Serbische Fiat-Arbeiter beschließen Fortsetzung des Streiks

Am Montag beschlossen die Arbeiter des serbischen Fiat-Werks mit großer Mehrheit die Fortsetzung ihres Streiks.

Eine konzertierte Aktion von Regierung, Fiat-Management und Gewerkschaftsführung der großen Dachverbände, um den Streik zu beenden, war am Wochenende fehlgeschlagen.

Seit dem 27. Juni streiken rund 2000 Arbeiter des Fiat-Chrysler-Werks (FCA) in Kragujevac, dem größten Industriestandort Serbiens, für eine Lohnerhöhung von 316 auf 416 Euro im Monat, gegen Arbeitshetze und Entlassungen.

Am Wochenende hatte das Streikkomitee trotz Opposition vieler Arbeiter einer 24-stündigen Streikpause zugestimmt. Doch als die Nachricht durchsickerte, dass Fiat bereits am Dienstag Produktionseinschränkungen und 320 Entlassungen beschließen wolle, stimmten am Montag beide Schichten mit 97 Prozent dafür weiter zu streiken und Unterstützung für ihren Kampf in der Bevölkerung zu mobilisieren. Bei der Pressekonferenz Montagabend kündigte Streikleiter Zoran Marković eine Demonstration am Dienstag und eine große Kundgebung mit Arbeitern anderer Betriebe am Mittwoch an.

Die Entschlossenheit der Arbeiter löste ein Trommelfeuer von giftigen Angriffen auf die Streikenden aus. Wenn die Arbeiter nicht innerhalb von 72 Stunden den Streik beenden, drohten Regierungsvertreter, werde Fiat seine Exit-Strategie einleiten und den Betrieb letztlich schließen und vielleicht nach Polen verlagern.

Die serbische Regierung, die für ihre extrem arbeiterfeindliche Politik verhasst ist, hat mit dem Fiat-Chrysler-Konzern noch einen Vertrag bis 2018 und besitzt an dem ehemaligen „Zastava“-Werk, das Fiat 2008 übernommen hatte, Anteile von 33 Prozent.

Die Arbeiter seien schuld an der Gefährdung von 10.000 Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie, schimpfte der serbische Arbeitsminister Zoran Djordjević in der Boulevard-Zeitung Blic. Die Arbeiter müssten begreifen, wie sehr sie die Investoren abschrecken und dabei sich selbst und dem Land schaden. Sie sollten „mehr Liebe für ihr Land“ zeigen, so Djordjević, der bis Juni noch den Posten des Verteidigungsministers bekleidete.

Auch Präsident Aleksandar Vučić forderte im TV-Sender B92 mehr „Loyalität der Beschäftigten gegenüber ihrer Firma“, um Investoren anzuziehen. „Ich flehe die Arbeiter an“, so Vučić: „Sie sollten sich ihre eigene und unsere Lage klarmachen, sie sollten sich die Lage Serbiens klarmachen.“

Regierungschefin Ana Brnabić, erst seit Juni im Amt und eifrige Verfechterin der rechten Politik von Präsident Vučić, erklärte arrogant, ihre persönlichen Appelle an das Streikkomitee seien missachtet worden. „Deshalb spreche ich direkter zu den Arbeitern.“ Es sei unvernünftig und unverständlich, dozierte die 42-jährige Wirtschaftsabsolventin amerikanischer und britischer Universitäten, die Produktion gerade in einer Zeit zu stoppen, in der der Absatz in Serbien produzierter Fahrzeuge in die EU steige. Dass ein Streik gerade dazu da ist, den Arbeitgeber merklich zu treffen, hat sie wohl noch nie gehört.

Das serbische Regierungspersonal gehört sämtlich zu einer korrupten Aufsteigerschicht, die seit der Auflösung Jugoslawiens Politik und Wirtschaft dominiert. Was sie alle vereint, ist eine Mischung aus Unterwürfigkeit gegenüber den imperialistischen Eliten der EU und der USA, aggressiver Feindschaft gegen die Arbeiterklasse und rückständigem serbischen Nationalismus. In Zusammenarbeit mit der EU hat diese Politikerkaste Serbien in ein Steuerparadies und Reservoir von billigen Arbeitskräften verwandelt. Auch der Fiat-Konzern erhielt großzügige Fördermittel, weitgehende Steuerbefreiung und Landgeschenke.

Die Löhne für serbische Autoarbeiter liegen im Durchschnitt mit 2,25 Dollar pro Stunde (knapp 2 Euro) niedriger als in China, wo Autoarbeiter immerhin 5 Dollar (etwa 4,30 Euro) pro Stunde verdienen. Mit einem Monatslohn von wenig mehr als 300 Euro (38.000 Dinar) sind die serbischen Fiat-Arbeiter die billigsten in Europa und gehören auch weltweit zu den günstigsten Arbeitskräften. Im Jahr 2015 lagen nach Recherchen des Wall Street Journal die Löhne nur noch in Indien (1,09 Dollar) und Mexiko (1 bis 3 Dollar) niedriger, schreibt die Belgrader Zeitung Danas.

Diese Bedingungen von extremer Ausbeutung haben die serbischen Regierungen seit den 90er Jahren mit Hilfe der Gewerkschaftsverbände durchgesetzt, deren Spitzenfunktionäre selbst mit den verschiedenen korrupten Politikern verbunden sind und die eng mit den deutschen, italienischen und anderen europäischen Gewerkschaften zusammenarbeiten.

Mit kaum zu überbietendem Zynismus brachte ihre Rolle der Vorsitzende der Bergarbeitergewerkschaft, Milan Djordjevic, am Montag auf den Punkt.

„20 Tage Streik sind zu viel“, dröhnte er. Die „Kollegen von Fiat“ sollen den Streik stoppen und sich nicht über ihre Arbeit beschweren. Stattdessen sollen sie sich ein Beispiel an den Bergarbeitern nehmen. „Unsere Bergleute arbeiten 365 Tage bei Temperaturen bis zu 64 Grad untertage, um genug Kohle für den Betrieb unseres Kraftwerks zu fördern. Das ist hart, aber die Bergleute haben gelernt zu arbeiten. Es reicht ihnen, genug Wasser zu haben“, so Djordjević.

Die beiden größten Gewerkschaftsverbände Serbiens sind der Samostalini Sindikat (SSSS; Bund der Unabhängigen Gewerkschaften), der aus der ehemaligen jugoslawischen Staatsgewerkschaft hervorgegangen ist, und die UGS Nezavisnost (Vereinigte Branchengewerkschaft Unabhängigkeit), die in den 90er Jahren im Zusammenhang mit den Protesten gegen den damaligen Regierungschef Slobodan Milosevic entstand und enge Beziehungen zu westeuropäischen Gewerkschaften pflegt. Beide Verbände gehören zum europäischen Gewerkschaftsverband EGB, sind pro-EU und prokapitalistisch und stehen der serbischen Regierung oder einzelnen Parteien nahe. Daneben gibt es eine Vielzahl von kleineren Gewerkschaften auf betrieblicher und Branchenebene.

Wie in vielen anderen Ländern Ost- und Südosteuropas, in denen nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime der Kapitalismus restauriert wurde, bricht sich jedoch in diesen Tagen der angestaute Widerstand gegen die immer unerträglicheren Lebensbedingungen Bahn. Vor wenigen Wochen legten die VW-Arbeiter im slowakischen Bratislawa die Arbeit nieder, und auch in Serbien entwickelt sich parallel zum Fiat-Streik eine Vielzahl von Konflikten.

So legten in der Haushaltsgerätefabrik Gorenje in Valjevo Hunderte Arbeiter die Arbeit nieder, um gegen drohende Entlassungen und für Lohnerhöhungen zu kämpfen. Die slowakische Geschäftsleitung des Werks einigte sich Dienstag auf Lohnerhöhungen und eine Verdopplung der Pauschale für ein warmes Mittagessen.

Vor einigen Tagen organisierten Bauarbeiter des Unternehmens Ratko Mitreovic in Belgrad einen spontanen Streik wegen verspäteter Lohnzahlungen. Gleichzeitig traten am Montag vier Arbeiter beim Goša-Eisenbahnwerk in einen Hungerstreik. Bereits im Frühjahr hatten die Arbeiter dieser Fabrik einen Streik begonnen, nachdem die Löhne bis zu 30 Monate nicht bezahlt worden waren und ein Arbeiter aufgrund dieser Situation Selbstmord begangen hatte. Der Hungerstreik sei ein Hilfeschrei, sagten die Arbeiter der TV-Sendung Insider. Vom Unternehmen und vom Staat bekämen sie immer nur die Antwort, sie sollten wieder zu arbeiten anfangen, obwohl sie noch keine Löhne bekommen haben.

Auch bei dem Werk des italienischen Schuh- und Textilunternehmens Geox in Vranje steigt die Wut der Belegschaft. Seit Jahren gibt es Beschwerden über gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen. Bei der jetzigen Hitze sind in den vergangenen zwei Wochen 23 Arbeiter am Arbeitsplatz zusammengebrochen.

„Es scheint, dass der Streik bei Fiat überall in Serbien die Unzufriedenheit der Arbeiter wachrüttelt, die bisher unter der Oberfläche rumorte“, schrieb die Zeitung Danas am 14. Juli.

Die Gewerkschaften haben auf diese Situation keine progressive Antwort, weil sie sämtlich die kapitalistischen Verhältnisse befürworten und die nationalen Grenzen als Rahmen ihrer Aktivitäten akzeptieren. Im Streikkomitee von Fiat, wo beide großen Gewerkschaftsverbände vertreten sind, kam es in der vergangenen Woche zu Streitereien, bei denen sich die Vertreter der beiden großen Gewerkschaften gegenseitig die Sabotage des Streiks vorwarfen.

Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) rufen die Arbeiter in den deutschen und europäischen Fabriken auf, die serbischen Arbeiter zu verteidigen und einen gemeinsamen Kampf gegen Billiglohnarbeit, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit aufzunehmen. Dazu müssen in den Betrieben hier wie dort neue, von den prokapitalistischen Gewerkschaften unabhängige Kampforganisationen geschaffen werden, die die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeuterei und eine vernünftig organisierte, demokratische, das heißt sozialistische Wirtschaftsordnung weltweit anstreben.

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