen hat sich aber Romano Prodi, der frühere Regierungschef und EU-Kommissionspräsident, als unumstrittener Spitzenkandidat der Oppositionsparteien durchgesetzt. Diese haben sich unter dem Namen Unione zu einem Bündnis zusammengeschlossen, zu dem unter anderem "Margherita" (Nachfolgepartei der Christdemokraten), die Linksdemokraten (ehemalige PCI), die Grünen sowie Rifondazione Comunista (PRC) gehören.

Am 16. Oktober, nur drei Tage nach der Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes, führte die Unione Primärwahlen nach amerikanischem Vorbild durch, um ihren Spitzenkandidaten zu bestimmen. Teilnehmen durfte jeder, der einen Euro bezahlte und sich ausdrücklich zum Programm der Unione bekannte. Statt der erwarteten 500.000 bis 700.000 beteiligten sich 4,2 Millionen Wähler an diesen Primarie, 74 Prozent votierten für Prodi. Die hohe Beteiligung war Ausdruck einer massiven Mobilisierung gegen Berlusconi, der auch in den Meinungsumfragen weit hinter Prodi zurück liegt.

Das neue Wahlrecht zielt darauf ab, dem Mitte-Links-Bündnis so viele technische Hindernisse wie möglich in den Weg zu legen. Es entspringt rein wahltaktischen Überlegungen und dürfte die nächste Wahl kaum überleben, wenn es nicht schon vorher vom Staatspräsidenten oder auf juristischem Wege kassiert wird.

Es enthält drei verschiedene Hürden, die übersprungen werden müssen, um ins Parlament einzuziehen - 10 Prozent für Koalitionen, 4 Prozent für Parteien und 2 Prozent für Kleinparteien, die einer Koalition angehören. Mehrere Kleinparteien der Unione - die Nachfolgepartei der Craxi-Sozialisten, die Rifondazione-Abspaltung Italienische Kommunisten u.a. - könnten an diesen Hürden scheitern. Für das weniger zersplitterte rechte Lager stellen sie dagegen ein geringeres Hindernis dar.

Das neue Wahlrecht macht es zudem unmöglich, dass Romano Prodi als unabhängiger Kandidat auf der Liste der Linksdemokraten kandidiert, wie bisher geplant war. Er muss einer Partei beitreten oder eine eigene gründen, was zu neuem Zwist unter den Oppositionsparteien führen könnte.

Der Gipfel der Ungerechtigkeit besteht aber darin, dass die Mandate trotz Verhältniswahlrecht nicht entsprechend der prozentualen Stimmenanteile vergeben werden. Der erfolgreichsten Parteienkoalition stehen nach dem neuen Recht nämlich automatisch 340 der insgesamt 630 Parlamentssitze zu, auch wenn sie ein weit geringeres Ergebnis erzielt. Theoretisch könnte es also sein, dass ein Parteienbündnis mit einem Stimmenanteil von 40 Prozent 340 Sitze erhält, während sich zwei andere mit jeweils 30 Prozent die restlichen 280 Sitze teilen müssen. Berlusconi will so sicherstellen, dass seine Regierung selbst dann an der Macht bleibt, wenn die Mehrheit der Wähler gegen sie stimmt.

Berlusconi, der gleichzeitig der reichste Unternehmer Italiens ist, liegt mit dieser Vergewaltigung des Wahlrechts im internationalen Trend: So hat vor fünf Jahren George W. Bush den US-Wahlsieg ohne wirkliche Mehrheit an sich gerissen, und in Deutschland sind führende Politiker dabei, in offener Missachtung des Wählerwillens eine Große Koalition mit neo-liberalem Kurs zu bilden.

Verfassungsreform

Innerhalb der italienischen Regierungskoalition trifft die Wahlrechtsreform vor allem bei der separatistischen Lega Nord von Umberto Bossi auf Skepsis, die in Norditalien ihre Hauptbasis hat und nicht überall im Land auf vier Prozent Unterstützung kommt. Da Berlusconi von der Zustimmung der Lega Nord abhängig ist, ist er ihr nun mit einer lange umstrittenen Verfassungsänderung entgegengekommen.

Die Verfassungsänderung wurde am 20. Oktober im Parlament beschlossen und erfüllt die alte Forderung der Lega Nord, den Regionen mehr Autonomie zu verschaffen. Diese will damit den relativ wohlhabenderen Norden Italiens vom armen Süden abkoppeln. Es zeigt sich, dass Berlusconis "Haus der Freiheiten" bereit ist, für seinen Machterhalt selbst die Gefahr eines Auseinanderbrechens des Nationalstaats in Kauf zu nehmen.

Mit der Verfassungsänderung verschafft sich der Regierungschef außerdem einige wesentliche, zusätzliche Kompetenzen auf Kosten des Staatspräsidenten. Sie sieht vor, dass künftig der Ministerpräsident - und nicht der Staatspräsident - darüber entscheidet, wann das Parlament aufgelöst wird, und er auch selbst die Minister ernennt oder entlässt. Sie richtet sich gegen den amtierenden Staatspräsidenten, Carlo Azeglio Ciampi, der schon mehrfach verhindert hat, dass neue Gesetze Berlusconis in Kraft treten konnten.

Parallel zur Wahlrechtsreform hat Berlusconi mit einer weiteren Gesetzesänderung die Gleichberechtigung der Parteien bei der Wahlwerbung außer Kraft gesetzt. In Zukunft soll es keine gesetzlichen Einschränkungen mehr bei der Sendung von Wahlwerbespots geben. Es wird erwartet, dass Forza Italia so viel Geld in den Wahlkampf steckt wie noch nie.

Was tut die Opposition?

Trotz der Gefahren, die von Berlusconis Angriff auf demokratische und soziale Rechte ausgehen, gibt es im heutigen Italien keine Opposition, die bereit wäre, die Bevölkerung gegen den Autokraten an der Spitze der Regierung zu mobilisieren.

Die Proteste, Demonstrationen und Streiks gegen die Politik der Regierung Berlusconi, in der auch die Faschisten der Alleanza Nazionale sitzen, wachsen seit Jahren und umfassen breite Teile der Bevölkerung - Arbeiter, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Studenten, Intellektuelle und Kulturschaffende.

An den Demonstrationen gegen die italienische Unterstützung des Irakkriegs hatten sich vor zwei Jahren Millionen beteiligt. Zur Zeit befinden sich die Flugbegleiter und Fluglotsen bei Alitalia seit Monaten im Arbeitskampf, in ganz Italien streiken die Studenten gegen die Hochschulreform, davor fand ein zweitägiger Journalistenstreik, ein Ausstand der Fahrer im Öffentlichen Nahverkehr, ein Streik des Gesundheitspersonals und wenige Wochen zuvor ein nationaler Streik der Metallarbeiter statt.

Am 15. Oktober beteiligten sich prominente Regisseure wie Roberto Benigni, die Brüder Taviani, Ettore Scola, Nanni Moretti und viele andere an einem nationalen Streik, mit dem Künstler und Kulturschaffende gegen jährliche Kürzungen im Kulturhaushalt von 160 Millionen Euro protestierten. Berlusconi hatte diese Kürzungen, die alle Theater, Opernhäuser, Museen und selbst das Filmfestival in Venedig betreffen, mit der Behauptung verteidigt, die Arbeit der 1000 Angestellten der Mailänder Scala könne "leicht auch von 400 erledigt werden".

Am 20. Oktober verfolgten über elf Millionen Zuschauer - eine Quote von 50 Prozent - die Sendung "RockPolitik" des Sängers Adriano Celentano zum Thema "Meinungsfreiheit". Celentano hatte den Fernsehjournalisten Michele Santoro eingeladen, der wegen kritischer Meinungsäußerung auf Geheiß Berlusconis entlassen worden war und in der Sendung Gleichheit und Freiheit forderte. Celentano zitierte eine Länder-Rangliste der Pressefreiheit, auf der Italien mit Bolivien und der Mongolei auf Platz 77 rangiert, und verglich das heutige Italien mit dem von Benito Mussolini.

Im Gegensatz zum Widerstand der Bevölkerung erweist sich die Opposition im Parlament als völlig zahnlos. Ihre Antwort auf die Verfassungs- und Wahlrechtsreformen beschränkt sich auf die Drohung, ein weiteres Mal an den Staatspräsidenten Ciampi oder an den obersten Gerichtshof zu appellieren und "unter Umständen" (Prodi) ein Referendum gegen die Verfassungsänderung anzustrengen.

Der Grund für Prodis zahme Reaktion liegt darin, dass er eine breite soziale Mobilisierung ebenso fürchtet, wie Berlusconi. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident vertritt ein Programm der wirtschaftlichen "Reformen", dass sich nur in Nuancen von dem Tony Blairs in England oder Angela Merkels in Deutschland unterscheidet.

Das offizielle Programm der Unione beinhaltet die Unterstützung der Wirtschafts-"Reformen" der EU und eine nur dürftig "pazifistisch" verhüllte Haltung zum Irakkrieg, die ein Bekenntnis zur UNO als einzig legitimer globaler Instanz mit einschließt.

Prodi hat sein Programm in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erläutert. Diese berichtete am 25. Oktober: "Auf die Frage, warum er noch einmal in den Wahlkampf ziehe, antwortete Prodi, er wolle ‚ein Mandat des Volkes für volle fünf Jahre’ und in dieser Zeit Italien gründlich reformieren, gleichsam ‚durchregieren’, unabhängig von Parteienstreit. Es sei notwendig, Italien nach fünf schlechten Jahren unter Berlusconi wieder Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zurückzugeben.... Dass er als Regierungschef im Jahr 1998 Italien in die Europäische Währungsunion geführt habe, gebe ihm bei den einfachen Leuten, aber auch bei Gewerkschaftern und Unternehmern Kredit. [...]

Weiter setze er ‚auch auf einen starken Aufschwung der deutschen Wirtschaft’, die für Italien lebenswichtig sei. Mit Neid habe er immer auf die Auslandsreisen des deutschen Bundeskanzlers mit den Chefs der großen deutschen Industrieunternehmen geblickt.... Die Übernahme der zweitgrößten deutschen Bank durch ein italienisches Institut sei ein ‚positives Zeichen’."

Prodi gehört zu den erprobtesten Vertretern der italienischen Bourgeoisie. Der damalige Christdemokrat hatte schon 1978 ein Ministeramt inne und stand jahrelang an der Spitze der größten staatlichen Industrieholding IRI, deren Privatisierung er vorbereitete. Als Chef der letzten Mitte-Links-Regierung qualifizierte er Italien durch ein drastisches Sparprogramm für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion. 1999 wurde Prodi EU-Kommissionspräsident. In seine Amtszeit fielen die EU-Osterweiterung und der Entwurf der neo-liberalen EU-Verfassung, die seither in Frankreich und Holland von der Bevölkerung abgelehnt wurde.

Auch wenn sich Berlusconi und Prodi persönlich in tiefer gegenseitiger Ablehnung verbunden sind, unterscheiden sich ihre Programme nur in taktischer Hinsicht. Berlusconi repräsentiert die rücksichtslose Aufsteigerschicht, die sich im Rahmen der Globalisierung bereichert hat. Er stützt sich auf kulturelle Rückständigkeit und die rechtesten Elemente im Kleinbürgertum, die er gegen die Arbeiterklasse in Stellung bringt.

Prodi dagegen wird eher von der traditionellen Großindustrie Italiens unterstützt. Er versucht die Arbeiterklasse in Schach zu halten, indem er deren traditionellen Parteien und die Gewerkschaften in die Regierungsverantwortung einbindet. Während Berlusconi sich stärker an Bush und den USA orientiert, setzt Prodi mehr auf den europäischen Imperialismus.

Unverzichtbare Unterstützung erhält Prodi von der Partei Rifondazione Comunista (PRC). Rifondazione ist Anfang der neunziger Jahre aus einem Flügel der Kommunistischen Partei hervorgegangen und hat seither einen großen Teil der radikalen Linken Italiens aufgesogen. Jahrelang versuchte sie, einen Spagat zwischen der außerparlamentarischen Bewegung und der offiziellen bürgerlichen Linken zu bilden. Während sie außerparlamentarische Proteste unterstützte und mittrug, versorgte sie im Parlament diverse Mitte-Links-Regierungen mit der nötigen Mehrheit, ohne selbst Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Im vergangenen Jahr nun beschloss Rifondazione, heftig umworben von Prodi, dem Bündnis Unione beizutreten und im Falle eines Wahlsiegs auch in die Regierung einzutreten. PRC-Chef Fausto Bertinotti trat als offizieller Kandidat zu den Primärwahlen an und erzielte mit 15 Prozent das zweitbeste Resultat. Indem er sich an der internen Ausscheidung der Unione beteiligte, erkannte er implizit die Legitimität von Prodis Führungsanspruch an, der als Sieger aus der Primärwahl hervorging.

Rifondazione blockiert so den Weg zu einer unabhängigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse. Während sich Berlusconi immer offener in Richtung autoritärer Herrschaftsformen bewegt und Prodi darauf mit Passivität reagiert, versieht ihn Rifondazione mit einem linken Feigenblatt. Dabei ist es mit Händen zu greifen, dass es einer politischen Alternative zu beiden bürgerlichen Blöcken bedarf, um die elementarsten Lebensnotwendigkeiten der arbeitenden Bevölkerung und ihre demokratischen Grundrechte zu verteidigen.

Siehe auch:
Italien: Rifondazione schließt sich Prodi an
(23. März 2005)
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