Der Nato-Gipfel in Warschau und das Erstarken des deutschen Militarismus

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 hatte Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) verkündet, Deutschland sei „zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“ und müsse sich „außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einbringen“. Der Nato-Gipfel in Warschau am vergangenen Wochenende machte deutlich, mit welcher Aggressivität die Bundesregierung diesen Anspruch seit zwei Jahren vorantreibt.

Bereits in ihrer Regierungserklärung vor dem Gipfel hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Übersicht über die Aufrüstungs- und Kriegspläne des deutschen Imperialismus gegeben. Neben der massiven Aufstockung des Verteidigungshaushalts verkündete die Kanzlerin u.a. ein stärkeres Engagement der Bundeswehr und der Nato im Irak, in Syrien, in Libyen, im Mittelmeer, in Afghanistan und in Osteuropa.

Merkel pries die zusätzlichen Einsätze und verkündete: „Die ganze Aufstellung der Bundeswehr spiegelt inzwischen die internationale Verantwortung Deutschlands wider.“ Am Ende ihrer Rede richtete sie unter dem Beifall der Abgeordneten „ein herzliches Dankeschön an unsere Soldatinnen und Soldaten […], die in vielen dieser Einsätze Dienst tun und damit unsere Sicherheit gewährleisten“.

In den Medien, die seit nunmehr zwei Jahren die Kriegstrommel rühren, wird die Rückkehr des deutschen Militarismus mittlerweile offen anerkannt. In einem Artikel mit der Überschrift „Vom verlässlichen Partner zum Impulsgeber“ schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Deutschland hat sich sicherheitspolitisch gewandelt [und] die Kultur politischer und militärischer Zurückhaltung auf[ge]geben, die über Jahrzehnte ein eingeübtes Verhaltensgebot der deutschen politischen Führung war.“

Sichtlich zufrieden bemerkt das Sprachrohr der deutschen Banken, dass Steinmeiers Leitsatz nun die offizielle außenpolitische Doktrin Deutschlands sei. „Während es im bislang gültigen, vor zehn Jahren formulierten Weißbuch noch hieß, Deutschland wolle ein 'verlässlicher Partner' in EU und Nato sein“, stelle der „künftige strategische Grundlagentext fest, Deutschland sei bereit, die globale Ordnung 'aktiv' mitzugestalten, es sei willens, sich 'früh, entschieden und substantiell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen'“.

Dann stellt der Autor Johannes Leithäuser fest, dass „dieser Rollenwechsel […] nicht bloß angekündigt“ sei, sondern „von der Bundesregierung schon in alle Richtungen praktiziert“ werde. Leithäuser geht durch die immer länger werdende Liste deutscher Interventionen: „Vor zwei Jahren fiel der Entschluss, die kurdischen Peschmerga-Kämpfer in ihrem Krieg gegen den Terror des „Islamischen Staats“ mit Waffen auszurüsten; vor sechs Monaten reagierten Merkel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier rasch auf französische Beistandsbitten und schickten Schiffe, Satelliten und Aufklärungsflugzeuge in den Kampf gegen den IS.“ Nun habe die Kanzlerin verkündet, „Deutschland werde auch dem Einsatz von Awacs-Aufklärungsflugzeugen der Nato über Syrien und dem Irak zustimmen“.

Noch deutlicher „als in Bezug auf die Krisen im Süden des Nato-Bündnisgebietes“ bilde sich „eine deutsche Führungsrolle“ in Osteuropa heraus. Bereits vor zwei Jahren, als die Nato „die ersten Schritte ihrer neuen strategischen Ausrichtung auf der Ostflanke beschlossen hatte“, habe sich die Bundesregierung bereit gezeigt, „deutsche Soldaten in großem Umfang einzusetzen, um das Konzept der vergrößerten und beschleunigten Nato-Eingreiftruppe zu testen“. Auch bei den Luftraum-Patrouillen über dem Baltikum engagiere „sich Deutschland in beträchtlichem Maße“.

Hinzu käme „ein multinationaler, im Wesentlichen aber von Deutschland und Polen besetzter Führungsstab in Stettin“, der in den vergangenen beiden Jahren so ausgestattet worden sei, „dass er alle möglichen militärischen Übungen und Operationen im östlichen Nato-Bündnisgebiet führen kann“. Und nun habe Berlin bei der Entsendung von Nato-Kampftruppen in die baltischen Staaten und in Polen „abermals frühzeitig die Bereitschaft [gemeldet], eines dieser Bataillone dauerhaft zu führen.“

Die rapiden Kriegsvorbereitungen gegen Russland führen zu Spannungen innerhalb der deutschen Elite. Vor allem Teile der SPD und der Linkspartei drängen auf eine größere Unabhängigkeit von den USA. Doch ungeachtet außenpolitischer Konflikte stimmen in der militärischen Aufrüstung und stärkeren Rolle der Bundeswehr alle überein.

Wie zugespitzt die Situation ist und wie weit die Kriegsverschwörung hinter dem Rücken der Bevölkerung bereits fortgeschritten ist, macht ein Essay in der aktuellen Ausgabe des Spiegel deutlich. Das Magazin zitiert den dänischen Nato-Offizier Jakob Larsen, der Anfang Juni erklärte: „Wir müssen wieder lernen, den totalen Krieg zu führen“.

Der Spiegel hatte vor kurzem noch selbst für einen Krieg gegen Russland getrommelt. Nun macht er darauf aufmerksam, „dass in Deutschland ein Aufruf zum totalen Krieg zuletzt 1943 in der Sportpalast-Rede von Propagandaminister Joseph Goebbels zu vernehmen war.“

Das Wort vom „totalen Krieg“ ist kein Zufall, sondern beschreibt das Szenario, auf das sich die Nato und die deutschen Eliten trotz der Katastrophen von zwei Weltkriegen tatsächlich wieder vorbereiten. Ein weiterer Artikel in der FAZ mit der Überschrift „Die Gesellschaft muss sich wieder schützen“ zeigt, wie systematisch die Kriegsvorbereitungen auf allen Ebenen der Gesellschaft vorangetrieben werden.

In Warschau hätten sich die Nato-Staaten in einer Erklärung darauf verständigt, „dass ihre Streitkräfte jederzeit auf die notwendigen zivilen Ressourcen zugreifen können, einschließlich Energie, Verkehr und Kommunikation“. Mit anderen Worten: parallel zur militärischen Aufrüstung soll auch das ganze zivile und gesellschaftliche Leben wieder militarisiert und auf Krieg vorbereitet werden.

Die FAZ beklagt, dass Deutschland wie die meisten anderen Nato-Staaten „seit den neunziger Jahren beim Zivilschutz massiv gespart“ hat. Während die Bundeswehr „immerhin an neue Herausforderungen angepasst“ wurde, sei der Zivilschutz „teilweise ersatzlos aufgelöst und zu einem Torso demontiert“ worden, urteile etwa Wolfram Geier, Abteilungsleiter für Risikomanagement und zugleich Vizepräsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Nun steht auch in diesem Bereich die Trendwende an. Unter Leitung des Bundesinnenministeriums hätten die zuständigen Ministerien und Behörden seit vier Jahren ein „Konzept der zivilen Verteidigung“ erarbeitet, das in einigen Wochen vom Bundeskabinett beschlossen werden soll. Der deutsche Zivilschutz werde „sich in den nächsten Jahren an die neue Bedrohungslage anpassen, insbesondere an hybride Kriegsführung. Unsere Überlegungen laufen parallel zu denen der Nato“, zitiert die FAZ erneut Geier.

„In den letzten Jahren ging es nur noch darum, wie die Bundeswehr zivile Stellen bei Naturkatastrophen unterstützen kann. Künftig müssen wir auch wieder in umgekehrter Richtung denken: wie zivile Stellen den Streitkräften helfen können, deren Aufgaben zu erfüllen.“ Das betreffe „dann etwa die Straßenverkehrsbehörden, wo man sich schon lange keine Gedanken mehr darüber gemacht hat, wie Truppen schneller transportiert werden können. Oder die Deutsche Bahn, die kaum noch Flachwagen besitzt, um Panzer zu befördern.“

„Militarismus bezeichnet die Vorherrschaft militärischer Wertvorstellungen und Ziele in der Politik und im gesellschaftlichen Leben“, heißt es in der aktuellen Auflage des von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Politiklexikons. 71 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur und der Katastrophe des letzten „totalen Kriegs“ wird das gesellschaftliche Leben wieder auf Krieg ausgerichtet.

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