Beschleunigter Arbeitsplatzabbau in der Autoindustrie

Es vergeht kaum ein Tag, an dem kein Autokonzern neue Kürzungsmaßnahmen und Stellenstreichungen bekannt gibt. Die Corona-Krise wird gezielt genutzt, um Kosten zu senken und die Profite zu steigern.

Daimler-Chef Ola Källenius kündigte am Dienstag auf einer Konferenz mit Investoren an, der Pkw-Bereich Mercedes werde die Fixkosten bis 2025 durch den Abbau von Kapazitäten und Personalausgaben um mehr als ein Fünftel im Vergleich zu 2019 reduzieren.

Källenius gab sich keine Mühe, den Grund zu vertuschen. Die Umsatzrendite soll bis 2025 wieder im zweistelligen Bereich liegen. Selbst unter ungünstigen Bedingungen strebe der Konzern eine Marge „im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich“ an.

Dem Sparprogramm, das bereits in den letzten Monaten bekannt wurde, sollen weltweit rund 30.000 Stellen zum Opfer fallen, das ist fast jede zehnte. Auch wenn der Autohersteller diese Zahl nicht bestätigte, ließ er keinen Zweifel am Kurs. Man strebe möglichst sozialverträgliche Lösungen an, hieß es.

Was der Abbau konkret bedeutet, hatte Daimler in den letzten Wochen scheibchenweise durchsickern lassen.

Protest vor dem Daimler-Werk in Berlin

Laut Gewerkschaftsangaben sollen in dem 1902 eröffneten Motorenwerk in Berlin in den nächsten Jahren rund 1000 von 2500 Stellen abgebaut werden. Im Gegenzug werde man beispielsweise stärker in die Batteriezellforschung investieren. Doch diese Investitionen in eine Zellproduktion verlangt der Betriebsrat des Stammwerks in Untertürkheim für sich. Denn hier will der Konzern nach Betriebsratsangaben bis 2025 rund 4000 von 19.000 Stellen streichen.

Während die Arbeiter trotz steigender Covid-19-Infektionsgefahr in die Werke gezwungen werden – in der Autoindustrie befinden sich nur noch knapp ein Drittel der Beschäftigten in Kurzarbeit –, begründete Vorstandsmitglied Markus Schäfer den Sparkurs mit den Worten: „Das ultimative Kriterium ist die Gesundheit dieses Unternehmens.“

Schäfer sagte, Mercedes habe die Produktion gezielt in Osteuropa oder China angesiedelt, um durch eine „Mischkalkulation“ der „deutschen Hochlohnstandorte“ mit personalkostengünstigeren im Ausland die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Kein Werk könne deshalb davon ausgehen, für immer den Personalstand zu halten. Das gilt insbesondere für die auf Verbrennungsmotoren spezialisierten Motoren- und Komponentenwerke, die durch die Umstellung auf Elektroautos betroffen sind.

Anstatt die Arbeiter des Konzerns gegen diese Angriffe zu vereinen, spaltet sie der Daimler-Gesamtbetriebsrat, indem er gegen die Arbeiter in Osteuropa hetzt. Wenn überhaupt noch in herkömmliche Antriebe investiert werde, „dann in Polen oder Rumänien“, schimpften Betriebsratschef Michael Brecht und sein Vize Ergun Lümali in einem Flugblatt an die mehr als 170.000 Beschäftigten von Daimler in Deutschland.

Daimler ist nur einer von mehreren Konzernen, die in den letzten Wochen und Monaten einen beschleunigten Arbeitsplatz- und Sozialabbau verkündet haben.

Volkswagen hatte bereits Mitte September die Streichung von insgesamt 9500 Stellen bei seiner LKW-Tochter MAN in Deutschland und Österreich bekannt gegeben. Am Dienstag letzter Woche hat nun der neue MAN-Chef Andreas Tostmann die bestehende Standort- und Beschäftigungssicherung zum 30. September vorzeitig gekündigt. Damit sind nicht nur betriebsbedingte Kündigungen möglich, auch übertarifliche Leistungen fallen weg. Ein Schreiben an die Beschäftigten nannte als Grund „die geplante Neuausrichtung von MAN“ sowie „wirtschaftliche Gründe“.

Auch hier wird der Inhalt der Neuausrichtung nur scheibchenweise bekannt. So soll die Produktion von schweren Lkw und Fahrerhäusern aus dem Stammwerk in München möglicherweise ins polnische Krakau verlagert werden. Außerdem könnte die Achsproduktion in München an Zulieferer vergeben werden. Allein in München stünden damit 3000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Weitere 1300 Stellen könnten im MAN-Motorenwerk in Nürnberg wegfallen. Außerdem will Tostmann 1500 Arbeitsplätze im deutschen Service- und Vertriebsnetz streichen. Dazu soll die Komponentenfertigung aus Salzgitter abgezogen werden und ebenfalls nach Krakau abwandern. Davon wären weitere 1400 Mitarbeiter betroffen.

Dabei scheint es sich einmal mehr um ein abgekartetes Spiel zwischen Vorstand und Betriebsrat zu handeln. Die erst 2018 verlängerte Beschäftigungssicherung sollte eigentlich bis 2030 gelten. Der LKW-Hersteller verband die vorzeitige Kündigung der Verträge mit einem Ultimatum: Wenn man sich mit der IG Metall und dem Betriebsrat bis zum Jahresende einige, könnten diese „ganz oder teilweise“ wieder in Kraft treten. Sollte dies nicht gelingen, „laufen die Vereinbarungen zum Jahresende oder im Jahr 2021 aus“.

Es ist bereits jetzt klar, wie diese Farce weitergehen wird. Betriebsrat und IG Metall werden die Einsparungen und den Arbeitsplatzabbau absegnen und es als Erfolg darstellen, dass sie betriebsbedingte Kündigungen abgewendet haben.

MAN-Betriebsratschef Saki Stimoniaris, der im letzten Jahr für seine Aufsichtsratstätigkeit 482.040 Euro einstrich, versicherte: „Wir haben kein Interesse an Eskalation.“ Der Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrats Bernd Osterloh erklärte, im Laufe der Verhandlungen werde der Betriebsrat dafür „sorgen, dass die umfangreiche Beschäftigungssicherung wieder in Kraft tritt“.

Der Arbeitsplatzabbau bei MAN kündigt ähnliche Angriffe auf alle 670.000 Beschäftigten des Volkswagen-Konzerns an. Die Kündigung der Standort- und Beschäftigungssicherung erfolgte mit Rückendeckung von VW-Chef Herbert Diess, der das Vorgehen von MAN letzte Woche auf der Online-Hauptversammlung des Konzerns verteidigte.

Diess verwies darauf, dass die wirtschaftliche Basis von MAN schon vor der Corona-Krise nicht ausreichend gewesen sei, um wichtige Investitionen zu finanzieren. MAN brauche „die Restrukturierung mit Werkschließungen und Personalabbau in der Größenordnung von rund 9500 Stellen, um die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen“, so der VW-Chef.

Der Münchener Autokonzern BMW hatte bereits im Juni angekündigt, 16.000 Stellen zu streichen. Nun erhöht er auch den Spardruck auf seine Zulieferer. Einige von ihnen sollen ihre Preise für laufende Aufträge zum Jahreswechsel im Schnitt um fünf Prozent senken, berichtet die Wirtschaftswoche. Eine BMW-Sprecherin sagte zynisch, der Autokonzern könne die Folgen der Corona-Krise nicht alleine bewältigen.

Auch die großen Zulieferkonzerne streichen zehntausende Arbeitsplätze. So beschloss der Aufsichtsrat von Continental letzte Woche, das Reifen-Werk in Aachen bis Ende 2021 und den Standort für Automobilelektronik in Karben bei Frankfurt bis Ende 2024 zu schließen. Das Werk in Regensburg wird umgebaut. An den drei Standorten betrifft dies rund 4800 Arbeitsplätze. Insgesamt sind vom angekündigten Abbau bei Continental weltweit rund 30.000 Arbeitsplätze betroffen, davon 13.000 in Deutschland.

Der Autozulieferer Mahle hat vor zwei Wochen angekündigt, zwei Werke in Deutschland zu schließen. Die Schließung der Produktionsstätte im baden-württembergischen Gaildorf soll im Laufe des Jahres 2023 abgeschlossen werden. Dort fertigen rund 290 Arbeiter unter anderem Nockenwellen und Stahlkomponenten. Das Werk im sächsischen Freiberg mit 85 Beschäftigten soll bis 2022 aufgegeben werden.

Mahle stellt Komponenten für Verbrennungsmotoren her, vor allem Kolben, aber auch Filter und Pumpen. Bereits seit 2018 sind 6700 Arbeitsplätze abgebaut worden. Mitte September hatte das Unternehmen angekündigt, weltweit weitere 7600 Stellen zu streichen, davon 2000 in Deutschland. Derzeit hat Mahle weltweit noch 72.000 Beschäftigte, davon knapp 12.000 in Deutschland.

Die Mahle-Konzernspitze hat angekündigt, Gespräche mit dem Betriebsrat aufzunehmen, um die „sozialverträgliche Umsetzung“ des Abbaus zu planen.

Es ist in jedem Konzern und jedem Betrieb das Gleiche: Die Abbau- und Sparpläne werden gemeinsam mit den Gewerkschaften IG Metall und IG Bergbau, Chemie, Energie sowie deren Betriebsräten ausgearbeitet und verwirklicht. Wenn diese überhaupt Proteste organisieren, dienen diese zahnlosen Veranstaltungen als Ventil für die Wut der Belegschaften und dazu, den Konzernen die eigenen Dienste bei der Verwirklichung der Angriffe anzubieten.

So hielt der Betriebsrat des Daimler-Werks in Berlin am 24. September eine Betriebsversammlung im Freien ab. Jan Otto, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, appellierte dort an das Management, „sich weiterhin fair und sozialpartnerschaftlich zu verhalten“.

Auch Otto hetzte gegen osteuropäische Arbeiter: „Wir werden nicht zulassen, dass das Management klammheimlich Produktionslinien des Verbrennermotors nach Rumänien oder Polen verschiebt.“ Otto forderte das Management auf, gemeinsam mit Betriebsrat und IG Metall „Zukunftsperspektiven“ für das Mercedes-Benz-Werk in Berlin zu entwickeln: „Wir sind dazu bereit und haben jede Menge Ideen.“

Daimler-Arbeiter in Berlin sollten dies als Warnung auffassen. Gewerkschaft und Betriebsrat werden die Angriffe wie vom Konzern gewünscht durchsetzen. Sichern werden sie nur die Pfründe der Funktionäre.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und die World Socialist Website treten für den Aufbau von Aktionskomitees ein, die unabhängig von den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten sind. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen den Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne selbst in die Hand nehmen.

Dazu müssen sie Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen in anderen Werken im In- und Ausland aufnehmen. Der nationalistischen Hetze gegen polnische, rumänische oder chinesische Arbeiter muss die Einheit mit ihnen entgegengesetzt werden. Nicht die Rendite, die den Geldregen in die Taschen der Manager und Aktionäre sichert, sondern das Leben, die Gesundheit und die Arbeitsplätze der Beschäftigten müssen oberste Priorität haben. Geld ist genug da: Bei den Konzerneigentümern.

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