Perspektive

Mubaraks Freilassung und die Lehren der ägyptischen Revolution

Am gestrigen Freitag wurde der ehemalige ägyptische Diktator Hosni Mubarak offiziell aus der Haft entlassen. Provokativ ließ sein Anwalt mitteilen, der 88-Jährige habe das Militärkrankenhaus im Kairoer Stadtteil Maadi verlassen und am Freitagmorgen im Haus seiner Familie im Osten der ägyptischen Hauptstadt mit einigen Freunden gefrühstückt.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist endgültig. Anfang März hatte das Oberste Gericht des Landes Mubarak vom Vorwurf freigesprochen, eine Mitschuld am Tod von mehr als 800 Demonstranten zu tragen, die in den ersten Tagen der ägyptischen Revolution durch seine Sicherheitskräfte ums Leben kamen. Bevor Mubarak am 11. Februar 2011 nach 18-tägigen Massenprotesten gestürzt wurde, hatte er mit Unterstützung der imperialistischen Mächte 30 Jahre lang mit eiserner Faust regiert.

Mubaraks Freilassung symbolisiert die konterrevolutionäre Entwicklung in Ägypten seit dem blutigen Militärputsch am 3. Juli 2013 gegen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi. Fast vier Jahre später haben die neuen vom Westen protegierten Militärmachthaber in Kairo ihren ehemaligen Führer vollständig rehabilitiert und unterdrücken die ägyptischen Massen mit noch brutaleren Methoden.

Die Junta des in den USA ausgebildeten Generals Abdel Fatah al-Sisi hat mindestens 40.000 Regimegegner eingekerkert und mehr als 1.000 zum Tode verurteilt. Kurz nach dem Putsch fand das laut Human Rights Watch „schlimmste Ereignis ungesetzlicher Massentötungen in der modernen Geschichte Ägyptens“ statt. Armee und Polizei stürmten zwei Protestcamps von Putschgegnern und töten mehr als 1.000 Personen, darunter viele Frauen und Kinder.

Wie ist es möglich, dass sechs Jahre nach der ägyptischen Revolution scheinbar nichts mehr von ihr übrig ist und sich mit Mubarak sogar wieder das hässliche Gesicht des alten Regimes in Freiheit zeigen kann? Wer trägt dafür die politische Verantwortung und was sind die politischen Lehren und Aufgaben für die kommenden Klassenauseinandersetzungen?

Der Schlüssel zur Antwort auf diese zentralen Fragen, vor denen die Arbeiterklasse in Ägypten und international steht, liegt im Studium der Russischen Revolution. In seinem Vortrag mit dem Titel „Weshalb die russische Revolution studieren?“ erläuterte der Chefredakteur der World Socialist Web Site, David North, am 5. März die entscheidende Voraussetzung für den Sieg der Bolschewiki:

„Die Bewegung der russischen Arbeiterklasse, die von einem revolutionären Aufstand der Bauernschaft unterstützt wurde, nahm 1917 gigantische Dimensionen an. Und doch erweist es sich bei realistischer Betrachtung der Ereignisse jenes Jahres als ausgeschlossen, dass es der Arbeiterklasse ohne die Führung der Bolschewistischen Partei möglich gewesen wäre, die Macht zu erobern. Als wesentliche Bilanz aus dieser Erfahrung erklärte Trotzki später: ‚Die Rolle und die Verantwortung der Führung in einer revolutionären Epoche ist enorm.‘ Diese Schlussfolgerung ist in der heutigen historischen Situation ebenso gültig wie 1917.“

Die ägyptische Revolution war zweifellos ein gigantischer revolutionärer Aufstand und die Arbeiterklasse die treibende Kraft. Am 25. Januar 2011 strömten in der ägyptischen Hautstadt Kairo und anderen zentralen Industriestädten zum ersten Mal Zehntausende auf die Straßen. Am 28. Januar, dem sogenannten „Freitag des Zorns“, bezwangen die immer größer werdenden Massen dann in Straßenschlachten Mubaraks notorische Sicherheitskräfte. In den folgenden Tagen demonstrierten in ganz Ägypten Millionen. Am 7. und 8. Februar brach eine Welle von Streiks und Fabrik-Besetzungen im gesamten Land los, die Mubarak den entscheidenden Schlag versetzte.

Und auch nach dem 11. Februar entwickelte sich die Arbeiterklasse weiter zur entscheidenden revolutionären Kraft. In den Tagen unmittelbar nach Mubaraks Sturz gab es 40 bis 60 Streiks pro Tag, allein im Februar 2011 waren es so viele wie im ganzen Jahr 2010. In den Jahren 2012 und 2013 stiegen die Streiks und sozialen Proteste noch weiter an. Was in Ägypten, anders als in Russland, jedoch fehlte, war eine politische Führung mit einem revolutionären Programm.

Die World Socialist Web Site warnte Arbeiter von Anbeginn der Revolution vor Illusionen in den demokratischen Charakter der Bourgeoisie. Am 1. Februar 2011 schrieb David North in einer Perspektive:

„Wie stets in den ersten Stadien einer revolutionären Erhebung sind die vorherrschenden Losungen allgemein demokratischer Natur. Die herrschenden Eliten, die sich am Rande des Abgrunds wähnen, versuchen verzweifelt, so viel wie möglich von der alten Ordnung zu retten. 'Reform'-Versprechen kommen rasch über ihre Lippen. [...]

Doch eine demokratische Einheit […] kann der Arbeiterklasse, der armen Landbevölkerung und den breiten Schichten von Jugendlichen, die auf die Straße gegangen sind, nichts bieten. Die dringenden Bedürfnisse der breiten Massen der ägyptischen Gesellschaft können nicht erfüllt werden ohne eine umfassende Umwälzung der existierenden Eigentumsverhältnisse und die Übernahme der politischen Macht durch die Arbeiterklasse.“

Die strategische Perspektive, die zur Machteroberung der russischen Arbeiterklasse im Oktober 1917 führte, war die von Leo Trotzki entwickelte Theorie der permanenten Revolution. Sie besagt, dass die demokratische Revolution in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung nur durch die Machteroberung der Arbeiterklasse und als direkter Bestandteil der sozialistischen Revolution verwirklicht werden kann. Und, dass der Sieg der Revolution in einem Land nur auf der Grundlage einer internationalen Strategie zur Vereinigung der Arbeiter weltweit möglich ist.

In der ägyptischen Revolution hat sich die Theorie der permanenten Revolution im Negativen bestätigt. Alle Teile der Bourgeoisie haben sich in den unterschiedlichen Etappen der Revolution als Kräfte der Konterrevolution erwiesen, die mit dem Imperialismus kollaborieren und die gleichen grundlegenden Klasseninteressen verteidigen wie das Militär. Das gilt für die mittlerweile wieder verbotene Muslimbruderschaft genauso wie für „liberale“ bürgerliche Parteien oder Nasseristische Strömungen. Etwa Mohamed El Baradeis Nationale Vereinigung für den Wandel oder die Popular Current Hamdeen Sabahis.

Die korruptesten Tendenzen, die dem Militär und den bürgerlichen Kräften in die Hände spielten, waren kleinbürgerliche pseudolinke Gruppierungen wie die Revolutionären Sozialisten (RS), die international mit der International Socialist Organization in den USA, der Socialist Workers Party in Großbritannien, Syriza in Griechenland oder Teilen der Linkspartei verbunden sind. In jeder Phase der Revolution spielten sie die Rolle, die Arbeiterklasse der einen oder anderen Fraktion der Bourgeoisie unterzuordnen.

Unmittelbar nach Mubaraks Sturz schürten die RS Illusionen in dessen Generäle und behaupteten die Militärjunta unter der Führung Muhammed Tantawis würde soziale und demokratische Reformen durchführen. Als der Massenwiderstand gegen das Militär zunahm, unterstützten sie die Muslimbruderschaft. Sie propagierten die Islamisten als „rechten Flügel der Revolution“ und riefen zur Wahl von Mursi in den Präsidentschaftswahlen auf. Als Mursi gewann, feierten sie dies als „Sieg der Revolution“ und „großen Erfolg gegen die Konterrevolution“.

Als 2013 schließlich neue Massenproteste gegen Mursi ausbrachen, schwenkten sie wieder zurück hinter das Militär. Sie bezeichneten die vom Militär und den Geheimdiensten finanzierte Tamarod-Allianz als „Weg zur Vervollständigung der Revolution“. Den Militärputsch, der die Grundlage für al-Sisis konterrevolutionäres Terrorregime legte, nannten sie zumindest anfänglich eine „zweite Revolution“.

Nun fürchten die RS, dass die Unterdrückung der Junta und die wachsende soziale Katastrophe einen neuen revolutionären Aufstand der Arbeiter auslösen könnte. In einem aktuellen Statement rufen sie dazu auf, „den sozialen und politischen Widerstand gegen das Regime und seine Politik wiederaufzubauen“ und ein Bündnis „aus politischen Organisationen, Gewerkschaften, Jugend- und Studentenorganisationen und politischen Fronten“ zu schmieden, „welches die Kräfte der Revolution vom 25. Januar vereine“. Mit anderen Worten, sie setzen ihre katastrophale Politik fort.

Die Hauptfrage der ägyptischen Revolution bleibt der Aufbau einer ägyptischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und die Verankerung der Perspektive der permanenten Revolution in der ägyptischen Arbeiterklasse. Das Studium der russischen Revolution dient dabei der Vorbereitung neuer revolutionärer Kämpfe der Arbeiterklasse in Ägypten und weltweit.

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