Lokführer opponieren gegen Tarifabschluss

Unter allen Umständen wollte die GDL-Führung die Tarifauseinandersetzung mit der Bahn bis Ende Januar für beendet wissen. Dieses Ziel verkündete ihr Vorsitzender, Manfred Schell seit Wochen bei jeder Gelegenheit. Und auch die Bahn AG hatte es plötzlich eilig, nachdem sie monatelang die streikenden Lokführer mit harten Bandagen bekämpfte.

Am 29. Januar trat dann Manfred Schell strahlend vor die Presse und sprach von einem "historischen Tag in der Geschichte der GDL". Der Tarifvertrag sei "fertig" bis auf den "persönlichen und fachlichen Geltungsbereich". Auch Bahn-Personalvorstand Margret Suckale ließ verlautbaren, "wir haben uns soeben geeinigt".

Doch während sich Schell im Berliner Hotel Marriott vor versammelter Presse feiern ließ, bemerkte er nicht, dass einige aufgebrachte Lokführer sich unter die Journalisten gemischt hatten. Gegenüber Spiegel-Online und anderen Medien brachten sie ihre ganze Unzufriedenheit mit dem ausgehandelten Kompromiss zu Ausdruck. "Die Atmosphäre an der Basis ist zu Teil schlimm", berichtete einer von ihnen. "Viele Kollegen sagen. Dafür habe ich nicht gekämpft." Einer der Lokführer brachte die Stimmung unter den Mitgliedern der GDL auf den Punkt: "Bei einem Basisgehalt von 2000 Euro reichen die elf Prozent Erhöhung nicht einmal für eine Tankfüllung."

Darüber hinaus beklagten die Lokführer die Verhandlungs- und Informationspolitik der GDL-Führung und bezeichneten sie als "ziemlich mies". Der GDL-Vorstand habe sich ständig auf Verhandlungen mit der Bahn eingelassen und die wütende Basis immer nur zur Ruhe gebeten. Kritik von den Mitglieder sei "abgeblockt worden", entrüstete sich ein Lokführer und fügte hinzu: "Das wollen wir und nicht gefallen lassen. Das sind schon Verhältnisse wie bei Transnet."

Sollte das jetzt ausgehandelte Ergebnis, tatsächlich Realität werden, wäre es alles andere als ein Erfolg. Von der ursprünglichen Forderung nach 31 Prozent mehr Lohn ist nur ein Bruchteil übrig geblieben. Das eigentliche Ziel, endlich die jahrelangen Lohneinbußen wettzumachen und das mickrige Basisgehalt der Lokführer spürbar anzuheben wurde schlicht aufgegeben.

Nochmals zur Vorgeschichte: Im Sommer 2002 kündigten die GDL die Tarifgemeinschaft mit der DGB-Gewerkschaft Transnet und der Beamtenvereinigung GDBA auf. Nur so konnten die Lokführer den drastischen Lohnsenkungen und dem Abbau von Sozialstandards begegnen, denen diese Organisationen Jahr für Jahr zugestimmt hatten.

Darin lag die Bedeutung der Forderung nach einem "eigenständigen Tarifvertrag". Die Lohnforderung von 31 Prozent war so überhaupt erst möglich geworden. Seitdem weigerte sich der Bahnvorstand hartnäckig, mit der GDL einen Vertrag abzuschließen, der den Lokführern die Möglichkeit gäbe, Tarifinhalte selbstständig zu vereinbaren. Die Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag war also immer damit verbunden, aus der tarifpolitischen Zwangsjacke von Transnet und GDBA auszubrechen. Genau das wollte der Bahnvorstand, der Transnet als seine "Hausgewerkschaft" betrachtet und über vielfältige Kanäle finanziell unterstützt, unter keinen Umständen zulassen.

So weit das Verhandlungsergebnis bisher bekannt ist, gibt es für die acht Monate der zurückliegenden Verhandlungen, vom Tag der Vertragskündigung am 1. Juli vergangenen Jahres bis Ende Februar 2008, nur eine Einmalzahlung von 800 Euro. Das entspricht für diese Monate einer realen Lohnsteigerung vom etwa drei Prozent! Ab 1. März soll es acht Prozent mehr Geld geben und ab 1. September weitere drei Prozent. Der Tarifvertrag soll bis Februar 2009 laufen, ab da soll dann auch die Wochenarbeitszeit von 41 auf 40 Stunden abgesenkt werden. Im Schnitt wird sich die Gehaltserhöhung für die meisten Lokführer bei weit unter zehn Prozent bewegen.

Dazu kommt, dass außer den Lokführern das gesamte Fahrpersonal, deren Gleichbehandlung die GDL ursprünglich versprach, von der GDL fallen gelassen wurde. Auch die Rangierlokführer und vermutlich sogar die Lokführer die neu eingestellt werden, sollen ausgeklammert werden.

Die Eile mit der alle Beteiligten einen Abschluss erzwingen wollen und die Tatsache, dass die GDL-Führung dabei zu weitreichenden Zugeständnissen bereit ist, haben einen einfachen Grund. Die Forderung der Lokführer nach gerechter Bezahlung, war in der Bevölkerung überaus populär. Und, wie man an den derzeitigen Streiks im öffentlichen Dienst sieht, sind Millionen Arbeiter und Angestellte auch in anderen Bereichen nicht mehr bereit, sich weiterhin mit Lohnstopp, oder gar mit Lohnsenkungen abspeisen zu lassen.

Nahezu alle Gewerkschaften, von Verdi bis IG-Metall, die bisher eine Lohnull-Runde nach der anderen vereinbart hatten, sehen sich jetzt gezwungen zweistellige Lohnerhöhungen zu fordern.

Unter diesen Bedingungen soll der Kampf der Lokführer schnellstens beendet werden, damit er auf keinen Fall eine breite Streikbewegung bei der kommenden Tarifauseinandersetzung auslösen, oder mit ihr zusammen kommen kann. Eine breite Streikbewegung würde sich unweigerlich gegen die Große Koalition richten und könnte schnell zu einer politischen Radikalisierung in der Arbeiterklasse führen, denen die sozialdemokratischen DGB-Gewerkschaften und die Linkspartei nicht mehr gewachsen wäre.

Dem Lokführer-Abschluss kommt daher eine große Bedeutung zu. Vieles deutet darauf hin, dass die GDL-Führung auch in der zentralen Frage nach einem eigenständigen Tarifvertrag nachgibt und sich erneut in das alte Tarifkartell mit Transnet und GDBA einbinden lässt. Zumindest lassen die Verhandlungen die gegenwärtig hinter verschlossenen Türen zwischen Bahnchef Hartmut Mehdorn und den drei Gewerkschaften (Transnet, GDBA und GDL) geführt werden, das Schlimmste befürchten. Alles sieht danach aus, dass die GDL den Rahmen des so genannten "Brandenburger-Tor-Modells" akzeptiert.

Danach würden die GDL eine Säule, sprich einen der einzelnen Branchenverträge erhalten, der Arbeitszeit und Entgelt regelt. Weiter gehört dazu eine Vereinbarung, in der sich die drei Gewerkschaften Transnet, GDBA und GDL, untereinander zur Kooperation verpflichten. Das Dach bei diesem Modell bestünde aus einem umfassenden Tarifwerk, das nach wie vor von Transnet, GDBA und Bahnvorstand bestimmt würde. Mit anderen Worten: Alles, letztendlich sogar die Höhe der Lohnforderungen müsste die GDL mit den beiden anderen Gewerkschaften abstimmen.

Zu einem "vierten Tarifvertrag" hat sich laut Süddeutscher Zeitung die GDL bereits breitschlagen lassen. Darin verpflichtet sich die GDL den eigenen Geltungsbereich bis Ende 2015 auf die Lokführer zu beschränken - und ihre Tarifverhandlungen nicht auf das restliche Fahrpersonal zu erweitern. Sie unterschrieb außerdem, dass ihr Tarifvertrag mit der Bahn nur so lange gilt, wie auch ihre Kooperationsvereinbarung mit den beiden anderen Gewerkschaften Bestand hat. Mit anderen Worten: Transnet und GDBA könnten unter irgend einem Vorwand die Zusammenarbeit mit der GDL beenden und schon wäre der Tarifvertrag der GDL, den Manfred Schell eben noch als "eigenständig" bezeichnet hat, null und nichtig. Transnet und GDBA verfügen damit über ein indirektes Vetorecht.

Angesichts dieser Situation ist ein mutiges und entschlossenes Eingreifen der GDL-Mitglieder notwendig. Der Arbeitskampf muss von unten reorganisiert werden. Der undemokratische Standpunkt von Manfred Schell, es sei keine Urabstimmung nötig und es werde auch keine stattfinden, muss entschieden zurückgewiesen werden. Die GDL-Mitglieder müssen eine Urabstimmung verlangen und durchsetzen.

Es ist ein grundlegendes demokratisches Recht, dass ein Streik, der durch das Votum der Mitglieder beschlossen wurde, auch nur durch eine Mitgliederentscheidung beendet werden kann. Der GDL-Vorstand und die Tarifkommission konnten den Streik nicht aus eigener Entscheidung beginnen und sind folglich auch nicht autorisiert das Verhandlungsergebnis in Eigenentscheidung zu ratifizieren.

Die bisherige Verweigerung einer zweiten Urabstimmung macht deutlich, wie stark der Widerstand unter den GDL-Mitgliedern gegen das bisher bekannte Verhandlungsergebnis ist.

Siehe auch:
Lokführer sind mit dem Verhandlungsergebnis unzufrieden
(18. Januar 2008)
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