Eine oberflächliche Analyse des globalen Kapitalismus

Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, von Naomi Klein, 2007 Frankfurt/ Main. ISBN 3-10-039611-1, ISBN 978-3-10-039611-2

Seit seinem Erscheinen im September letzten Jahres hat Naomi Kleins Buch die Bestsellerlisten der Welt erobert. Dieses Echo ist weniger das Ergebnis einer zweifellos gut organisierten Werbekampagne und entsprechender Darstellung in den Medien als vielmehr ein Zeichen dafür, dass große Teile der Weltbevölkerung nach links rücken.

In jedem Land verbreitet und verschärft sich die Opposition gegen das System des freien Marktes, das die letzten zwei Jahrzehnte beherrscht hat, und der Widerstand gegen das politische Establishment, das dieses System vorangetrieben hat, wächst.

Klein zufolge stellt das Buch "die zentrale und beliebteste Behauptung dieser offiziellen Geschichte in Frage - dass der Triumph des deregulierten Kapitalismus aus Freiheit geboren war, dass ungezügelte freie Märkte und Demokratie Hand in Hand gehen. Stattdessen werde ich zeigen, dass die Geburtshelfer dieser fundamentalistischen Form des Kapitalismus die brutalsten Formen von Gewalt waren...." (S. 35)

Mit diesem Thema hat sie ohne Zweifel einen Nerv getroffen. Aber wachsende Opposition gegen die herrschende Ordnung wirft die Frage auf: Was ist zu tun? Wie kann die Wut über die Verwüstungen des "freien Marktes" in ein alternatives Programm hinübergeleitet werden.

Genau hier liegt die politische Bedeutung von Kleins Buch. Ihr Hauptargument ist, dass es nicht nötig sei, das kapitalistische Profitsystem zu stürzen - das würde einfach eine andere Version von "Fundamentalismus" bedeuten, als sie die "Doktrin des freien Marktes" kennzeichne. Im Gegenteil, es ließe sich ein anderer Weg finden, der auf so genannten keynsianischen Maßnahmen beruht - auf Regierungsintervention und Regulierung - wie sie in dem Boom nach dem Zweiten Weltkrieg üblich waren.

Sie schreibt: "Ich behaupte nicht, dass alle marktwirtschaftlichen Systeme von sich aus zur Gewalt tendieren. Natürlich ist eine Marktwirtschaft, die nicht mit solcher Gewalt durchgesetzt werden muss und keinen solchen ideologischen Purismus verlangt, absolut im Bereich des Möglichen. Ein freier Markt der Konsumgüter kann mit einem kostenlosen öffentlichen Gesundheitswesen, mit öffentlichen Schulen und mit einem großen Segment der Wirtschaft in staatlicher Hand - beispielsweise verstaatlichten Ölgesellschaften - durchaus koexistieren. Genauso kann man verlangen, dass Unternehmen anständige Löhne bezahlen und das Recht der Arbeiter auf gewerkschaftliche Organisation respektieren und dass Regierungen Steuern eintreiben und Reichtum umverteilen, damit die drastischen Ungleichheiten reduziert werden, die für den korporatistischen Staat typisch sind. Märkte müssen nicht fundamentalistisch sein.

Keynes hatte nach der Weltwirtschaftskrise genau diese Art von gemischter geregelter Ökonomie vorgeschlagen - eine politische Revolution, die zum New Deal und zu ähnlichen Veränderungen überall auf der Welt führte. Und um genau dieses System von Kompromissen, Regeln und Kontrollen in einem Land nach dem anderen systematisch wieder zu demontieren, wurde Friedmans Gegenrevolution gestartet." (S. 36f)

Genau wie Keynes selber sich als Retter des Kapitalismus betrachtete - er riet bekanntlich Präsident Roosevelt 1933, sich seine Politik zu eigen zu machen, damit die "Orthodoxie" (des freien Marktes) und die Revolution es nicht "auskämpfen" müssen - so hat auch Kleins Kritik nicht die Überwindung des kapitalistischen Profitsystems zum Ziel. Wie Keynes möchte sie es vor sich selbst retten, indem es seine schlimmsten Exzesse dämpft.

Klein hat selbstverständlich das Recht jede politische Ansicht zu vertreten, die sie möchte. Aber ihre Ablehnung des Marxismus und seiner analytischen Methode führt dazu, dass sie beständig vor einer gründlicheren Analyse der globalen Wirtschaft zurückschreckt und damit auch keine Fragen stellt, die ihren politischen Standpunkt und die sozialen Interessen, die sie vertritt, in Frage stellen könnten.

Klein beginnt mit dem Hinweis auf etwas, das sie als "strategisches Kerndogma" des gegenwärtigen Kapitalismus bezeichnet. Sie nennt es nach Friedman die "Schockdoktrin". Friedman "stellte fest: ‘Nur eine Krise - eine tatsächliche oder empfundene - führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche unvermeidlich wird.’"(S. 17)

Aber Klein kann keine stichhaltige Erklärung liefern, auf welche Weise sich die Doktrin des "freien Marktes" von Friedman und seiner Chicagoer Schule, die in den 1950er und 1960er Jahren noch für Elaborate Halbverrückter gehalten worden waren, in den 1970ern Anerkennung fanden, was schließlich dazu führte, dass Friedman der Nobelpreis für Ökonomie verliehen wurde.

Für Klein ist die Anwendung der Schockdoktrin das Ergebnis einer fünfzigjährigen Kampagne für die vollständige Befreiung der Unternehmen. "Friedmans Visionen waren zwar immer mit der Sprache der Mathematik und Wissenschaft verbrämt, aber zufällig fielen sie genau mit den Interessen großer multinationaler Konzerne zusammen, die von ihrem Wesen her nach riesigen neuen nicht regulierten Märkten verlangten."(S. 86)

Das ist wirklich weit entfernt von der Wahrheit. Während des Krieges und unmittelbar danach waren weite Teile des Großkapitals sehr an Regierungsinterventionen und Regulation der Wirtschaft interessiert. Sie arrangierten sich nicht nur damit, sondern sie spielten häufig eine entscheidende Rolle dabei, sie ins Leben zu rufen.

Die Haltung wichtiger Sektoren der US-Wirtschaft wurde 1949 in einer Rede von William Benton, dem Gründer der Lobbygesellschaft Komitee für wirtschaftliche Entwicklung (Committee for Economic Development, CED), zusammengefasst:

"Die Haltung der Wirtschaft in der Geschichte war bisher, die Regierung zu benutzen, wenn sie konnte und sie zu missbrauchen, wenn das nicht ging. Philosophisch gesprochen, war die Wirtschaft der Doktrin verpflichtet, ‘die Regierung ist die beste, die am wenigsten regiert’. Jetzt verbreitet sich dagegen die Auffassung, ‘die Regierung hat eine positive und beständige Rolle zu spielen, um die gemeinsamen Ziele einer hohen Beschäftigungs- und Produktionsrate, einen hohen und steigenden Lebensstandard in allen Lebenslagen der Bevölkerung zu erreichen.’ Die größte Errungenschaft der CED könnte darin bestehen, Klarheit über die veränderte Rolle der Regierung in der Wirtschaft zu schaffen.... Das ist unsere aktuelle Antwort auf die europäischen sozialistischen Bestrebungen. Möge sie lange erfolgreich sein." (Zitiert von Robert M. Collins: The Business Response to Keynes, 1929-1964, Columbia University Press, 1981, p. 206).

Zwanzig Jahre später fasste Nixon die Haltung großer Teile der Wirtschaftselite in den berühmten Worten zusammen, dass "wir jetzt alle Keynsianer sind." Friedmans Meinung nach, hat Nixon jedoch "sozialistische" Maßnahmen durchgeführt.

Selbst wenn es stimmen würde, dass die Einführung von Maßnahmen a lá Friedman das Ergebnis einer fünfzigjährigen Kampagne der Konzerne gewesen ist, wäre es noch nötig zu erklären, warum die Kampagne erfolgreich war. Man müsste die Details des Wandels der wirtschaftlichen Situation herausarbeiten, die dazu geführt haben, dass die "halbverrückten" Elaborate von einst zur offiziellen Weisheit von heute geworden sind.

Klein bemüht sich nicht um eine solche Erklärung, weil dadurch allzu deutlich würde, dass,der Aufstieg des "Friedmanismus" mit objektiven Prozessen in der kapitalistischen Wirtschaft einherging, die zum Ende des Nachkriegsaufschwungs und zur Krise der 1970er Jahre geführt haben - Prozesse, die durch keynsianische Mittel nicht aufgehalten werden konnten.

Der freie Markt und staatliche Unterdrückung

Der Wirtschaftsboom nach dem Zweiten Weltkrieg war nicht das Produkt keynsianischer Maßnahmen, sondern des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft durch die Vereinigten Staaten, insbesondere durch den Marshallplan. Dieser Wiederaufbau ermöglichte die Ausdehnung produktiverer Methoden wie der Fließbandproduktion, die in den USA entwickelt worden waren, auf die übrige Welt. Dadurch wurde ein Ansteigen der Profitrate in der Weltwirtschaft bewirkt. Dies war der wichtigste Faktor, der zum Boom führte und die Lohnerhöhungen und sozialen Zugeständnisse dieser Periode ermöglichte. Mit anderen Worten, keynsianische Maßnahmen waren das Produkt des Nachkriegsaufschwungs, nicht seine Ursache.

Das ist der Grund dafür, dass, keynsianische Maßnahmen nicht in der Lage waren, das vorherige Wachstum wieder herzustellen, als die Profitraten gegen Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre zu fallen begannen. In Wirklichkeit verschlimmerte diese Politik der Steigerung öffentlicher Ausgaben tendenziell die Wirtschaftsprobleme statt Abhilfe zu schaffen.

Unter den Bedingungen fallender Profite führten keynsianische Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft dazu, dass große Konzerne ihre Preise erhöhten, um dem Trend entgegenzusteuern, statt ihre Produktion und Beschäftigung zu erhöhen. Das führte zur "Stagflation" - der Kombination hoher und anhaltender Arbeitslosigkeit bei gleichzeitiger hoher Preisinflation.

Die Folge davon war, dass keynsianische Maßnahmen eine bedeutende Rolle dabei spielten, eine soziale Basis in Teilen der Mittelklasse zu schaffen, auf die Thatcher und Reagan - zwei Hauptverfechter des "freien Marktes" - ihre recht erfolgreichen Wahlkampagnen der Jahre 1979 und 1980 stützen konnten.

Ihr ganzes Buch hindurch geht Klein auf den Zusammenhang zwischen der Durchsetzung der Agenda des "freien Marktes" und dem Einsatz gewaltsamer Unterdrückungsmaßnahmen ein. Das reicht von Lateinamerika bis zum Tienanmen Massaker in China und zu Boris Jelzins Einsatz von Panzern, mit denen er 1993 auf das Parlamentsgebäude schießen ließ, und dem Angriff der NATO auf Belgrad 1999.

Im Fall von Lateinamerika, wo die Vorstellungen Friedmans erstmals in den siebziger Jahren umgesetzt wurden, betont Klein die Beziehung zwischen dem Einsatz staatlicher Unterdrückung und den wirtschaftlichen Konzepten, deren Durchsetzung sie bewirkte. Sie kritisiert die Lobby der Menschrechtsorganisationen, weil diese sich geweigert hatten, die Gründe für die Unterdrückung zu untersuchen, die sie verurteilten.

Der Terror in Chile und Argentinien wurde lediglich als "Menschrechtsverletzungen" und nicht als "Mittel zum Erreichen eindeutiger politischer und wirtschaftlicher Ziele" gebrandmarkt. "Indem sie sich ausschließlich auf die Verbrechen und nicht auf die Ursachen dahinter konzentrierte, trug diese Menschenrechtsbewegung gleichzeitig dazu bei, dass die Chicagoer Schule ideologisch so gut wie unbeschadet aus ihrem ersten blutigen Experiment hervorgehen konnte." (S. 169)

Der Bericht von Amnesty International über Argentinien, der die Grausamkeiten der Militärjunta auflistet, war "ein Durchbruch, der seines Nobelpreises würdig war". Aber der 92-seitige Bericht erwähnte nicht, "dass die Junta das Land nach radikalkapitalistischen Grundsätzen umbaute. Es findet sich dort auch kein Kommentar zur sich verschlimmernden Armut oder zur drastischen Revision der Programme zur Umverteilung von Reichtum, die zentraler Bestandteil der Juntapolitik waren." (S. 170)

Wenn sie das Wirtschaftsprogramm der Junta untersucht hätten, so fährt sie fort, "wäre klar geworden, warum solch außergewöhnliche Unterdrückungsmaßnahmen nötig waren, und warum so viele der von Amnesty befragten politischen Gefangenen Gewerkschafter und Sozialarbeiter waren.

Ein anderer wesentlicher Fehler war, dass Amnesty den Konflikt als auf linke Extremisten und das Militär vor Ort beschränkt darstellte. Andere Beteiligte werden nicht erwähnt - weder die amerikanische Regierung noch die CIA, weder einheimische Großgrundbesitzer noch multinationale Unternehmen. Weil der umfassende Plan eines ‘reinen’ Kapitalismus in Südamerika und die mächtigen Interessen hinter diesem Projekt nicht berücksichtigt waren, ergaben die im Bericht dokumentierten sadistischen Akte überhaupt keinen Sinn - es waren einfach zufällige Untaten aus heiterem Himmel, die im politischen Äther herumtrieben und zu verdammen, aber unmöglich zu begreifen waren." (S. 171)

Diese Bemerkungen sind sehr zutreffend. Aber man kann sie auch auf Klein selbst beziehen. Sie geht weiter als Amnesty, aber genau wie die Menschenrechtsorganisation ruft sie gerade an dem Punkt Halt, wo weitere Untersuchungen beginnen sollten. Wenn die Gewaltmaßnahmen kein Zufallsereignis waren, sondern eng mit einem bestimmten Wirtschaftsprogramm verbunden waren, dann schießt sich daran unmittelbar die Frage an: Warum gerade damals, Mitte der 1970er Jahre? Warum nicht früher?

Klein stellt diese Frage nicht einmal, geschweige denn untersucht sie die Zusammenhänge zwischen der Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft, die in den 1970er Jahren ausbrach und dem Zusammenbruch des keynsianischen Programms wirtschaftlicher Reformen. Aber der Zusammenhang ist sehr offensichtlich. Im September 1976, als die Unterdrückung der Junta in Argentinien entfesselt wurde und Milton Friedman den Nobelpreis erhielt, erklärte der britische Premierminister James Callaghan der Labour Party, dass die Tage vorbei seien, als man noch durch keynsianische Ausgabenpolitik die Wirtschaft stützen konnte.

Nach Klein konnte die Weigerung der Menschenrechtsorganisationen, "den Apparat des Staatsterrors mit dem ideologischen Projekt in Verbindung zu bringen, dem er diente" im Falle von Amnesty International als ein Versuch angesehen werden, "im Spannungsfeld des Kalten Krieges neutral zu bleiben". Im Falle vieler anderer Organisationen war es eine Frage des Geldes, wofür die Ford Foundation bezeichnend war, die Gelder für Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung stellte.

Aber wir müssen die gleiche Frage an Klein stellen: Warum weigert sie sich, die zugrunde liegenden Prozesse der kapitalistischen Wirtschaft zu untersuchen, die den Staatsterror und die Gewalt hervorbringen, die sie anprangert?

Klein klammert sich weiter daran, dass das Programm der Chicagoer Schule von Milton Friedman einfach ein Bündel "gefährlicher Ideen" war. Wenn sie dagegen feststellen würde, dass dieses Programm mit objektiven Entwicklungstendenzen der globalisierten kapitalistischen Wirtschaft zusammenhängt, würde dies ihrem politischen Programm der Rückkehr zu der keynsianischen Politik der Vergangenheit in die Quere kommen.

Hier sind mächtige ideologische und materielle Faktoren am Werk. Die Finanzkrise, die jetzt die Weltwirtschaft getroffen hat, und die wachsende Feindschaft gegenüber der "neo-con" Politik der Bush-Regierung haben zweifellos einen "Markt" für "linke" Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung geschaffen - und infolgedessen eine Bereitschaft der Verlagshäuser, Mittel für ihre Verbreitung zur Verfügung zu stellen. Aber es gibt Grenzen für diese Unterstützung, deren sich Klein wohl bewusst ist.

Das ist der Grund, weshalb sie sorgfältig darauf besteht, keine "Fundamentalistin" zu sein. Außerdem wiederholt sie die alte Leier, dass es eine Art Konvergenz zwischen der marxistischen Bewegung und der extremen Rechten gebe.

In der Auseinandersetzung mit der These Friedmans, dass nur eine Krise wirkliche Veränderung bewirken könne, schreibt sie: "Die Idee, dass ein Marktzusammenbruch als Katalysator für einen revolutionären Wandel dienen kann, hat bei der extremen Linken eine lange Tradition; am bekanntesten ist die Theorie der Bolschewiki, dass eine durch Zerstörung des Geldwerts herbeigeführte Hyperinflation die Massen einen Schritt näher an die Zerschlagung des Kapitalismus selbst bringt. Diese Theorie erklärt, warum eine bestimmt Sorte von sektiererischen Linken immer wieder die genauen Bedingungen berechnet, unter denen der Kapitalismus die ‘Krise’ erreicht, genau wie evangelikale Christen die Anzeichen für das kommende Ende aller Tage kalibrieren. Mitte der achtziger Jahre erlebte diese kommunistische Vorstellung eine machtvolle Wiedererweckung, denn sie wurde von den Ökonomen der Chicagoer Schule aufgegriffen, die argumentierten, genau wie ein Marktzusammenbruch eine Revolution beschleunigen könne, könne man ihn auch nutzen, um eine rechte Gegenrevolution zu entzünden - eine Theorie, die als ‘Krisen-Hypothese’ bekannt wurde." (S. 198)

Dieses Amalgam ist nicht das Ergebnis von Unkenntnis. Klein wählt ihre Worte sorgfältig. Sie möchte der breiten Öffentlichkeit sowie ihren Verlegern klarmachen, dass sie nichts mit einem marxistischen Programm zu tun hat, das darauf ausgerichtet ist, das kapitalistische System zu beseitigen.

Dies ist das Thema von Kleins Schlusskapitel, in dem sie auf ein "Wiedererstarken des Volkes" hinweist, nachdem die Wirkung der verabreichten "Schocks" auf das politische Bewusstsein nachzulassen beginnen. In Lateinamerika kehren die Völker zum sozialdemokratischen Projekt zurück, das in den 1970er Jahren so brutal abgebrochen wurde. Die Politik ist bekannt: Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, Landreform, Investitionen in Bildung, nicht revolutionär, sondern beruhend auf einer "selbstbewussten Vision von einem Staat, der Gleichheit verwirklichen hilft".(S. 639)

Es sei möglich, behauptet Klein, zu dem System des regulierten Kapitalismus der Vergangenheit zurückzukehren, wenn nicht auf nationaler Ebene, dann eben in kontinentalem Maßstab. "Heute schafft sich Lateinamerika selbst eine Zone relativer wirtschaftlicher Stabilität und Berechenbarkeit inmitten einer Welt voller finanzieller Turbulenzen, eine Leistung, die im Zeitalter der Globalisierung niemand für möglich gehalten hätte."(S. 643f)

In ihrer Ablehnung des Marxismus als einer anderen Form von "Fundamentalismus" erweist sich Klein am Ende ihrer 400 Seiten als kaum mehr als eine Unterstützerin diverser lateinamerikanischer Führer - von Kirchner in Argentinien, Morales in Bolivien, der Regierung von Lula in Brasilien und natürlich der Regierung Venezuelas, wo es trotz des "Personenkults um Hugo Chávez und dessen Strategie die Macht auf staatlicher Ebene zu konzentrieren" ein System dezentraler fortschrittlicher Netzwerke gebe. (S. 640)

Solche Netzwerke seien, wie Klein meint, ein Modell für die Zukunft. Sie verfügen nicht über ein Programm, dem Profitsystem ein Ende zu setzen. Vielmehr sind sie "per se improvisiert, sie begnügen sich mit jedem noch so rostigen Werkzeug, das nicht fortgespült, zerschlagen oder gestohlen wurde. Anders als in der biblischen Phantasmagorie des Heils, der apokalyptischen Auslöschung, die den Rechtgläubigen (sie meint damit die Marxisten und all diejenigen, die für eine sozialistische Neugestaltung der Gesellschaft kämpfen) die Flucht in himmlische Sphären erlaubt, gehen die von Menschen getragenen Erneuerungsbewegungen von der Prämisse aus, dass wir uns dem von uns angerichteten Scherbenhaufen nicht durch die Flucht entziehen können und dass schon genug platt gemacht worden ist - an Geschichte, an Kultur, an Erinnerung. Diese Bewegungen sind nicht darauf aus, von Grund auf zu beginnen, sondern das Neue auf den Trümmerbergen wachsen zu lassen. Während der korporatistische Kreuzzug sich weiter im rasanten Niedergang befindet und die Intensität der Schocks erhöht, um den zunehmenden Widerstand zu sprengen, weisen diese Projekte einen Weg aus den Fundamentalismen heraus nach vorn." (S. 658)

Mit anderen Worten solche Initiativen repräsentieren einen dritten Weg, der notwendig ist, wenn man den Kampf nicht "Orthodoxie und Revolution" überlassen will.

Was für eine bankrotte Alternative! Kleins Feindschaft gegenüber dem Kampf der marxistischen Bewegung, die Arbeiterklasse - d.h. die überwältigende Mehrheit der Menschheit - zu mobilisieren, lässt ihre Perspektive dem Schluss eines Science Fiktion Films über eine globale Katastrophe ähneln, in dem die Überlebenden, am Boden zerstört und verwirrt, versuchen mit dem zurechtzukommen, was nach der Zerstörung übrig geblieben ist. Das ist ihre Alternative zur Kontrolle der Arbeiterklasse über die gewaltigen Produktivkräfte, über Wissenschaft und Technologie, die sie geschaffen hat, und für die Weiterentwicklung der Zivilisation nutzen kann.

Keine Analyse politischer Bewegungen

Kleins oberflächliche Methode in der Behandlung der Ökonomie wiederholt sich auf der Ebne der Politik. Man muss ihr zugute halten, dass sie im Unterschied zu den üblichen Lobeshymnen auf Nelson Mandela auf das neoliberale Programm des African National Congress (ANC) in Südafrika hinweist. Aber ihre Weigerung, eine politische Analyse durchzuführen, führt dazu, dass niemand auf Grund ihrer Kritik schlauer wird.

Klein zufolge blieb die südafrikanische Wirtschaft unter der Vorherrschaft des globalen Finanzkapitals, was katastrophale Konsequenzen für die Masse der Bevölkerung hatte, weil sich der ANC bei den Verhandlungen mit dem Apartheidregime, die zur Machtübergabe führten, hinters Licht führen ließ. Der Führer der Nationalpartei, F.W. de Klerk, hatte einen Plan, der die wirtschaftliche Macht auch nach dem unvermeidlichen Ende des Apartheidregimes in den Händen des internationalen Finanzkapitals ließ. Die Freiheits-Charta des ANC blieb damit nichts als ein totes Stück Papier.

"Dieser Plan wurde unter den Augen der ANC-Führer zum Erfolg geführt, die sich natürlich vor allem darauf konzentrierten, die politische Schlacht um das Parlament zu gewinnen. Dabei versäumte es der ANC, sich gegen eine viel infamere Strategie zu wappnen - bei der es sich im Grund um die elaborierte Rückversicherung handelte, dass die wirtschaftlichen Forderungen der Freiheits-Charta niemals Gesetz werden würden. ‘Das Volk soll herrschen!’ wurde bald Realität, aber der Bereich, den es beherrschte, schrumpfte schnell." (S. 278)

Auf diese Weise waren die ANC-Führer, so meint Klein, einfach hereingelegt und "einfach bei einer Reihe von Punkten, die zu dem Zeitpunkt weniger wichtig erschienen, ausgetrickst worden - aber auf lange Sicht wurde die Befreiung Südafrikas dadurch in der Schwebe gehalten." Am Ende hatten die Unterhändler des ANC keinen Schimmer davon, was sie sich hatten abhandeln lassen. (S: 282)

Hätte Klein sich entschlossen, ein wenig tiefer in die Materie einzudringen, wäre klar geworden, dass die Abkommen, die der ANC geschlossen hatte, sehr wohl mit den wesentlichen Grundzügen der Freiheits-Charta und den politischen Perspektiven der Kommunistischen Partei Südafrikas, die sie entworfen hatte, übereinstimmten.

Bereits 1956 hatte Mandela deutlich gemacht, dass der ANC in Südafrika nicht beabsichtige, den Kapitalismus zu stürzen, sondern den Weg für die Entstehung einer afrikanischen Bourgeoisie bereiten wolle. Dafür musste die Kontrolle der großen Konzerne über die südafrikanische Wirtschaft gebrochen werden. "Das Aufbrechen und die Demokratisierung dieser Monopole wird neue Möglichkeiten schaffen, eine wohlhabende nicht-europäische bürgerliche Klasse zu schaffen. Zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes wird die nicht-europäische Bourgeoisie die Möglichkeit haben, selbst Maschinen und Fabriken zu besitzen. Handel und privates Unternehmertum werden gedeihen und aufblühen wie nie zuvor". (Zitiert in Anne Talbots Rezension der Biographie Mandelas von Anthony Sampson)http://www.wsws.org/de/1999/aug1999/mand-a14.shtml

Um die Politik des Machtübergangs und die Einführung des neoliberalen Programms durch den ANC wirklich zu verstehen, wäre es erforderlich, die Rolle der Kommunistischen Partei Südafrikas und ihres Programms der Zwei-Stufen-Revolution zu untersuchen. Nach diesem Programm musste die Macht zunächst in die Hände der afrikanischen Bourgeoisie gelegt werden, während die Durchführung sozialistischer Maßnahmen einer fernen Zukunft zu überlassen wäre.

Klein ist sich dieser Frage sehr bewusst. Sie entschied sich jedoch, sie nicht zu behandeln, weil dies erfordert hätte, die Rolle und die Doktrin des Stalinismus zu erklären. Das hätte die Gefahr aufgeworfen, ihre Arbeit in den Ruch des Fundamentalismus zu bringen. Da war es besser, so zu tun, als ob die ANC-Führer nicht so recht wussten, was sich da abspielte.

Aber es geht noch um mehr. Kleins Buch hat zum Thema, dass das neoliberale Wirtschaftsprogramm durchgesetzt werden konnte, weil den herrschenden politischen Kräften eine Reihe von Schocks versetzt wurden. Aber bei der Erörterung dieser so genannten Schock-Doktrin wird die Rolle von Parteien und politischen Bewegungen vollständig außer Acht gelassen.

Der chilenische Staatsstreich vom September 1973, durch den der sozialistische Präsident Allende vom Militär und von General Augusto Pinochet gestürzt wurde, wird von Klein als "blutige Geburt der Konterrevolution" charakterisiert.

Aber der Putsch kam keineswegs überraschend. Er war seit Monaten erwartet worden. Allende war aufgefordert worden, seine Anhänger zu bewaffnen. Klein erklärt nicht, weshalb er dies nicht tat, weil eine solche Erklärung notwendig gemacht hätte, die Rolle der politischen Strömungen zu analysieren, die in der chilenischen Arbeiterbewegung tonangebend waren - die Kommunistische Partei, die Sozialistische Partei und die radikalen Gruppen wie die MIR (Revolutionäre Linke Bewegung) - dadurch wäre ihre entscheidende These erschüttert worden, dass die Einführung des neoliberalen Programms einfach das Ergebnis einer erfolgreichen "shock and awe"-Kampagne war.

Werbung für Keynsianismus

In mehreren Interviews zur Popularisierung ihres Buchs, hat Klein die politische Argumentation, die ihm zugrunde liegt, noch klarer gemacht. Sie hat dabei keine Gelegenheit ausgelassen, um die rechten Befürworter der "Schock-Doktrin" und den marxistischen "Fundamentalismus" in einen Topf zu werfen. Für sie waren die "gemischte Wirtschaft" von Keynes und der New Deal eine wirkliche Alternative.

In einer Diskussion mit Greg Grandin vom North American Congress for Latin Amerika (NACLA) erklärte sie: "Der Rechten ist es sehr gut gelungen, den Stil und die Strategie der Linken nachzuahmen. Besser als es die Linke je vermocht hat, hat die Rechte die Disziplin und die Provokation einer Krise durch die Leninisten mit der Geduld Gramscis, sich durch die Institutionen hindurchzuarbeiten, verbunden, angeheizt durch trotzkistische Leidenschaft."

Bei anderer Gelegenheit wies sie "religiösen Fundamentalisten" und "marxistischen Fundamentalisten" gemeinsame Eigenschaften zu.

Auf eine Frage, ob sie Befürworterin der keynsianischen "gemischten Wirtschaft" sei, antwortete sie: "Ich bin Realistin." Aber ihre Berufung auf Realismus gründet sich auf keinerlei historische oder ökonomische Analyse. Vielmehr ist sie durch ihre Annahme motiviert, dass diese Haltung im gegenwärtigen politischen Klima akzeptiert ist - ein bisschen nach links, aber nicht zu viel.

Kleins in einem Interview geäußerte Behauptung, dass sozialdemokratische Alternativen nicht fehlgeschlagen seien, weil sie überhaupt nicht ausprobiert wurden, ist falsch. Die keynsianischen Maßnahmen des New Deal haben nicht vermocht, die USA aus der Depression herauszuführen - die Rezession von 1938 war so tief wie die vorhergehende. Erst mit dem Anstieg der Rüstungsausgaben begann sich die US-Wirtschaft zu erholen. Diese Erholung konnte nur verstetigt werden, weil in der Nachkriegszeit eine Wiederbelebung der Weltwirtschaft einsetzte, die durch den militärischen Sieg der USA ermöglicht wurde.

Wenn keynsianische Maßnahmen einen machbaren dritten Weg darstellen würden, dann wäre es mit ihnen auch gelungen, den Nachkriegsboom aufrechtzuerhalten. Aber in Wirklichkeit hatten sie einen gegenteiligen Effekt.

Und selbst wenn solch ein Programm angenommen würde, wie könnte es durchgeführt werden? Wie Klein weiß, wurde der Keynsianismus in den Vereinigten Staaten nur eingeführt, weil die "militanten Forderungen von Gewerkschaftern und Sozialisten, deren wachsende Stärke eine noch radikalere Lösung zu einer drohenden Gefahr machte, was wieder dazu führte, dass der New Deal als akzeptabler Kompromiss erschien."(S. 350)

Roosevelt führte den New Deal als Mittel ein, um eine soziale Revolution in den USA zu verhindern. Es war notwendig, so erklärte er, den Kapitalismus vor sich selbst zu retten. Letztlich waren es nicht die Manöver Roosevelts, die den New Deal zum Erfolg machten - es gibt keinen Zweifel daran, dass er ein brillanter kapitalistischer Politiker war - sondern ausschlaggebend war die Tatsache, dass Amerika eine aufstrebende Macht war. Wie sich in der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte, hatte es die Stärke, die kapitalistische Weltordnung wieder herzustellen und war in der Lage, die notwendigen wirtschaftlichen Zugeständnisse zu machen, um dieses Ziel zu erreichen.

Heute hat sich die Lage dramatisch verändert. Der amerikanische Kapitalismus ist erstmals in der Geschichte im Niedergang begriffen. Er wird von alten und rasch aufsteigenden neuen Mächten herausgefordert. Zu erwarten, dass in dieser Situation ein Roosevelt vergleichbarer Politiker auftauchen könnte, um einen "dritten Weg" einzuschlagen, ist wohl die unrealistischste Perspektive überhaupt.

Welche Rolle spielt denn nun das Buch von Klein und welche Bedeutung hat es? Ob sie es wahr haben will oder nicht: Sie ist die ideologische Repräsentantin eines Teils der herrschenden Elite, die den Linksruck in breiten Teilen der Bevölkerung sieht und der Meinung ist, dass diese Entwicklung aufgefangen werden muss, bevor sie bedrohlichere Formen annimmt. Vor allem erfordert die veränderte Situation die Förderung "linker" Autoren, die eingespannt werden können, eine Alternative zu einer wirklich sozialistischen und marxistischen Perspektive zu propagieren.

Siehe auch:
Die Weltkrise des Kapitalismus und die Perspektive des Sozialismus (9. Februar 2008)

Anmerkungen zur politischen und ökonomischen Krise des kapitalistischen Weltsystems und die Perspektiven und Aufgaben der Socialist Equality Party ( 16. Januar 2008)

Tiefste Krise seit der Großen Depression kündigt sich in Bear Stearns Zusammenbruch an ( 22. März 2008)

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