Bundeswehreinsatz gegen Anti-G8-Demonstrationen bleibt folgenlos

Obwohl der Einsatz der Bundeswehr im Innern laut Grundgesetz verboten ist, wurden während des G8-Gipfels in Heiligendamm Mitte Juni Bundeswehreinheiten gegen kritische Demonstranten eingesetzt.

Wie es aussieht, wird dieser Einsatz folgenlos bleiben. Nach kurzer Aufregung wird er in Ausschüssen vergraben. Weder die Medien noch die offizielle Politik werden sich ernsthaft damit beschäftigen. Lediglich der Innenausschuss des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern befasst sich damit, die als technisch-logistische Amtshilfe verharmloste Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militär "aufzuarbeiten". Aber selbst das ist kaum einer Zeitung mehr als eine Randnotiz wert, obwohl der Einsatz der Armee gegen Demonstranten kaum sechs Wochen her ist.

Das Einsatzverbot der Bundeswehr im Innern geht, wie so viele andere Regelungen der deutschen Verfassung auch, auf die bitteren Erfahrungen unter dem Nazi-Regime, der Weimarer Republik und dem Kaiserreich ("Gegen Demokraten helfen nur Soldaten") zurück. Gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes darf die Bundeswehr nur eingesetzt werden, wenn besonders schwere Unglücksfälle oder Naturkatastrophen eine Unterstützung der Einsatzkräfte vor Ort erforderlich machen. Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem letztes Jahr in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz geurteilt, dass auch bei Amtshilfe die Bundeswehr keine spezifisch militärischen Mittel einsetzen dürfe, d.h. solche, die der Polizei nicht erlaubt sind.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) läuft seit langem gegen diese Regelungen Sturm. Er unternimmt immer wieder Vorstöße, Bundeswehreinsätzen im Innern durch eine Verfassungsänderung zu legalisieren, und begründet dies regelmäßig mit angeblicher Terrorgefahr. Die SPD, die mit in der Bundesregierung sitzt und mit Brigitte Zypries die Justizministerin stellt, hat dies bisher ebenso regelmäßig abgelehnt.

Nun wurden in Heiligendamm einfach vollendete Fakten geschaffen - ohne dass dies politische Folgen hätte. Vertreter der regierenden Großen Koalition aus SPD und CDU rechtfertigen oder verharmlosen den Einsatz der Armee gegen Demonstranten.

Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, hält den Einsatz der Bundeswehr lediglich für "instinktlos". Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, spricht verharmlosend von einer "zweifelhaften Mission".

Wolfgang Bosbach, innenpolitischer Sprecher der CDU, behauptet, der Einsatz zur Erstellung von Lagebildern wäre legitim, um schwerste Straftaten zu verhindern. CDU-Wehrexperte Bernd Siebert weiß: "Der Einsatz war eindeutig im Rahmen der Verfassung". Und Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich klar hinter die Politik ihres Innenministers Schäuble. Sie sei schon lange dafür, "der Armee mehr Aufgaben im Inland zu übertragen".

Eine vom Republikanischen Anwaltverein (RAV) in Berlin organisierte Anhörung machte das Ausmaß des Bundeswehreinsatzes in Heiligendamm deutlich.

Unter anderem wurden Filmaufnahmen eines G8-Gegners vorgeführt, die er am 6. Juni bei Rostock gedreht hatte. Der frühere Bundeswehrsoldat hatte nach eigenen Angaben die unmittelbare Abstimmung zwischen Bundeswehr und Polizei vor Ort beobachtet und konnte an Hand der Fahrzeugnummern der Militärfahrzeuge die Einheiten und deren Aufgaben benennen. Es habe sich um einen Einsatz von Panzerspäheinheiten gehandelt, deren militärischer Auftrag grundsätzlich lautet: "Den Feind erkennen und vernichten". Mit Kamera und Nachtsichtgerät ausgestattete Panzer hätten auf Autobahnbrücken und in den Feldern gestanden.

Auch mehrere Hubschrauber mit der Aufschrift "Heer" und "Luftwaffe" waren im Einsatz, die vermutlich Polizeieinheiten zu den jeweiligen Einsatzorten brachten. Sprecher der Bundeswehr haben dies indirekt bestätigt.

Ein weiterer Zeuge berichtete über die Bespitzelung einer Landkommune durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und den Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen, die in der Angst auslösenden Flughöhe von geschätzten 70 Metern über die Lager der G8-Gegner hinwegdonnerten und Aufklärungsfotos schossen. Offiziell darf die Flughöhe von 150 Metern nicht unterschritten werden.

Zum Einsatz kam das Geschwader 51 "Max Immelmann", benannt nach einem "erfolgreichen", 1916 abgestürzten Militärflieger des Ersten Weltkrieges. Auf der Internetseite dieser Einheit erfährt der interessierte Leser von ihren Einsätzen im Balkankrieg in den Jahren 1995 bis 2001. Das Geschwader "Immelmann" ist in der Kai-Uwe-von-Hassel- Kaserne in Kropp stationiert. Es ist Teil der schnellen Eingreiftruppe der NATO, die weltweit agiert und bereits militärische Einsätze in Sudan und in Afghanistan bestritten hat, deren Rechtmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht gerade mit jüngster Rechtsprechung abgesegnet hat.

Der Einsatz von Tornadoaufklärungsflugzeugen zur Beobachtung der gegen den G8-Gipfel gerichteten Proteste beschäftigt inzwischen auch den Verteidigungsausschuss des Bundestages. Dieser tagt allerdings hinter verschlossenen Türen. Der Verteidigungsausschuss des Parlaments hat die Aufgabe, dem Verteidigungsbudget und den besonderen Beschaffungsvorgaben für die Bundeswehr zuzustimmen. Mithin nimmt er eine gewisse parlamentarische Kontrollfunktion gegenüber der Bundeswehr wahr.

Pressemeldungen zufolge hatte der Verteidigungsausschuss dem Einsatz von 1.100 Soldaten zum G8-Gipfel zugestimmt, wobei der Einsatz von Tornados vorher nicht bekannt gewesen sein soll. Verteidigungsminister Franz Josef Jung soll zwei Tornado-Flüge genehmigt haben. Insgesamt kam es aber zu sieben Einsätzen mit je zwei Tornados, wobei der Verteidigungsminister, der sich auf Dienstreise in Afghanistan befand, von den restlichen fünf nichts gewusst haben will. Jung bezeichnete diese Flüge aber dennoch als rechtmäßig, da die Luftwaffe lediglich im Rahmen der Verfassung technische Amthilfe geleistet habe.

Inzwischen stellte sich bei den Untersuchungen der Tornado-Einsätze heraus, dass die Sondereinheit "Kavala" zusätzliche Flüge per Telefon "auf dem kurzen Dienstweg" angefordert hatte, um mehr und bessere Fotografien der Zeltlager zu erhalten, in denen sich Demonstranten aufhielten. Das war jedenfalls die Aussage von Knut Abramowski, dem Leiter der "Kavala".

Spiegel online meldete unter Berufung auf einen internen Bericht, der Einsatz von Tornados, Phantomjägern und Eurofightern während des G8-Gipfels habe rund 10 Millionen Euro aus der Staatskasse gekostet.

Verfassungsexperten sehen den Verteidigungsminister in einer politischen und juristischen Grauzone agieren. Grauzone ist allerdings eine Verharmlosung. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass im Rahmen der bestehenden Verfassung keine militärischen Mittel gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden dürfen. Trotzdem sehen sich Demonstranten im Visier von Panzerspähwagen, trotzdem sehen und hören sie Kampfflugzeuge über sich hinwegdonnern. Die Bundesregierung will offenbar einen Gewöhnungseffekt beim Einsatz der Bundeswehr im Innland erzielen.

Inzwischen sah sich die Bundesregierung immerhin genötigt, bei den Demonstranten eine "Entschuldigung" für den vorschriftswidrigen Tiefflug abzugeben, die allerdings einen recht zynischen Beiklang trug. Der parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) räumte im Bundestag ein, dass ein Tornado-Flug "unbestreitbar eine nicht unerhebliche Lärmbelästigung" darstelle. Er verneinte zugleich, dass damit eine Verletzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit einherginge.

Äußerlich unterscheiden sich die Soldaten der Bundeswehr kaum mehr von der hochgerüsteten Polizei mit ihren gepanzerten Einsatzfahrzeugen und mit ihren martialisch uniformierten "Robocops". Dennoch bedeutet es einen qualitativen Unterschied, wenn das zur Vernichtung des Feindes ausgebildete und ausgerüstete Militär gegen die Bevölkerung im eigenen Land eingesetzt wird. Ist die verfassungsrechtliche rote Linie erst einmal überschritten, ohne dass es ernsthafte Folgen hat, gibt es kein Halten mehr.

Siehe auch:
Polizei durchsucht elf Wohnungen wegen "Terror"-Verdachts
(20. Juni 2007)
Guantanamo in Mecklenburg
( 15. Juni 2007)
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