SPD-Parteitag im Schatten der Finanzkrise

Der Sonderparteitag der SPD, auf dem am vergangenen Wochenende Franz Müntefering zum Vorsitzenden und Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten gewählt wurden, stand ganz im Zeichen der internationalen Finanzkrise.

Wenige Stunden zuvor hatten die Bundestagsabgeordneten das 500-Milliarden-Euro-Paket für die Banken im Eilverfahren verabschiedet. Die SPD hatte gemeinsam mit der CDU darauf gedrängt, dass alle Parlamentsfraktionen einem Sonderverfahren zustimmen, das alle im Grundgesetz festgelegten Fristen des Gesetzgebungsverfahrens außer Kraft setzt, und jede ernsthafte Diskussion in Parlament, Fraktion und Ausschüssen verhindert - von einer gesellschaftlichen Debatte ganz zu schweigen.

Die SPD spielte eine Schlüsselrolle dabei, das Milliardenprogramm in Interesse der Banken auszuarbeiten und durchzusetzen. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) war in den vergangenen Wochen ununterbrochen in Kontakt mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und anderen Vertretern der Finanzaristokratie und gab jeder Forderung der Bank-Chefs nach. Mitunter beschwerte er sich zwar über die Selbstherrlichkeit, mit der Ackermann und Co. Forderungen an die Regierung stellten, doch handelte er in allen wichtigen Fragen als ihr Erfüllungsgehilfe.

Auf dem Parteitag feierte sich die SPD als "Retter in der Not" und bot sich der herrschenden Elite als Partei an, die weder zögert noch Skrupel hat, nun auch den nächsten Schritt zu gehen und die sozialen Konsequenzen der "Bankenrettung" in Form von verschärften Sparmaßnahmen und Sozialabbau gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen.

So muss man die Rede von Franz Müntefering werten, der "mehr Selbstbewusstsein auch gegen Widerstand von außen" forderte. Er unterstützte ausdrücklich die unsoziale Politik der Agenda 2010 und rief den Parteitagsdelegierten zu: "Ich habe ein gutes Gewissen wegen dem, was wir damals getan haben." Müntefering wörtlich: "Wenn man erkannt hat, dass eine Politik richtig, aber nicht populär ist, dann darf man nicht weglaufen, dann muss man das durchkämpfen."

Auch Steinmeier "lobt und würdigt die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung, ohne freilich das Wort Agenda 2010 auch nur einmal auszusprechen", wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. "Wir sind es gewesen, die dieses leckgeschlagene Schiff Deutschland wieder flott- und starkgemacht haben", rief er in den Saal. "Und was macht die Partei, die noch vor sechs Wochen heftig über Sinn und Zweck der Agenda gestritten hatte?", fragt die Süddeutsche. "Sie applaudiert. Kräftig sogar." Minutenlange stehende Ovation für Steinmeier.

Der Berliner Sonderparteitag markiert einen weiteren deutlichen Rechtsruck der SPD.

Angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Agenda-Politik haben in den vergangenen Jahren mehrere Hunderttausend Mitglieder und Millionen Wähler der SPD den Rücken gekehrt. Nachdem alle, die gehofft hatten, die Partei könne von ihrer unsozialen Politik abgebracht werden, gegangen sind, versuchen Müntefering und Steinmeier den bürokratischen Apparat zu reorganisieren und einzusetzen, um zusätzliche Sozialkürzungen zu diktieren und weitere demokratische Rechte einzuschränken.

Darauf war die ganze Parteitagsregie ausgerichtet. In allen Reden dominierten die Vokabeln "Einheit", "Geschlossenheit" und "Harmonie". Die neue Eintracht sollte auch durch die Anwesenheit der Altvorderen demonstriert werden. In der ersten Reihe der Delegierten saßen der ehemalige Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und Altkanzler Gerhard Schröder. Selbst der fast neunzigjährige Altkanzler Helmut Schmidt war angekarrt worden und schüttelte dem frisch gekürten Kanzlerkandidaten Steinmeier die Hand.

Die Delegierten hatten Steinmeier mit 95 Prozent gewählt, wohl wissend, dass er einer der maßgeblichen Initiatoren der Agenda 2010 war. Müntefering erhielt nur 85 Prozent der Delegiertenstimmen, wenig für einen SPD-Parteivorsitzenden. Die Art und Weise wie er seinen Amtsvorgänger Kurt Beck vor zwei Monaten aus dem Amt geputscht hatte, wurde ihm vor allem von den Delegierten aus Rheinland-Pfalz übelgenommen. Doch den Vorsitzenden, der vor drei Jahren vom selben Amt zurückgetreten war, weil die Partei seinen Generalsekretärsvorschlag abgelehnt hatte, focht das nicht an. Was er von Abstimmungen und überhaupt von der Parteimeinung hält, machte er mit der Bemerkung deutlich, er hätte die Wahl auch mit 50,1 Prozent angenommen.

Müntefering bemühte sich sehr, Steinmeier zu loben und ins Rampenlicht zu stellen. Denn vor wenigen Jahren war der politische Beamte Frank-Walter Steinmeier in der Bundes-SPD noch weitgehend unbekannt. Vor knapp 15 Jahren wurde er vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder aufgebaut und zum Leiter seines Büros und später der Hannoveraner Staatkanzlei ernannt. Ende der neunziger Jahre ging Steinmeier mit Schröder nach Berlin und wurde Kanzleramtschef der rot-grünen Bundesregierung, anschließend Außenminister und schließlich Vize-Kanzler der Großen Koalition.

Die Noske-Tradition

Beide - Müntefering und Steinmeier - verbindet die uneingeschränkte Unterordnung unter die Staatsräson. Sie betrachten die Partei nicht als Organ der Demokratie zur Meinungsäußerung und Interessensvertretung der Mitglieder, sondern als Instrument zur Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung. Wobei der Parteiapparat vor allem dazu dient, jede selbstständige Regung der arbeitenden Bevölkerung unter Kontrolle zu halten und falls nötig zu unterdrücken.

Die SPD hat in ihrer Geschichte immer wieder diese Art reaktionäre Charaktere hervorgebracht, die unter Bedingungen großer gesellschaftlicher Erschütterungen bereit waren, mit diktatorischen Methoden und äußerster Brutalität gegen die Bevölkerung vorzugehen.

Am Ende des Ersten Weltkriegs setzte der damalige SPD-Reichswehrminister Gustav Noske Sondereinheiten der Armee gegen aufständische Arbeiter ein, um die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten blutig zu unterdrücken. In seiner Schilderung der Diskussion darüber, wie gegen die Aufständischen vorgegangen und ob die Armee eingesetzt werden solle, zitierte sich Noske selbst mit den Worten: "Meinetwegen! Einer muss der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht."

Bemerkenswert ist, dass in jüngster Zeit Sozialdemokraten sich wieder in aller Offenheit zu Noske bekennen. So erklärte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, der für seine Partei im Verteidigungsausschuss sitzt, öffentlich, er zähle Gustav Noske zu seinen politischen Vorbildern.

Zehn Jahre nach Noskes Niederschlagen des Spartakusaufstands ließ der sozialdemokratische Polizeipräsident von Berlin, Karl Friedrich Zörgiebel 1929 die traditionellen Maikundgebungen verbieten, und als Arbeiter in den Berliner Stadtteilen Wedding und Neukölln trotzdem dem Aufruf der KPD folgten, ließ Zörgiebel die Kundgebung niederschießen, was 32 Demonstranten das Leben kostete.

Ein Jahr später unterstützte die SPD den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, der als Reichskanzler die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise mittels Notverordnungen auf die arbeitende Bevölkerung abwälzte. Brünings Abbau demokratischer Rechte und seine Unterdrückung der Bevölkerung ebnete Hitler den Weg an die Macht, der drei Jahre später zum Kanzler ernannt wurde.

Noch ist die SPD nicht bei Noske und Zörgiebel angelangt. Doch die uneingeschränkte Unterstützung des kapitalistischen Profitsystems hat eine unerbittliche Logik.

Die Rolle der Linken

Das abstoßendste Schauspiel auf dem Berliner Sonderparteitag boten diejenigen in der SPD, die sich als Linke bezeichnen. Ihre Sprecherin Andrea Nahles eröffnete den Parteitag mit einer Lobrede auf das Milliarden-Steuergeschenk an die Banken. "Die SPD hat auch in Krisenzeiten Verantwortung nie gescheut", erklärte Nahles. Das von der Bundesregierung in der vergangenen Woche verabschiedete milliardenschwere Rettungspaket trage eindeutig sozialdemokratische Handschrift. Es sei notwendig, damit aus der Weltfinanzkrise keine Weltwirtschaftskrise werde, betonte sie.

In der Vergangenheit hatten sich die SPD-Linken wiederholt kritisch zu Müntfering und Steinmeier geäußert. Jetzt war der Beifall vom linken Flügel besonders groß. Die langatmigen, monoton vorgetragenen 90-minütigen Ausführungen des Außenministers bezeichnete der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Ralf Stegner als "Kanzlerrede", die die Delegierten inspiriert habe. Und der frühere Juso-Chef Björn Böhning sagte, es sei sehr zu begrüßen, dass Steinmeier eine "linke Rede" gehalten habe.

Deutlicher hätte man nicht zu Ausdruck bringen können, dass es in dieser Partei niemanden gibt, der dem rechten Kurs von Schröder, Müntefering und Steinmeier entgegentritt. Angesichts der Finanzkrise rückt der SPD-Apparat zusammen und schließt die Reihen in der Vorbereitung auf heftige soziale Konflikte.

Siehe auch:
Die Finanzkrise und das Comeback von Gerhard Schröder
(17. September 2008)
Der Putsch der SPD-Rechten und die Rolle der Linkspartei
( 13. September 2008)
Führungswechsel in der SPD: Putsch der Partei-Rechten
( 9. September 2008)
Der Streit in der SPD verschärft sich
( 5. September 2008)
Die SPD in der Zerreißprobe
( 16. August 2008 )
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