Bush schließt Atomabkommen mit Indien

US-Präsident George W. Bush und der indische Premierminister Manmohan Singh gaben am 2. März in Neu Delhi die Unterzeichnung eines Abkommens bekannt, demzufolge die USA sich dafür einsetzen, Indien im Rahmen der internationalen Vereinbarungen über Atomwaffen eine "einzigartige" Position zu verschaffen.

Obwohl Indien sich selbst den Status einer Atommacht verliehen hat und sich als solche weigert, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen, wird Washington - in Übereinstimmung mit dem Abkommen, das es vergangenen Juli mit Neu Delhi schloss - Druck auf die 45 Mitglieder starke Nuklearlieferanten-Gruppe (NSG) und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) ausüben: Sie sollen ihre Regularien ändern und so den Export von nuklearem Brennstoff und ziviler Nukleartechnologie nach Indien ermöglichen.

Bush bezeichnete auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Manmohan Singh den indisch-amerikanischen Nuklearvertrag als "historisch" und behauptete, es liege in Amerikas eigenem nationalem Interesse, wenn Indien seine zivilen Atomkapazitäten ausdehne, weil es dadurch seine Abhängigkeit von importierter Energie verringern könne und infolge dessen den Druck auf die internationalen Öl- und Gaspreise reduziere.

Ohne Frage stehen ökonomische Interessen hinter dem Vertrag. Vor allem die US-Nuklearindustrie hofft, davon zu profitieren. Aber Washingtons eigentliches Ziel besteht darin, die indisch-amerikanischen Beziehungen auf ein neues Niveau anzuheben. Es steht im Zusammenhang mit dem Angebot, das US-Außenministerin Condoleezza Rice vor einem Jahr gemacht hat: Die USA wollen "Indien helfen, eine Weltmacht zu werden".

Die Bush-Regierung hat Indien aggressiv den Hof gemacht, weil sie den südasiatischen Staat für ihre Strategie einspannen will, die amerikanische Vorherrschaft in Asien zu erhalten. Indien soll dabei vor allem als wirtschaftliches, militärisches und geopolitisches Gegengewicht zu China dienen.

Mit der Bemerkung, die Weiterentwicklung der US-indischen Beziehungen werde "entscheidenden" Einfluss auf die geopolitische Weltordnung des kommenden Jahrhunderts haben, deutete Bush die strategische Motivation an, die der von Washington angestrebten, so genannten "globalen Partnerschaft" mit Neu Delhi zugrunde liegt.

Die indische United Progressive Alliance (UPA)-Regierung befürwortet das Abkommen aus zwei Gründen. Erstens weil es eine de facto Anerkennung Indiens als Atommacht ist, was dem Land, wie man hofft, auch weitere Elemente des Status einer Weltmacht einbringen wird, nach denen sich seine Elite so sehnt. Und zweitens weil der Import von hoch entwickelter ziviler Nukleartechnologie Indien unabhängiger von Energieimporten machen und es in die Lage versetzen wird, einen größeren Anteil der Kapazitäten seines Atomprogramms auf die Entwicklung von Atomwaffen zu konzentrieren.

Auf die Frage, warum die USA ein Land, das 1998 unter Verletzung des Atomwaffensperrvertrags Atomwaffentests unternommen hat, mit einem privilegierten Status im Rahmen der internationalen Vereinbarungen über Atomwaffen "belohne", antwortete Bush: "Die Dinge ändern sich, die Zeiten ändern sich."

Dann attackierte der Präsident all jene im amerikanischen Establishment, die das Abkommen ablehnen, weil sie befürchten, China werde es als Provokation ansehen, und es werde Washingtons Ziel zuwider laufen, Iran und Nordkorea international zu isolieren. "Es gibt Leute, die wollen einfach nicht mit der Zeit gehen", klagte Bush, nachdem er bemerkt hatte, es werde schwierig sein, das Abkommen "in unserem Kongress durchzusetzen".

Niemand stellte dem Präsidenten die Frage, die sich zwangsläufig daraus ergibt: Wie passt der Wunsch der USA, dem mit Atomwaffen ausgerüsteten Indien eine Sonderrolle im Rahmen der internationalen Vereinbarungen über Atomwaffen zu verschaffen, mit Washingtons Forderung zusammen, dem Iran, einem Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags, die Entwicklung aller Phasen eines zivilen Atomprogramms zu verwehren?

Presseberichten zufolge traten Bush und Manmohan Singh triumphierend auf, als sie den erfolgreichen Abschluss des Atomabkommens bekannt gaben. Fraglos gab es hektische Bemühungen sowohl seitens der Bush-Regierung, als auch seitens der von der Kongresspartei geführten UPA-Regierung, das Abkommen noch während des Bush-Besuchs in Indien zu unterzeichnen. Sie befürchteten, andernfalls könne es doch noch an der wachsenden Opposition in Indien und der erheblichen Kritik aus der amerikanischen politischen Elite scheitern. Hohe Berater Bushs sollen noch während des Flugs nach Afghanistan und von da nach Indien per Telefon mit Vertretern Neu Delhis die letzten Einzelheiten verhandelt haben.

Das Abkommen unterscheidet bei Indiens Nuklearprogramm einen zivilen Teil, der internationalen Kontrollen und Inspektionen unterliegt, und einen geschlossenen militärischen Teil. Obwohl Bush, Manmohan Singh und ihre Unterhändler Wert darauf legten, es als "abschließend" zu bezeichnen, gibt es in Wirklichkeit noch eine ganze Reihe ungeklärter Fragen.

Indien muss mit der IAEA noch ein spezielles Protokoll aushandeln, wie die Kontrollen seines zivilen Programms aussehen sollen, und die Bush-Regierung muss noch die Nuklearen Lieferländer (NSG) und den US-Kongress überzeugen, das Abkommen zu billigen, was dazu führen könnte, dass Washington Neu Delhi später noch einmal zu Nachverhandlungen auffordern muss.

China, das erst kürzlich den Nuklearen Lieferländern beigetreten ist, reagierte auf die Bekanntgabe Bushs und Manmohan Singhs mit der Erklärung, jedes Nuklearabkommen zwischen Indien und den USA müsse "den Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags Genüge tun", was offensichtlich nicht der Fall ist. Auch in Pakistan, wo man ein immer stärkeres ökonomisches und militärisches Übergewicht Indiens befürchtet, findet die Übereinkunft keine Zustimmung. Aus Verärgerung darüber, dass die USA nur Indien eine Sonderrolle im Rahmen der internationalen Vereinbarungen über Atomwaffen gewähren, flog der pakistanische Präsident Pervez Musharraf im vergangenen Monat nach Peking, um über verstärkte chinesische Hilfe für das zivile Atomprogramm Pakistans zu verhandeln.

Die New York Times und der britische Economist brachten letzte Woche Leitartikel, in denen sie den Versuch der Bush-Regierung kritisierten, Indien an sich zu binden, indem sie die Regeln in Frage stellt, die das Atomwaffenmonopol der Großmächte sichern. Die Times meinte: "Die Entscheidung Präsident Bushs vom vergangenen Jahr, den Atomwaffensperrvertrag zu umgehen, um zivile Atomtechnologie an Neu Delhi liefern zu können, geht in die falsche Richtung. Sie hat Amerikas Strategie, Indien aufzubauen, um China einzudämmen, einen Schritt zu weit getrieben."

In den letzten Monaten war die Kritik an der vorläufigen Übereinkunft, die Manmohan Singh im Juli vergangenen Jahres in Washington unterzeichnet hatte, in Indien immer lauter geworden. Besonders schädlich für die Regierung waren öffentliche Warnungen einiger ehemaliger und sogar heutiger Leiter des indischen Atomprogramms, die USA benutzten die Verhandlungen, um Indiens Atomwaffenfähigkeiten zu schwächen und sein Atomprogramm von US-Technologie abhängig zu machen. Es gab auch verbreitete Empörung darüber, dass Washington die Vereinbarung nutzte, um auf Indien Druck auszuüben, sich dem Vorgehen der USA und der Europäischen Union in der IAEA gegen den Iran anzuschließen.

Die offiziellen Details des endgültigen Abkommens sind noch nicht bekannt gegeben worden. Aber Presseberichte deuten darauf hin, dass Washington einige seiner Forderungen fallengelassen hat. Entgegen seiner ursprünglichen Forderung, 18 der 22 im Betrieb oder im Bau befindlichen Atomkraftwerke des Landes dem zivilen Nuklearprogramm Indiens zuzuschlagen, gab es sich schließlich mit 14 zufrieden. Das soll die Zahl sein, die schon die indische Vorgängerregierung unter der BJP vorgeschlagen hatte, als sie 2002 die Idee eines Nuklearabkommens mit der Bush-Regierung ins Spiel brachte.

Der scheinbare Rückzug Washingtons erfordert zwei Anmerkungen: Er unterstreicht das dringende Interesse Washingtons, Indien enger in seine geopolitische Strategie einzubinden. Die Entwicklungen in den Wochen nach der anfänglichen indisch-amerikanischen Atomübereinkunft vom Juli letzten Jahres haben gezeigt, dass die Bush-Regierung über Dinge verhandelte, die in den öffentlichen Texten nicht erschienen. Sie machte mehrfach und öffentlich die Ratifizierung des Abkommens von der Bereitschaft Indiens abhängig, die USA vor der IAEA bei der Konfrontation mit dem Iran zu unterstützen, und versuchte Indien unter Druck zu setzen, seine Pläne für den Bau einer gemeinsamen Gaspipeline mit Pakistan aus dem Iran aufzugeben.

In seiner Ausgabe vom Freitag brachte der Hindu, der zu den entschiedensten Kritikern der amerikanischen Forderungen bei den Verhandlungen über das Atomabkommen gehört hatte, einen Leitartikel mit dem Titel "Ein hartes Geschäft". Darin ist der naive Glaube ausgedrückt, dass das Abkommen von Donnerstag keine Fallstricke enthalte: "Es ist wichtig, dass das Atomabkommen nicht dazu genutzt wird, ein breiteres strategisches Bündnis zwischen den USA und Indien zu schließen", schreibt der Hindu. "Washington braucht das Atomabkommen genau so wie Neu Delhi, und es gibt keinen Grund für die Regierung von Manmohan Singh, den Einflüsterungen der USA zu folgen, dass Indien keine Energiepartnerschaft mit dem Iran benötige."

Die USA sind unter der Bush-Regierung zur aggressivsten und gefährlichsten Kraft auf der geopolitischen Bühne geworden, weil die herrschende Elite Amerikas versucht, den Niedergang ihrer Position in der Weltwirtschaft durch den Einsatz ihrer Militärmacht wettzumachen. Indien eine Sonderrolle im Rahmen der internationalen Vereinbarungen über Atomwaffen zu ermöglichen, zielt darauf ab, das Land mit der Methode von Zuckerbrot und Peitsche in die geopolitische Strategie der USA einzubinden.

Bezeichnenderweise hob Bush bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Manmohan Singh zu einem scharfen Angriff auf die Menschenrechtsverletzungen in Myanmar (Burma) an, wobei ihm die offensichtliche Ironie entging, dass er schon am nächsten Tag nach Pakistan reisen würde, um ein Lob auf den Militärmachthaber Pervez Musharraf auszubringen. Bushs Intervention sollte wohl Druck auf Indien ausüben, seine Pläne aufzugeben, Energie aus Myanmar zu beziehen.

Manmohan Singh seinerseits tat alles, um das Wohlwollen Bushs zu sichern. Er lobte den US-Präsidenten für seinen Einsatz für das Atomabkommen und stimmte dann in den Refrain ein, den Bush und seine Regierung immer wieder singen, um ihre Aggressionskriege und ihren Angriff auf demokratische Rechte zu rechtfertigen. "Präsident Bush wird für seine starke Haltung gegen den Terrorismus bewundert", sagte Singh, " und ich war besonders erfreut über unsere einmütige Haltung zur Notwendigkeit, den Terrorismus auszurotten, dessen Opfer auch Indien wiederholt gewesen ist."

Siehe auch:
USA unterstützen indische Großmachtpläne
(5. August 2005)
Chinesisch-indische Annäherung aus Furcht vor US-Militarismus
( 29. April 2005)
Loading