Russland nach den Wahlen:

Oligarchie fordert „Reformen“ und Verhandlungen mit imperialistischen Mächten

Die russische Präsidentschaftswahl endete am vorletzten Sonntag mit einem klaren Sieg für den amtierenden Präsidenten Wladimir Putin. In seiner vierten Amtszeit kann er weitere sechs Jahre lang die volle Kontrolle über die russische Regierung ausüben.

Die Wochen vor der Wahl waren von der imperialistischen Kampagne rund um den Giftanschlag auf den Doppelagenten Skripal beherrscht. Sie läuft auf eine offene Provokation hinaus und geht mit dem Versuch einher, die russische Oligarchie in Bezug auf ihre Außen- und Wirtschaftspolitik unter Druck zu setzen.

Anfänglich war berichtet worden, die Wahlbeteiligung liege bei nur 60 Prozent, was die niedrigste Beteiligung an einer Präsidentschaftswahl seit 1991 gewesen wäre. Am Montagmorgen hatten russische Regierungsvertreter die Zahlen dann jedoch deutlich nach oben korrigiert, auf 67 Prozent, ohne eine weitere Erklärung dafür zu liefern. Laut dem endgültigen offiziellen Ergebnis erhielt Putin 76,7 Prozent der Stimmen, das entspricht ungefähr 56,4 Millionen Menschen. Das war deutlich mehr als bei der letzten Präsidentschaftswahl von 2012. Es ist bemerkenswert, dass Putin in Moskau und St. Petersburg etwa 70 Prozent der Stimmen erhielt. Diese beiden Städte, in denen sich die schmale Schicht aus oberem Kleinbürgertum und Oligarchie in Russland konzentriert, gelten als Hochburg der liberalen Opposition.

Der Multimillionär Pawel Grudinin, der für die stalinistische Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) kandidierte, gewann 13 Prozent. Der rechtsextreme Nationalist Wladimir Schirinowski erhielt 6 Prozent. Xenija Sobtschak, Sprachrohr jenes Teils des Kreml, der eine Verhandlungslösung mit dem US-Imperialismus anstrebt, erhielt trotz einer umfangreichen, breit angelegten Werbekampagne nur etwa 1,5 Prozent der Stimmen. Einige Pro-Putin-Kommentatoren bemerkten in beißendem Ton, das Ergebnis sei viermal niedriger als die Zahl ihrer Follower auf Instagram. Der Vorsitzende der liberalen Oppositionspartei Jabloko erhielt mit 0,9 Prozent noch weniger Stimmen.

Die Tatsache, dass Putin trotz der massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse und breite Schichten des Kleinbürgertums in den letzten Jahren die überwiegende Mehrheit auf sich vereinigen konnte, ist vor allem ein Ausdruck der tiefen Feindseligkeit gegenüber der liberalen Opposition. Diese „Opposition“ wird vor allem mit den schlimmsten sozialen Verbrechen der 1990er Jahre in Verbindung gebracht. Sie arbeitet mit imperialistischen Kräften zusammen, die versuchen, Russland einzukreisen und zu zerstückeln.

In deutlichem Gegensatz zu dieser Stimmung sieht derjenige Teil der Oligarchie, der Putin unterstützt, das Wahlergebnis jedoch in erster Linie als verbesserte Verhandlungsposition bei ihren verzweifelten Versuchen, eine Übereinkunft mit dem amerikanischen und europäischen Imperialismus zu erzielen. Für sie bedeutet das Wahlergebnis grünes Licht dafür, gerade die Politik der liberalen Opposition voranzutreiben, die bei der großen Mehrheit der russischen Bevölkerung auf Widerstand stößt. Das geht ganz deutlich aus einer Reihe von Kommentaren hervor, die nach der Wahl auf der Kreml-nahen Website Vzglyad und der eher wirtschaftsorientierten Nesawissimaja Gaseta erschienen.

So feierte Andrei Kolesnik, ein Duma-Abgeordneter der regierenden Partei Einiges Russland und ehemaliges Mitglied einer russischen Marinespezialeinheit, Putins Wahlsieg in einem Kommentar auf Vzglyad als Beginn des „Frühlings“ nach „vier Jahren kaltem Krieg“. Kolesnik zufolge ergibt sich jetzt die „Chance zur Versöhnung“. Er schreibt:

„Wir müssen Theresa May unseren ganz speziellen Dank aussprechen. In den zwei Wochen vor den Wahlen hat sie den russischen Wählern in überzeugender Weise gezeigt, wie erfolgreich Putin die Interessen seines Landes in der Außenpolitik verteidigt. Dieses machtvolle Vertrauensvotum gibt dem Westen zu verstehen: Es ist zwecklos, auf einen anderen, bequemeren Verhandlungsführer im Kreml zu warten. Und das bedeutet, dass der Zeitpunkt für eine Verständigung gekommen ist. Den westlichen Führern bietet sich jetzt eine wunderbare Gelegenheit, ihren Wählern ohne Gesichtsverlust zu erklären: Nicht jeder von uns mag Putin, wir mögen nicht alles an der russischen Politik – aber wir werden sie akzeptieren wie sie ist.“

„Ohne die Beteiligung Moskaus kann keines der globalen Probleme gelöst werden“, fährt Kolesnik fort. „Unsere Beziehungen sind in eine Sackgasse geraten. Und das bedeutet, wir sind gezwungen, einen Kompromiss zu finden. Und zwar erst recht, da Putin ein Mann ist, der (anders als viele seiner internationalen Partner) sein Wort hält. Mit ihm ist eine Einigung möglich.“

Die Nesawissimaja Gaseta war noch deutlicher. In einem Leitartikel räumte sie ein, dass die Wahl die überwältigende Feindschaft gegenüber der liberalen Opposition widerspiegle, die jetzt die Positionen einer extremen Minderheit vertritt. Daraus zieht sie den Schluss: „Jetzt jedoch, wo er den Auftrag der Wähler erhalten hat, wird Putin gezwungen sein, sich mit der aktuellen Tagesordnung zu befassen, deren Dringlichkeit von denjenigen besser verstanden wird, die die Wahl verloren haben. Mit anderen Worten, auf die eine oder andere Art und Weise muss er sich auf die Minderheit stützen, auf diejenigen, die für die Liberalen gestimmt haben oder gar nicht zur Wahl gegangen sind, oder diejenigen, die Putin unterstützen, aber erschrocken waren über den zweiten Teil seiner Rede [zur Lage der Nation]. Die Interessen der Minderheit zu berücksichtigen, bedeutet vor allem, die Bedingungen zu schaffen, damit sie zum Tragen kommen können. Dazu gehört auch die politische Ebene.“

Ein weiterer Kommentator auf Vzglyad, Petr Akopow, erklärte, dass „Putins neue Präsidentschaft eine Zeit der Veränderung sein wird, deren Dimension alles übertreffen wird, was er bisher getan hat“.

In seiner Rede zur Lage der Nation vom 1. März hatte Putin zunächst die imperialistischen Mächte mit einer gezielt kalkulierten Vorführung militärischer Stärke vor Russlands neu entwickelten Atomwaffen gewarnt. Danach hatte er angekündigt, dass er eine Reihe von Wirtschaftsreformen plane, die im Geiste der liberalen Opposition zum Ziel hätten, die Bedingungen für einen „freien Wettbewerb“ unter den Unternehmen zu schaffen und die Rolle des Staats in der Wirtschaft zurückzufahren. Mit anderen Worten, er kündigte an, dass er bereit sei, weitreichende Zugeständnisse an die Forderungen der liberalen Opposition und den Imperialismus zu machen, um die russische Wirtschaft noch viel weiter für ausländisches Kapital zu öffnen. Jegliches Zugeständnis in dieser Richtung wird mit massiven sozialen Angriffen auf die ohnehin verarmte Arbeiterklasse Russlands verbunden sein (siehe auch: Putins Rede zur Lage der Nation unterstreicht Krise der russischen Oligarchie).

Diese Entwicklung bestätigt die Warnungen der WSWS vor dem reaktionären Charakter der russischen Oligarchie als Ganzer. Sie ist aus der stalinistischen Bürokratie und der Zerstörung der Sowjetunion hervorgegangen, die sie gemeinsam mit den imperialistischen Institutionen und Regierungen betrieben hat. Deshalb ist die russische Oligarchie nicht unabhängig vom Imperialismus und ist es auch nie gewesen.

Wie die WSWS im Jahr 2000 aus Anlass des zweiten Tschetschenien-Kriegs des Kremls schrieb: „Aber die Bedrohung, die das Wachstum des US-Militarismus darstellt, kann nicht auf der Grundlage von großrussischem Nationalismus bekämpft werden, wie er von Putin und seinen Verbündeten im Militär aufgepeitscht wird. Jede Unterstützung für den Krieg durch die arbeitende Bevölkerung wird nur ihre Unterdrücker stärken und die Regierung selbst, mit deren Hilfe die internationalen Banken und Industriekonglomerate Russland beherrschen wollen. Das Ziel des Kremls in Tschetschenien ist, Russlands Stellung als Großmacht wieder durchzusetzen. Hierdurch würde seine Verhandlungsposition gegenüber den imperialistischen Regierungen und den westlichen Banken gestärkt und sein Recht auf Beteiligung an der Ausbeutung der russischen und kaukasischen Bevölkerung aufrechterhalten.“ (Siehe: Die politischen und historischen Fragen im Zusammenhang mit Russlands Angriff auf Tschetschenien.)

Während die imperialistische Einkreisung Russlands und die systematischen Versuche, es wirtschaftlich und politisch zu unterminieren, seither massiv zugenommen haben, ist die grundlegende Strategie der russischen Oligarchie um Putin dieselbe geblieben: Sie besteht darin, russischen Nationalismus anzuheizen und vorzugeben, „die Interessen des Landes“ zu verteidigen. Gleichzeitig versucht sie, in erster Linie ihre Verhandlungsposition gegenüber den imperialistischen Mächten zu stärken, um die Ausbeutung „ihrer eigenen“ Arbeiterklasse fortzusetzen und auszuweiten.

Der Kampf gegen die Gefahr einer imperialistischen Zerstückelung oder einer Invasion Russlands und eines neuen Weltkriegs kann nur im Kampf gegen alle Formen des russischen Nationalismus und gegen die Oligarchie geführt werden, einschließlich der Teile, die Putin vertritt. Das erfordert die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse auf sozialistischer Grundlage und, als Teil davon, den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Russland.

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