Perspektive

Gauland wärmt Hitlers Blut-und-Boden-Ideologie neu auf

Ein Gastbeitrag, den der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland am 6. Oktober in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichte, stützt sich in weiten Teilen auf eine Rede, die Adolf Hitler am 10. November 1933 vor Siemens-Arbeitern in Berlin hielt.

„Gaulands Text ist ganz offensichtlich eng an den Hitlers angeschmiegt“, kommentiert der Historiker Wolfgang Benz im Tagesspiegel. „Es handelt sich um eine Paraphrase, die so wirkt, als habe sich der AfD-Chef den Redetext des Führers von 1933 auf den Schreibtisch gelegt, als er seinen Gastbeitrag für die FAZ schrieb.“

Nach der Lektüre, schreibt Benz, eine Autorität auf dem Gebiet der Nationalsozialismus- und Antisemitismusforschung, dürfe „man wohl doch vermuten, dass derselbe Geist weht wie einst 1933“. Es werde offenbar, dass es sich bei der Alternative für Deutschland „um einen aufgemotzten Ladenhüter“ handele, „mit der völkischen Bewegung, der NSDAP und ihren Epigonen als Blaupause“.

Gauland rechtfertigt in der FAZ den „Populismus“ seiner Partei mit der Begründung, die AfD verteidige die Interessen der „bürgerlichen Mittelschicht“ und „sogenannter einfacher Menschen“ gegen „eine neue urbane Elite“. Die Mitglieder dieser „globalisierten Klasse“, so Gauland, „leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. … Das hat zur Folge, dass die Bindung dieser neuen Elite an ihr jeweiliges Heimatland schwach ist. In einer abgehobenen Parallelgesellschaft fühlen sie sich als Weltbürger.“

Hitler hatte 1933 mit ähnlichen Worten gegen eine „kleine wurzellose internationale Clique“ gewettert, die die Völker gegeneinander hetze: „Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.“ (Zuruf aus dem Publikum: „Juden!“) „Es sind die einzigen, die wirklich als internationale Elemente anzusprechen sind, weil sie überall ihre Geschäfte betätigen können.“

Dieser „internationalen Clique“ stellte Hitler das „Volk“ als nationales Element entgegen: „…das Volk ist ja gekettet an seinen Boden, ist gekettet an seine Heimat, ist gebunden an die Lebensmöglichkeiten seines Staates, der Nation. Das Volk kann ihnen nicht nachgehen.“ In Gaulands Version liest sich das so: „…das sind zugleich diejenigen, für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist und die als Erste ihre Heimat verlieren, weil es ihr Milieu ist, in das die Einwanderer strömen. Sie können nicht einfach wegziehen und woanders Golf spielen.“

Der antisemitische Unterton dieser Zeilen ist offensichtlich. Das Bild vom entwurzelten, heimatlosen Juden zieht sich wie ein roter Faden durch die Propaganda der Nazis. Doch Gaulands Anlehnung an Hitler geht weiter. Die Vergötterung von Nation, Heimat und Blut und Boden bildete den Kern der Ideologie von Faschismus und Nationalsozialismus.

Der fanatische Nationalismus der Nazis schützte den Mittelstand und die Arbeiterklasse nicht vor den Schlägen der Weltwirtschaft, er diente dazu, sie im Interesse des deutschen Imperialismus auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs zu verheizen. Gleichzeitig richtete er sich gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung, die internationalistisch war, seit Marx und Engels 1848 das „Kommunistische Manifest“ mit dem Schlachtruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ veröffentlicht hatten.

Solange sich der Nationalismus gegen feudale Zersplitterung und Tyrannei richtete, war er mit fortschrittlichen und demokratischen Tendenzen verbunden. Doch diese Epoche ging bereits im 19. Jahrhundert zu Ende. Nun wurde der Nationalstaat zu eng für die kapitalistische Wirtschaft. Deutschland und die anderen imperialistischen Mächte versuchten, die Welt auf Kosten ihrer Rivalen gewaltsam neu aufzuteilen. Das war die Ursache für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg.

„Versuche, die Wirtschaft zu retten, indem man sie mit dem Leichengift des Nationalismus impft, führen zu jener Blutvergiftung, welche den Namen Faschismus trägt“, schrieb Leo Trotzki im November 1933, im selben Monat, in dem Hitler seine Rede bei Siemens hielt. „Der faschistische Nationalismus des Niedergangs bringt nichts als Verderben. Er bereitet nicht die Besänftigung der Wirtschaft im nationalen Rahmen, sondern vulkanische Ausbrüche und grandiose Zusammenstöße vor.“ (1) Sieben Jahre später überfiel Hitler Polen und begann den Zweiten Weltkrieg.

Dass eine führende deutsche Tageszeitung dem AfD-Vorsitzenden ihre Seiten zur Verfügung stellt, um Hitlers Blut-und-Boden-Ideologie neu aufzuwärmen, zeigt, wie weit die Widerkehr der extremen Rechten in Deutschland bereits fortgeschritten ist. Konfrontiert mit wachsenden internationalen Spannungen, Handelskrieg und sozialen Konflikten, kehrt die herrschende Klasse Deutschlands zu ihren verbrecherischen Traditionen zurück.

Die Herausgeber der FAZ wussten sehr genau, wem sie ein Forum bieten. Gauland, der vierzig Jahre seiner politischen Kariere im sogenannten Stahlhelm-Flügel der CDU verbracht hatte, bevor er zur AfD wechselte, hatte die Führung der Partei für offen rechtsextreme und faschistische Kräfte, wie Bernd Höcke, geöffnet. Wo er selbst politisch steht, zeigt seine Äußerung vom Juni dieses Jahres, Hitler und die Nazis seien „nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“.

Obwohl die AfD bei der Bundestagswahl nur 12,6 Prozent der Stimmen erhielt, gibt sie inzwischen in der Bundespolitik den Ton an. Die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition trägt ebenso ihre Handschrift, wie die massive Aufrüstung von Polizei, Geheimdienst und Bundeswehr.

Anders als die Nazis in den 1930er Jahren führt die AfD allerdings keine faschistische Massenbewegung. Sie wird von breiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt. In vielen Städten finden regelmäßig Massendemonstrationen gegen die rechte Gefahr statt. Allein in München haben in diesem Jahr bereits drei Mal Zehntausende gegen Staatsaufrüstung, soziale Ungleichheit und Militarismus protestiert, und in Berlin werden am Samstag 40.000 zu einer Demonstration gegen Rassismus erwartet.

Aber diese Opposition findet, ebenso wie die massive soziale Unzufriedenheit, keinen politischen Ausdruck in der offiziellen Politik. Die im Bundestag vertretenen Parteien und die Medien schwenken offen auf den Kurs der AfD ein. Die SPD verwirklicht im Rahmen der Großen Koalition die rechte Politik der AfD. Auch Die Linke vertritt einen nationalistischen Kurs; Gauland selbst hat deshalb die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht in seinem FAZ-Beitrag ausdrücklich gelobt.

Auch viele einst liberale Vertreter der wohlhabenden Mittelklasse liegen vor der AfD auf dem Boden. Typisch sind der Grünen-Politiker Boris Palmer und der Spiegel-Kolumnist und Freitag-Herausgeber Jakob Augstein, der Gauland bescheinigt, er habe „einen klugen Text“ geschrieben, und fordert: „Die AfD muss mitregieren.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) hat zur Frankfurter Buchmesse das Buch „Warum sind sie wieder da?“ von Christoph Vandreier herausgebracht, das aufzeigt, wie der Aufstieg der AfD durch einen Rechtsruck an den Universitäten, in den Medien und in der Politik jahrelang systematisch vorbereitet wurde.

Schon 2014 hatten die Medien eine wütende Hetzkampagne gegen die SGP und ihre Jugendorganisation IYSSE entfacht, weil sie den rechtsextremen Historiker Jörg Baberowski kritisierten, der Hitler im Spiegel bescheinigt hatte, er sei „nicht grausam“ gewesen. Die führende Rolle hatte schon damals die FAZ gespielt Jürgen Kaube, inzwischen Mitherausgeber des Blatts, verteidigte Baberowski persönlich gegen das angebliche „Mobbing“ der Trotzkisten. Wie die SGP voraussagte, diente die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen dazu, eine Rückkehr rechter, militaristischer und autoritärer Politik vorzubereiten.

Diese Entwicklung ist nicht auf Deutschland beschränkt. In den USA und ganz Europa setzen die Herrschenden auf autoritäre Herrschaftsformen und faschistische Kräfte. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Wiederbelebung von Militarismus und Faschismus zu stoppen: die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären Programms und den Aufbau der SGP und der Vierten Internationalen als sozialistische Massenpartei.

1) Leo Trotzki, „Nation und Weltwirtschaft“, in: „Schriften über Deutschland“, Band II, Frankfurt am Main 1971, S. 642, 644

Loading