Zahl der Asylbewerber auf neuem Tiefststand, Zahl der Abschiebungen steigt

Die Politik der rot-grünen Bundesregierungen und der jetzigen Großen Koalition haben zu einem beispiellosen Rückgang der Asylbewerberzahlen in Deutschland geführt. 1998 hatten noch 98.644 Schutz suchende Menschen Asyl beantragt. 2005 waren es nur noch 28.914.

Die rot-grüne Regierung hatte die Einschränkung des Asylrechts, die mit Unterstützung der SPD bereits von der Vorgängerregierung unter Helmut Kohl beschlossen worden war, bis zu dessen Unkenntlichkeit fortgesetzt. Im Einklang mit der Europäischen Union betrieb sie eine rücksichtslose, auf Abwehr und Ausgrenzung gerichtete Einwanderer- und Flüchtlingspolitik. Die jetzige Regierung setzt diesen Kurs fort.

So sank die Zahl der Asylbewerber im März auf 2.140 und im April noch einmal um ein Drittel auf 1.500. Nur 1,1 Prozent der Asylsuchenden, die meisten von ihnen aus Serbien und Montenegro, der Türkei und Irak, wurden als Asylberechtigte anerkannt.

Zehntausende von Menschen, die kein Asyl erhalten haben oder deren Duldung abgelaufen ist, werden jedes Jahr aus Deutschland abgeschoben. In den letzten Jahren und Monaten trifft es zunehmend Menschen, die bereits viele Jahre in Deutschland leben und deren Kinder oftmals hier geboren und aufgewachsen sind. Von etwa 200.000 Menschen, die nur den unsicheren Aufenthaltsstatus der Duldung haben, leben 120.000 bereits länger als fünf Jahre in Deutschland.

Seit mehreren Jahren appellieren die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl und andere Unterstützergruppen an die Innenminister der Bundesländer, den langjährig Geduldeten ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren. Dies wurde auf der jüngsten Innenministerkonferenz Anfang Mai in Garmisch-Partenkirchen zum wiederholten Mal verweigert. Stattdessen wurden die Bedingungen für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft erneut verschärft.

Tausenden von irakischen Flüchtlingen ist in den letzten Monaten ihr zuvor anerkannter Schutzstatus durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wieder aberkannt worden. Die Innenminister der Länder prüfen, ob mit Abschiebeaktionen in den Irak begonnen werden kann - und dies obwohl Anschläge im Irak monatlich Tausende Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Das Vorgehen der deutschen Behörden ist laut Pro Asyl europaweit einzigartig und verstößt gegen internationales Flüchtlingsrecht.

Abschiebungen nach Afghanistan finden bereits seit längerer Zeit statt. Einige Bundesländer schieben sogar afghanische Frauen ab. Dabei hat sich die politische und wirtschaftliche Lage in dem von Krieg und Bürgerkrieg zerrütteten Afghanistan in den letzten Monaten ständig verschlechtert.

Der vor kurzem neu gewählte afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta appellierte in einem Zeitungsinterview an Deutschland, afghanische Flüchtlinge nicht abzuschieben und keine zusätzlichen Probleme zu schaffen: "Mein Appell geht in diese Richtung: Lassen Sie diese Menschen in Deutschland sich in ihre zweite Heimat eingliedern. Wer freiwillig zurückkommen kann, ist herzlich willkommen, aber die anderen sollte man nicht abweisen" sagte er der Frankfurter Rundschau.

Aber die deutschen Ausländerbehörden scheren sich nicht um humanitäre Appelle oder medizinische oder völkerrechtliche Gutachten. Genauso wenig spielt eine Rolle, wie gut Flüchtlinge und ihre Kinder in Deutschland integriert sind. Beispielhaft seien hier nur einige Fälle von Abschiebungen und angedrohter Abschiebung ganzer Familien geschildert, die bereits über zehn Jahre in Deutschland lebten oder leben.

Etwa die Familie des 15-jährigen Vietnamesen Khan Duy Trieu, der am 24. September 2005 zusammen mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder Deutschland verlassen musste, um einer drohenden Abschiebung zuvor zu kommen. Er lebte 13 Jahre in Straubing und erreichte im Sommer letzten Jahres den zweiten Platz bei einem bayerischen Mathematikwettbewerb.

Die offizielle Begründung der Ausländerbehörde für die drohende Abschiebung: "Es gibt keinen Anlass für die einstigen vietnamesichen Flüchtlinge, weiterhin in Deutschland zu bleiben." Auch Fernsehsendungen berichteten über den Fall dieser Familie, die gut in Deutschland integriert war. Vater und Mutter hatten Arbeit, Khan Duy Trieu gehörte zu den besten Schülern seines Jahrgangs. Die Familie muss jetzt in der kleinen Mietswohnung der Großeltern in Hanoi ausharren.

Dass es sich dabei um keinen Einzelfall handelt, bestätigt der Leiter des Goethe-Instituts in Hanoi, Franz Xaver Augustin. Genaue Zahlen über die Ausweisung von Vietnamesen sind seit drei Jahren nicht mehr veröffentlicht worden. 1995 wurde zwischen Deutschland und Vietnam ein so genanntes Rücknahmeabkommen unterzeichnet. Zwischen 1995 und 2002 haben 10.149 Vietnamesen Deutschland verlassen.

Über einen anderen Fall brutaler Behördenwillkür, ebenfalls kein Einzelfall, berichtete das ARD-Magazin Kontraste am 4. Mai 2006.

Der 22-jährige Quais Kamran aus Afghanistan lebte mit seinen Eltern und Geschwistern seit 16 Jahren in Friedberg in Hessen. Weil er sich um einen Ausbildungsplatz bei der Polizei bewerben wollte, wurde das Ausländeramt auf ihn und seine Familie aufmerksam.

Für seine Berufswahl hatte er eigentlich alle Voraussetzungen erfüllt. Er musste mindestens fünf Jahre in der Bundesrepublik Deutschland leben und die deutsche und seine Muttersprache beherrschen. Nur eine Voraussetzung fehlte ihm: eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis.

Quais Kamran ging zur Ausländerbehörde in Friedberg, um eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. Die Ausländerbehörde verweigerte die Aufenthaltserlaubnis, da er ja keine ordentliche Arbeit habe und staatliche Hilfe beziehe. Quais Kamran befindet sich - wie viele Tausende andere Betroffene auch - in einem von den reaktionären Ausländergesetzen geschaffenen Teufelskreis: Ohne Aufenthaltserlaubnis keine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle, ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis. Aber damit nicht genug. Er selbst und seine ganze Familie sollen jetzt nach Afghanistan abgeschoben werden.

Obwohl sich seine Mitschüler und Lehrer für ihn eingesetzt und Unterschriften gesammelt haben, und der Schuldirektor persönlich für ihn und seine Familie beim Ausländeramt, beim Innenminister und beim hessischen Landtag vorgesprochen hat, gab es bis jetzt kein Einlenken der Behörden oder Politiker zu Gunsten der Familie.

Quais Kamran macht sich nun selber Vorwürfe wegen der drohenden Abschiebung, weil er glaubt, dass er mit seinem Antrag auf Aufenthaltserlaubnis die Ausländerbehörde überhaupt erst auf seine Familie aufmerksam gemacht hat.

Ein weiterer tragischer Fall ist der psychisch kranke Marokkaner Hassan R., der Ende April direkt aus der psychiatrischen Abteilung eines Wohn- und Pflegeheims des Landeswohlfahrtverbands im nordhessischen Haina nach Marokko abgeschoben wurde. Zwei Wochen danach fehlt den Angehörigen noch jede Spur von dem geistig behinderten Mann. Der Vater des 35-Jährigen, der in Rödermark (Kreis Offenbach) lebt, ist selbst nach Casablanca geflogen, um nach seinem Sohn zu suchen. Bisher ohne Erfolg. Hassan R. leidet seit zehn Jahren an Schizophrenie, Halluzinationen und epileptischen Anfällen. Ohne professionelle Hilfe und Medikamente sind seine Überlebenschancen gering.

Den Fall einer tamilischen Familie mit einem schwer geistig behinderten Kind aus dem sauerländischen Meschede, die im August letzten Jahres in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Sri Lanka abgeschoben wurde, die ebenfalls über zehn Jahre in Deutschland lebte, wurde in einem Fernsehbeitrag des Westdeutschen Rundfunks, "Härte mit System", am 11. Mai noch einmal aufgegriffen. Eine ältere Nachbarin der Familie, die diese Aktion miterlebt hat, kommentierte das Vorgehen der Behörden und Polizei mit den Worten: "Haben wir wieder Hitlerzeit?"

Siehe auch:
Massenabschiebungen nach Sri Lanka
(27. Oktober 2005)
Abschiebung wegen Sozialhilfebezug
( 28. Juli 2005)
Hamburg schiebt als erstes Bundesland Flüchtlinge nach Afghanistan ab
( 16. Juni 2005)
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