Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt

Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt - Stimmengewinne für Ultrarechte

Fünf Monate vor der Bundestagswahl hat die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt die scharfen politischen und sozialen Spannungen ans Licht gebracht, die unter der Oberfläche der deutschen Gesellschaft schlummern. Zum ersten Mal seit Kriegsende und dem Verbot der Hitlerpartei NSDAP erzielte eine rechtsextreme Partei, die offen rassistische Hetze gegen Ausländer betreibt, fast 13 Prozent der Stimmen.

Die Deutsche Volksunion (DVU) wird vom Münchner Verleger und Multimillionär Gerhard Frey gesteuert, der seit Jahrzehnten in großem Umfang Zeitungen und Bücher verbreitet, die das Nazi-Regime verherrlichen. Sie hatte bisher in Sachsen-Anhalt nicht mehr als einige Dutzend Mitglieder. Frey investierte Millionen in eine großangelegte Propagandaschlacht und war so in der Lage, die angestaute Wut und Verzweiflung über das soziale Elend auf seine Mühlen zu lenken.

Das Land an Elbe und Saale, mit seinen gut zwei Millionen Wahlberechtigten, war in der Vergangenheit neben dem Ruhrgebiet das zweite große Industriegebiet Deutschlands. Maschinenbau und Chemieindustrie hatten in dieser Region ihre wichtigsten Wurzeln. In der Stadt Wolfen wurde einst der erste Farbfilm der Welt entwickelt. Zu DDR-Zeiten waren im sogenannten Chemiedreieck Bitterfeld-Halle-Leuna allein in den Chemiewerken rund 120 000 Menschen beschäftigt. Der Großraum Magdeburg war die Hochburg des ostdeutschen Maschinenbaus mit über 80 000 Beschäftigten und im Mansfelder Land dominierte der Kupferbergbau.

Heute besteht in Sachsen-Anhalt die höchste Arbeitslosigkeit im ganzen Land. Nach offiziellen Angaben sind gegenwärtig 24,8 Prozent arbeitslos. Zählt man die rund 100 000 Menschen dazu, die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Umschulungs- und Weiterbildungsprogrammen beschäftigt sind, dann ist beinahe jeder Dritte ohne festen Arbeitsplatz. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen hat nach Schule und Ausbildung nicht die geringste Aussicht auf Beschäftigung.

Die Verantwortung für diese Zustände gaben die Wähler vor allem der Kanzlerpartei CDU. Sie war 1990, im Jahr der Einheit, größte Partei in diesem Gebiet und hatte in 48 von 49 Wahlkreisen die Mehrheit gewonnen. Vier Jahre später gewann sie nur noch 32 Direktmandate und mußte die Regierung abgeben. Jetzt hat sie erneut mehr als ein Drittel der Stimmen verloren und verfügt noch über zwei Direktmandate. Mit einem Stimmenanteil von 22 Prozent liegt sie nur noch knapp vor der PDS - der Nachfolgerin der DDR-Regierungspartei SED.

Vor vier Jahren hatte sich die Opposition gegen die Kohl-Regierung in einer hohen Wahlenthaltung und Stimmengewinnen für SPD und PDS ausgedrückt. Nur 55 Prozent der Wahlberechtigten hatten ihre Stimme abgegeben, das schlechteste Ergebnis einer Landtagswahl seit dem Krieg. Jetzt lag die Wahlbeteiligung mit 71 Prozent deutlich höher. Die SPD in Sachsen-Anhalt konnte davon aber weit weniger profitieren, als erwartet worden war. Mit einem Stimmenanteil von 36 Prozent gewann sie lediglich zwei Prozent hinzu, etwa gleich viel, wie die Grünen verloren, die mit der SPD in den vergangenen vier Jahren die Landesregierung gebildet hatten. Die Grünen rutschten unter die Fünf-Prozent-Klausel und sind nicht mehr im Landtag vertreten. Auch die PDS konnte ihren bisherigen Stimmenanteil nur knapp behaupten.

Die Proteststimmen gingen eindeutig auf das Konto der DVU. Gezielt hatte sie die soziale Frage in den Mittelpunkt gestellt und dazu ihr Wahlprogramm ausdrücklich verändert. Ihre bekannte rassistische Hetze gegen Ausländer wurde mit der „Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit" verknüpft. „Deutsches Geld für deutsche Arbeitsplätze!" und „Arbeitsplätze für Deutsche zuerst!" lauteten ihre zentralen Wahlkampfparolen, die wochenlang auf 20 000 übergroßen Wahlplakaten überall im Land zu lesen waren. Tagelang kreisten Flugzeuge mit Spruchbändern der DVU über Städten und Gemeinden.

Eine Woche vor der Wahl kam noch eine weitere DVU-Parole hinzu: „Diesmal Protest wählen!". In ihrer Wahlpropaganda wurden „korrupte Politiker", „Diätenfresser" und „EU-Bonzen" in einem Atemzug mit „Asylbetrügern" genannt. Weiter hieß es: "Wenn die Bosse nicht investieren, muß der Staat Geld geben, damit Arbeitsplätze geschaffen werden." Die weit verbreitete Opposition gegen Kanzler Kohl wurde geschürt und genutzt. Er sei „der Hauptschuldige am galoppierenden Zusammenbruch unserer Wirtschaft", tönte die DVU und ihr Parteisprecher Bernhard Dröse erklärte: „Die traditionelle Rechte hat die soziale Frage zu lange vernachlässigt."

Die rechtsextreme Partei war ganz gezielt auf Stimmenfang gegangen. Mit über drei Millionen Mark investierte sie in ihren Wahlkampf mehr Geld, als SPD und CDU zusammen. In den Meldeämtern erfragte sie die Adressen der 18- bis 29jährigen und schrieb alle gezielt an. Das führte dazu, daß 30 Prozent der unter Dreißigjährigen ihre Stimme der DVU gaben. Fast drei Viertel der DVU-Stimmen (103 000) kamen von bisherigen Nicht- und Erstwählern. Ein Blick auf die Wählerwanderung zeigt, daß etwa 40 000 frühere CDU- und SPD-Wähler und 11 000 bisherige PDS-Wähler der DVU die Stimme gaben. 23 Prozent der DVU-Wähler splitteten ihre Stimme sogar zwischen PDS und DVU indem sie mit ihrer Erststimme den Direktkandidaten der PDS, mit ihrer Parteistimme aber die DVU wählten. In den Arbeiterstädten und sozialen Brennpunkten erzielte die rechtsradikale Partei ihre größten Erfolge: Bitterfeld 17,5%; Wolfen 17,4%; Saalkreis und Halle-Silberhöhe 17%.

Die Mehrheit der Jungwähler waren zur Zeit des Zusammenbruchs der DDR und der Wiedervereinigung zwischen 10 und 20 Jahren alt. Sie waren in einer Gesellschaft aufgewachsen die sich in einem fortgeschrittenem Stadium der wirtschaftlichen und politischen Fäulnis befand. Sie hatten noch miterlebt, wie ihre Lehrer das korrupte SED-Regime als Sozialismus feierten und nach der Wende zu oft glühenden Anhängern von Marktwirtschaft und Kapitalismus wurden. Diese sprichwörtlichen „Wendehälse" erzeugten Verachtung und Zynismus. Die westliche Demokratie entpuppte sich schnell als Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend für die Masse der Bevölkerung und hemmungsloser Reichtum für eine kleine wirtschaftliche und politische Elite. Viele dieser Jugendlichen haben die Vertröstungen und das Geschwätz über Reformen satt und suchen einen radikalen Ausweg aus der gesellschaftlichen Krise.

Unter den älteren und politisch erfahrener Menschen war der Stimmenanteil für die Rechten weitaus niedriger. Bei den 45- bis 59jährigen waren es neun, bei den über 60jährigen sogar nur drei Prozent.

Politische Verantwortung von SPD und PDS

Die politische Verantwortung dafür, daß der soziale Protest Wasser auf die Mühlen einer rechtsextremen und faschistischen Partei leitete, tragen vor allem SPD und PDS. Sie haben die soziale Frage vollständig den rechten Demagogen überlassen. Meinungsumfragen gehen davon aus, daß die DVU auch anderswo ähnliche Erfolge erzielen könnte. Dennoch ist es kennzeichnend, daß sie gerade in Sachsen-Anhalt ihren ersten Durchbruch erreicht hat. Es ist das bisher einzige Bundesland, in dem eine rot-grüne Minderheitsregierung offiziell von der PDS unterstützt wird.

Dieses sogenannte „Magdeburger Modell" hat alle Hoffnungen auf eine Politik im Interesse der Arbeiter in kürzester Zeit enttäuscht. Die Regierung des Sozialdemokraten Höppner setzte einfach die Politik ihrer CDU-Vorgänger fort, die die Industrie zerschlagen und sich dabei hemmungslos bereichert hatten. Eine ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, Klaus Schucht zum Wirtschaftsminister zu bestellen. Schucht hatte große Erfahrung im Abbau von Arbeitsplätzen: Als Vorstandssprecher der Ruhrkohle AG hatte er bei der Stillegung des Ruhrbergbaus und als Privatisierungsexperte der Treuhand an der systematischen Zerschlagung der DDR-Wirtschaft teilgenommen. Unter seiner Aufsicht wurden die Wirtschaftsinteressen der westdeutschen und internationalen Konzerne und Banken ohne Rücksicht auf die sozialen Konsequenzen durchgesetzt.

So nahm die Zahl der Arbeitslosen in den Jahren des „Magdeburger Modells" dramatisch zu. In Städten wie Bitterfeld, einem früheren Zentrum der Chemieindustrie, verdoppelte sie sich seit 1996 auf 28,4 Prozent. Nicht weniger als vier Sparprogramme mit drastischen Kürzungen in allen Sozialbereichen hat die Höppner-Regierung beschlossen. Unter ihrer Leitung hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 20 Prozent erhöht. Trotzdem wurde Anfang des Jahres beschlossen, bei der Sozialhilfe gegenüber dem Vorjahr 147 Millionen einzusparen. Im Arbeitsmarktbereich sollen 58 Mio. gekürzt werden. Auch die Obdachlosigkeit stieg von Jahr zu Jahr und betrug Ende 1996 bereits 15.000.

Unterstützt wurde dieser Kurs auch von den Gewerkschaften. Mit der GEW handelte das Magdeburger Kulturministerium Anfang vergangenen Jahres einen Tarifvertrag der besonderen Art aus. Als Gegenleistung für einen befristeten Kündigungsschutz wurde eine Gehaltskürzung für Lehrer von bis zu 19 Prozent vereinbart - eine wahrhaft sozialdemokratische Pionierleistung.

Die PDS hat all diese Sparprogramme und Kürzungsmaßnahmen unterstützt und mitgetragen. Sie ist direkt verantwortlich für die soziale und politische Misere, die der DVU für ihre rassistische Demagogie diente.

Ähnliche Entwicklungen wie in Sachsen-Anhalt sind gegenwärtig überall in Europa zu beobachten. Dort wo die Sozialdemokraten die Regierungsverantwortung übernehmen, präsentieren sie sich als noch konsequentere Vertreter der Kapitalinteressen, als ihre konservativen Vorgänger. Zu der ständig wachsenden sozialen Krise und Verelendung immer breiterer Schichten der Gesellschaft kommt damit noch die politische Ausweglosigkeit. Es gibt buchstäblich niemanden mehr, der sich um ihre Probleme und Nöte kümmert.

So wird die Grundlage geschaffen, auf der rassistische und faschistische Demagogen die Verzweiflung dieser Schichten ausnutzen können, um die soziale Opposition in rassistische Bahnen zu lenken. Auf dieser Grundlage wächst der Einfluß der neofaschistischen Front National von Le Pen in Frankreich, wie man es bei den jüngsten Regionalwahlen sehen konnte, ebenso wie der von Jörg Haider in Österreich, dessen Stimmenanteil in wenigen Jahren, unter einer sozialdemokratischen Regierung von fünf auf 27 Prozent angestiegen ist.

Politischer Rechtsruck

Auf die Stimmengewinne der DVU haben alle Parteien in Deutschland mit einem Rechtsruck reagiert.

Die CSU tritt offen dafür ein, die rassistischen Parolen der DVU zu übernehmen, um deren Wähler zu gewinnen. Kanzler Kohl hat seinen Innenminister Kanther angewiesen, Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit in Angriff zu nehmen und einen Law-and-Order-Wahlkampf für die Bundestagswahlen vorzubereiten. SPD-Kanzlerkandidat Schröder fordert ultimativ, die SPD in Sachsen-Anhalt müsse eine Große Koalition mit der CDU bilden, die eben die Wahl verloren hat.

In Sachsen-Anhalt selbst tritt die Mehrheit der SPD für die Fortsetzung des „Magdeburger Modells" ein, d.h. für eine SPD-Minderheitsregierung, die sich auf die PDS stützt. Die PDS hat der SPD bereits eine solche Unterstützung ohne jegliche Vorbedingungen angeboten. Ein Teil der Gewerkschaften und eine Vielzahl radikaler linker Gruppierungen preisen dies als Lösung im Interesse der Arbeiter an.

Tatsächlich wäre daran nichts Fortschrittliches. Ministerpräsident Höppner würde vor allem deshalb lieber mit der PDS als mit der CDU zusammenarbeiten, weil er ihr eher zutraut, mit dem sozialen Sturm fertigzuwerden, der sich im Wahlergebnis angekündigt hat. Die PDS ist nicht nur geübter in sozialer Demagogie, sie verfügt - im Gegensatz zu allen anderen Parteien - im Osten über einen ausgeprägten Parteiapparat.

Die wichtigste Lehre, die sich aus der Wahl in Sachsen-Anhalt ergibt, besteht darin, daß die Arbeiterklasse als unabhängige gesellschaftliche Kraft in die politischen Ereignisse eingreifen muß. Dazu braucht sie eine internationale, sozialistische Strategie und eine Partei, die in der Lage ist, das gesamte wirtschaftliche Leben nach den Bedürfnissen der Bevölkerung, und nicht den Profitinteressen der Konzerne und Banken, neu zu organisieren. Dem Aufbau dieser Partei dient die Teilnahme der Partei für Soziale Gleichheit an der kommenden Bundestagswahl.

Siehe auch:

Nach 10 Monaten Jospin-Regierung gewinnen die Faschisten an Einfluß –
was ist der Ausweg?

[28. April 1998]
Präsidentschaftswahlen in Österreich -
Vorbereitung auf Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen

[25. April 1998]

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