Hessen: Zehntausend demonstrieren gegen Studiengebühren

Am Mittwoch demonstrierten in der hessischen Hauptstadt Wiesbaden acht- bis zehntausend Studenten, Lehrer, Schüler und Eltern aus ganz Hessen gegen die Pläne der hessischen CDU-Landesregierung unter Roland Koch, eine allgemeine Studiengebühr von 500 Euro pro Semester einzuführen. Für Promotionsstudiengänge, Zweitstudium oder von ausländischen Studenten aus nicht EU-Ländern können sogar 1.500 Euro pro Semester erhoben werden. Das Gesetz soll im Juli in den Landtag eingebracht werden.

Die Demonstration in Wiesbaden war Bestandteil eines bundesweiten Aktionstags gegen Studiengebühren. In Hamburg protestierten gleichzeitig etwa 3.500 Studenten gegen die Bürgerschaft, deren CDU-Mehrheit am selben Tag ebenfalls beschloss, Studiengebühren von 500 Euro pro Semester zu erheben.

Bisher haben die CDU-regierten Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Studiengebühren eingeführt oder beschlossen.

Der Aktionstag in Wiesbaden war der bisherige Höhepunkt einer fast zweimonatigen Kampagne der Studenten aller hessischen Hochschulen. Die Kampagne hatte begonnen, nachdem sich die Landesregierung am 5. Mai für Studiengebühren entschieden hatte, obwohl die hessische Verfassung eine kostenlose Schul- und Universitätsbildung garantiert.

Seither vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo in Hessen Vollversammlungen mit Tausenden Studenten und vielfältigste Protestaktionen stattfinden. In Marburg wurde die Universitätsverwaltung mehrere Tage lang besetzt, in Marburg und Frankfurt Autobahnen, Straßenbahnschienen und große Kreuzungen blockiert.

Der für die Universitäten zuständige hessische Wissenschaftsminister Udo Corts hat die Belastung der Studenten durch Gebühren als "zumutbar" bezeichnet, weil für die Finanzierung der Gebühren ein Studiendarlehen in Anspruch genommen werden kann, das erst nach dem Studium zurückgezahlt werden muss.

Mit der Darlehensfinanzierung der Studiengebühren begründet die hessische Landesregierung auch, dass die Gebühren trotz der anderslautenden Verfassungsbestimmungen rechtens seien. Sie hatte sich dies von dem Berliner Staatsrechtler Christian Graf Pestalozza eigens durch ein juristisches Gutachten bestätigen lassen. "Ein bestelltes Gutachten der Landesregierung, das zu einem bestellten Ergebnis führte", kommentierte es der SPD-Bildungspolitiker Michael Siebel.

Die Studenten, das Deutsche Studentenwerk und andere Kritiker des Bezahlstudiums lehnen Studiengebühren dagegen grundsätzlich als unsozial und diskriminierend ab. Sie führten zu sozialer Selektion, verlängerten die Studiendauer und hielten junge Menschen, besonders aus sozial benachteiligten Schichten, aus Angst vor Schulden vom Studium ab.

Das Studentenwerk kommt aufgrund seiner regelmäßigen Sozialerhebung zum Schluss, dass es "immer teurer und schwieriger" wird, in Deutschland zu studieren. Mehr als ein Viertel der Studenten müsse mit weniger als 600 Euro im Monat auskommen, erklärte Hans-Dieter Rinkens, der Präsident des Studentenwerks. "Für einen Großteil der Studenten sind 500 Euro zusätzlich deshalb alles andere als Peanuts."

Auf der Wiesbadener Demonstration forderten viele Transparente und Plakate Bildung als grundlegendes Menschenrecht ein. Ein Transparent lautete: "Gegen Studiengebühren - für Bildung als Menschenrecht". Ein anderes: "Suche reiche Adoptiveltern." Auf einem weiteren wurde Ministerpräsident Roland Koch als "Henker des Landes der Dichter und Denker" bezeichnet.

Der Hauptredner auf der Kundgebung, der Vorsitzende des ASTA der Uni Gießen, Umut Sönmez, bezeichnete die Pläne der Landesregierung als "Kampfansage", die man entsprechend beantworten müsse. Er warf der Landesregierung und Ministerpräsident Koch vor, sie wollten die Chancengleichheit kaputtmachen. Er rief dazu auf, gegen die gesamte Marschrichtung der Regierung zu kämpfen. "Deshalb dürfen wir nicht nur die Studiengebühren verhindern, nein, wir müssen die Chancengleichheit weiter ausbauen."

In Österreich hätten die Erfahrungen mit Studiengebühren gezeigt, dass die Ersteinschreibungen sofort um 15 Prozent zurückgegangen seien und sich vor allem weniger Studierende aus finanziell schwachen Familien eingeschrieben hätten.

Sönmez wies auch das Argument der Gebührenbefürworter zurück, das Geld käme den Universitäten und damit den Studenten zugute und werde die Studienbedingungen verbessern. Dies sei höchstens ganz kurzfristig der Fall, sagte er. Längerfristig werde angesichts der Haushaltsnöte der Länder mit Sicherheit die öffentliche Finanzierung zurückgefahren.

Laut Frankfurter Rundschau zeigen Beispiele aus anderen Ländern, dass die Einführung von Studiengebühren zwar kurzfristig die Finanzsituation der Hochschulen verbessern könne, langfristig aber eher einen Paradigmenwechsel weg von der staatlichen und hin zur privaten Finanzierung einläute.

Obwohl die Politik Bildungsinvestitionen allenthalben als A und O der Zukunftsvorsorge beschwört, zeigen aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes, dass die öffentliche Bildungsfinanzierung seit 2002 zurückgefahren wurde.

In der Nacht zum 22. Juni hatte die hessische Polizei eine massive Provokation gegen die Studentenproteste durchgeführt. Zu Beginn der Proteste hatte sie sich noch relativ zurückgehalten. Mit Beginn der Fußballweltmeisterschaft ging sie dann aber wesentlich schärfer vor und versuchte, die Protestbewegung einzuschüchtern. Der Frankfurter Polizeipräsident drohte offen, Demonstrierende zu kriminalisieren.

Nachdem es am 21. Juni wieder zu Demonstrationen gekommen war, löste die Polizei um zwei Uhr nachts auf dem Campus der Uni Frankfurt mit zwei Hundertschaften gewaltsam ein Solidaritätsfest im Studentenhaus auf. Sie führte 47 Personen, darunter den Pförtner des Studentenhauses, mit Plastikbändern gefesselt ab, hielt sie bis zu zehn Stunden lang in Gewahrsam und behandelte sie erkennungsdienstlich.

Als Vorwand für die Aktion gab die Polizei an, in der Nähe seien zwei Fensterscheiben einer Buchhandlung und eines Reisebüros zu Bruch gegangen, und sie müsse die Teilnehmer der Fete überprüfen. Zwei Hundertschaften zur Aufklärung zweier zerbrochener Scheiben, fürwahr effektive Polizeiarbeit!

Dem herbeigerufenen AStA-Vorsitzenden Amin Benaissa wurde von der Polizei ein nicht einzuhaltendes Ultimatum von fünf Minuten gestellt, um die Party aufzulösen. Noch während er verhandelte, erfolgte der Einsatzbefehl zur Räumung. Die Polizei sei nicht an einer Vermittlung interessiert gewesen, sagte Benaissa. Er wertete den Einsatz als "gezielten Angriff gegen die Bewegung" und als "Provokation". Viele Studenten sehen das auch so.

Reporter der World Socialist Web Site sprachen auf der Demonstration in Wiesbaden mit einigen Studenten:

Andreas, studiert Soziologie in Mainz und wohnt in Frankfurt.

Ich habe die Proteste in Frankfurt letzte Woche mitbekommen. Ich muss schon sagen, die Art und Weise, wie im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft die so genannte Sicherheit immer repressiver gehandhabt, von Seiten der Polizei wesentlich mehr gedroht wird und schließlich das Café im Studentenhaus in Frankfurt gestürmt wurde, ist meiner Meinung nach der Demokratie, die wir hier angeblich haben, unwürdig.

Das hat nichts mehr mit dem Einhalten irgendeines Grundkonsens’ in der Gesellschaft zu tun. Wenn ich mir anschaue, wie entgegen der Verfassung in Hessen Studiengebühren eingeführt werden, wenn ich mir anschaue, wie das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit von Polizeipräsidenten und Innenministern verbal mit Füßen getreten wird, da frage ich mich schon, wer hier den Grundkonsens der Gesellschaft in Frage stellt. Es sind nicht die Studierenden, sondern die Landesregierung und die Leiter der Polizei.

Das ärgert mich sehr, muss ich sagen. Da wird einfach so getan, als wären die Studierenden die Bösen, die Böses tun wollen. In Wirklichkeit ist es umgekehrt.

Manuel studiert Chemie und Daniel Politologie in Frankfurt.

Wenn besagte 500 Euro Studiengebühren kommen, wird das unser Studium wesentlich in die Länge ziehen, da wir das alles mit Nebenjobs finanzieren müssten. Und das geht auf Kosten des Studiums. Ein Kredit mit 7,5 Prozent Zinsen ist als Sozialkredit eine bodenlose Unverschämtheit. Da kriegt man mittlerweile für die Finanzierung eines Autos günstigere Konditionen. Das ist keine akzeptable Option, es ist nicht sozialverträglich, wie es von der hessischen Verfassung eigentlich gefordert wird. In dem Sinne finde ich es einen Verfassungsbruch, so etwas zu machen.

Ich sehe einen Zusammenhang zu Frankreich oder zur weltweiten Situation darin, dass es eine fortschreitende Ökonomisierung gibt, dass alles auf die Ökonomie ausgerichtet wird. Es wird oft vergessen, dass die Wirtschaft im Endeffekt für den Menschen da ist und nicht umgekehrt. Ich sehe den Zusammenhang ganz einfach in den parallelen Handlungsweisen der Politik. Ich kann noch keine Einheit über die staatlichen Grenzen hinweg sehen, aber ich hoffe, das kommt noch.

Hannes studiert Journalistik, Erziehungswissenschaften und Sportwissenschaft in Leipzig.

Wir sind mit einer Gruppe von etwa 60 Personen aus Leipzig gekommen. Wir demonstrieren für gebührenfreie Bildung und für den Stopp von Studiengebühren. Die Leipziger Studierendenschaft solidarisiert sich mit den Studierenden, die momentan von den Studiengebühren betroffen oder bedroht sind. Und wir haben beschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur symbolische Solidarität zu bekunden, sondern auch an aktiven Protesten teilzunehmen. Denn es ist sicherlich absehbar: Wenn in den umliegenden Ländern Studiengebühren eingeführt werden, wächst auch der Druck auf die Landesregierung in Sachsen. Wir sind also auf die bundesweite Vernetzung der Proteste der Studierenden angewiesen.

Zu Frankreich gibt es sicherlich Gemeinsamkeiten, was die Protestformen und die Organisation anbelangt. Im Prinzip ist es in Frankreich so strukturiert, dass schneller, spontaner Protest möglich ist. Die Welle ist übergeschwappt, das hat man gemerkt, gerade in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Da haben sich massive Proteste entwickelt, aber es war relativ schwierig, bundesweite Proteste auf die Beine zu stellen. Deshalb hoffe ich, dass Wiesbaden und auch Hamburg, also die Nord- und die Süddemo, ein großer Erfolg werden, und dass perspektivisch die Demo am 6. Juli in Frankfurt ein großer Erfolg wird.

Konstantin, studiert Soziologie in Mainz.

Wir sind gerade eben über die Theodor Heuss Brücke gelaufen. Ich wurde von Polizisten festgehalten, nach meinen Personalien befragt und, nur weil ich ein Megaphon in der Hand habe, gleich als Rädelsführer betrachtet.

Ich hatte mein Handy in der Hand, weil ich eine SMS schreiben wollte. Es wurde mir mit der Begründung abgenommen, die Polizisten hätten "das Recht am eigenen Bild". Nachdem sie dann keine Aufnahmen von Polizeikräften gefunden haben, mussten sie sich bei mir entschuldigen und das Handy zurückgeben. Ich glaube, dass die Ordnungskräfte einfach sehr, sehr nervös sind. Sie haben Angst und sind unsicher.

Wir hoffen, dass die Polizei heute ruhig bleibt. Wir sind friedliche Studierende und wollen einfach, dass man für Studien und für Bildung generell nicht bezahlen muss. Das sind unsere Forderungen. Deswegen sind wir heute hier und nehmen unser Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahr. Wir können nicht verstehen, dass mit derart unglaublicher Härte mit friedlichen Demonstranten umgegangen wird.

Siehe auch:
Universität Duisburg-Essen: Studenten protestieren gegen die Einführung von Studiengebühren
(9. Mai 2006)
Tausende Studierende demonstrieren gegen Studiengebühren
( 4. Februar 2005)
Bundesverfassungsgericht ermöglicht Studiengebühren
( 29. Januar 2005)
Bildung wird zur Ware: Die Debatte über Studiengebühren
( 31. August 2004)
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