Hessen: Warnstreik im öffentlichen Dienst

Streikkundgebung in Frankfurt am Main

In einem 24-stündigen Warnstreik legten am Mittwoch Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in ganz Süd- und Mittelhessen die Arbeit nieder. Zuvor war es schon in Niedersachsen, Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen zu größeren Warnstreiks gekommen. Nach Gewerkschaftsangaben waren bundesweit etwa 110.000 Arbeiter beteiligt.

Die erste Runde der aktuellen Tarifverhandlungen für über zwei Millionen Beschäftigte des Bundes und der Kommunen war am 13. März in Potsdam ohne Ergebnis abgebrochen worden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die gewerkschaftlichen Forderungen als „maßlos überzogen“ bezeichnet und kein eigenes Angebot vorgelegt.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert Lohnerhöhungen von einhundert Euro und 3,5 Prozent, eine Zulage für Praktikanten sowie eine Übernahmegarantie für Auszubildende. Am Donnerstag begann die zweite Verhandlungsrunde.

Vor zwei Jahren hatte die Gewerkschaft noch 6,5 Prozent und einen Mindestbetrag von 200 Euro gefordert. Das Ergebnis lag schließlich mit etwa drei Prozent pro Jahr ohne jeden Sockelbetrag nur knapp über der Inflationsrate und konnte die jahrelangen Reallohnkürzungen nicht ansatzweise ausgleichen. Zugleich wurden den Beschäftigten Urlaubstage gestrichen.

Für Verdi sind die Warnstreiks nur die Begleitmusik zu einem ähnlichen Deal mit den Arbeitgebern, der wahrscheinlich schon fertig in den Schubladen liegt. Mit den Streiks versucht die Gewerkschaft ihre Rolle als Co-Manager abzudecken und zugleich neue Mitglieder zu gewinnen. Denn Streikgeld bekommen im Falle einer Arbeitsniederlegung nur Gewerkschaftsmitglieder.

Demgegenüber sind viele Arbeiter nicht mehr bereit, dieses Lohndiktat zu akzeptieren. Sie fordern eine deutliche Verbesserung ihrer sozialen Lage, die durch Reallohnkürzungen, steigende Mieten und Preiserhöhungen in den letzten Jahren ständig schlechter wurde.

In Frankfurt am Main wurde der öffentliche Nahverkehr für eine halbe Million Pendler praktisch lahm gelegt. Bestreikt wurden U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse, und nur die zur Deutschen Bahn gehörenden S-Bahnen fuhren noch. Auch die Kitas, die Müllabfuhr, die Wasser- und Abwasserwerke, das Klinikum, die städtischen Bühnen und viele weitere Betriebe wurden bestreikt.

Streikende Arbeiter der Müllabfuhr FES

Auch zahlreiche Arbeiter der Stadtreinigung nahmen an dem Streik und einer Kundgebung teil. Wie einer von ihnen berichtete, reicht das Geld, das sie momentan für ihre Arbeit erhalten, zuweilen nicht bis zum Monatsende. Er habe netto knapp 1.200 Euro im Monat zur Verfügung, müsse aber allein schon für die Miete 550 Euro bezahlen. „Dabei hast Du noch Glück“, warf sein Kollege ein. „Eine Wohnung in Frankfurt, schon eine kleine Dreizimmerwohnung, kostet normalerweise das Doppelte. Was bleibt da noch zum Leben?“

Wütend waren auch die Erzieherinnen. Wie Marlene, die seit zwölf Jahren in einer städtischen Kita arbeitet, berichtete, erhalten die jungen Kolleginnen ein Einstiegsgehalt von ungefähr 2.200 Euro brutto. „Und das nach einer fünfjährigen Ausbildung!“

Nach jahrelangem Personalabbau werden in den Kitas immer mehr Stellen durch befristete Aushilfskräfte besetzt. Langjährige Kita-Erzieherinnen arbeiten daher oft unter gewaltigem Druck mit vielen Überstunden, um die Lücken zu stopfen, und werden äußerst schlecht dafür bezahlt.

Herr Steinmetz

Besonders übel wird den Betreuern behinderter Jugendlicher mitgespielt. Ein Beispiel dafür lieferte Herr Steinmetz, der 1.048 Euro netto im Monat verdient, während er allein für seine Miete schon 500 Euro bezahlen muss. Er arbeitet für den „Club Behinderter und ihrer Freunde – CeBeeF“, der mehrere hundert Beschäftigte hat. Nüchtern stellte Herr Steinmetz fest, dass die Höhe seines Lohnes „wohl durchaus üblich für Menschen ist, die an vorderster Front mit Behinderten arbeiten“.

Der CeBeeF ist als gemeinnütziger Verein auf Spenden der Stadt Frankfurt angewiesen und bekommt deren Sparpolitik drastisch zu spüren. Seit kurzem erhalten neu eingestellte Mitarbeiter keinen unbefristeten Arbeitsvertrag mehr.

Vor zwei Jahren stimmte Verdi in einem Tarifvertrag einer faktischen Lohnkürzung von zehn Prozent zu. „Und das ist noch nicht alles“, sagte Herr Steinmetz weiter. Der ehrenwerte Verein halte auch diese Vorgabe nicht ein: „Je nach Gutdünken kommt es vor, dass willkürlich noch weniger bezahlt wird, so dass wir im Schnitt etwa siebzig Prozent des Tariflohns erhalten.“

Hinten: Mitarbeiter des städtischen Klinikums Höchst

Zahlreich waren an diesem Mittwoch auch die Krankenpfleger und Krankenhausmitarbeiter der städtischen Kliniken am Streik beteiligt. Sie blicken in eine ungewisse Zukunft.

Seit das Klinikum Offenbach vor kurzem für einen Euro an einen privaten Betreiber verscherbelt wurde, kommt es dort zu Massenentlassungen. Das Klinikum Höchst wird mit den Main-Taunus-Kliniken zusammengelegt. Das erklärte Ziel, die Kliniken unter kommunaler Trägerschaft „wirtschaftlicher zu führen“, bedeutet für die Beschäftigten zwangsläufig Stellenabbau und Mehrbelastung.

Auf all diese katastrophalen Zustände und Arbeitsbedingungen konnten die Verdi-Redner keine Antwort geben. Sie selbst sind für diese Zustände, für Reallohnsenkung und Stellenstreichungen verantwortlich. Ihre pathetischen Worte von „guten Löhnen“, für die es zu kämpfen lohne, wirkten auf viele Arbeiter daher wie der reine Hohn.

Ein Team der Partei für Soziale Gleichheit verteilte in Frankfurt eine Erklärung der World Socialist Web Site über die aktuelle Krise in der Ukraine und die damit verbundene Kriegsgefahr. Wie es darin heißt, steht „die aggressive Außenpolitik in engem Zusammenhang mit der Verschärfung der Angriffe auf die Arbeiterklasse in Deutschland und ganz Europa. Seit der Finanzkrise 2008 diktiert Berlin der EU eine Spar- und Arbeitsmarktpolitik, die große Teile der Bevölkerung zwingt, zu sinkenden Löhnen immer härter zu arbeiten.“

Die Streikenden reagierten sehr positiv auf die Erklärung. Es sei gut, einmal etwas Genaueres über die Hintergründe des Ukraine-Konflikts zu erfahren. Eine Erzieherin sagte: „Es ist wirklich unheimlich, worauf wir hier in Deutschland – nein eigentlich weltweit – im Moment zutreiben.“

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