Hessische Busfahrer streiken weiter

Der Streik der hessischen Busfahrer hat sich zum Wochenende ausgeweitet. Über zweitausend Busfahrer in Frankfurt, Darmstadt, Gießen, Marburg, Offenbach, Hanau, Maintal, Fulda und weiteren Kommunen führen einen unbefristeten Arbeitskampf gegen die üblen Ausbeuterbedingungen an ihrem Arbeitsplatz.

Streikende Busfahrer vor dem Busdepot Am Römerhof, Frankfurt-West

Der Streik ist Teil einer weltweiten Welle neuer Arbeitskämpfe. In jedem Land haben die Angriffe der herrschenden Eliten einen Siedepunkt erreicht, an dem offene Klassenkonflikte ausbrechen. Allein in den Bus- und Transportbetrieben und im öffentlichen Dienst kam es in den letzten Wochen und Monaten in Frankreich, Italien, und den USA zu wichtigen Streiks, und auch in Großbritannien weitet sich zurzeit der Arbeitskampf im Bahnverkehr aus.

In Hessen werden mehrere private Busunternehmen bestreikt, die im Landesverband Hessischer Omnibusbetriebe (LHO) organisiert sind. Ein Tarifvertrag von Verdi mit diesem Unternehmerverband ist schon im April 2016 ausgelaufen. Seither weigert sich der LHO entschieden, den Bruttostundenlohn von zwölf Euro auf mehr als 12,65 Euro anzuheben. Verdi fordert offiziell eine stufenweise Erhöhung des Bruttostundenlohns auf 13,50 Euro, eine bessere Pausenregelung, bei der maximal dreißig Minuten pro Tag abgezogen werden, und einen Urlaubstag mehr als bisher.

Nach sieben Monaten mit tariflosem Zustand hatte die Gewerkschaft endlich für Montag, 9.Januar, zum Streik aufgerufen, wobei sie offenbar mit zwei Tagen Streik gerechnet hatte. Noch am ersten Streiktag sagte Verdi-Bereichsleiter Ronald Laubrock zu den Pressevertretern: „Wir wollen nicht unser komplettes Pulver in der ersten Woche verschießen.“

Seither musste Verdi den Streik von Tag zu Tag verlängern, bis am Freitag der Busverkehr in großen Teilen der Region ganz zum Erliegen kam. Aus Solidarität schlossen sich auch Fahrer an, die nicht selbst betroffen waren, wie die Straßenbahnfahrer in Darmstadt und Busfahrer in Hanau und Gießen. Verdi tut jedoch nichts, um den Streik aktiv auf andere Bereiche des öffentlichen Nahverkehrs auszuweiten.

Eins hat der Streik jetzt schon erreicht: Er hat den Schleier von den üblen Bedingungen weggerissen, unter denen praktisch alle Busfahrer im hessischen Nahverkehr arbeiten müssen, und sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Unter solchen Bedingungen arbeiten mittlerweile sehr große Teile der Arbeiterklasse, sei es beim Busverkehr, der Straßenreinigung, der Paketpost, bei der Bahn, am Flughafen oder in den Kindertagesstätten – alles unverzichtbare Bereiche der öffentlichen Infrastruktur, die Verdi voneinander isoliert, um einen gemeinsamen Kampf zu verhindern.

Busfahrer am Streikposten

Die streikenden Busfahrer berichten offen über ihre Bedingungen. „Bei allem Respekt – was wir als Gehalt bekommen, das ist einfach zu wenig“, sagt Rasko, Frankfurter Busfahrer seit fünfzehn Jahren. „In diesen fünfzehn Jahren ist mein Grundlohn um ganze zwei Euro gestiegen. Mit 9.97 Euro habe ich angefangen, jetzt beläuft er sich offiziell auf zwölf Euro.“

Einer seiner Kollegen besteht darauf, dass die Öffentlichkeit erfährt, was ihr wirklicher Stundenlohn ist: „Es ist einfach nicht wahr, was die Medien schreiben: dass wir einen Stundenlohn von zwölf Euro erhalten. Man zieht uns die Pausenzeiten ab, obwohl wir sie sehr oft nicht einmal nutzen können! Seit 2002 wird das so gemacht.“ Wie er ausgerechnet hatte, beträgt sein Stundenlohn nicht mehr als 10,67 Euro brutto. „Das bedeutet, dass man uns mehrere hundert Euro geklaut hat.“ – „Mit dem, was wir rausbekommen, bewegen wir uns praktisch auf HartzIV-Niveau“, bestätigt ein junger Kollege.

Dabei sei ihre Verantwortung sehr groß, wie die Busfahrer immer wieder betonen. Einer sagt: „Wir sind alleine für einen vollbesetzten Gelenkbus verantwortlich. Oft müssen wir Alte, Kranke oder Schulkinder transportieren. Man muss die Augen überall haben.“ Sollte es einmal zu einem Schaden kommen, dann habe der Fahrer allein alles zu verantworten. „Die Firma schützt uns nicht.“

Ein anderer Fahrer berichtet, dass ihm die Sorgen ständig im Kopf rumgehen, weil er nicht weiß, wie die Miete zu bezahlen und die Familie durchzubringen sei. „Meine Arbeit leidet darunter, und die Fahrgäste kriegen das auch mit.“ – „Moderne Lohnsklaverei“, nennen es seine Kollegen, „eine Schande für eine Weltstadt wie Frankfurt, eine der reichsten Städte Deutschlands und Europas“.

Mustapha erklärt, dass fast jeder der Kollegen trotz Vollzeitarbeit auf soziale Unterstützung angewiesen sei, entweder auf Kindergeld oder Wohngeld oder auf eine Aufstockung vom Jobcenter nach Hartz-IV. „Das ist einfach entwürdigend“, sagt er. Früher seien die Busfahrer kommunale Bedienstete in unbefristeter Stellung gewesen. Durch die Privatisierungswelle sei alles abgeschafft worden: „Damit ging ein Lohndumping einher. Die Kollegen, die noch die Straßen- und U-Bahnen fahren, verdienen fast das Doppelte von uns. Sie kriegen auch Urlaubsgeld, Betriebsrenten, Prämien, Jobtickets und andere städtische Leistungen. Davon ist bei uns nicht die Rede.“

Doch wie konnte es dazu kommen?

Verdi, und auch viele Politiker der SPD, der Grünen und der Linkspartei stellen es so dar, als sei daran einzig und allein die CDU schuld: Mit der Regierung von Roland Koch (CDU) in Hessen sei vor siebzehn Jahren die Praxis eingeführt worden, die Aufträge europaweit auszuschrieben. Seither sei eine Situation entstanden, in der Dutzende privater Unternehmen den Markt unter sich aufteilen. „Es geht nur noch um Profite“, wie ein Busfahrer sagte.

Doch diesen Kurs unterstützen seit vielen Jahren alle Parteien: Neben der CDU haben auch die SPD, die Grünen und die Linkspartei eine Politik verfolgt, die sich ausschließlich am Profit orientiert. Auch wenn ein Teil der Politiker heute die so genannte „Re-Kommunalisierung“ der privatisierten Betriebe fordert und sie (wie in Frankfurt) in eine einzige Holding der Stadt zusammenfassen will, dann ändert das an den Bedingungen für die Arbeiter nicht das Geringste.

Der hessische Nahverkehrsmarkt war vor zwanzig Jahren noch ausschließlich in kommunaler Hand; bis 1995 wurde er vollständig umgebaut. Heute teilt sich die LHO den Nahverkehr mit zahlreichen teil- und vollprivatisierten Betrieben. Neben ICB, MMF, Alpina, Regiobus oder DB Busverkehr gibt es Betriebe, die zum französischen Transdev- oder dem italienischen Netinera-Konzern gehören. Hinter dem modernen öffentlichen Nahverkehr der Hochglanzbroschüren verbirgt sich eine massive Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen.

Die Europäische Kommission hat eine Liberalisierung des öffentlichen Nahverkehrs durchgesetzt, die der Konkurrenz die Möglichkeit gibt, auf dem gesamten Kontinent an Ausschreibungen zur Vergabe der Nahverkehrsaufgaben teilzunehmen. Die öffentlichen Auftraggeber nutzten den Konkurrenzdruck, um Niedriglohntarife in allen Bereichen durchzusetzen, und jeder neue Vertrag trug die Unterschrift der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Gemeinsam zerschlugen sie den Bundesangestelltentarifvertrag für den Öffentlichen Personennahverkehr und spalteten die bundesweit rund 250.000 Verkehrsarbeiter nach Ländern und Regionen. Entlassungen, Einstellungsstopps, Lohnkürzungen, Reduzierung des Urlaubsanspruchs und weitere soziale Kürzungen waren überall die Folge.

In Hessen herrscht seit dem Amtsantritt der Schwarz-Grünen Landesregierung unter Volker Bouffier (CDU) und Tarik Al-Wazir (Grüne) ein herzliches Einvernehmen zwischen dem Ministerium, den beauftragten Privatunternehmen und den DGB-Gewerkschaften. An einem runden Tisch des Wirtschaftsministers Al-Wazir beteiligten sich im Mai 2014 auch der damalige DGB-Bezirksvorsitzende Stefan Körzell und die hessischen Gewerkschaftsführer – auch Verdi. Wie sie damals bekanntgaben, wollten sie alle arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Themen künftig gemeinsam lösen. Sie beschlossen, einen so genannten „kurzen Draht zwischen Ministerium und Gewerkschaften“ einzurichten.

So konnte der grüne Minister Al-Wazir, der auch hessischer Verkehrsminister ist, in der Frankfurter Rundschau darauf hinweisen, dass „nahezu alle Busfahrer nach Tarif bezahlt“ würden, und dass alle Tarife „auf Gewerkschaftsseite von Verdi ausgehandelt worden“ seien. Obwohl der Unternehmerverband LHO bisher auf stur stellt und keinen Zentimeter nachgegeben hat, forterte Al-Wazir am Freitag, so rasch wie möglich eine Schlichtung einzuleiten, um den Streik zu beenden.

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