Neues Gesetz zementiert Leiharbeit und Werkverträge

Das neue Gesetz der Bundesregierung zur Regelung von Leiharbeit und Werkverträgen ändert nichts an der Lage der weit über einer Million Arbeiter, die in diesen Bereichen zu Niedriglöhnen ausgebeutet werden.

Das Gesetz erfüllt im Wesentlichen zwei Aufgaben: Es stärkt die Rolle der Gewerkschaften und Betriebsräte, die sich beschwert hatten, dass sie die Kontrolle über die wachsende Unzufriedenheit in den Betrieben verlieren, wenn Arbeiter ohne ihre Mitwirkung zu völlig unterschiedlichen Bedingungen für dieselbe Arbeit eingesetzt werden. Die IG Metall hatte deshalb im vergangenen Herbst sogar Proteste organisiert. Und es verschafft den Unternehmen mehr Rechtssicherheit beim Einsatz von Arbeitern zu Niedriglöhnen.

„Metallarbeitgeber zufrieden mit neuen Regelungen“, titelte Die Zeit, nachdem Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Dienstagabend mit ihrem in der Regierung abgestimmten Gesetzesentwurf vor die Presse getreten war.

Nahles sagte, es werde „in Zukunft klare Regeln geben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer“. Sie scheute sich nicht einmal, das große Wort vom „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ in den Mund zu nehmen. Doch offenbar entspricht nichts davon den Tatsachen. Der genaue Wortlaut des Gesetzentwurfs ist zwar bisher auf der Website des Ministeriums für Arbeit und Soziales nicht zu finden, aber die Einzelheiten, die über DPA bekannt wurden, machen klar, dass kein Leiharbeiter davon profitieren wird.

Die Zeitarbeiter sollen künftig den gleichen Lohn erhalten wie ihre fest eingestellten Kollegen – allerding erst nach neun Monaten. Laut Arbeitsamtsstatistik endet fast jedes zweite Leiharbeitsverhältnis schon nach drei Monaten, was bedeutet, dass für weit über die Hälfte aller Leiharbeiter die Gleichbezahlung von vorneherein wegfällt.

Außerdem tritt die Regelung nur in Kraft, wenn die Zeitarbeitsfirma nicht einen eigenen Tarifvertrag hat und die bisher üblichen Branchenzuschläge bezahlt. Auch wurden die neun Monate Frist für das kommende Jahr 2017 auf fünfzehn Monate verlängert, da man den Unternehmern eine Übergangsfrist einräumen müsse.

Kein Zeitarbeiter soll dauerhaft in ein- und demselben Betrieb eingesetzt werden, lautet die nächste Regel. Demzufolge darf die Überlassungsdauer achtzehn Monate nicht überschreiten – allerdings ebenfalls nur unter bestimmten Bedingungen. So gilt die Regelung nur für Leihfirmen, die nicht schon in einem Tarifvertrag ihrer Branche einen längeren Zeitraum vereinbart haben.

Die IG Metall hat schon vor vier Jahren mit der Metall- und Elektroindustrie einen speziellen Tarifvertrag für Personaldienstleister abgeschlossen, in dem eine Lohngleichstellung erst nach 24 Monaten vorgesehen ist. Daran wird auch durch das neue Gesetz nicht gerüttelt. Öffnungsklauseln wird es sogar für Unternehmer geben, die sich an keinen Tarifvertrag halten: Sie können die Regeln umgehen, wenn sie mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung auf Betriebsebene abschließen.

Auch an den Werkverträgen wird das neue Gesetz kaum etwas ändern. Hier sollen vor allem die Informationsrechte der Betriebsräte gestärkt werden. Das führt zwar zu mehr gewerkschaftlicher Kontrolle, wird aber die Bedingungen der Arbeiter nicht verbessern. Gerade Werkverträge sind stark im Vormarsch. Nach Informationen der Gewerkschaft vergeben mehr als zwei Drittel aller Unternehmen, die einen Betriebsrat haben, heute auch Werkverträge.

Eine weitere Klausel soll ausschließen, dass Zeitarbeiter als Streikbrecher eingesetzt werden – allerdings auch hier nur unter bestimmten Bedingungen. Die Leiharbeiter dürfen zwar nicht genau die Arbeit der Streikenden übernehmen, sie dürfen allerdings ihre Arbeit auch während eines Streiks der Stammbelegschaft fortsetzen.

So wird jede einzelne Bestimmung durch die verschiedensten Wenn und Aber sofort konterkariert. Dadurch dient der Gesetzentwurf nicht dem Schutz der Leiharbeiter, sondern vor allem dazu, die Ungleichbehandlung, Hierarchie und Spaltung der Arbeiterklasse zu zementieren und gesetzlich festzuschreiben. „Ich will sie ja nicht verbieten“, so Nahles am Dienstagabend über Leiharbeit und Werkverträge.

Die Unternehmer- und Wirtschaftsvertreter und ihre Zeitungen jubeln über den Entwurf. Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, lobte die Einigung, denn sie lasse „den Tarifvertragsparteien die notwendigen Freiräume für tarifvertragliche Gestaltungen bei der Zeitarbeit“.

Die WirtschaftsWoche schreibt, in den Einzelheiten sei Nahles den Arbeitgeberinteressen weit entgegengekommen. Die Reform sei „ein Lehrstück über politische Kompromisse. Und eines über die höchst geschickte Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit der Arbeitsministerin noch dazu.“

Die Ministerin könne zwar dem Namen nach ihre Versprechen halten, aber: „Im Detail gibt es nun dennoch so viele Klauseln und Sonderregeln, dass die Arbeitgeber sehr gut mit dem Gesetz werden leben können, das für sie noch vor einigen Monaten so etwas wie der Leibhaftige in Paragrafenform war.“

Weiter heißt es dort, es sei bezeichnend, dass Gesamtmetallvertreter Zander, und nicht etwa der DGB, als erstes den neuen Entwurf öffentlich begrüßt habe. Sein Lob für die „notwendigen Freiräume“ bedeute „im Klartext: Arbeitnehmerüberlassung und die Ausgliederung von Tätigkeiten an Dienstleister per Werkvertrag bleiben ungefährdet. Die geschätzte Flexibilität am Arbeitsmarkt bleibt in der Praxis weitgehend erhalten.“

Der durchsichtige „Equal-Pay“-Auftritt von SPD-Ministerin Nahles vom Dienstagabend ist nicht zuletzt ein ziemlich verzweifelter Versuch, den miserablen SPD-Umfragewerten entgegenzuwirken. Die jüngste Umfrage von INSA hatte den Sozialdemokraten am Montag noch 19,5 Prozent bescheinigt. Mit dem Gesetzentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen versucht die SPD, ihre eigenen Spuren zu verwischen.

Die starke Ausweitung von Niedriglohnsektor und Leiharbeit ist eine direkte Folge der „Agenda 2010“ der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Der VW-Manager Peter Hartz, ein IG-Metall-Mitglied, hatte damals die nach ihm benannten „Reformen“ entworfen, die die gesetzlichen Schranken für Leiharbeit beseitigten und Arbeitslose zu Sozialhilfeempfängern degradierten, die zur Aufnahme jeder Arbeit gezwungen sind. An den Beschlüssen der Hartz-Kommission waren auch die DGB-Gewerkschaften maßgeblich beteiligt.

Die World Socialist Web Site schrieb damals im September 2002: „Die Folgen dieser massiven staatlichen Förderung von Niedriglohnarbeit sind leicht abzusehen. Firmen werden reguläre Arbeitsplätze abbauen und ‚Ich-AG's‘ oder billige Leiharbeiter anheuern.“

Später erklärte das Bundesarbeitsgericht einen Teil der Niedriglöhne für rechtswidrig, worauf die Werkverträge immer stärker zur bevorzugten Form des Lohndumpings wurden. Infolgedessen kam es unter anderem in der Bau- und der Fleischverarbeitungsindustrie zu skandalösen Zuständen.

In den letzten Jahren haben sich die ungesicherten Arbeitsverhältnisse in Deutschland wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet. „Die Anzahl der Leiharbeitnehmer“, so die Arbeitsamtsstatistik vom Januar 2016, wachse „mit hoher Dynamik“. Dieser Statistik zufolge waren bereits vor einem Jahr 961.000 Leiharbeitsverhältnisse gemeldet. In diesen Zahlen sind andere Bereiche des Niedriglohnsektors noch gar nicht berücksichtigt.

Eine Erhebung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) kam 2014 zum Schluss, dass jeder vierte Arbeitnehmer in Deutschland in Teilzeit, als Leiharbeiter, als Mini-Jobber oder auf einer befristeten Stelle arbeite. Der entsprechende Anteil der Beschäftigten sei in zehn Jahren von 19 auf 24 Prozent gestiegen. Bei dreißig Millionen abhängig Beschäftigten sind das 7,5 Millionen sogenannte „atypische Beschäftigte“. Und die moderne Sklaverei weitet sich rasant aus.

Seit einiger Zeit sind die SPD und die deutsche Regierung bemüht, die Segnungen der „Agenda 2010“ auch auf Frankreich auszuweiten. Vor zwei Jahren besuchte Peter Hartz den französischen Präsidenten François Hollande und dessen Regierung im Elysée-Palast, um sie bei ihrer Arbeitsmarktreform zu beraten. Das Ergebnis ist das El-Khomri-Gesetz, das die sozialistische Regierung von Manuel Valls nun per Notverordnung gegen Massenproteste durchsetzt.

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