Joschka Fischer wirbt für militärisches Engagement im Nahen Osten

Seit dem Regierungswechsel in Berlin ist es still geworden um den früheren grünen Außenminister. Joschka Fischer hat sich aus allen Führungspositionen seiner Partei zurückgezogen und nimmt sein Bundestagsmandat nur noch gelegentlich als Hinterbänkler wahr. Nun hat er sich, mitten im Streit um Mohammed-Karikaturen und eskalierenden Auseinandersetzungen mit dem Iran, zurückgemeldet. In einem langen Beitrag, der am Samstag in der Süddeutschen Zeitung erschien, wirbt Fischer für ein verstärktes militärisches Engagement Europas im Nahen Osten.

"Der Nahe Osten wird durch eine tiefe und vielleicht zwei bis drei Jahrzehnte währende Transformationskrise gehen, die sehr große Risiken und Gefahren mit sich bringen wird", schreibt Fischer. Europa werde "sich aus den Verwerfungen, Krisen und Konflikten dieser für seine Sicherheit so zentralen Region nicht heraushalten können". Die Krise werde "Europa zwingen, sicherheitspolitisch sehr schnell erwachsen zu werden". Es müsse anfangen, "über eine zweite Linie nachzudenken, die neben den Elementen der Partnerschaft, des Dialogs, der Kooperation und der Hilfe zur Transformation auch Sicherheitsgarantien und Elemente einer wirksamen und zugleich glaubhaften Verteidigung umfasst."

Im Klartext bedeutet dies, dass Europa seine Interessen im Nahen Osten zukünftig verstärkt mit militärischen Mitteln verfolgen soll. Neben diplomatischen und wirtschaftlichen Aktivitäten - Partnerschaft, Dialog, Kooperation - werden militärische Einsätze - Sicherheitsgarantien und Verteidigung - verstärkt in den Vordergrund treten.

Fischers Vorstoß erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit heftig über einen möglichen Militärschlag gegen den Iran diskutiert wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte eine Woche zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz Parallelen zwischen der iranischen Regierung und dem Nazi-Regime gezogen und vor einer Politik des "Appeasement" gewarnt, wie sie die Westmächte in den dreißiger Jahren gegenüber Hitler verfolgt hatten. Gleichzeitig hatte sie sich bereit erklärt, mehr militärische Verantwortung an der Seite der USA zu übernehmen.

Als der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck daraufhin verlangte, militärische Optionen gegen den Iran vom Tisch zu nehmen, geriet er unter heftigen Beschuss aus den Reihen der CDU und seiner eigenen Partei. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, und der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Hans-Ulrich Klose (SPD), beharrten in der Bild -Zeitung ausdrücklich auf einer militärischen Drohkulisse. Ähnlich äußerten sich führende Unions-Politiker. Mittlerweile wird sogar Platzecks Stellung an der Spitze der SPD in Frage gestellt.

Am Wochenende hat dann der britische Sunday Telegraph über präzise Pläne des Pentagon für einen Militärschlag gegen iranische Atomanlagen berichtet. Ziele, Bombenladungen und Logistik würden bereits detailliert berechnet. Der Schlag solle wahrscheinlich durch B2-Langstreckenbomber, die in den USA starten und bis zu 18 Tonnen Präzisionswaffen tragen können, sowie durch U-Boot-gestützte Raketen erfolgen. Laut Telegraph gehen die derzeitigen Planungen im Pentagon weit über die übliche Routine hinaus. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld werde dauernd auf dem Laufenden gehalten.

Mit seinem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung hat sich Fischer in dieser Auseinandersetzung auf die Seite Merkels und der USA gestellt. Er hält zwar einen Luftschlag gegen die iranischen Atomanlagen für riskant und eine Invasion und Besetzung des Landes für "nicht verantwortbar", tritt aber gleichzeitig für eine Verschärfung der Drohkulisse ein.

Auch und gerade für Europa gehe es "in der aktuellen Krise um seine eigene Sicherheit", schreibt Fischer. "Wegschauen oder die Dinge schön reden, wird nichts nützen." Im Unterschied zum Vorfeld des Irakkriegs stelle das iranische Nuklearprogramm "perspektivisch eine echte Sicherheitsbedrohung" dar. Reden mit Teheran mache "nur so lange Sinn, wie es sich um ernsthafte Verhandlungen handelt. Dienen Gespräche nur der Verschleierung und dem Zeitgewinn, sind sie der falsche Weg."

Als erstes schlägt Fischer eine "Strategie der wirtschaftlichen und politischen Isolierung" vor, die mit einem umfassenden Angebot zur vollen Normalisierung der Beziehungen für den Fall, dass Teheran einlenke, einhergehen müsse. "Nur in dieser Verbindung von Isolation und Angebot wird sich der Konsens der internationalen Gemeinschaft aufrecht erhalten lassen", schreibt er.

In ähnlicher Weise war schon der Irakkrieg vorbereitet worden. Die von der UNO verhängten - und von der Regierung Schröder-Fischer unterstützten - Sanktionen hatten damals erst die Voraussetzungen für den Krieg geschaffen.

Grüne und Krieg

Fischers jüngster Vorstoß zerstört erneut den Mythos, die Politik der Grünen habe etwas mit Opposition gegen Krieg und Imperialismus zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Das eigentliche "Verdienst" der Grünen besteht darin, dass sie der deutschen Armee nach Jahrzehnten der durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg erzwungenen Enthaltsamkeit wieder den Weg zu internationalen Einsätzen gebahnt haben. Das ist der Grund, weshalb der Autodidakt und ehemalige Straßenkämpfer Fischer sieben Jahre lang als Außenminister geduldet wurde, ein Amt, das sonst erprobten Vertrauten des politischen Establishments vorbehalten bleibt.

Fischer hatte anfängliche Befürchtungen, der außenpolitische Kurs könnte sich unter seiner Amtsführung ändern, gleich zu Beginn mit den Worten zerstreut: "Es gibt keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik". Während seiner Amtszeit hat er nicht eine wichtige Entscheidung getroffen, die ein liberaler, konservativer oder sozialdemokratischer Außenminister nicht in gleicher oder ähnlicher Weise gefällt hätte.

Auch die Ablehnung des Irakkriegs - die ohnehin mehr auf Schröders als auf Fischers Initiative zurückging - war nicht durch grundsätzliche, sondern durch machtpolitische Überlegungen bedingt. Das amerikanische Vorgehen gegen den Irak berührte massive deutsche Interessen. Nachdem der Krieg aber einmal begonnen hatte, leistete die Bundesregierung den USA jede denkbare logistische Hilfe - von der uneingeschränkten Nutzung deutscher Basen über die militärische Entlastung in Afghanistan bis hin zur geheimdienstlichen Zusammenarbeit. Fischer persönlich hat erst vor kurzem verhindert, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Hintergründe dieser Zusammenarbeit untersucht.

Was Fischer von anderen Außenministern unterschied, war seine Fähigkeit, neue gesellschaftliche Stützen für eine Politik der militärischen Interventionen zu gewinnen. Mitten in der Jugoslawien-Krise, die von der deutschen Außenpolitik wesentlich mitverschuldet worden war, stellte er das Argument, mit denen solche Interventionen bisher abgelehnt worden waren, auf den Kopf. Hatte bisher in Deutschland weitgehender Konsens geherrscht, dass deutsche Truppen auf dem Balkan wegen der Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nicht wieder aktiv werden dürfen, erklärte Fischer nun, das Gedenken an Auschwitz verpflichte Deutschland, militärisch gegen "ethnische Säuberungen" vorzugehen. Mit dieser Begründung unterstützten die Grünen die Bombardierung Belgrads durch die Nato und ergriffen Partei für die albanischen Nationalisten im Kosovo.

Ein Teil der grünen Basis folgte Fischer auf diesem Weg. Seither sind die Grünen, deren Wurzeln auf die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg zurückgehen und die noch in ihrem Wahlprogramm von 1998 einen pazifistischen Kurs vertreten hatten, zu den eifrigsten Befürwortern deutscher Militärinterventionen geworden - von Afghanistan bis zum Horn von Afrika.

Fischer neuer Vorstoß geht noch einen Schritt weiter. Wenn er davon spricht, dass Europa sehr schnell "sicherheitspolitisch erwachsen" werden müsse, hat er Militäreinsätze im Sinn, die weit über das bisher Gewesene hinausreichen.

Es war "richtig", schreibt er, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 "der Status Quo im Nahen Osten nicht nur für die US-Regierung sondern auch für Europa nicht mehr länger hinnehmbar war". Der Irakkrieg sei "von Anfang an in seinem strategischen Kern als ein regionaler Neuordnungskrieg angelegt" gewesen. Der Strategie Washingtons für den Irakkrieg habe aber "eine massive Unterschätzung der Größe, der Härte, der Dauer und der Kosten dieser Herausforderung zugrunde" gelegen. Jetzt stehe man vor lauter "grimmigen Alternativen" - wie auch der Titel seines Artikels lautet.

Im Palästinakonflikt entfalle mit dem Wahlsieg der Hamas ein Partner für den internationalen Friedensplan, die sogenannte Road Map. Andererseits bestehe die Gefahr, dass der Iran oder Saudi-Arabien die Palästinenser finanzierten, wenn der Westen nicht mit Hamas kooperiere. Im Irak steckten die USA fest. Beide Optionen, bleiben oder abziehen, hätten mehr negative als positive Konsequenzen. Nur eine "Vervielfachung des Engagements" würde es ermöglichen, "aus dieser Loose-Loose-Situation" auszubrechen, doch dazu sei die Mehrheit der Amerikaner nicht bereit. Und die Entwicklung im Iran betrachtet Fischer, wie wir bereits gesehen haben, als eine "echte Sicherheitsbedrohung" für Europa.

Aus all dem folgert der langjährige Wortführer der Grünen, dass sich Europa im Nahen Osten verstärkt militärisch engagieren müsse. Natürlich begründet er dies mit der Sorge um Sicherheit und Stabilität. Der radikale Islamismus sei "Ausdruck einer tiefen Modernisierungskrise der arabischen Welt", schreibt Fischer im Jargon der postmodernen Soziologie. "Die Freiheit der Meinung und Kritik und eine laizistische Gesellschaft stehen gegen Rechtgläubigkeit und ein durch Gottes Gesetze geleitetes Leben."

Dass die arabischen Massen die sogenannte "Moderne" in Form amerikanischer Präzisionsbomben, israelischer Grenzzäune und einer Neuauflage des verhassten Kolonialismus erleben, unterschlägt der erlauchte Minister a.D.. Die Begriffe Öl und Gas - d.h. die Fragen, um die es wirklich geht - kommen in seinem Artikel nur einmal vor: Wenn er den Öl- und Gashunger Chinas und Indiens beklagt!

Trotz der wortreichen Phrasendrescherei, auf die sich Fischer so gut versteht, laufen seine Vorschläge auf nichts weiter hinaus als auf eine Unterstützung der erpresserischen und räuberischen Ziele, welche die USA mit dem Irakkrieg verfolgten, durch Deutschland und Europa.

Siehe auch:
Münchner Sicherheitskonferenz: Imperialisten rücken näher zusammen
(8. Februar 2006 )
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