Kaiser’s-Tengelmann – Es droht ein „zweites Schlecker“

Gestern Nachmittag gab es nochmals ein Spitzentreffen der Gewerkschaft Verdi mit den Chefs der Supermarktketten Kaisers Tengelmann, Edeka, Rewe, Norma und Markant.

Laut Verdi einigten sich alle Beteiligten darauf, die Sondererlaubnis von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Übernahme der Kette durch Edeka umzusetzen. Zunächst wurde aber nur eine Fristverlängerung vereinbart. Bis zum 17. Oktober wollen alle Beteiligten nach einer „einvernehmlichen Lösung“ suchen. Mit anderen Worten: Die Geheimverhandlungen der Gewerkschaft mit den Konzernvertretern gehen weiter. Bis zum 18. Oktober sei Stillschweigen vereinbart worden, berichtete Verdi.

Neben den Verdi-Vertretern und Tengelmann-Eigentümer Karl-Eriwan Haub nahmen auch die Chefs der Supermärkte von Rewe, Norma und Markant teil. Diese hatten gegen die Erlaubnis zur Komplettübernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka durch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt. Die Richter hatten das Vorhaben daraufhin vorläufig gestoppt. Damit der Weg für die Ministererlaubnis frei würde, müssten alle beteiligten Unternehmen ihre Beschwerden zurückziehen.

Milliardär Haub hatte vor zwei Wochen eine Frist bis zum 7. Oktober gesetzt – bis dahin müsse der gerichtlich blockierte Verkauf seiner Supermarktkette an Edeka möglich werden. Sonst beginnt die Zerschlagung, also der Einzelverkauf der Filialen, drohte er nach einer Aufsichtsratssitzung. Die meisten der 430 Standorte, für die kein Käufer zu finden sein wird, würden dann aller Voraussicht nach geschlossen, die Beschäftigten entlassen. Die knapp 16.000 Arbeiter und Arbeiterinnen fürchten daher zu Recht ein „zweites Schlecker“. Die Insolvenz der Schlecker-Märkte hatte damals auf einen Schlag 25.000 Beschäftigten – hauptsächlich Frauen – den Job gekostet.

Noch am Mittwochnachmittag und Donnerstagvormittag fanden in Nordrhein-Westfalen und Berlin große Betriebsversammlungen statt. Etwa 2000 Kaiser's Tengelmann Mitarbeiter des Bezirks Nordrhein versammelten sich in Viersen. Das dortige Logistikzentrum versorgt die 115 Filialen in NRW mit Waren. Bei einer Zerschlagung droht dem Warenverteilzentrum mit 200 Arbeitsplätzen genauso wie der Verwaltung mit 400 Stellen im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr und den Fleischwerken das Aus.

Die meisten Beschäftigten sind schon seit fast zwei Jahren in Sorge um ihre Zukunft. Auf Schildern drücken sie ihren Unmut und ihre Sorgen aus. „Wir wollen nicht zum Sozialfall werden“, heißt es auf einem Schild, „Wir brauchen unseren Arbeitsplatz!“, „Es geht um Existenzen von Familien!“ und „Was ist wichtiger: Markt oder Menschen?“ auf anderen.

Tagesschau.de lässt Andreas Kersting zu Wort kommen. Der 55-jährge Einzelhandelskaufmann arbeitet seit 38 Jahren bei Kaiser's Tengelmann in verschiedenen Funktionen, gerade als Verkäufer und an der Kasse. „Meine größte Sorge ist: Findet man in dem Alter noch einen Job? Die Konkurrenz stellt auch nur junge Menschen ein, die sind billiger. Ich arbeite seit meinem 16. Lebensjahr. Wenn ich jetzt arbeitslos würde, ich wüsste gar nicht wie das alles funktioniert mit dem Arbeitsamt.“

Auch bei den Berliner Beschäftigten ist die Angst um ihre Arbeitsplätze groß. Noch am gestrigen Vormittag waren 2500 von ihnen ins Estrel-Hotel im Stadtteil Neukölln zur Betriebsversammlung gekommen. Auch hier schwankt die Stimmung zwischen Bangen und Hoffen. „Ob wir von Edeka übernommen oder zerschlagen werden – ich hoffe, dass es eine soziale Lösung gibt“, sagt eine Mitarbeiterin dem Tagesspiegel.

Der Berliner Betriebsratsvorsitzende Volker Bohne hatte auch Bürgermeister Michael Müller (SPD), Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) eingeladen. Aber keiner kam. Ein Lagerarbeiter, der seit 30 Jahren für Kaiser’s arbeitet, ist „entsetzt“. Er berichtet, dass manche der Kollegen fix und fertig seien. Wenn Kaiser’s zerschlagen werde, würden die Lagerarbeiter zuerst entlassen werden, fürchtet der Mann wie seine Kollegen in Viersen. „Wenn die Ministererlaubnis nicht klappt, bin ich arbeitslos.“

Der Hauptgrund für die Verzweiflung vieler Beschäftigter besteht darin, dass Verdi sich strikt weigert einen ernsthaften Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu führen. Wie vor vier Jahren bei Schlecker versucht die Gewerkschaft die Beschäftigten bis zum letzten Moment ruhig zu halten und auf Bettelschreiben an die Konzernherren zu beschränken. Auf der Betriebsversammlung in Berlin wurde eine Resolution abgestimmt, in der die Chefs von Rewe, Markant und Norma aufgefordert werden, ihre Klage gegen die Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka zurückzuziehen.

Doch auch wenn jetzt noch Kaiser’s Tengelmann von Edeka übernommen werden sollte, würde das einen massiven Arbeitsplatzabbau nach sich ziehen. In Viersen erklärte der Geschäftsführer von Kaiser's Tengelmann, Raimund Luig, 2016 habe das Unternehmen „enorme Verluste gemacht, die Umsätze sind weiter gesunken und der Wettbewerbsdruck durch die Discounter steigt.“

Die Rollen in diesem abgekarteten Spiel sind klar. Jeder, der steinreichen Eigentümer verteidigt seine Profite und stützt sich dabei auf Verdi. Unternehmenschef Haub versucht durch den Verkauf seiner Supermarktkette, sich von deren Verlusten zu befreien. Wenn Kaiser’s Tengelmann zerschlagen wird, streicht er hohe Summen für die rentablen Märkte ein, allen voran für die beiden in Berlin und München, die als „Filetstücke“ gelten. Sollte Edeka zum Zuge kommen, hätte Edeka die Aufgabe, gemeinsam mit Verdi die Schließung der unrentablen Filialen durchzusetzen. Zusätzlich hofft Milliardär Haub, dass die profitablen Filialen dann in die Edeka-Tochter Netto eingebracht werden. An Netto ist Haub nämlich wiederum selbst beteiligt.

Egal wie der Deal ausgeht, er richtet sich gegen die Beschäftigten. Hinter den Kulissen hat Verdi offenbar schon Bedingungen für den kommenden Arbeitsplatzabbau abgesteckt. So verkündete der Betriebsrat auf der Versammlung in Viersen, dass schon die Zahlung von Abfindungen und eine sechsmonatige Lohnfortzahlung vereinbart seien.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel geht es nicht um die Interessen der Kassiererinnen oder anderer Arbeiter von Kaiser’s Tengelmann. Er will den Einfluss der Gewerkschaft stärken. Greift die Ministererlaubnis, sind für die nächsten fünf Jahre alle Entscheidungen über Kaiser’s-Tengelmann-Filialen und deren Beschäftigten an die Zustimmung der Verdi- und NGG-Betriebsräte geknüpft. Gabriel plant den Gewerkschaften den Rücken zu stärken, weil er sie als wichtige Partner einer möglichen rot-rot-grünen Regierung sieht, die die Politik des Sozialabbaus und der militärischen Aufrüstung fortsetzen wird, die vor 15 Jahren mit der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder begonnen wurde.

Verdi wiederum steht in allen Fällen den Eigentümern beiseite – ganz egal, wie sie letztlich heißen werden. Nach der ersten geheimen Verhandlungsrunde zwischen Verdi, Haub, Edeka-Chef Marius Morsa und Rewe-Chef Alain Caparros am 22. September schrieben wir: „Diese Geheimverhandlungen sind Teil der Gewerkschaftsbemühungen den besten Weg für den Arbeitsplatzabbau zu finden und die Betroffenen so lange wie möglich ruhig zu halten. Verdi hat die Aufgabe übernommen, die reibungslose Abwicklung von Kaiser’s Tengelmann gegen die Mitarbeiter durchzusetzen.“

Seit Jahren verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen im gesamten Einzelhandel. Die wachsende Konkurrenz wird dabei gnadenlos auf die Beschäftigten abgewälzt, stets mit der Unterschrift von Verdi.

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