IG Metall heißt AfD auf Demonstration in Görlitz willkommen

Am Freitag demonstrierten knapp 5000 Arbeiter und Einwohner in Görlitz gegen die Schließung der beiden letzten großen Fabriken der Stadt. Während die Wut der Arbeiter enorm ist, setzt die IG Metall alles daran, die Abwicklung der Werke von Siemens und Bombardier geräuschlos über die Bühne zu bringen. Dabei arbeitet sie nicht nur mit der Linkspartei, der CDU und der SPD zusammen, sondern auch mit der AfD.

Schüler auf der Abschlusskundgebung auf dem Obermarkt

Als die Demonstrationszüge der Arbeiter von Siemens und Bombardier auf dem Obermarkt ankamen, auf dem sich bereits hunderte Schüler und Anwohner versammelt hatten, sprach als erster Redner der Bevollmächtigte der IG Metall Ostsachsen, Jan Otto. Er rief nicht zur Verteidigung aller Arbeitsplätze bei Siemens und Bombardier auf, sondern forderte „kreative Konzepte“, um die Standorte in Ostsachsen zu erhalten.

Die ganze Demonstration war sorgsam inszeniert, um echten Widerstand zu unterdrücken und die reaktionäre Politik der Gewerkschaft voranzubringen. Bei Bombardier durften sich nur die Festangestellten am Protest beteiligen. Die Leiharbeiter, die als erste von Entlassungen betroffen sind, mussten Dienst tun und die Fabrik am Laufen halten.

Viele mittelständische Unternehmen hatten ihre Betriebe geschlossen und die ganze Belegschaft aufgefordert, sich an der Demonstration zu beteiligen. Die Schüler der Stadt hatten offiziell frei bekommen, um auf dem Obermarkt zu demonstrieren. Trotzdem war die Beteiligung geringer als erwartet.

Der Demonstrationszug durch Görlitz

Der Demonstrationszug wurde unter anderem von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und dem CDU-Landtagsabgeordnete Octavian Ursu angeführt. Dulig sprach auch auf der Kundgebung und forderte gemeinsame Gespräche zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Parteien. „Die Vorstände können sicher sein, dass sie da ganz ernsthafte Gesprächspartner haben, um Lösungen zu bekommen.“

Solche gemeinsamen „Lösungen“ zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Parteien sind aus der Vergangenheit zu genüge bekannt. Zunächst werden im Namen der Standortverteidigung die Löhne gekürzt und massenhaft Arbeitsplätze abgebaut, anschließend werden die Rumpffabriken wie Opel in Bochum abgewickelt. Fruchtlose Trillerpfeifenproteste der Gewerkschaften bilden die Begleitmusik.

Am deutlichsten zeigte sich diese reaktionäre Ausrichtung der Gewerkschaften an Ottos Gruß an die AfD. In seiner Rede begrüßte er nicht nur Vertreter der CDU, der Grünen und der Linkspartei, sondern ausdrücklich auch den Bundestagsabgeordneten der AfD für Görlitz, Tino Chrupalla, da „alle Parteien hier zusammenstehen“, wie Otto sagte. Die Rechtsextremisten jubelten und entrollten prompt ein Transparent der Partei, das sie erst nach Protesten einer Gruppe Jugendlicher wieder einpackten. Im Vorfeld waren Parteifahnen vom Veranstalter untersagt worden.

Die IG Metall hatte die AfD schon im März auf einer Demonstration in Görlitz mitmarschieren lassen. Dass Otto sie nun offen willkommen heißt, verdeutlicht die nationalistische und arbeiterfeindliche Ausrichtung der Gewerkschaft. Sie ist zu jedem Bündnis bereit, um Widerstand und Streiks zu unterdrücken.

Chrupalla steht nicht nur für Flüchtlingshetze und Staatsaufrüstung, er vertritt auch ein extrem neoliberales Programm. Er will laut seiner Website „finanzielle Belastungen von Unternehmen abbauen“. In seiner ersten Bundestagsrede sprach er den Siemens-Konzern von jeder Verantwortung für die geplanten Entlassungen frei. Diese seien notwendig, weil der Konzern seinen Heimatmarkt verloren habe und deshalb international nicht mehr konkurrenzfähig sei.

Unter den Teilnehmern der Demonstration stieß die Koalition von allen Parteien, der Gewerkschaften und der Unternehmen auf breite Ablehnung.

Der 19-jährige Azubi Kai ist überzeugt, dass die Große Koalition, die gerade in Berlin gebildet wird, heftige Angriffe auf die Rechte der Arbeiter durchsetzen wird. Er arbeitet bei Siemens in der Endmontage und weiß nicht, ob er seine Ausbildung wird abschließen können.

Kai, Azubi bei Siemens

Zur Demonstration sagt er: „Es muss etwas gemacht werden, auch wenn es aussichtslos ist.“ Die Schließung der beiden Werke würde in der gesamten Region einen Dominoeffekt auslösen und in vielen Bereichen zu Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen führen.

Ein anderer Siemens-Arbeiter ist sich sicher, dass die Wut wächst. „Die IGM hat jede Glaubwürdigkeit verloren. Sie haben die Kürzungen durchgesetzt“, sagt er. Auch von der Großen Koalition erwartet er nur Verschlechterungen. „Das ist keine richtige Demokratie mehr.“ Die Parteien sollten sich darauf zurückbesinnen, wofür sie früher einmal gestanden hätten, meint er.

Mike ist einer der wenigen Leiharbeiter auf der Demonstration, auch wenn er sich wenig vom Aufmarsch verspricht. „Letztes Jahr hätten wir die Tore mal dicht machen müssen“, sagt der Bombardier-Arbeiter. Damals seien die Arbeiter mit dem Argument abgehalten worden, man habe jetzt einen Sonderauftrag, der unbedingt erfüllt werden müsse. Aber die Gewerkschaft mache eh nichts, wirft seine Frau ein, die mit zur Demonstration gekommen ist.

Seit der Wende habe es in Görlitz einen Niedergang gegeben. Viele Geschäfte und andere Betriebe seien von dem Arbeitsplatzabbau betroffen. „Die Traditionsbetriebe werden alle abgewickelt“, sagt er. Die soziale Schere gehe immer weiter auseinander. Man könne als einfacher Arbeiter gerade einmal die Grundkosten decken, aber nichts mehr zurücklegen oder sich etwas leisten.

Ein ehemaliger Leiharbeiter von Bombardier ist zur Demonstration gekommen, weil er nicht zulassen will, dass die Belegschaft gespalten wird. Er gibt ein Bild davon, wie sich über die Leiharbeit längst das Prinzip hire and fire durchgesetzt hat.

„Ich bin Industrieelektriker und habe auch noch Zusatzausbildungen gemacht, konnte aber bei Bombardier nur als Leiharbeiter unterkommen“, berichtet er. „Das war im Jahr 2015, als schlagartig 800 Arbeiter gebraucht wurden, weil Züge nicht fertig geworden sind. Am Anfang wurde gesagt, dass unsere Beschäftigung bis 2018 garantiert ist.“ Dann seien Teile von Zulieferern nicht rechtzeitig angekommen, und man habe die Leiharbeiter wieder auf die Straße gesetzt.

Merten ist seit neun Jahren Schweißer bei KSC, einem Zulieferer für Bombardier. Er bezweifelt, dass die IGM tatsächlich für die Arbeitsplätze kämpft. „Die tun so, als wäre alles offen, aber sie wissen schon, was passieren wird, weil sie es schon ausgehandelt haben.“ Er hat sein ganzes Leben in Görlitz und der Region verbracht und fürchtet, dass er umziehen muss, wenn er seinen Job verliert.

Merten reagiert positiv auf das Flugblatt, das die Sozialistische Gleichheitspartei auf der Demonstration verteilt hat, und begrüßt die Bildung von Aktionskomitees. „Solche Komitees müssen politisch unabhängig sein“, erklärt er. „Es kann nicht sein, dass Politiker zugleich Aufsichtsrats- und Vorstandsposten bekleiden. Die erhöhen ihre Diäten und die Arbeiter bekommen nichts.“ Die soziale Ungleichheit nehme immer krassere Formen an, die nicht zu akzeptieren seien.

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