NGO-Schiff „Lifeline“ treibt im Mittelmeer

Am Dienstag trieb die „Lifeline“ den sechsten Tag in Folge im Mittelmeer vor Malta, ohne Erlaubnis, einen europäischen Hafen anzulaufen. Sie hat 234 Menschen an Bord, die aus Seenot gerettet wurden.

Der italienischen Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini (Lega), der diese Geflüchteten als „Menschenfleisch“ bezeichnet und die junge Crew der Seenotretter als „Komplizen der Menschenschleuser“ beschimpft, kooperiert derweil mit der libyschen Küstenwache. Diese besteht aus islamistischen Milizen und ist für ihren Menschen- und Waffenschmuggel und für Folterlager berüchtigt, aus denen heraus Menschen in die Sklaverei verkauft werden.

Am 25. Juni besuchte Salvini die libysche Übergangsregierung in Tripolis und ein Lager der libyschen Küstenwache. In der Art eines Mafiabosses stellte er der Küstenwache massive finanzielle und technische Hilfe in Aussicht, wenn sie alle Flüchtlinge, die in See stechen, aufgreifen, zurückschleppen und von den europäischen Küsten fernhalte.

Salvini sagte: „So wie die Europäische Union der Türkei, einem außereuropäischen Land, drei Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um die Grenzen im Osten zu verteidigen, so stellen unsere libyschen Freunde die gleiche Forderung für eine ebenso konkrete Maßnahme.“

Die italienische Küstenwache hat am Sonntag bekannt gegeben, sie sei ab sofort für die Seenotrettung vor der libyschen Küste nicht mehr zuständig. Derweil forderte Salvini die libysche „Einheitsregierung“ von Fajis al-Sarradsch in Tripolis auf, dafür zu sorgen, dass Flüchtlinge vor ihrer Küste abgefangen werden.

Salvini dankte der libyschen Küstenwache ausdrücklich und lobte ihre „exzellente Arbeit“, weil sie am Wochenende 820 Flüchtlinge auf See aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht hatte. In Wirklichkeit besteht die Küstenwache aus Milizen und Islamisten, die als Folterer und Menschenhändler berüchtigt sind und mit andern kriminellen Milizen zusammenarbeiten. Seit Mai 2018 wird vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen die Küstenwache wegen Entführung, Folter, Vergewaltigung, Versklavung und Mord an Flüchtlingen verhandelt. Die Klage haben mehrere Menschenrechtsorganisationen aus Italien, Großbritannien und den USA eingereicht.

Die Politik der italienischen Regierung tritt die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs mit Füßen. Der EUGH hat vor sechs Jahren Italien ausdrücklich verurteilt, weil die italienische Küstenwache Flüchtlinge auf dem Mittelmeer aufgriff und nach Libyen zurück transportierte. Das Zurückweisungsverbot („non-refoulement“) ist ein zentrales Element des internationalen Flüchtlingsrechts. Es besagt, dass Personen nicht in Staaten zurückgeschickt werden dürfen, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Gegen diese Prinzipien verstoßen keineswegs nur rechtsextreme Politiker und Hardliner wie Salvini. Den Deal mit der libyschen Küstenwache hatte letztes Jahr Salvinis Vorgänger, Marco Minniti von der jetzigen Oppositionspartei PD ausgehandelt. Auch Deutschland, Frankreich und die EU arbeiten eng mit der libyschen Küstenwache zusammen. Sie finanzieren die Regierung von Fajis al-Sarradsch in Tripolis als Statthalter der EU und rüsten die libysche Küstenwache mit Schiffen, Waffen, Equipment und Training aus.

Die EU hat die Abweisung von Flüchtlingen zum obersten Prinzip erhoben und beschlossen, die Grenzschutzorganisation Frontex von 1300 auf 10.000 Beamte aufzustocken. Auch der Boykott Italiens gegen NGO-Schiffe wird mehr und mehr von allen EU-Mitgliedstaaten unterstützt.

Nicht nur Italien und Malta, auch Spanien hat der „Lifeline“ die Landeerlaubnis verweigert. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE), der die „Aquarius“ mit 630 Flüchtlingen an Bord noch in Valencia hatte landen lassen, verweigert jetzt der „Lifeline“ eine Landung. Spanien dürfe „nicht zur maritimen Rettungsorganisation für ganz Europa“ werden, so der zuständige Minister José Luis Abalos, ebenfalls ein Sozialdemokrat.

Mehrere Bundestagsabgeordnete besuchten am Sonntag von Malta aus die „Lifeline“ und forderten daraufhin die deutsche Bundesregierung dringend auf, aktiv zu werden und sich endlich für eine Aufnahme des Schiffes in einem europäischen Hafen einzusetzen. Aber auch die Merkel-Regierung hat in dieser Angelegenheit bis Dienstagabend keinen Finger gerührt. So steht die „Lifeline“ kurz vor Beginn des EU-Gipfels vom 28. und 29. Juni symbolisch für die ganze Schändlichkeit der europäischen Asylpolitik: Die „Festung Europa“ schottet sich ab und geht dabei über Leichen.

Wie Axel Steier, Gründer der Dresdener Mission Lifeline, dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) berichtet hat, kommen die Menschen an Bord der „Lifeline“ fast alle aus Libyen, „die meisten aus Kellern und Lagern. Sie wurden gefoltert. Wir haben auch ehemalige Sklaven an Bord und vergewaltigte Frauen. Die meisten sind sehr stark unterernährt (…) Viele haben Krankheiten oder Knochenbrüche, die wir behandeln.“ Steier fügte hinzu: „Die Menschen haben Angst, dass es vielleicht zurückgeht.“

Inzwischen spitzt sich die Lage an Bord der „Lifeline“ zu. Eine drohende Schlechtwetterfront bedeutet eine große Gefahr für das Schiff, das nur für 100 Passagiere ausgelegt ist. Der französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux deutete am Dienstagmittag vorsichtig die Möglichkeit einer baldigen Landung in Valletta an. Die maltesische Regierung dementierte jedoch kategorisch und forderte erst die Zusage anderer europäischer Staaten, dass sie Flüchtlinge übernehmen. Während das Containerschiff Alexander Maersk, das ebenfalls 108 gerettete Flüchtlinge an Bord hatte, am Montag den Hafen von Pozzallo (Sizilien) anlaufen durfte, erklärte Salvini in Libyen kategorisch: „Kein NGO-Schiff wird mehr einen italienischen Hafen anlaufen.“

Wie zuvor schon die „Aquarius“, erinnert die „Lifeline“ stark an die Irrfahrt der „St.Louis“ im Jahr 1939. Diese versuchte mit 937 deutschen Juden an Bord, dem Nazi-Terror zu entkommen, und gelangte bis vor Kuba. Das rettende Ufer schon in Sichtweite, erhielt sie jedoch keine Landeerlaubnis, weder in Mittelamerika noch in den USA. Sie musste umkehren, zurück in das vom Faschismus bedrohte Europa, um in Belgien zu landen. Als die Wehrmacht im Frühjahr 1940 Belgien, die Niederlande und Frankreich überfiel, geriet ein Großteil der Menschen in die Hände der Nazis, und 254 der Passagiere wurden im Holocaust ermordet.

Die dunkelsten Kapitel des zwanzigsten Jahrhunderts leben wieder auf. So hat Salvini bei seinem Libyen-Besuch auch erneut vorgeschlagen, im Süden Libyens, in Niger, Mali, Tschad und Sudan mit Hilfe der EU neue „Hotspots“, d.h. riesige Konzentrationslager, für die ankommenden Flüchtlinge aus dem Süden zu errichten. Auch dieser Vorschlag erinnert fatal an die Zeit des Faschismus.

Unter der Herrschaft des italienischen Diktators Benito Mussolini, der Nord- und Ostafrika überfiel und brutal unterwarf, wurde um 1930 im Süden Libyens ein Konzentrierungslager in der sengenden Wüstensonne errichtet. Dort waren ab 1930 zehntausende Menschen gefangen, und jeder zweite von ihnen starb an den Strapazen, an Durst, Hunger, Erschöpfung oder Krankheit. In den afrikanischen Kolonien Kyrenaika und Tripolitanien (dem heutigen Libyen), Abessinien (heute Äthiopien) und Somaliland fielen der faschistischen Kolonialherrschaft eine halbe Million Menschen zum Opfer.

Aber Salvinis Vorschlag ist keineswegs die Verirrung eines einzelnen Rassisten, sondern offizielle Politik der EU: Die Einrichtung von schwer bewachten Internierungslagern außerhalb der EU, auf afrikanischem Boden, war schon Thema des Merkel-Macron-Gipfels und wird auch auf dem EU-Gipfel ein wichtiges Thema sein.

Zur gleichen Zeit bereitet sich auch in den Vereinigten Staaten das Militär aktiv darauf vor, Konzentrationslager für zehntausende Migranten ohne Papiere einzurichten.

Der Krieg der EU gegen die Flüchtlinge und Migranten hat schon viele Zehntausende Todesopfer gefordert. Vergangene Woche berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk, dass innerhalb von nur drei Tagen 220 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken seien. Die Zeitung Il Manifesto hat in einer Sonderausgabe die Namen von 34.361 Menschen veröffentlicht, die in den vergangenen 15 Jahren auf der Flucht vor Krieg, Terror, Verfolgung und Hunger an den Grenzen Europas ums Leben kamen.

Algerien hat allein in den letzten 14 Monaten 13.000 afrikanische Migranten, einschließlich Frauen und kleine Kinder, in der Wüste ausgesetzt, wie AP vor kurzem bekanntgab. Die Menschen werden des Bargelds und ihrer Handys beraubt, auf Lastwagen in die Wüste gefahren und bei Temperaturen zwischen 40 und 50 Grad ohne Wasser auf einen Todesmarsch nach Niger geschickt. Das mörderische Vorgehen steht in engem Zusammenhang mit der Abschottung Europas seit 2017 und geschieht mit vollem Wissen der EU.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt, dass in der Sahara etwa doppelt so viele Menschen wie auf dem Mittelmeer sterben, weil sie liegenbleiben und verdursten. Allein seit 2014, schätzt die IOM, seien über 30.000 Menschen auf diese Weise gestorben.

Siehe auch: „Stoppt den weltweiten Terror gegen Einwanderer und Flüchtlinge!“

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