Sonderparteitag der Grünen zu Afghanistan

Viel Lärm um Nichts

Es gehört zu den Eigenheiten der Grünen, dass sie sich mit Inbrunst und Ausdauer über Fußnoten streiten, während sie sich gegenüber den großen Linien der Politik völlig indifferent verhalten und getreu hinter den großen bürgerlichen Parteien her trotten. So verhält es sich auch mit dem Sonderparteitag zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan, den 44 grüne Kreisverbände der Parteiführung abgetrotzt haben.

Am 15. September wollen die Grünen darüber beraten, wie sie sich verhalten werden, wenn im kommenden Monat die Verlängerung des Afghanistan-Mandats im Bundestag zur Abstimmung steht.

Innerhalb der Partei herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass das Mandat der Isaf (International Security Assistance Force), das unter der Schirmherrschaft der UNO steht, verlängert werden soll. Im Rahmen der Isaf ist die überwiegende Mehrheit der derzeit 3.200 deutschen Soldaten in Afghanistan tätig. Die Truppe heißt im Leitantrag für den Sonderparteitag inzwischen nicht mehr "Friedenstruppe", sondern "Assistenz zum Wiederaufbau".

Die Grünen hatten 2001 als Regierungspartei die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan vorbehaltlos unterstützt und tun dies auch weiterhin. Eines ihrer Gründungsmitglieder, Tom Koenigs, ist mittlerweile Sonderbeauftragter der UNO in Afghanistan und verlangt in zahlreichen Interviews die Aufstockung der im Land stationierten Truppen.

Nicht verlängern wollen die Grünen dagegen - auch darüber besteht weitgehende Einigkeit - die US-geführte Operation Enduring Freedom (OEF).

Die Grünen hatten zwar seinerzeit der Beteiligung der Bundeswehr an der OEF ebenfalls zugestimmt. Die Parteivorsitzende Claudia Roth hatte dies 2001 mit den Worten begründet: "Es geht nicht um einen Krieg gegen ein Land, um einen Krieg gegen eine Religion, sondern es geht um den Kampf gegen terroristische Gewalt, und dabei schließe ich auch repressive polizeiliche und militärische Mittel nicht aus."

Doch mittlerweile ist die Partei zur Auffassung gelangt, dass es den deutschen Interessen dienlicher sei, sich vom US-Militär zu distanzieren und das OEF-Mandat zu beenden. Dies fällt ihr umso leichter, als in Afghanistan lediglich hundert Mitglieder der Sondereinheit KSK an der OEF beteiligt sind. Diese sind nach Angaben der Bundeswehr seit über zwei Jahren nicht mehr zum Einsatz gekommen.

Streit gibt es ausschließlich über die Frage, was mit dem dritten und jüngsten Afghanistan-Mandat geschehen soll. Seit diesem Frühjahr führen sechs Bundeswehr-Tornados Aufklärungsflüge über dem Land durch und versorgen sowohl die Isaf als auch die OEF mit Zieldaten.

Als der Bundestag im März dieses Jahres über den Tornado-Einsatz entschieden hatte, waren die Grünen gespalten. 26 Grünen-Abgeordnete stimmten dafür, 25 votierten dagegen oder enthielten sich. Inzwischen hat sich die Lage weiter kompliziert. Die Bundesregierung will nämlich im Oktober in einem einzigen Antrag über Isaf-Mandat und Tornado-Einsatz abstimmen lassen.

Wie soll man sich nun verhalten? Dafür stimmen, und damit den Tornado-Einsatz unterstützen, den man eigentlich ablehnt? Sich der Stimme enthalten? Oder dagegen stimmen, obwohl man den Isaf-Einsatz eigentlich unterstützt?

Über diese Frage wird der Sonderparteitag am 15. September beraten, wobei seine Entscheidung selbstredend keine bindende Wirkung hat. Der deutsche Bundestag kennt nämlich kein gebundenes Mandat und die Abgeordneten sind ausschließlich ihrem eigenen Gewissen verantwortlich. Das Abstimmungsverhalten der Grünen wird zudem nicht den geringsten Einfluss auf die Entscheidung des Bundestags haben, in dem die Regierungskoalition über eine sichere Mehrheit verfügt.

Die Parteiführung hat einen Leitantrag nach Art eines Multiple-Choice-Fragebogens vorgelegt. "Die Frage, ob wir den Plänen der Bundesregierung zum Tornadoeinsatz im Rahmen von Isaf im Bundestag zustimmen oder nicht", heißt es darin, "ist seit dem Frühjahr innerhalb von Partei und Fraktion umstritten. Es gab für beide Positionen gute Begründungen. Die bisherige Diskussion und die Situation vor Ort spricht aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen für/gegen einen weiteren Tornado-Einsatz."

Über dieses für, gegen oder eine Stimmenthaltung soll der Sonderparteitag entscheiden. Er soll darüber befinden, wie es im Leitantrag heißt, "ob eine Enthaltung der Bundestagsfraktion geeignet ist, unsere prinzipielle Unterstützung für Isaf als Absicherung des zivilen Wiederaufbaus und gleichzeitig unsere Unzufriedenheit mit dem Kurs der Bundesregierung und ihres taktischen Manövers auszudrücken".

Nach der Erfahrung mit früheren Grünen-Parteitagen kann man davon ausgehen, dass der Streit über diese sekundäre Frage mit viel Hitze, Aufgeregtheit und gelegentlichen Tränenausbrüchen ausgetragen wird, wobei in der Hauptfrage, dem grundsätzlichen Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan, alles beim Alten bleibt. Es ist geht, frei nach Shakespeare, um "Viel Lärm um nichts".

Die Grünen haben diesen Modus Operandi zur Perfektion entwickelt. Über Nebensächlichkeiten wird aufgeregt und emotionsgeladen gestritten. Und in der Hitze der Auseinandersetzung über Tornados und Abstimmungsmodalitäten wird die Realität in Afghanistan ausgeklammert: die vielen Tausend zivilen Opfer, die verheerenden Auswirkungen des Kriegs auf das Leben der Bevölkerung, die Macht der korrupten, von den Besatzungstruppen beschützten Marionetten und Drogenbarone, die imperialistischen Interessen der Großmächte.

Es ist schon eine gewaltige Verdrängungsleistung nötig, um nach sechs Jahren Krieg und Besatzung der Bundeswehr in Afghanistan eine fortschrittliche Rolle zuzuschreiben. Selbstzufrieden und vorwiegend mit sich selbst beschäftigt haben die Grünen für das Schicksal der einfachen Bevölkerung nur noch Gleichgültigkeit und Verachtung übrig. Sie sind so zu einer der wichtigsten Stützen einer imperialistischen Außenpolitik geworden.

Entwicklung nach rechts

Der Eiertanz der Grünen um den Afghanistan-Einsatz ist Teil einer kontinuierlichen Rechtsentwicklung der Partei. Wenn sie sich jetzt einhellig gegen die Operation Enduring Freedom ausspricht, ist dies keine Rückkehr zu früheren pazifistischen Positionen. Die Unterstützung von Isaf bei gleichzeitiger Ablehnung der amerikanisch dominierten OEF bedeutet in die Umgangssprache übersetzt: ‚Militarismus ja - aber bitte auf deutsche Rechnung und nicht für amerikanische Interessen.’

Angesichts der aggressiven Außenpolitik der USA und des amerikanischen Debakels im Irak geht auch die herrschende Klasse Deutschlands dazu über, ihre internationalen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen mit zunehmender Aggressivität zu verteidigen.

Inzwischen trommelt der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer für eine größere Eigenverantwortung Deutschlands in der Außen- und Sicherheitspolitik. In einer Rede an der Berliner Humboldt-Universität Mitte März erklärte er, Europa unter deutscher Führung solle sich verstärkt darauf vorbereiten, "die Probleme zu lösen, die sich aus der Selbstschwächung der Vereinigten Staaten durch ihre Politik des Unilateralismus ergeben". Ausdrücklich befürwortete Fischer ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands und der EU.

Die Grünen haben in den letzten zehn Jahren eine Schlüsselfunktion dabei gespielt, dem deutschen Militarismus wieder auf die Beine zu helfen. Den Eintritt in die Bundesregierung erkauften sie sich 1998 mit der Zustimmung zum Krieg gegen Jugoslawien. Als Regierungspartei unterstützten sie dann die Bundeswehreinsätze auf dem Balkan, in Afrika und Afghanistan.

Sie haben sich bemüht, diese Einsätze mit pazifistischen Phrasen zu bemänteln. Die Bundeswehr kämpfe für "Demokratie", "Freiheit", die Sicherung des "Friedens" oder gar für die Verhinderung eines neuen "Auschwitz" auf dem Balkan, behaupteten sie. Doch es wird zusehends schwieriger, die imperialistischen Ziele der deutschen Außenpolitik auf diese Weise zu verschleiern.

Beim Krieg gegen Afghanistan ging es von Anfang an um die Kontrolle über ein Land, das aufgrund seiner Nähe zu den Ölquellen des Nahen und Mittleren Ostens sowie zu Iran und China große geostrategische Bedeutung hat. Mit ihrer militärischen Beteiligung signalisierte die rot-grüne Regierung, dass sie bei der Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten nicht passiv beiseite stehen will.

In der Innenpolitik nähern sich die Grünen inzwischen zielstrebig der CDU/CSU. In der Sozialpolitik verteidigen sie bis heute vehement die Hartz-Gesetze und andere soziale Einschnitte. Ihr kürzlich verabschiedetes neues Wirtschaftsprogramm, könnte streckenweise aus der Feder der FDP stammen.

In der Umweltpolitik überschütten sie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel mit Lob, die den Klimaschutz seit einiger Zeit als Wählermagnet entdeckt hat. Als die Bundeskanzlerin auf ihrer gerade beendeten China-Reise völlig unverbindlich die Themen Klimaschutz und Menschenrechte ansprach, lobte Grünen-Chef Bütikofer: "Es ist völlig richtig, dass wir gegenüber China eine klare Sprache sprechen."

"Hut ab", fügte wenig später Parteichefin Roth hinzu. Merkels Stil unterscheide sich "wohltuend" von dem ihrer Vorgänger, also vor allem des Sozialdemokraten Gerhard Schröder. Jürgen Trittin rühmte "die Art, wie Angela Merkel das Thema Menschenrechte in China anspricht".

Die Bundestagsfraktionsvorsitzenden Kuhn und Künast sowie andere Spitzen-Grüne treffen sich schon seit einiger Zeit mit Kanzlerin Merkel zu vertrauten Runden. Seit März wurde außerdem die so genannte "Pizza-Connection", eine Gesprächsrunde grüner und schwarzer Bundestagsabgeordneter, wieder belebt. CDU- und Grünenpolitiker hatten sich bereits Mitte der 1990er Jahre beim Bonner Nobelitaliener "Sassella" zum Essen getroffen, um zu "schwatzen". Margareta Wolf von den Grünen und Hermann Gröhe von der CDU, beide schon damals dabei, haben die Runde nun wieder aufleben lassen.

Da - anders als vor über zehn Jahren - eine schwarz-grüne Koalition auch auf Bundesebene kein Tabu mehr ist, wollen die Teilnehmer der Runde sich zukünftig an geheimeren Orten treffen. Auch die Namen der rund ein Dutzend Teilnehmer sollen geheim gehalten werden, da diese inzwischen nicht mehr Außenseiter in ihren Parteien sind. Gröhe ist Justitiar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und gehört zum Geschäftsführenden Fraktionsvorstand, Wolf ist außenwirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.

In Bonn waren damals noch Eckart von Klaeden (heute außenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion), Roland Pofalla (heute CDU-Generalsekretär) und Norbert Röttgen (heute erster parlamentarischer Bundestagsfraktionsgeschäftsführer) Teil der Connection.

Siehe auch:
SPD und Grüne wollen Truppen in Afghanistan aufstocken
(11. August 2007)
Ex-Außenminister Fischer plädiert für europäische Großmachtpolitik unter deutscher Führung
( 22. März 2007)
Kapitalismus in Grün - Bundestagsfraktion der Grünen beschließt neues Wirtschaftsprogramm
( 7. Juli 2007)
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