Berlin: Ein Jahr Lageso

Im Sommer vergangenen Jahres wurde das Lageso zum Sinnbild für die menschenverachtende Flüchtlingspolitik des Berliner Senats. Die Bilder von den Warteschlangen erschöpfter und verzweifelter Menschen, darunter Kranke, Schwangere, kleine Kinder, gingen um die Welt und riefen überall Empörung hervor.

Heute, kurz vor der Berliner Wahl, will der Senat die erschütternden Bilder vergessen machen. Die Flüchtlingszahlen sind gesunken, seit die EU und die Bundesregierung die Schließung der Balkanroute und die Abschottung der EU-Außengrenzen unterstützten und damit auch wieder steigende Todeszahlen im Mittelmeer in Kauf nehmen.

Doch an den Warteschlangen und unmenschlichen Bedingungen für die Flüchtlinge in Berlin hat sich nichts geändert. Sie sollen nur aus dem öffentlichen Blick verbannt werden. Deshalb wurde die Leistungsabteilung zuerst in die Messehallen des ICC verlagert, und jetzt zieht die gesamte bisherige Anlaufstelle für Flüchtlinge des Lageso (Landesamt für Gesundheit und Soziales) in das Gebäude der ehemaligen Landesbank in Wilmersdorf. Turnhallen und Hostels der Innenstadt werden von Flüchtlingen geräumt. Den Berlin-Touristen und betuchten Bewohnern der Berliner Luxusmeilen und Szenevierteln soll der Anblick abgerissener, elender und verzweifelter Menschen künftig erspart bleiben.

Die meisten Menschen jedoch, die die Flucht nach Berlin geschafft haben, sitzen in der Falle. Ihre Hoffnungen auf ein neues Leben haben sich größtenteils zerschlagen. Nur wenige können auf ein dauerhaftes Asylrecht hoffen, meist nur gut ausgebildete Fachkräfte und Akademiker, denen die Politik entgegenkommt. Tausende fristen dagegen ihr Dasein in Massenunterkünften, ohne Hoffnung auf Arbeit oder Ausbildung, und immer mehr Menschen sind von Abschiebung bedroht.

Aber auch für die Berliner Bevölkerung bedeutete ein Jahr Lageso eine bittere Erfahrung: Ihre große Hilfsbereitschaft und Anteilnahme für die Flüchtlinge stieß mit der Feindschaft und bürokratischen Arroganz der Lageso-Bürokraten und Senatsverwaltung zusammen.

Zur Erinnerung: Als der Krieg in Syrien im vergangenen Jahr Millionen Menschen in die Flucht trieb und Tausende täglich in Berlin ankamen, ließ sie das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) tage- und nächtelang unter freiem Himmel ausharren, bei brütender Hitze im Sommer und bei bitterer Kälte im Winter.

Sie waren den Schikanen und Attacken von Security-Bewachern ausgesetzt und überstanden diese demütigende und inhumane Behandlung nur durch die Vielzahl freiwilliger Helfer aus der Berliner Bevölkerung, die sie versorgten und vielfach in die eigenen Wohnungen aufnahmen. Ohne sie hätte es noch mehr Tote gegeben als der kleine Junge Mohamed, der entführt und ermordet wurde, als seine Mutter mit ihren Kindern nachts in der Schlange wartete.

Trotz immer neuer Proteste weigerte sich das Lageso, die Flüchtlinge in menschenwürdige Unterkünfte unterzubringen. Sie mussten in überfüllten Hostel-Zimmern, deren Betreiber damit eine goldene Nase verdienten, in Turnhallen und anderen Massenlagern hausen, in qualvoller Enge, ohne jede Privatsphäre. Bis heute leben weit über tausend Menschen, und dies seit vielen Monaten, in den Flugzeughangars des ehemaligen Tempelhofer Flughafens, einst Rüstungshallen der Nazis und Ort brutaler Ausbeutung von Zwangsarbeitern.

CDU-Innensenator Frank Henkel, bereitete sich zwischenzeitlich systematisch darauf vor, einen großen Teil der Geflüchteten wieder aus Berlin zu vertreiben. Die Verschärfungen des Asylrechts durch die Bundesregierung setzte er aggressiv um. Erst kürzlich rühmte sich Henkel, Berlin habe die Abschiebungen gegenüber 2015 verdreifacht.

Zugleich nutzte der Senat die Flüchtlingskrise, um den Staatsapparat aufzurüsten, ein Klima von Law-and-Order zu schüren und autoritäre Strukturen zu schaffen, bei denen rechte Kräfte, wie ein AfD-Staatsanwalt, eingebunden sind. In Marzahn-Hellersdorf kann mittlerweile sogar eine ehemalige Kandidatin für die rechtsradikale DVU als Leiterin eines Asylheims Flüchtlinge drangsalieren.

Die große Zahl Berliner, die sich mit den Geflüchteten solidarisierten, versuchte der Senat einzuschüchtern – durch Hetzkampagnen gegen Helferinitiativen wie Moabit hilft und massive Polizeieinsätze, wie an der Alice-Salomon-Hochschule für Sozialpädagogik.

Im Frühjahr dieses Jahres einigten sich alle Parteien auf den „Masterplan für Integration“, der entgegen seines trügerischen Namens die Flüchtlinge in Gute und Schlechte aufteilt, in diejenigen mit Bleibeperspektive und die vielen, die wieder abgeschoben werden sollen. Im gleichen Atemzug tritt er für die Aufstockung der Polizei ein.

Nach einem Jahr Lageso ist vor allem eines sichtbar geworden: Der Berliner Senat hat die Flüchtlingskrise vor allem benutzt, um autoritäre Strukturen aufzubauen, die zunehmend gegen die breite Mehrheit der Berliner Bevölkerung und ihren sozialen Widerstand eingesetzt werden. Das zeigt der massive Polizeieinsatz gegen die Protestdemonstration in Berlin-Friedrichshain vor wenigen Wochen, die Innensenator Henkel mit einer rechtswidrigen Zwangsräumung provoziert hatte.

Die Lage in Berlin ist Teil der aggressiven Außenpolitik, zu der die herrschende Elite in Deutschland zurückgekehrt ist. Berlin soll wieder zur Hauptstadt des Militarismus gemacht werden. Den Regierenden ist klar, dass dies gerade hier, wo man an jeder Straßenecke auf die Spuren ihrer vergangenen Verbrechen trifft, ein diktatorisches Regime erfordert. Alle etablierten Parteien, auch die, die wie die Linke im Wahlkampf die Flüchtlingssituation in verlogener Weise für sich instrumentalisiert, unterstützen diesen Kurs. Besonders seit den Ereignissen von München, Würzburg und Ansbach rufen sie alle nach mehr Polizei und einen starken Staat.

Arbeiter müssen ihre Solidarität für die Flüchtlinge mit einem gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Diktaturvorbereitung verbinden und dabei an ihre sozialistischen Traditionen anknüpfen. Die einzige Partei in den Berliner Wahlen, die für diese Perspektive eintritt, ist die PSG.

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