Treffen der Internationalen Redaktion der WSWS

Die Bush-Regierung und der globale Niedergang des amerikanischen Kapitalismus

Teil 2

Dies ist der abschließende Teil eines zweiteiligen Berichts, den Barry Grey im Rahmen einer erweiterten Redaktionskonferenz der World Socialist Web Site in Sydney vom 22. bis 27. Januar 2006 hielt. Grey ist führendes Mitglied der WSWS-Redaktion und der Socialist Equality Party (USA).

Neben dem industriellen Niedergang, wirtschaftlichen Schmarotzertum und Anwachsen sozialer Ungleichheit ist die Krise des amerikanischen Kapitalismus ebenfalls im Verfall von grundlegender Infrastruktur der Vereinigten Staaten deutlich sichtbar. Die Rede ist hier nicht nur vom gesellschaftlichen Rückschritt in der Erziehung, Bildung, dem Gesundheitswesen, dem kulturellen, geistigen und künstlerischen Leben - sondern auch vom physischen Verfall der Brücken, Straßen und Deiche des Landes sowie des Stromnetzes, der Wasserwege und vielem mehr.

Zu den vielen Dingen, die der Hurrikan Katrina offen zutage treten ließ, gehörte an vorderer Stelle auch die schockierende Fehlverteilung und Vergeudung von Mitteln, in deren Folge New Orleans - eine Stadt mit 500.000 Einwohnern und einem einzigartigen Platz im Kulturleben der Vereinigten Staaten, zudem ein wichtiger Hafen - vollkommen schutzlos einem größeren Sturm ausgeliefert wurde. Es fehlte jegliche Art von Plan für die Evakuierung von hunderttausenden Bewohnern aus den tiefer gelegenen Stadtteilen, die zum größten Teil zur armen arbeitenden Bevölkerung zählen. Das Deichsystem für diese größtenteils unter dem Meeresspiegel liegende Stadt war nicht einmal dafür ausgelegt, einem Hurrikan standzuhalten, der stärker als die Kategorie drei ausfiel.

Und dies obwohl sich in den letzten Jahre die Hurrikane in den USA sowohl mehren als auch enorm an Stärke zugenommen haben und obwohl Experten seit Jahren vor einer Katastrophe in New Orleans gewarnt haben. Die Vernachlässigung der Deiche ist nur ein Beispiel dafür, wie sich ein Vierteljahrhundert der Deregulierung, Steuersenkungen für die Wohlhabenden und Kürzungen von Staatsausgaben für öffentliche Dienste auf die nationale Infrastruktur ausgewirkt haben. Hier ist exemplarisch zu sehen, mit welchen verheerenden Folgen die Finanzaristokratie ihren rücksichtslosen Feldzug geführt hat, um sich einen immer größeren Anteils am gesellschaftlichen Reichtum zur persönlichen Bereicherung anzueignen.

Ich habe zufällig einen Teil der Senatsanhörungen zum Katrina-Desaster mitbekommen, der auf einem der Nachrichtenkanäle übertragen wurde. Die Senatoren befragten ein Podium von Beamten, die für die Wartung der Deiche rund um New Orleans zuständig waren. Einer der Senatoren fragte, ob die Deiche physikalisch überprüft werden. Die Antwort vom Podium war "Nein".

In diesem Falle hatte Katrina, ein Sturm am oberen Ende der Kategorie drei bzw. im unteren Bereich der Kategorie vier, die Deiche um New Orleans überwältigt. Hunderttausende Menschen in der Golfregion waren auf sich allein gestellt. Nach offiziellen Schätzungen starben etwa 1.300 und mehr als 700.000 waren gezwungen, die Stadt zu verlassen und sich auf der Suche nach Obdach und Nahrung im ganzen Land zu verstreuen, nachdem ihre Häuser und ihr Lebensunterhalt zerstört worden waren.

Demokratische Rechte

Wie David North in seinem einleitenden Bericht zu diesem Treffen bemerkte, besteht ein Symptom des kapitalistischen Niedergangs im allgemeinen Angriff auf demokratische Rechte und dem Rückgriff auf diktatorischen Herrschaftsformen. Im Januar 2001, kurz nachdem sich Bush zu Unrecht die amerikanische Präsidentschaft angeeignet hatte, hielt ich auf einer Schulung hier in Sydney einen Vortrag zur Beziehung zwischen dem Aufstieg der USA als Industriemacht und der allgemeinen Ausweitung der demokratischen Rechte in den Vereinigten Staaten, die ihren wirtschaftlichen Aufschwung begleitete.

Es ist wirklich nicht überraschend, dass eine aufstrebende kapitalistische Macht sich hinreichend zuversichtlich und sicher fühlt, um innerhalb bestimmter Grenzen einen Ausbau demokratischer und rechtlicher Normen zu gestatten. Eine Gesellschaft jedoch, die sich im Niedergang befindet, deren herrschende Elite sich selbst von allen Seiten, im Innern wie Äußeren, bedrängt fühlt, wird andererseits dazu neigen, demokratische Rechte zu beschneiden.

In meinem früheren Vortrag wies ich darauf hin, dass die allgemeine Ausweitung der demokratischen Rechte zu Anfang und in der Mitte des 20. Jahrhunderts - die allgemeine Wahl der US-Senatoren, die Ausdehnung des Wahlrechts auf Frauen, die Beendigung des effektiven Wahlrechtsentzugs für Afroamerikaner im Süden durch das Wahlrechtsgesetz von 1965, die Absenkung des Wahlalters - in Folge der von Nixon am 15. August 1971 verkündeten Wirtschaftsmaßnahmen ein abruptes Ende fand. Die einzige bedeutende Ausnahme - das Verfassungsgerichtsurteil, das 1973 die Abtreibung legalisierte - markierte in der Tat, wie heute deutlich zu sehen ist, den Schlusspunkt dieser Entwicklung und nicht etwa den Beginn einer neuen Periode liberaler Reformen.

Mit der Bush-Regierung hat der Angriff auf demokratische Rechte einen scharfen, erbitterten Zug angenommen und ist derart allumfassenden geworden, das sich in der amerikanischen Geschichte kein Beispiel dafür findet.

Die politischen und rechtlichen Normen werden in Einklang mit der oligarchischen Gesellschaftsstruktur der Vereinigten Staaten gebracht. Und je mehr sich das politische System vom Volk entfernt, je weiter die soziale Basis der beiden kapitalistischen Parteien zusammenschrumpft, desto offener und ruchloser zeigen sich Verdorbenheit und Kriminalität in der offiziellen Politik. Die amerikanische Politik war niemals wirklich unschuldig. Doch das heutige politische Establishment in den Vereinigten Staaten ist von Grund auf verkommen. Die Redensart vom "Gestank der Korruption" mag etwas klischeehaft klingen, doch in diesem Falle ist sie treffend.

Der jüngste Bestechungs- und Einflussnahmeskandal um Jack Abramoff, einen rechten republikanischen Lobbyisten und Busenfreund führender Persönlichkeiten aus dem Weißen Haus wie Bushs politischem Berater und stellvertretendem Stabschef im Weißen Haus Karl Rove, ist nur die Spitze des Müllbergs. Ohne jede Scham kaufen Unternehmenslobbyisten Stimmen ein und bestechen Kongressabgeordnete. Regelmäßig schreiben sie die Gesetzesentwürfe, die anschließend verabschiedet werden.

Auf allen Ebenen des Staates kaufen sich Multimillionäre in Ämter ein. Manche Posten sind von großzügigen Unternehmerspenden abhängig. Das Amt des Bürgermeisters in einer größeren amerikanischen Stadt kostet eine Betrag in mindestens zweistelliger Millionenhöhe, für den Erwerb einer politischen Karriere auf bundesstaatlicher Ebene sind oft noch weitere Millionen nötig und für die Präsidentschaft werden heutzutage Hunderte Millionen Dollar benötigt, um die Wahlkampfkosten auslegen zu können.

Zwischen hohen politischen Ämtern, Spitzenpositionen im Militärapparat und einträglichen Ruheposten in der Wirtschaft gibt es eine gut geölte Drehtür, die ständig rotiert.

Diese Vorgänge spiegeln sich in den Eigenschaften derer wider, die im öffentlichen wie im privaten Sektor führende Posten besetzen. Vor gar nicht so langer Zeit galt Enron-Chef Kenneth Lay als Inbegriff des Genies in der amerikanischen Geschäftswelt. In jüngerer Zeit wurde Kleingeistern wie dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von General Electric, Jack Welch, dieses Etikett angehängt.

Wie sehr das Führungspersonal des amerikanischen Kapitalismus an intellektuellem Niveau verloren hat, zeigt sich am besten in der Person des gegenwärtigen Oberbefehlshabers. Ich möchte eine Passage aus meinem Vortrag vom Januar 2001 zitieren:

"Die antretende Bush-Regierung ist ein ziemlich perfektes Beispiel für die Krise bürgerlicher Herrschaft in den Vereinigten Staaten. Bush ist eine politische und intellektuelle Null, der in seiner Person die Merkmale der sozialen Schicht vereint, deren wirtschaftlicher Aufstieg und gesellschaftliche Prominenz dem spekulativen Aktienboom der vergangenen zwei Jahrzehnte geschuldet sind - einem Boom, dessen Grundlage ein rücksichtsloser Angriff auf die Arbeiterklasse und ein überwältigendes Anwachsen von Korruption und Parasitismus war. Ignorant, kurzsichtig und habgierig, hat diese Schicht die Teile der Wirtschafts- und Finanzelite gestärkt, die die Abschaffung aller Hindernisse bei der Anhäufung von privatem Reichtum und Realisierung von Profit fordern."

Ich würde behaupten, dass diese Charakterisierung durch die Ereignisse der vergangenen fünf Jahre vollauf bestätigt wurde.

Wenigstens ein paar Worte müssen zum Zustand einer weiteren Institution des amerikanischen Kapitalismus gesagt werden - den Medien. Hier geht es ebenfalls nicht darum, ein idealisiertes Bild vom goldenen Zeitalter der US-Medien zu zeichnen. Es ist von einer Institution die Rede, die letztlich immer ein Instrument der herrschenden Klasse Amerikas war.

Nichtsdestotrotz ist die Art und Weise, wie die amerikanischen Medien - und zwar sowohl die so genannten liberalen wie auch die konservativen - den US-Imperialismus und Militarismus zu ihrer Politik gemacht, die Lügen der Bush-Regierung verbreitet und ihre zahlreichen Verbrechen verschleiert haben, ein vollkommener Ausdruck der Tatsache, dass die amerikanischen Demokratie in sich zusammengebrochen ist. Die Medien - die sich im Besitz und unter der Kontrolle von gigantischen Unternehmen befinden - sind nicht nur feige, verlogen und korrupt, sondern sie haben auch nahezu jeglichen Anspruch aufgegeben, objektive Informationen zu vermitteln oder eine unabhängige Haltung zu den Behauptungen der Regierung und der Wirtschaftselite einzunehmen.

Abweichende Meinungen von der Linken, ganz zu schweigen von echten marxistischen Ansichten, werden systematisch ausgeblendet und oppositionelle Stimmungen in großen Teilen des amerikanischen Volkes geflissentlich ignoriert.

Die Medien und die so genannte Unterhaltungsindustrie verbreiten, mit wenigen Ausnahmen, rückständige Auffassungen und fördern ein Ethos der Brutalität, des Egoismus und der Gewalt. Eines der aufschlussreichsten Symptome, an dem sich der Niedergang des amerikanischen Kapitalismus ablesen lässt, besteht in der Tatsache, dass seine offiziellen Einrichtungen, vom Weißen Haus abwärts, zunehmend die reaktionärsten und intolerantesten Formen religiösen Aberglaubens glorifizieren und wissenschaftliches Denken zu diskreditieren suchen. Der Angriff der Bush-Regierung auf die Evolutionstheorie, die Stammzellenforschung und die Ergebnisse der Umweltwissenschaft zeugen von einem gesellschaftlichen System im Zustand der Krise und des Zerfalls.

Eine Momentaufnahme der herrschenden Elite Amerikas

Kommen wir auf die Frage zurück, wie sich die herrschenden Elite Amerikas in Hinblick auf ihre Zusammensetzung verändert hat - eine wichtige Frage, die eine ernsthafte Analyse erfordert. Eine systematische Untersuchung dieses Themas würde den Rahmen dieses Berichts sprengen. Dennoch kann man einen Eindruck gewinnen, wenn man sich die jüngste Liste der 400 reichsten Amerikaner ansieht, die im Magazin Forbes veröffentlicht wurde.

Wenn wir uns auf die obersten fünfzig Milliardäre der Liste beschränken, dann fällt als erstes auf, wer nicht darunter ist. Es gibt keine Fords, Rockefellers, DuPonts. Keine Sprösslinge der "Industriekapitäne", die einen so wichtigen Platz unter den berühmten Sechzig Familien einnahmen, von denen Amerikas Industrie- und Finanzimperium über einen großen Teil des letzten Jahrhunderts hinweg beherrscht wurde.

Die Liste wird von Microsofts William Gates angeführt, der 51 Milliarden Dollar sein Eigen nennt. Danach kommt Warren Buffet mit 40 Milliarden. Als Quelle seines Reichtums wird Berkshire Hathaway angegeben, eine Investitionsfirma. Die nächsten drei Plätze nehmen Unternehmensleiter aus der Computerbranche ein. Dann folgen fünf Mitglieder der Walton-Familie, deren Vermögen auf den Einzelhandelsgiganten Wal-Mart zurückgeht, dem derzeit größten Unternehmen der Welt.

Neben der Computerbranche ist der Öl- und Energiesektor auf der Milliardärsliste herausragend vertreten. Ganze sechs der obersten 50 haben als Quelle ihres Reichtums Aktivitäten rein spekulativen Charakters angegeben: Kirk Kerkorian (10 Milliarden aus den Bereichen Investment und Casinos), Carl Icahn (8,5 Milliarden aus Geschäftsaufkäufen), Philip Anschultz (7,2 Milliarden aus Investments), George Soros (7,2 Milliarden aus Hedge-Fonds), Ronald Perelman (6 Milliarden aus Geschäftsaufkäufen) und Eli Broad (5,5 Milliarden aus Investments).

Dies verschafft einen Eindruck vom zugrunde liegenden Verfall des amerikanischen Kapitalismus. Und dieser Niedergang, der sich konkret in massiven Haushalts-, Handelsbilanz- und Zahlungsbilanzdefiziten niederschlägt, hat sehr reale Konsequenzen für die USA auf internationaler Ebene. Der Niedergang in der globalen wirtschaftlichen Stellung des amerikanischen Kapitalismus hat eine verstärkte Hinwendung der herrschenden Elite zu Militarismus und Krieg ausgelöst. Wall Street und Washington versuchen, ihre militärische Übermacht einzusetzen, um ihren wirtschaftlichen Niedergang wettzumachen.

Doch die Schwächung ihres wirtschaftlichen Fundaments bereitet dem US-Imperialismus echte und wachsende Schwierigkeiten. Die jüngste Asienreise von Bush nach warf ein Schlaglicht auf diese Probleme. Auf jeder Station seiner Tour wurde Bush von den sowohl innen- als auch außenpolitischen Konsequenzen der katastrophalen Militärintervention der USA im Irak verfolgt.

Die Reise, die eigentlich dazu gedacht war, die Führungsrolle Washingtons zu demonstrieren und die amerikanischen Verbündeten in der asiatischen Region, besonders Japan und Südkorea, gegen Nordkorea und, noch entscheidender, China zu mobilisieren, entpuppte sich als eine Art diplomatisches Debakel. Bush konnte keines der wichtigen kurzfristigen Ziele seiner Reise erreichen, ob in Bezug auf Washingtons maßgebliche Partner Japan und Südkorea oder seinen stärker werdenden Rivalen in der Region, China. Schlimmer noch: Bush wirkte isoliert und schwach, während der chinesische Präsident Hu Jintao die wachsende Wirtschaftsmacht und den politischen Einfluss seines Landes zur Schau stellte.

In einem Kommentar mit dem Titel "Aufstieg und Niedergang der pazifischen Nationen" schrieb die Londoner Financial Times : "Präsident Bushs Asienreise vermittelt einen lebhaften Eindruck vom schwindenden Einfluss der USA in der Region." Und die New York Times bemerkte in ihrem Kommentar zur Reise wehmütig: "Die Pekinger Führung ist nicht in der Stimmung, sich von einer amerikanischen Regierung belehren zu lassen, die von chinesischen Überschüssen und Ersparnissen abhängig ist, um ihre aufgeblähten Defizite zu finanzieren."

Es wäre selbstverständlich ein schwerwiegender Fehler, Bushs Schwierigkeiten in Asien einseitig zu betrachten. In gewisser Hinsicht steckt die US-Regierung im Dilemma: Die amerikanische Wirtschaft will und braucht normalisierte Beziehungen zu China, um Zugang zu dem enormen Vorrat an billigen Arbeitskräften und dem potentiell riesigen Markt für amerikanische Güter zu erhalten. Sie kann es sich nicht erlauben, von ihren Rivalen in Europa und Japan beiseite geschoben zu werden. Ohne Zweifel wurde Bush angewiesen, im Rahmen der öffentlichen Diplomatie mit der chinesischen Führung seine Neigung zu Einschüchterungen und Drohungen im Zaum zu halten, was ihn anscheinend in arge Verlegenheit brachte.

Dennoch hat der US-Imperialismus nicht die Absicht, den Aufstieg Chinas zum ernsthaften Konkurrenten um Einfluss in Asien und darüber hinaus einfach hinzunehmen. Hinter Bushs Reise standen auch Militärabkommen mit den Staaten der Region - unter anderem auch mit der Mongolei, der letzten Station seiner Reise - um China letztlich mit militärisch abhängigen oder verbündeten Staaten und Militäranlagen einzukreisen.

Zum Schluss möchte ich etwas ausführlicher aus einem außergewöhnlichen Artikel zitieren, der in der Nullnummer vom Herbst 2005 einer neuen amerikanischen Zeitschrift für Außenpolitik namens The American Interest erschienen ist. Diese Publikation wird von wohlbekannten Persönlichkeiten aus gehobenen außenpolitischen Kreisen der USA herausgegeben, darunter auch rechte Gestalten wie Francis Fukuyama, die der Entscheidung für die Invasion im Irak und noch mehr der Kriegsführung durch die Bush-Regierung kritisch gegenüberstehen. Sie stehen in Konflikt mit den neokonservativen Ideologen, die die Kriegspolitik maßgeblich gestaltet haben.

Der wichtigste Artikel ist von Zbigniew Brzezinski und trägt den Titel "Das Dilemma des letzten Souveräns". Er vermittelt einen Eindruck davon, wie die scharfsinnigeren Vertreter und Strategen des amerikanischen Imperialismus denken. Brzezinski präsentiert eine ätzende und vernichtende Kritik an der gesamten Außenpolitik der Bush-Regierung und des so genannten "Kriegs gegen den Terror", der ständig als Rechtfertigung vorgebetet wird.

Er schreibt mit einer für einen Mann in seiner Position bemerkenswerter Offenheit: "Die Betonung des 'weltweiten Kriegs gegen den Terror' war in symbolischer Hinsicht zentral, förderte die patriotischen Mobilisierung und rechtfertigte Handlungen, die andernfalls als außerhalb der Legalität stehend oder sogar als gänzlich illegal angesehen werden könnten. Für die Schöpfer der neuen Strategie legitimierte der 11. September die faktische Aussetzung des Rechts auf Haftprüfung (habeas corpus) selbst für amerikanische Staatsbürger, 'Verhöre unter Druck' (auch Folter genannt) von Festgenommenen sowie unilaterale Militäraktionen - ganz so wie Hiroshima in der öffentlichen Meinung letztlich durch Pearl Harbor legitimiert wurde."

Zu den Folgen dieser Politik schreibt er, dass "ein von Selbstvertrauen geprägtes Amerika in eine von Angst bestimmte Nation verwandelt wurde", und fährt fort:

"Potenziell sogar noch gefährlicher für die langfristigen Interessen Amerikas ist das Auftreten eines globalen Trends zu regionalen Koalitionen mit kaum verhüllter antiamerikanischer Tendenz. Sich von der US-Regierung und allem Amerikanischen zu distanzieren, ist in Asien, Europa und Lateinamerika politisch populär geworden. Diese Stimmung begünstigt Chinas Bemühungen, auf der Basis einer wachsenden panasiatischen Identität in Ost- und Südostasien die Vereinigten Staaten stillschweigend aus der Region auszuschließen; sie bewirkt zudem eine erheblich geringere transatlantische Ausrichtung der voranschreitenden europäischen Anstrengung, eine stärker politisch ausgerichtete Europäische Union zu gestalten; und sie ermutigt einen Haufen neuer, demokratisch gewählter doch eher linksgerichteter lateinamerikanischer Präsidenten, engere Beziehungen mit Europa und China zu pflegen. Das Auftauchen machtvoller paneuropäischer und panasiatischer Gemeinschaften, im Gegensatz zu transatlantischen und transpazifischen, würde Amerikas globale Isolierung intensivieren."

Zusammenfassend schreibt er: "Kurz gesagt, ist Amerikas Außenpolitik nach dem 11. September in ihrem Fokus zu kurzfristig, in ihrer Rhetorik zu alarmistisch und in ihren immer noch frühen Ergebnissen zu kostspielig. Insgesamt erhöhte sie das nationale Gefährdungspotenzial und untergrub dabei gleichzeitig die Legitimität von Amerikas internationaler Vorherrschaft."

Noch bemerkenswerter als diese für den US-Imperialismus vernichtende Kritik und unheilvolle Vorhersage bezüglich der weltweiten Entwicklungen ist die zentrale These Brzezinskis: Dass der wichtigste Faktor in der Weltpolitik in einer Tendenz bestehe, die er "globales politisches Erwachen" nennt.

Er schreibt: "Amerika muss einer neuen globalen Realität von zentraler Bedeutung offen ins Gesicht sehen: Die Weltbevölkerung durchläuft ein in Ausmaß und Intensität beispielloses politisches Erwachen mit dem Ergebnis, dass die Politik des Populismus die Machtpolitik verändert."

Er führt aus: "Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass jetzt im 21. Jahrhundert die Bevölkerung eines Großteils der Entwicklungsländer sich politisch regt und in vielen Orten vor Unruhe brodelt. Es handelt sich um eine Bevölkerung, die sich der sozialen Ungerechtigkeit in einem noch nie da gewesenen Maße bewusst ist und die oftmals aufgebracht ist, weil ihr ihrer Ansicht nach die politische Würde abgesprochen wurde. [...] Diese Energien überschreiten Staats- und Herrschaftsgrenzen und stellen bestehende Staaten ebenso wie die bestehende globale Hierarchie in Frage, an deren Spitze immer noch Amerika steht."

"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das sich fortsetzende politische Erwachen seinem geographischen Ausmaß nach jetzt global ist, wobei kein Kontinent, ja keine Region sich noch größtenteils politisch passiv verhält; es ist umfassend in seiner sozialen Breite, wobei sich nur die sehr entlegenen ländlichen Gebiete politischen Stimuli gegenüber noch immun zeigen; es ist seinem demographischen Profil nach auffällig von der Jugend geprägt und deswegen äußerst empfänglich für rapide politische Mobilisierung; und es ist seinem Ursprung nach größtenteils transnational inspiriert in Folge der sich gegenseitig verstärkenden Wirkung von Bildung und Massenkommunikation."

In etwas äsopischer Sprache spricht dieser altgediente Berater des US-Imperialismus von nichts anderem als von Weltrevolution, die er für die echte Gefahr hält, der die herrschende Klasse Amerikas gegenübersteht, im Gegensatz zu den Anstrengungen einer relativen Handvoll islamischer Terroristen. Um ja keinen Zweifel an der Bedeutung seiner Sätze aufkommen zu lassen, stellt er das "globale politische Erwachen" in den Kontext der Französischen Revolution, der Revolutionen von 1848, der Bolschewistischen Revolution, sowie der antikolonialistischen Massenbewegungen in der Folge des Zweiten Weltkriegs.

Er unterstreicht diese Aussage, indem er schreibt: "Die sich daraus ergebende politische Diagnose akzeptiert die These von dem historischen Bruch nach dem 11. September, doch sie behauptet, dass die zentrale Herausforderung unserer Zeit nicht der globale Terrorismus darstellt, sondern vielmehr der sich intensivierende Aufruhr, der von dem Phänomen des globalen politischen Erwachens verursacht wird. Dieses Erwachen ist gesellschaftlich massiv und politisch radikalisierend."

Der Erzreaktionär Brzezinski hat seinen Finger auf die entscheidende Tatsache der Weltpolitik gelegt: Eine neue Periode antiimperialistischer und antikapitalistischer revolutionärer Auseinandersetzungen bricht an, die weitaus stärker einen internationalen Charakter annehmen wird als alles, was ihr vorausgegangen ist.

Unsere Aufgabe besteht darin, diese historisch entstandene Massenbewegung bewusst vorzubereiten und die politischen Mittel zu entwickeln, durch die sie ein Bewusstsein von ihrer Aufgaben erreichen und diese durchführen kann. Das zentrale Instrument für diesen Kampf bleibt die World Socialist Web Site, die wir weiterentwickeln müssen als Mittel für die Erziehung neuer, in den Kampf eintretender Generationen und zum Schmieden einer marxistischen Führung unter ihren fortgeschrittensten Schichten.

Die bevorstehende Zwischenwahl in den Vereinigten Staaten wird der Socialist Equality Party eine Möglichkeit bieten, auf breiter Front in die zweifellos größte politische Krise der neueren Geschichte der USA einzugreifen. Wir beabsichtigen, das Augenmerk auf das historische Scheitern des Kapitalismus zu richten - nicht nur in den USA, sondern als Weltsystem - und programmatisch die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus in den Vordergrund zu stellen.

Ende.

Siehe auch:
Die Bush-Regierung und der globale Niedergang des amerikanischen Kapitalismus - Teil 1
(5. März 2006)
Loading