Bahn-Tarifkampf: Lasst euch nicht einschüchtern und bereitet einen Streik vor!

Eine Antwort auf die Drohungen des EVG-Vorstands

Anfang der Woche gab der Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG auf Druck der Mitglieder den Wortlaut der 140-seitigen Schlichtungserklärung bekannt. Seither wächst der Widerstand gegen die Vereinbarung. In den sozialen Medien und Netzwerken hagelt es Protest.

Bahnverkehr am Frankfurter Hauptbahnhof

Die geplante Senkung der Reallöhne ist riesig und trifft jeden. Dazu kommen massive Verschlechterungen, die im Kleingedruckten versteckt sind. Viele Orts- und Betriebsgruppen der EVG haben sich mehrheitlich dagegen ausgesprochen, rufen zur Ablehnung auf und verlangen Streikvorbereitungen.

Als Antwort darauf versucht die EVG-Führung, die Gegner der Vereinbarung einzuschüchtern, und droht: „Bei einem unbefristeten Streik verlieren wir alles und fangen wieder ganz bei Null an.“ Alles was bisher erreicht sei, „wäre dann weg. Auch die Inflationsausgleichprämie.“ Jeder müsse sich der Konsequenz seiner Entscheidung bewusst sein, heißt es in einem fünfseitigen Newsletter, der die Unterschrift der Verhandlungsführer Cosima [Ingenschay] und Kristian [Loroch] trägt.

Die EVG-Schlichtungskommission, der geschäftsführende Vorstand und die Mehrheit des EVG-Bundesvorstands hätten Annahme empfohlen. „Denn auf der Haben-Seite stehen 410 Euro mehr, plus 2.850 Euro Einmalzahlung.“ Natürlich sei es auch „legitim“, auf all das zu verzichten.

EVG-Vorstandsmitglied Holger Herzog hat einen Offenen Brief an alle EVG-Mitglieder verbreitet. Darin betont er, es sei zwar kein „Jubelergebnis“, aber ein „Kompromiss, mit dem man leben“ könne. Das Ziel von Tarifverhandlungen „waren und sind immer Kompromisse“. Das jetzt Erreichte, „was teilweise heftige Kritik erhält“, seien „die Kompromisse, auf die sich der DB-Konzern einlassen wollte“. Mehr sei nicht drin, „nicht ein Cent mehr oder ein Monat Laufzeit weniger“.

Herzog ist entsetzt, dass EVG-Mitglieder ernsthaft einen Erzwingungsstreik fordern. Er droht, dann sei alles verloren. Seine Liste des Schreckens ist lang: „Entgelterhöhung sowie Auszahlungszeitpunkt und Laufzeit ungewiss! Inflationsprämie – Auszahlung ungewiss! Urlaubswahlmodelle sollen abgeschafft werden!“ Auch die besondere Teilzeit im Alter, der Fonds soziale Sicherung und der Betriebsrenten Zuschuss TV seien dann weg. Und weiterhin „Hungerlohn“ für Beschäftigte von DB-Sicherheit, DB-Dialog, DB-Fahrwegdienst und DB-Service!

Außerdem bedeute Streik „Arbeitszeit- und Lohnverlust“. Streikgeld könne „Lohnverlust nicht ausgleichen“. Nichtmitglieder würden nicht mitmachen. Die Bevölkerung werde die „geldgierigen Eisenbahner“ attackieren. Verwandte und Bekannte wären entsetzt über maßlose Forderungen, usw.

Herzog spricht für die bürokratische Fettschicht an der Spitze der EVG, die in den Aufsichtsräten sitzt, zusätzlich zu ihren hohen Einkommen und Privilegien noch dicke Tantiemen und Spesen kassiert und jeden Bezug zur Realität der Arbeitswelt verloren hat. Für sie spielt die Inflation keine Rolle. Sie haben nie einen Arbeitskampf organisiert, sind Teil des Managements und können sich nichts anderes vorstellen, als den Unternehmens-Vorständen zu Diensten zu sein, die sich regelmäßig ihre Millionen-Gehälter drastisch erhöhen und zusätzlich fette Boni kassieren.

Der Schlichterspruch – eine gewaltige Reallohnsenkung

Die Behauptung von Herzog und der EVG-Spitze, der Schlichterspruch sei ein „fairer Kompromiss“, ist falsch und verlogen. Es handelt sich um einen massiven Angriff auf die Reallöhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen.

Hier nochmal die Fakten: Laut Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes lagen die Verbraucherpreise im Juli 2023 insgesamt 17,1 Prozent höher als Ende 2020. Bei Nahrungsmittel betrug der Anstieg 30,1 Prozent und bei Energie 50,4 Prozent.

Im selben Zeitraum sind die tabellenwirksamen Gehälter bei der Bahn aber nur um 1,5 Prozent gestiegen. So viel hatten die EVG und die Bahn im September 2020 im jetzt ausgelaufenen Corona-Tarifvertrag vereinbart.

Um den Reallohnverlust auszugleichen, wäre also eine sofortige Erhöhung um mindestens 15,6 Prozent nötig – plus der voraussichtliche Preisanstieg während der Laufzeit des neuen Vertrags, der im zweistelligen Bereich liegen dürfte. Da sich Lebensmittel- und Energiepreise überdurchschnittlich auf untere Einkommen auswirken, müsste es aber noch wesentlich mehr sein.

Es ist offensichtlich, dass der Schlichtungsvorschlag eine massive Reallohnsenkung bedeutet. Die ersten mindestens acht Monate sind eine Nullrunde. Das erste Geld sind die 2850 Euro Inflationsausgleichszahlung für Vollzeitbeschäftigte. Anschließend werden die Löhne und Gehälter ab Dezember 2023 um monatlich 200 Euro und dann erst im August 2024 um 210 Euro erhöht. Die Laufzeit beträgt 25 Monate bis Ende März 2025.

Angesichts der niedrigen Abschlüsse 2020 sowie der anhaltenden Inflation ist das eine gewaltige Reallohnsenkung. Berücksichtigt man, dass die meisten Beschäftigten den Großteil ihres Einkommens für Lebensmittel, Energie und Mieten ausgeben, werden sie Anfang 2025 etwa 20 Prozent oder sogar ein Viertel ihres realen Einkommens eingebüßt haben.

Die Behauptung der EVG, die Ablehnung der Schlichtungsvereinbarung und ein Erzwingungsstreik würden den Beschäftigten schaden, ist grotesk. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wird diese Lohnsenkung akzeptiert, hat das verheerende Auswirkungen – und zwar nicht nur für die unmittelbar betroffenen Beschäftigten der Bahn, sondern für die Arbeiterklasse insgesamt.

Hinter dem Bahnmanagement und seiner arroganten Verweigerungshaltung steht die Bundesregierung als Eigentümer. An den Bahn-Beschäftigten soll ein Exempel statuiert werden. Die Bundesregierung hat ohne jedes Zögern 100 Milliarden Euro für die militärische Aufrüstung der Armee bereitgestellt und weitet diese Ausgaben ständig aus. Jeder Konzern, der hohe Energiekosten oder Lieferkettenengpässe geltend macht, und jede Bank, die sich verzockt hat, bekommt problemlos Milliarden-Unterstützung.

Jetzt sollen diese Ausgaben für die Rüstung und die superreiche Finanzaristokratie durch Reallohnsenkung, Sparmaßnahmen und Sozialabbau aus der arbeitenden Bevölkerung herausgepresst werden.

Weltweiter Angriff auf die Arbeiterklasse

Die Autokonzerne nutzen die Umstellung auf E-Mobilität, um die Profite zu verdreifachen und die Ausbeutung drastisch zu erhöhen. VW in Wolfsburg hat ein Arbeitsplatzmassaker angekündigt. 30.000 Arbeitsplätze stehen dort auf der Kippe, und die Drohung mit Entlassung dient als Brechstange um Lohnsenkung, Verlängerung der Arbeitszeit und verschärfte Arbeitshetze durchzusetzen. Es vergeht keine Woche ohne die Ankündigung von Werksschließungen und Massenentlassungen in der Zuliefer- und anderen Industrien.

Dieselbe Entwicklung findet weltweit statt. In Frankreich hat Präsident Macron mit brutaler Polizeigewalt massive Rentenkürzungen durchgesetzt, obwohl sich Millionen Arbeiter dagegen wehrten und monatelange dagegen protestierten und streikten. Macron konnte sich durchsetzen, weil sich die Gewerkschaften weigerten, einen Generalstreik zu organisieren.

In Italien hat die Regierung der Mussolini-Verehrerin Giorga Meloni der Arbeiterklasse und den Arbeitslosen den Krieg erklärt. Ende Juli teilte sie 169.000 Haushalten per SMS mit, dass sie in vier Tagen ihr Einkommen verlieren. Sie erhalten ab dem 1. August keinen Cent mehr aus der staatlichen Grundsicherung. Sie will die Arbeitslosen als Rammbock zur Senkung der Löhne und Sozialstandards einsetzen.

Der Schlichtungsspruch bei der Bahn ist Teil dieser internationalen Offensive der herrschenden Klasse und der Regierungen gegen die Arbeiter. Auf der anderen Seite sind der Kampf gegen den Schlichterspruch und die Organisation eines Erzwingungsstreiks Teil einer wachsenden internationalen Streik- und Protestbewegung.

Die Beschäftigten der Automobilindustrie sind in ein riesiges globales Netz von Produktion und Arbeitsteilung eingebunden. In den USA und in Kanada laufen Mitte September die Verträge von170.000 Beschäftigten der Big Three (GM, Ford und Stellantis) aus; es beginnt die größte Tarifauseinandersetzung seit Jahrzehnten. Dazu kommt der Streik von 76.000 Schauspielern und Drehbuchautoren, der bereits seit Monaten anhält.

In der Türkei wollen 150.000 Auto- und Metallarbeiter bei den Tarifvertragsverhandlungen im Herbst Abstriche verhindern. Diese und andere Kämpfe müssen vereinigt und zum Ausgangspunkt einer Gegenoffensive der Arbeiterklasse gemacht werden.

Gewerkschaften auf der Gegenseite

Auch die Verkehrs- und alle anderen Arbeiter sind weltweit eng verbunden. Überall sind sie damit konfrontiert, dass die Gewerkschaften auf der Gegenseite stehen und in Absprache mit dem Management und den Regierungen jeden ernsthaften Kampf unterdrücken und sabotieren. Deshalb besteht die wichtigste und dringendste Aufgabe darin, die Diktatur der Gewerkschaft zu durchbrechen und die Vorbereitung eines Arbeitskampfs selbst in die Hand zu nehmen.

Die Behauptung der EVG, mehr als der Schlichtungsspruch sei nicht drin, ist eine Bankrotterklärung. Damit hat sie jedes Recht verwirkt, für die Interessen der Arbeiter zu sprechen.

Wenn es nach diesen selbstgefälligen und gekauften Bürokraten ginge, hätte es nie einen Achtstundentag, gesicherte Löhne, oder eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gegeben. All das wurde nur durch lange und entschlossene Arbeitskämpfe erreicht. Alleine für die Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall streikten die Metallarbeiter in Schleswig-Holstein im Herbst 1956 sechzehn Wochen lang (114 Tage). Zweimal lehnten die Streikenden eine Schlichtungsvereinbarung ab und setzten schließlich ihre Forderung durch.

Es ist notwendig, an diese Kampferfahrung anzuknüpfen und die große Stärke und Macht zu erkennen, die Arbeiter haben, weil sie es sind, die alles produzieren und die gesamte Gesellschaft am Laufen halten.

Deshalb ist der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, die von vertrauenswürdigen Arbeitern geleitet werden und auf die der Gewerkschaftsapparat keinen Einfluss hat, so wichtig. Die Vierte Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei bauen die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) auf, um den Aufbau der Aktionskomitees voranzubringen und international zu koordinieren.

Die erste Aufgabe von Aktionskomitees bei der Bahn besteht darin, einen Ausverkauf durch die EVG zu verhindern und für einen unbefristeten Streik zu kämpfen. Die Inflation und die Einkommensverluste der vergangenen Jahre müssen voll ausgeglichen werden.

Die Aktionskomitees müssen zum Ausgangspunkt für den Kampf für eine Gesellschaft werden, in der die Arbeiterklasse – die große Mehrheit – das Sagen hat und in der die menschlichen Bedürfnisse und nicht die Profite der Reichen ausschlaggebend sind, d.h. für eine Gesellschaft, die nach sozialistischen Grundsätzen organisiert ist.

Wir rufen die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auf, mit uns Kontakt aufzunehmen.

Nehmt am kommenden Dienstagabend, dem 15. August, 19 Uhr, am Online-Treffen teil, um das Aktionskomitee zu konstituieren und weitere Schritte im Kampf gegen den EVG-Ausverkauf einzuleiten. Meldet euch dazu per Whatsapp bei dieser Nummer +49-163-337 8340 oder registriert euch auch über das Formular am Ende des Artikels.

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