Großbritannien

Konflikt zwischen Blair und Brown erschüttert britische Regierung

Seit Labour 1997 an die Regierung kam, gab es immer wieder Gerüchte über Konflikte und Rivalitäten zwischen dem britischen Premierminister Tony Blair und seinem Schatzkanzler Gordon Brown. Aber in den letzten Wochen ist die Rivalität offen ausgebrochen und löst in herrschenden Kreisen ernste Besorgnis aus.

Der unmittelbare Anlass für die Eskalation des Konflikts ist die Veröffentlichung eines Buches des City Editors des S unday Telegraph, Robert Peston, über Brown. "Browns Britain" (Short Books, 2005) stützt sich hauptsächlich auf Interviews mit Freunden und Beratern von Brown, und nicht mit ihm selber, aber es hätte nicht ohne Browns Einverständnis geschrieben werden können.

Blairs Lager arbeitet seinerseits mit dem Journalisten Andrew Rawnsley vom Observer an einem Buch, dass sich vermutlich kritisch mit Brown auseinandersetzen wird. Obwohl beide ihre Einigkeit beteuern, sieht es so aus, als werde die Fehde in der Zeit vor der Parlamentswahl, die für den 5. Mai dieses Jahres erwartet wird, an Intensität zunehmen.

Obwohl die Medien daran gewöhnt sind, dass sich Blair und Brown gegenseitig beharken, lassen sie jetzt die Alarmglocken läuten. James Blitz warnte in der Financial Times : "Diesmal sind sie vielleicht zu weit gegangen." Der Guardian schrieb, dies könne eine "potentiell katastrophale Konfrontation sein". Michael White, der politische Chefredakteur des Guardian, warnte: "Es gilt aber weiterhin, dass die beiden, wie der Skorpion und der Frosch, gegenseitig aufeinander angewiesen sind, um den Fluss überqueren zu können. Zu viel Verrat, und sie gehen beide unter."

Labour-Hinterbänkler im Unterhaus, besonders die aus Wahlkreisen mit knapper Mehrheit, sind tief beunruhigt, weil sie fürchten, ihr Abgeordnetenmandat zu verlieren, wenn sich die Öffentlichkeit von dem Streit zwischen Blair und Brown angewidert abwendet. Erfahrene Hinterbänkler haben versucht, den Zwist zu beenden. Der Abgeordnete für Barnsley, Eric Illsley, verurteilte den Streit als "kindisch". Gwynneth Dunwoody empfahl dem Schatzkanzler und dem Premierminister, endlich "erwachsen zu werden".

Trotz dieser Bemühungen ist die Fehde eskaliert. Browns Anspruch auf die Führung wird durch Umfragen gestärkt, die ihn inzwischen vor Blair sehen. Dem Umfrageinstitut Populus zufolge kommt Blair nur noch auf 23 Prozent Zustimmung, während 45 Prozent aller Wähler und 58 Prozent der Labour-Wähler Brown als Premierminister den Vorzug geben würden. In Schottland würden 60 Prozent Labour wählen, wenn Brown an der Spitze stünde, verglichen mit 48 Prozent, wenn Blair Chef bleibt, fand der Scotsman heraus.

Die Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen, hat Blair sehr geschadet. Der katastrophale Verlauf des Kriegs, der Tod von Soldaten und jetzt die Photos, die die Misshandlung von Gefangenen durch britische Truppen zeigen, haben die Opposition noch verstärkt. Seine Gleichgültigkeit gegenüber der Tsunami-Katastrophe hat Blairs schlimme Lage noch weiter verschlechtert.

Versuche, die Fehde unter dem Deckel zu halten, erscheinen zunehmend vergeblich, weil Persönlichkeiten aus den Medien, der Politik und der Wirtschaft hinter den Kontrahenten Aufstellung nehmen. Ex-Außenminister Robin Cook, der wegen des Irakkriegs zurückgetreten war, hat sich hinter Brown gestellt. Cook sagte, dass Brown die Ansichten der Öffentlichkeit besser repräsentiere, "besonders jener Teile der britischen Öffentlichkeit, die sich als traditionelle Labour-Wähler betrachten."

Der Eindruck, dass Brown eher Old Labour im Gegensatz zu Blairs New Labour repräsentiere, ist in den Medien weit verbreitet, aber völlig unbegründet. Brown erwarb sich ein gewisses Ansehen als Autor einer Biographie des linken schottischen Führers der Independent Labour Party, Jimmy Maxton. Seine eigene Geschichte in der Labour Party geht bis auf seine Studentenzeit zurück, während Blair ein Späteinsteiger und eine eher zufällige Figur ist. Aber Browns Bilanz in der Regierung beweist, dass es zwischen ihm und Blair keine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten gibt.

Als Schatzkanzler sorgte Brown dafür, die britische Zentralbank, die Bank of England, von der politischen Kontrolle durch die Regierung zu befreien. Er hat den Spitzensteuersatz auf 40 Prozent gedrückt, während er unter der Labour-Regierung von 1974-1979 noch bei 83 Prozent lag. Er hat die Rolle des privaten Sektors im Sozialstaat propagiert. Seine Steuerpolitik hat die Altersvorsorge von Tausenden Arbeitern vernichtet. Alleinerziehende Eltern und Behinderte hat er durch seine Regelungen zum Sozialhilfebezug in Niedriglohnarbeitsplätze gezwungen. In seinem letzten Haushaltsentwurf gab er die beabsichtigte Zerstörung von 80.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst bekannt. Diese Bilanz weist ihn nicht als jemanden aus, der links von Tony Blair steht oder gar die sozialdemokratische Politik vergangener Zeiten vertritt.

In der grundlegendsten aller Fragen, dem Irakkrieg, hat Brown keine Differenzen mit Tony Blair erkennen lassen. Als Schatzkanzler teilt er die kollektive Verantwortung der Regierung für die Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, und trägt besondere Verantwortung für die Bewilligung der Mittel, um diesen Krieg zu finanzieren. Aber jetzt versucht er, in dieser Frage den Anschein von Distanz zwischen sich und Blair zu erwecken. Peston zufolge schlägt Brown vor, ein schriftliches Dokument zu erstellen, "ähnlich einer Verfassung", in dem "Richtlinien" für die Erklärung eines Krieges festgelegt werden sollen. Wie solche Richtlinien den Irakkrieg hätten verhindern sollen, sagen weder Brown noch Peston.

Zwei Gewerkschaftsführer haben sich mit ins Getümmel gestürzt. Dave Prentis, Führer der größten britischen Gewerkschaft, der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes Unison, hat im schottischen Daily Record seine Unterstützung für Brown zu Protokoll gegeben. Tony Woodley von der Transport und General Workers Union (TGWU) beklagte sich über die "desillusionierte und verzweifelte" Stimmung in der Parteimitgliedschaft. Er warnte: "Immer weniger Mitglieder kommen zu Ortsvereinssitzungen, die Öffentlichkeit ist über den Irakkrieg besorgt, und es gibt zweifellos Apathie."

Früher war die Labour Party finanziell von den großen Gewerkschaften abhängig und die Unterstützung der TGWU und von Unison wäre entscheidend gewesen, aber heute ist das nicht mehr so. In den letzten drei Monaten des Jahres 2003 erhielt Labour von den Gewerkschaften1,85 Millionen Pfund, aber dieser Beitrag wurde dem Guardian zufolge durch die Spenden von nur drei Multimillionären übertroffen - von Sir Christopher Ondaatje CBE, Lord Paul Hamlyn und William Haughey OBE.

Der Times zufolge hat Brown Labours viertgrößten Spender umworben, nämlich Sir Ronald Cohen, den Vorstandsvorsitzenden von Apax Partners, der ein Vermögen von 70 Millionen Pfund haben soll. Ein anderer reicher Labour-Spender, Duncan Bannantyne, der ein Vermögen von 130 Millionen Pfund haben soll, hat angedroht, die Partei nicht mehr finanziell zu unterstützen, bis die öffentliche Fehde zwischen Blair und Brown aufgehört hat. Bannantyne hat die Regierung wegen dem Irakkrieg und wegen Blairs armseliger Reaktion auf das Tsunami-Desaster kritisiert.

Am Ende werden vielleicht doch nicht die Superreichen Großbritanniens entscheiden, wer der nächste Labour-Führer wird. Die jüngste Ausgabe des Time -Magazins trug die Schlagzeile: "Brown for President". Gemeint war der Chefposten bei der Weltbank. Nur eins wäre dafür noch notwendig. Brown bräuchte die Unterstützung von Präsident Bush, weil der Präsident der Weltbank in der Vergangenheit immer ein Amerikaner war. Time regt an, dass das die perfekte Gelegenheit für die Regierung Bush wäre, "der Welt zu beweisen,... dass die Arroganz der letzten vier Jahre Vergangenheit ist. Sie hat dazu keine bessere Möglichkeit, als hochherzig auf ihr ‚Recht’ zu verzichten, die geräumigen Büros des Präsidenten der Bank in Washington zu besetzen".

Es scheint unwahrscheinlich, dass Bush sich zu soviel Großherzigkeit aufraffen könnte, aber der Gedanke, Brown fort zu loben, gewinnt offenbar Anhänger. Bagehot schrieb im Economist unter der Schlagzeile: "Warum Gordon Urlaub braucht." Der Artikel meint, Blair habe Brown zuviel Einfluss auf die Innenpolitik gelassen, und schlägt vor, ihn als Schatzkanzler abzulösen und ins Außenministerium zu befördern.

Meinungsverschiedenheiten eines Premierministers mit seinen wichtigsten Kollegen sind keineswegs ungewöhnlich, aber sie werden normalerweise hinter verschlossenen Türen ausgefochten. Dass die Fehde zwischen Blair und Brown in aller Öffentlichkeit ausgetragen wird, ist das Ergebnis einer politischen Lage ohne Beispiel. Die Labour Regierung ist völlig diskreditiert, aber es gibt wegen dem Zusammenbruch der Tory Partei keine ernsthafte parlamentarische Opposition. Die kleine Liberaldemokratische Partei war nicht in der Lage nennenswerte Gewinne aus der verbreiteten Feindschaft gegen die Irakpolitik der Regierung und ihre Angriffe auf den Sozialstaat zu ziehen. Selbst innerhalb der Labour Party hat sich keine ernstzunehmende organisierte Opposition entwickelt.

Verschwörer, Intriganten und Schmeichler bestimmen den Rahmen der politischen Debatte. Erfahrene Kommentatoren sehen die Gefahr, dass unter solch ungesunden Verhältnissen der Konflikt zwischen Blair und Brown die Stabilität der Regierung untergräbt. Sue Cameron warnte in der Financial Times, die Regierung könne in ein schwarzes Loch fallen. Es wird befürchtet, dass die Blair-Regierung auseinander bricht, ohne dass eine funktionierende Opposition da ist, die sie ersetzen könnte.

Die politische Elite in Großbritannien ist sich über die Gefahren einer andauernden Fehde zwischen Blair und Brown durchaus bewusst, aber unfähig sie zu stoppen. Der Konflikt, der als eine persönliche Rivalität begann, droht zum Vehikel einer Auseinandersetzung über die zahlreichen Probleme des britischen Kapitalismus zu werden, weil keine Möglichkeit existiert, programmatische Differenzen im Rahmen der gegebenen politischen Formen auszutragen. Im Hintergrund lauert die Frage, wie auf die zweite Amtszeit Bushs zu reagieren sei. Die Wiederwahl Bushs hat eine ausgesprochen destabilisierende Wirkung auf die Labour Regierung. Bushs Inaugurationsrede enthielt die unmissverständliche Botschaft, dass er eine aggressive Außenpolitik verfolgen und die Überreste des amerikanischen Sozialstaats beseitigen will.

Damit liegt die Latte auch in Großbritannien höher. Browns Politik als Schatzkanzler erscheint auf einmal zu betulich. Blair und sein Lager haben die Absicht bekundet, die Sozialreformen "im Sinne von New Labour" kompromisslos voranzutreiben. Anscheinend sind sie der Auffassung, dass sie sich auch dann noch im Amt halten können, wenn sie Stimmen verlieren.

Blairs Rücksichtslosigkeit könnte schwerwiegendere Konsequenzen haben, als er denkt. Die Spaltung zwischen ihm und seinem Schatzkanzler könnte eine politische Debatte in der Bevölkerung auslösen, die von Labour und der gesamten offiziellen Politik entfremdet ist. Die Feindschaft gegen die Sozialpolitik der Regierung und ihren Krieg im Irak könnte unter diesen Umständen beginnen, sich anderswo einen Ausdruck zu suchen. Aus diesem Grund könnte die Fehde zwischen Blair und Brown leicht zum Vorboten künftiger sozialer Explosionen werden.

Siehe auch:
Blairs Außenpolitik: Von der "Brücke" zum "Brückenkopf"
(26. November 2004)
Stehende Ovationen für Blair
( 6. Oktober 2004)
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