Deutsche Politiker greifen USA an

Die Enttarnung eines Spions, der interne Dokumente des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND gegen Bezahlung an die amerikanische CIA weitergab, hat zu ungewöhnlich scharfen Angriffen deutscher Politiker auf die USA geführt.

Letzten Mittwoch wurde ein 31-jähriger Mitarbeiter des Bundesnachrichtendiensts verhaftet, der noch in der Nacht zum Donnerstag bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ein umfängliches Geständnis ablegte. Am Freitag sickerten dann erste Informationen an die Presse durch.

Danach handelt sich bei dem Verhafteten um einen geh- und sprachbehinderten Mann, der in der Aktenverwaltung der BND-Abteilung „Einsatzgebiete/Auslandsbeziehungen“ in Pullach bei München gearbeitet hat. Er soll die US-Botschaft in Berlin Ende 2012 per Mail kontaktiert und ihr seine Dienste angeboten haben. Seither soll er mehr als 200 geheime Dokumente, die von „vertraulich“ bis „streng geheim“ eingestuft waren, gegen ein Entgelt von insgesamt 25.000 Euro an die CIA weitergegeben haben.

Anfangs hieß es, der Spion habe sich gezielt um Material über den NSA-Ausschuss des Bundestags bemüht, der die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste in Deutschland untersucht. Später verlautete, dies sei nicht der Fall; unter den weitergegebenen Dokumenten hätten sich lediglich zwei befunden, die auch für den Ausschuss bestimmt waren.

Entdeckt wurde der Spion angeblich durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, als er am 28. Mai in einer Mail dem russischen Konsulat in München ebenfalls seine Dienste anbot. Bereits am 10. Juni sei die zuständige Generalbundesanwaltschaft informiert worden. Der Spion sei aber danach noch mehrere Wochen lang beobachtet worden, um möglichen Hintermännern auf die Spur zu kommen. Am letzten Donnerstag, einen Tag nach der Verhaftung, sei dann auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Kenntnis gesetzt worden.

Die politischen Reaktionen in Berlin waren außerordentlich heftig. Noch am Freitag, unmittelbar vor dem offiziellen Empfang zum 4. Juli, dem amerikanischen Nationalfeiertag, zitierte das Außenministerium US-Botschafter John Emerson zu einem Gespräch.

Am Samstag warnte der Leiter des Außenressorts der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius: „Sollte sich bestätigen, dass ein amerikanischer Geheimdienst einen BND-Mitarbeiter als Doppelspion führte, dann schlittern Deutschland und die USA in eine politische Krise, für deren Beschreibung der Superlativ fehlt.“

„So also werden Bündnisse zerstört“, klagte der für seine pro-amerikanische Linie bekannte Kornelius. Um Schadensbegrenzung bemüht, forderte er die US-Regierung auf, sie müsse „nun öffentlich klären, in wessen Verantwortung und warum der deutsche Partner-Geheimdienst unterwandert wurde“, und „personelle Konsequenzen“ ziehen.

Andere Zeitungskommentare appellierten an die Bundesregierung, „endlich Schluss mit der katzbuckelnden Diplomatie gegenüber Washington zu machen“.

Die Bild-Zeitung berichtete über ein Papier des Innenministeriums, in dem von der „Planung von Gegenmaßnahmen“ die Rede sei. Bundesinnenminister Thomas de Maizière wolle in Zukunft die Kommunikation der USA und anderer verbündeter Staaten, wie Großbritannien und Frankreich, von deutschen Geheimdiensten überwachen lassen. Bisher seien Nato-Verbündete auf Anweisung des Kanzleramts nicht bespitzelt worden.

Am Sonntag meldete sich dann Bundespräsident Joachim Gauck zu Wort, der bisher zur NSA-Affäre geschwiegen hatte. Falls sich der Spionagevorwurf als wahr erweisen sollte, „dann ist das wirklich ein Spiel auch mit Freundschaft, mit enger Verbundenheit“, sagte er im ZDF-Sommerinterview. Dann müsse man sagen: „Jetzt reicht’s auch einmal.“

Außenminister Frank-Walter Steinmeier kommentierte das Geschehen aus der Mongolei. Falls die Vorwürfe zuträfen, „dann reden wir hier nicht über Kleinigkeiten“, sagte er. Er forderte die US-Regierung auf, „an einer schnellstmöglichen Aufklärung“ mitzuwirken“, und warnte: „Aus Eigeninteresse sollten die Vereinigten Staaten dieser Mitwirkungspflicht auch Folge leisten.“

Am Montag schloss sich Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Äußerungen an. Sie tat dies bezeichnenderweise während eines gemeinsamen Auftritts mit Li Keqiang, dem Ministerpräsidenten Chinas, des wichtigsten internationalen Rivalen der USA. Aus Peking warf sie den amerikanischen Geheimdiensten Vertrauensbruch vor und sprach von „einem sehr ernsthaften Vorgang“, der in einem klaren Widerspruch zu ihrer Auffassung von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit stehe.

Für sich betrachtet handelt es sich bei dem jetzt enttarnten Agenten eher um einen kleinen Fisch. Er übte beim BND keine Führungsfunktion aus, und auch sein Agentenlohn gilt in Geheimdienstkreisen als bescheiden. Außerdem arbeiten der BND und die amerikanischen Geheimdienste derart eng zusammen, dass man sich fragt, welche Geheimnisse er überhaupt verraten konnte.

BND-Präsident Gerhard Schindler hatte die Zusammenarbeit mit der NSA noch vor einer Woche als unabdingbar verteidigt, nachdem bekannt geworden war, dass der BND zwischen 2004 und 2007 große Mengen an Rohdaten, die er an einem Internetknoten in Frankfurt abzapfte, direkt an die amerikanische NSA weitergeleitet hatte.

Zwei frühere NSA-Mitarbeiter, Thomas Drake und William Binney, die am Donnerstag vor dem NSA-Ausschuss des Bundestags aussagten, beschrieben die Verbindung zwischen den beiden Geheimdiensten als derart stark, dass man den BND auch „als Wurmfortsatz der NSA“ bezeichnen könne. Drake warf dem BND vor, er habe den USA sogar Daten für tödliche Drohnenangriffe geliefert.

Auch im Vergleich zu den Überwachungsaktivitäten, die Edward Snowden enthüllt hat, nimmt sich der jüngste Fall eher bescheiden aus. Die NSA und andere US-Geheimdienste bespitzeln Millionen Menschen in Deutschland illegal, haben das Handy der Bundeskanzlerin abgehört und überwachen die Kommunikation im Regierungsviertel auch weiterhin. Trotzdem hat sich die Bundesregierung bisher stets bemüht, die Affäre herunterzuspielen.

Generalbundeswalt Harald Range weigert sich bis heute, ein Ermittlungsverfahren wegen der Massenüberwachung durch die NSA aufzunehmen, obwohl er von Amts wegen dazu verpflichtet wäre. Und Bundespräsident Gauck, der seine politische Karriere als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen begann, hat monatelang keine Silbe über die Überwachungsaktivitäten der NSA verloren, obwohl sie weit umfassender sind, als es die des DDR-Geheimdiensts jemals waren.

Die heftige Reaktion auf die Enttarnung eines kleinen Agenten hat tiefer liegende Gründe. Sie ist Anzeichen eines Richtungswechsels der deutschen Außenpolitik.

Seit dem Regierungsantritt der Großen Koalition Ende letzten Jahres werben Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck intensiv für eine aktivere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik und eine Wiederbelebung des deutschen Militarismus.

Es herrscht zwar Übereinstimmung, dass die Rückkehr zu einer aktiveren imperialistischen Außenpolitik Deutschlands nur mit und nicht gegen die USA erfolgen kann. Doch die objektive Logik dieser Politik führt zwangsläufig zu wirtschaftlichen und geopolitischen Interessenkonflikten.

Das Debakel der US-Politik im Irak hat den Ruf nach deutscher Führung deutlich lauter werden lassen. Auch den Konfrontationskurs der USA gegen China sehen deutsche Regierungs- und Wirtschaftskrise mit Sorgen. China zählt zu wichtigsten Märkten für deutsche Industrieprodukte und Investitionen. 2.500 Firmen aus Deutschland haben rund 40 Milliarden Euro in dem Land investiert.

Die US-Forderung nach Wirtschaftssanktionen gegen Russland lehnen deutsche Wirtschaftskreise ab. Die Frage spaltet außerdem die EU, und Deutschland kann sie nicht zusammenhalten, wenn es bedingungslos der amerikanischen Linie folgt. Während Polen und andere osteuropäische Staaten einen härteren Kurs gegen Moskau fordern, sind Italien, das soeben die EU-Präsidentschaft übernommen hat, Frankreich und andere Länder gegen einen solchen Konfrontationskurs.

Die österreichische Regierung hat Ende Juni sogar den russischen Präsidenten Waldimir Putin demonstrativ in Wien empfangen, um einen Vertrag über die South-Stream-Pipeline zu unterschreiben, die die USA mit allen Mitteln verhindern wollen.

Auch in den herrschenden Kreisen Deutschlands gibt es Auseinandersetzungen über das Verhältnis zu den USA. Unter dem Titel „Die Bündnisfrage“ stellt Der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe offen die Frage, ob nicht eine größere Distanz zu den USA und ein engeres Verhältnis zu Russland erstrebenswert wäre.

Das Nachrichtenmagazin hat eigens eine Umfrage in Auftrag gegeben, laut der viele Bundesbürger eine größere Unabhängigkeit von den USA und eine stärkere Zusammenarbeit mit Russland wollen. Es sei „vieles zusammengekommen in den vergangenen Jahren: der Irakkrieg, Guantanamo, die Exekutionen mit Drohnen, die Finanzkrise, die NSA, die Angst vor Google“, schreibt Der Spiegel.

Der Artikel tritt für eine aktivere geopolitische Rolle Deutschlands ein und behauptet: „Die Forderung nach mehr deutscher Verantwortung ist im Ausland einhellig.“ Und wenn Deutschland „dafür – wie jede Führungsmacht – scharf angegriffen“ werde, dann „gehört das eben dazu“.

Der Artikel gelangt zum Schluss, „sich aus der Westbindung zu lösen“ sei zwar „keine Option“, trotzdem könne sich „Deutschland von den USA unabhängiger machen“. Deutschland sei „flügge geworden in den letzten zwanzig Jahren. Es kann sich nicht mehr hinter anderen verstecken. Stattdessen kann Deutschland Europa zu einer eigenständigen politischen Rolle führen.“ Für Amerika werde ein solches Deutschland „vielleicht kein bequemer Partner sein, aber am Ende auch keine Bedrohung, sondern eine Entlastung.“

Das Letzteres nicht stimmt, zeigt schon die intensive Bespitzelung Deutschlands durch die USA, die der deutsche Innenminister nun beantworten will, indem er seinerseits die USA bespitzeln lässt. Die zunehmenden Spannungen zwischen Deutschland und den USA, die in zwei Weltkriegen gegeneinander kämpften, sind ein Ergebnis der tiefen Krise des globalen Kapitalismus, der die sozialen und nationalen Konflikte verschärft und unweigerlich in imperialistische Kriege führt.

Die einzige gesellschaftliche Kraft, die dies verhindern kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Sie darf sich weder dem Anti-Amerikanismus der deutschen und europäischen Bourgeoisie unterordnen, noch den imperialistischen Zielen der amerikanischen Bourgeoisie. Sie muss sich international zusammenschließen, dem wachsenden Militarismus gemeinsam entgegentreten und den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf für den Sozialismus verbinden.

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