Gabriel fordert aggressive Großmachtpolitik

Die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD ziehen sich in die Länge, weil alle drei Parteien wissen, dass der Militarismus, die Staatsaufrüstung und der Sozialabbau, die sie planen, in der Bevölkerung auf großen Widerstand treffen. Doch auch wenn die Beteiligten vereinbart haben, nicht öffentlich über den Stand der Verhandlungen zu sprechen und das Regierungsprogramm hinter dem Rücken der Öffentlichkeit auszuarbeiten, ergibt sich ein immer klareres Bild.

Hatte die CSU Ende des Jahres die massive Aufrüstung der Bundeswehr gefordert, startete Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Donnerstag mit einem ausführlichen Interview auf Spiegel Online ins neue Jahr. Darin tritt auch er für eine deutsche Großmachtpolitik ein, die sich insbesondere gegen Russland und China, aber auch gegen die USA richtet.

Die Mischung aus aggressiver Sprache und absurden Opferpose, die das Interview kennzeichnet, erinnert nicht zufällig an das Argument von der „aufgedrungenen Notwehr“, mit dem Wilhelm II. vor dem Reichstag Deutschlands Eintritt in den Ersten Weltkrieg begründete. Gabriel erklärt: „In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer“, und fordert unumwunden Aufrüstung und Kriegspolitik.

Deutschland könne sich nicht mehr darauf verlassen, „dass Franzosen, Briten und allen voran die Amerikaner unsere Interessen in der Welt durchsetzen“. Das Vertrauen darauf, dass die USA Deutschland im Kriegsfall Beistand leisten, sollte man nicht überstrapazieren, so der kommissarische Außenminister. „In einer unbequemen Welt werden wir es uns als Europäer nicht mehr bequem machen können und auf die USA warten.“

Deutschland werde schon heute von aller Welt missachtet: „In Wahrheit haben ja Moskau, Peking und Washington eines gemeinsam: Sie schätzen die Europäische Union überhaupt nicht. Sie missachten sie“, erklärt Gabriel. Autoritär geführte Staaten belächelten die EU, weil deren Mitglieder ihre nationalen Interessen nicht über die der Weltgemeinschaft stellten.

Diese Darstellung einer moralisch integeren, „vegetarischen“ EU, die sich im Haifischbecken der internationalen Politik behaupten müsse, ist offensichtlich hanebüchen. Deutschland und andere EU Staaten verfolgen eine aggressive Außenpolitik, führen etwa in Afghanistan, Syrien und Mali brutale Kriege und bedrohen Russland mit einem massiven Truppenaufmarsch an dessen Grenze.

Gabriels Rhetorik dient dazu, eine weitere Eskalation des deutschen Militarismus einzuleiten und ihn von jeder Einschränkung zu befreien. Europa liefere „nicht ausreichend sicht- und spürbar“ einen Output „an Stärke, an Technologie, an politischem und militärischem Einfluss“, so der Außenminister. Es müsse daher aufrüsten und seinen Einfluss ausdehnen: „Wir müssen zeigen, dass die, die uns so betrachten, im Irrtum sind, dass wir uns einigen können, dass wir als Gemeinschaft demokratischer und freier Staaten wirtschaftlich erfolgreich sind und politisch an Einfluss gewinnen. Dafür muss Europa auch eine Machtprojektion entfalten.“

So müsse Europa etwa China in Afrika und Russland auf dem Balkan herausfordern. „Im Süden und im Osten gewinnt China stetig an Einfluss, so sehr, dass einige europäische Mitgliedstaaten es nicht mehr wagen, Entscheidungen gegen chinesische Interessen zu treffen. Man merkt es überall: China ist das einzige Land auf der Welt mit einer echten geopolitischen Strategie.“

Dem will Gabriel eine massive europäische Aufrüstung unter deutscher Dominanz entgegensetzen. Dabei kritisiert er zwar den CSU-Vorstoß, den Verteidigungshaushalt im deutschen Alleingang auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen, fordert aber zugleich, dieselbe Politik in Kooperation mit Frankreich zu verfolgen. Dies sei die einzige Möglichkeit, wie Deutschland seiner Stimme auf der Welt Gehör verschaffen könne, so Gabriel.

Eine solche Politik soll dem Außenminister zufolge nicht so sehr an Werten, sondern an Interessen orientiert sein: „Bisher definieren wir häufig europäische Werte, bei der Definition gemeinsamer Interessen sind wir viel zu schwach.“ Unter diesen Umständen könne Deutschland „in einer Welt von lauter harten Interessenvertretern nicht erfolgreich sein“.

Gabriel hatte schon im Dezember letzten Jahres in einer außenpolitischen Grundsatzrede erklärt, dass es für Deutschland „keinen bequemen Platz an der Seitenlinie internationaler Politik mehr“ gebe. Schon in dieser Rede hatte er sich ausdrücklich gegen eine „Fixierung auf das Recht als Bewältigungsform politischer Herausforderungen“ gewandt. Er hatte für ein „politisch-strategisches Denken“ plädiert, dessen Blick nicht „stets zum Horizont moralischer Normen und Imperative“ schweife.

In der damaligen Rede wie im jetzigen Spiegel-Interview bezieht sich Gabriel ausdrücklich auf den Politologen Herfried Münkler. Der Professor an der Berliner Humboldt-Universität ist zum wichtigsten Stichwortgeber des Außenamts geworden. In seinem neuen Buch über den Dreißigjährigen Krieg fordert Münkler, „die Moral unter die Kuratel strategischen Denkens zu stellen“. Schon zuvor hatte er erklärt, dass Deutschland Hegemon und „Zuchtmeister“ Europas werden müsse.

Die Konsequenzen einer solchen Politik, die sich an den imperialistischen Interessen Deutschlands orientiert, brachte Münklers Kollege Jörg Baberowski auf den Punkt. Der Professor für osteuropäische Geschichte an der HU erklärte im Oktober 2014 in einer Diskussion über die „Interventionsmacht Deutschland“ in Hinblick auf den Krieg in Syrien: „Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen.“

Der rechtsradikale Professor, der nicht nur durch solche Kriegsverherrlichung, sondern auch durch die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen und üble Flüchtlingshetze aufgefallen ist, war bereits im letzten Jahr von der SPD-Politikerin und HU-Präsidentin Sabine Kunst ausdrücklich unterstützt und gegen kritische Studierende verteidigt worden.

Nun wird die militaristische und menschenfeindliche Agenda, die Professoren wie Münkler und Baberowski ausgearbeitet haben, offizielle Außenpolitik. Das bestätigt die Warnungen der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE), die der rechten und militaristischen Ideologie an der Humboldt-Universität in den letzten Jahren systematisch entgegengetreten sind. Die Jugendorganisation der Vierten Internationale organisierte Veranstaltungen, schrieb Artikel und verteilte Flugblätter, die auf die Bedeutung der Arbeiten Münklers, Baberowskis und anderer Professoren für die Rückkehr des deutschen Militarismus hinwiesen.

Im Vorwort zum Buch „Wissenschaft statt Kriegspropaganda“, das die Auseinandersetzung an der HU dokumentiert, hieß es bereits vor zweieinhalb Jahren, das Buch handle „von der Beziehung zwischen Wissenschaft und Politik in Zeiten des Militarismus, internationaler Konflikte und scharfer sozialen Spannungen. Es dreht sich um die Frage: Bleiben die Universitäten Zentren der Wissenschaft und der freien Auseinandersetzung? Oder werden sie wieder, wie schon früher in der deutschen Geschichte, zu staatlich gelenkten Kaderschmieden für rechte und militaristische Ideologien?“

Auch die herrschende Klasse, die sich mit einer enormen Opposition gegen ihre Kriegspolitik konfrontiert sieht, ist sich über die Bedeutung dieser Auseinandersetzung bewusst. Im Spiegel-Interview bedauert Gabriel, dass es noch zu wenig derartige Kaderschmieden gebe: „Leider haben wir keine Erfahrung und keine wirkliche Struktur für strategische Überlegungen: Es gibt bei uns keine Thinktank-Kultur. Es wird eine der Aufgaben der Außenpolitik sein, diese intellektuellen Fähigkeiten in Europa und in Deutschland zu entwickeln.“

Gabriels Pläne für eine deutsche Großmachtpolitik sind nicht nur eine Bestätigung des Kampfs der IYSSE an der HU. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, die IYSSE als internationale sozialistische Jugendbewegung aufzubauen, die Studierende und junge Arbeiter auf der ganzen Welt im Kampf gegen Kapitalismus und Krieg vereint.

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