Große Koalition plant Altersarmut für Millionen

Die Große Koalition aus SPD und CDU-CSU hat sich in der Nacht von Dienstag, den 28. August, auf ein neues Rentenpaket geeinigt. Laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist es angeblich geeignet, „Stabilität und Sicherheit für das Rentenniveau“ zu garantieren. In Wirklichkeit verurteilt die Regierung damit Millionen von Menschen auf Jahre hinaus zur Altersarmut.

Das Thema war von Olaf Scholz (SPD) angestoßen worden. In einem Interview mit Bild am Sonntag hatte der Bundesfinanzminister und Vizekanzler gefordert, das aktuelle Rentenniveau bis 2040 festzuschreiben. „Tun wir das nicht, schlägt die Stunde der nationalistischen Populisten“, so Scholz. „Stabile Renten verhindern einen deutschen Trump.“

Allerdings waren solche Worte schon am nächsten Tag wieder vergessen. Offenbar hatte Scholz bloß versucht, die SPD im Hinblick auf die Landtagswahlen im Oktober in Bayern und Hessen ins Gespräch zu bringen. Die SPD ist seit ihrem katastrophalen Bundestagswahlergebnis vor einem Jahr noch weiter abgesunken und bewegt sich zurzeit in den Umfragen zwischen 17 und 19 Prozent.

Schon am Tag nach der Nachtsitzung beschloss das Kabinett mit den Stimmen der SPD, an der Rentenpolitik des Koalitionsvertrags festzuhalten. Dieser sieht bis 2025 eine staatliche Rente von gerade mal 48 Prozent des Durchschnittslohns vor, während der Beitragssatz bis zu zwanzig Prozent des Monatsverdienstes ansteigen darf.

Die Große Koalition ist entschlossen, nach 2025 die staatliche Rente systematisch abzusenken. Deshalb hat sie ausdrücklich darauf verzichtet, die Reichen über Steuererhöhungen zur Sicherung der Rente heranzuziehen. Einzelheiten, die die Medien groß herausgestellt haben, wie die Mütterrente und Maßnahmen für Geringverdiener, entpuppen sich beim Hinsehen als ärmliche Almosen.

Dabei breitet sich schon heute die Altersarmut aus. Bundesweit hat sich das Armutsrisiko für Senioren über 65 Jahren seit 2005 von elf auf über fünfzehn Prozent erhöht. Entlarvend für den Vorstoß von Scholz und der SPD ist dabei die Tatsache, dass sich gerade in SPD-regierten Ländern die Altersarmut stark erhöht. So ist in Nordrhein-Westfalen, wo die SPD von 2010 bis 2017 regierte, der Anteil der armutsgefährdeten Senioren von 9,7 auf fast sechzehn Prozent gestiegen.

Tatsächlich sind die Rentner nach den Arbeitslosen und den Alleinerziehenden heute die dritte große, von Armut betroffene Gruppe. Jede zweite staatliche Rente liegt unter 800 Euro im Monat, eine Summe, die in einer durchschnittlichen deutschen Stadt nicht einmal für die Miete reicht. Besonders hart sind Rentnerinnen betroffen, deren Einkommen im Schnitt 47 Prozent unter dem der Männer liegt. Und Rentner, die in ihrem Arbeitsleben aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht voll arbeiten konnten – was im Jahr 2016 mehr als 1,8 Millionen Menschen betraf – erhalten vom Staat nur eine durchschnittliche Monatsrente von 736 Euro.

Immer mehr Menschen sind im Alter auf Sozialhilfe angewiesen. Auch das West-Ost-Gefälle ist nicht überwunden, obwohl die Preise im Osten durchaus gleich hoch wie im Westen sind. So ist die Altersarmut in Ostdeutschland besonders hoch, denn in den ehemaligen DDR-Gebieten sind bis zu neunzig Prozent im Alter allein auf staatliche Rente angewiesen.

Die Armutsrenten sind die zwangsläufige Folge der grassierenden Niedriglohnpolitik. Millionen abhängig Beschäftigte verdienen heute so wenig, dass sie sich Sorgen machen müssen, von was sie im Alter leben sollen.

Das Ministerium von Bundesarbeitsminister Heil, der die staatliche Rente am Mittwoch als „sicher und stabil“ pries, gab vor kurzem in einer Mitteilung bekannt, dass heute fast zwanzig Prozent der Vollzeitarbeiter weniger als 2000 Euro brutto im Monat verdienen. Darüber hinaus belegt die Statistik, dass jeder fünfte Geringverdiener ein Rentner ist, der seine Rente durch Arbeit aufstocken muss.

Diese verheerende Situation ist das Ergebnis der Politik, welche Regierungen aller Parteien seit über 25 Jahren betreiben. Nicht nur CDU-CSU und FDP, auch SPD, Grüne und Linkspartei sind dafür verantwortlich. Seit der Wiedereinführung des Kapitalismus in Ostdeutschland haben sie eine schleichende soziale Konterrevolution organisiert.

Schon vor der Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 gründete die SED, die Vorläuferin der PDS und der heutigen Linkspartei, die Treuhand. Diese Anstalt privatisierte oder schloss im Osten 14.000 volkseigene Betriebe. Dadurch wurden hunderttausende Arbeiter entlassen und zu jahrelanger Arbeitslosigkeit, zum Wegzug oder zur Aufnahme weniger gut abgesicherter und schlechter bezahlter Jobs verurteilt.

Später stellte vor allem die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) die Weichen. Gleich zu Anfang ihrer Regierungszeit (1999–2005) führte sie einen Frontalangriff auf die Renten: Schon 2000 leitete der damalige Arbeitsminister und ehemalige Gewerkschafter Walter Riester (SPD) mit seiner „Riester-Rente“ den Ausstieg aus der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente ein.

Mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen bereitete die rot-grüne Koalition den Boden für den heutigen, enormen Niedriglohnsektor. Seit dieser Zeit steigt die Zahl der Working Poor stetig an. Gerade die Geringverdiener haben in den meisten Fällen überhaupt keine Betriebsrente, keine Lebensversicherung und keinen Riester-Vertrag. Sie besitzen meist auch keine eigene Wohnung und sind schon gar nicht in der Lage, „privat vorzusorgen“, wie die Politiker jetzt dringend empfehlen.

Seit der Zeit der rot-grünen Koalition wurde auch der Spitzensteuersatz systematisch gesenkt, von 53 Prozent auf heute 42 Prozent. Infolgedessen besitzen heute in Deutschland 36 Individuen ebenso viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. In der gleichen Zeit wurde die staatliche Rente auf 48 Prozentpunkte abgesenkt und das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben.

Und es wird auch weiter auf 70 Jahre steigen. Daran arbeitet zurzeit eine Kommission im Auftrag der Regierung. Deren Leiterin, Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), reagierte auf den theatralischen Vorstoß von Olaf Scholz mit den Worten: „Wir wollen und sollen ohne Denkverbote und Richtungsvorgaben arbeiten – egal von wem!“

Inzwischen treten prominente Regierungspolitiker vehement dafür ein, dass sich die Bürger privat versichern. Regierungssprecher Steffen Seibert erinnerte daran, dass ab 2020 die geburtenstärkeren Jahrgänge in Rente gehen. Dann müssten immer weniger Beitragszahler für immer mehr und länger lebende Rentner aufkommen.

„Wir müssen damit leben, dass wir mehr privat vorsorgen müssen“, predigt Bundeskanzlerin Merkel schon seit über zehn Jahren. Auch im Wahlkampf 2017 betonte sie: „Die Rentenvorsorge kann nur solide bleiben, wenn wir neben der gesetzlichen Rentenversicherung auch andere Formen der Absicherung weiterentwickeln.“ Dies bekräftigte auch Bundesfinanzminister Scholz, der ein Informationsblatt der Regierung über alle Möglichkeiten der privaten Vorsorge publizieren will.

Diese Rezepte sind nicht nur extrem kurzsichtig, sondern auch zutiefst verlogen. Es ist riskant, auf private Versicherungen, Anlagen und Pensionsfonds zu setzen, die durch einen neuerlichen Börsensturz komplett vernichtet werden können. Schon heute gefährdet die anhaltende Niedrigzinspolitik die künftigen Erträge.

Hinzu kommt, dass gerade die Niedriglöhner, die im Alter am meisten darauf angewiesen wären, am wenigsten die finanziellen Mittel haben, um „vorzusorgen“. So ist von vorneherein festgelegt, dass noch mehr Millionen Menschen höchstens eine Armutsrente bekommen.

Die Regierung geht damit auch in der Rentenpolitik den Weg der AfD. Diese zielt darauf ab, die umlagefinanzierte Rente immer stärker durch eine Kapitalmarkt-basierte Altersvorsorge zu ersetzen. Das hat ein Bericht von „Frontal 21“ aufgezeigt, dessen Reporterteam vor zwei Wochen einem gemeinsamen Angriff von AfD, Pegida und Polizei ausgesetzt war.

Wie die ZDF-Sendung „Frontal 21“ nachwies, möchte die AfD Menschen dazu zwingen, sich privat, über Investitionen in Rentenfonds, Immobilien oder Aktien selbst zu versichern – wenn sie denn können. Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, eine geborene Herzogin von Oldenburg, wird in dem Filmbericht mit den Worten zitiert, dieses Rentenmodell sei eine viel „freiheitlichere“ Lösung.

„Privat statt Staat“ – in diese Richtung geht offensichtlich auch die Bundesregierung. Sie hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, dass kein einziger eingesparter Euro in andere Bereiche als die Aufrüstung oder die „Entwicklungshilfe“ – sprich ihre neokolonialen Projekte – fließt. Daran hält sie auch angesichts drohender Altersarmut eisern fest.

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