Berlinale: SPD-Ministerin treibt #MeToo-Kampagne voran

Das Filmfestival Berlinale ist dafür bekannt, aktuelle politische Themen und Diskussionen aufzugreifen. Auch in diesem Jahr setzten sich viele Filme mit bedeutenden Fragen wie etwa dem Schicksal von Flüchtlingen auseinander.

Doch der mediale Zirkus der diesjährigen Berlinale drehte sich nur um ein Thema: #MeToo. Kein Interview, keine Veranstaltung, kein Medienbericht ohne Bezug zu MeToo. Die Kampagne gegen „sexuelle Belästigung“ im Kulturbetrieb lenkt gezielt von den grundlegenden politischen und sozialen Entwicklungen ab, die Künstler, Kulturschaffende und Publikum eigentlich beschäftigen sollten.

Union und SPD, die gerade eine extrem arbeiterfeindliche und militaristische Regierung vorbereiten, spielten eine wesentliche Rolle dabei, die MeToo-Kampagne auf der Berlinale voranzutreiben. Schon auf der Eröffnungsgala hatte CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärt: „Wir rollen auch für MeToo den Teppich aus.“

Am Montag vor einer Woche war die SPD-Familienministerin Katarina Barley die Hauptrednerin auf der MeToo-Veranstaltung „Kultur will Wandel: Eine Gesprächsrunde zu sexualisierter Belästigung und Gewalt in der Film- und Fernsehbranche“. Die Veranstaltung wurde von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Initiative ProQuote Film und dem Bundesverband Schauspiel organisiert und fand direkt neben dem Kanzleramt im Kabarettzelt des Tipi-Theaters statt.

Barley hatte sich bereits letztes Jahr an die Spitze der MeToo-Bewegung in Deutschland gestellt. Nun begrüßte die Ministerin das „Erdbeben“, das MeToo ausgelöst habe, und verkündete vor einigen Hundert Zuschauern – vor allem vielen Frauen aus der Film- und Kulturbranche –, es sei „gut so“, dass kein Bericht der Berlinale ohne das Thema auskomme. Frauen erlebten „sexuelle Gewalt jeden Tag und deshalb müssen wir hier und heute etwas ändern“.

Barley beklagte, dass Macht „in unserer Gesellschaft strukturell männlich“ sei, und forderte die Einführung einer Quote. Es gelte, „Frauen in verantwortungsbewusste Positionen“ zu bringen. In diesem Zusammenhang lobte sie den Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU und CSU, der sich die Gleichstellung von Frauen zum Ziel setze. „Frauen sind in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert. Mit dem Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen haben wir in der vergangenen Legislaturperiode einen Meilenstein gesetzt. Diesen Weg werden wir weitergehen“, heißt es dort.

Allein die Tatsache, dass sich Barley bei ihrer Umarmung von MeToo auf den Koalitionsvertrag bezog, zeigt den reaktionären Charakter der Kampagne. Sollte die Große Koalition auf dieser Grundlage gebildet werden, wäre sie die rechteste Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie würde eine aggressive innere und äußere Aufrüstung betreiben, wie sie seit Kriegsende nicht mehr stattfand. Das Koalitionspapier, das Barley mehrfach lobte, sieht eine umfassende Erhöhung des Verteidigungsetats und eine brutale Flüchtlings- und Abschiebepolitik vor, die aus dem Arsenal der AfD stammt.

Barley selbst bereitet sich darauf vor, in dieser Regierung eine Spitzenrolle zu spielen. Am Aschermittwoch brachte sie sich sogar als künftige Außenministerin ins Spiel und nannte sich die „Universalwaffe“ der SPD. Gegenwärtig hält Barley sowohl das Familien- als auch das Arbeitsministerium in der Hand und steht damit für eine Agenda, die mit Hartz IV und brutalen Kürzungen im gesamten Sozialbereich – von Kinderbetreuung bis Rente – Tausende Arbeiterfrauen und ihre Familien in Armut gestürzt hat.

Barley will über „strukturelle Gewalt“ sprechen? Sie selbst ist Mitglied einer Partei, die nicht nur sexuelle Gewalt, sondern auch unzählige weitere Formen von Gewalt im Kapitalismus tagtäglich zementiert. Prekäre Familienverhältnisse, die oft von Gewalt, Alkoholismus und Drogen geprägt sind, unsichere Lebensbedingungen für viele junge Menschen, gerade auch unter freischaffenden Künstlern, Arbeitshetze, Wohnungsnot, Depressionen – all das ist das Produkt von jahrzehntelanger SPD-Politik, die von Barley als ehemalige Generalsekretärin und jetzige Ministerin federführend getragen wurde.

Bürgerliche Politikerinnen wie Katarina Barley sind der lebende Beweis, dass die Forderung nach Frauen in Führungspositionen keinerlei progressiven Inhalt hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nicht nur die Rechtswende in Deutschland angeführt, sondern auch in anderen Ländern wie Griechenland ein Spardiktat nach dem nächsten angeordnet und ganze Gesellschaften zerstört. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rüstet die Bundeswehr für Kriege rund um den Globus und hielt kürzlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine geifernde Kriegsrede. International sieht es nicht besser aus: IWF-Chefin Christine Lagarde oder die Demokratin Hillary Clinton – beide abstoßende Vertreterinnen der internationalen Finanzoligarchie – haben sich #MeToo und Identitätspolitik auf die Fahnen geschrieben.

Und sollte Barley tatsächlich das Auswärtige Amt übernehmen, würde sie wie ihre sozialdemokratischen Vorgänger Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel die Rückkehr des deutschen Militarismus vorantreiben: Die Koalition plant eine massive Eskalation der Kriegseinsätze und der Abschottung Europas. Gerade diese Politik wird Millionen Menschen in die Flucht treiben und sie der Gefahr von sexueller Gewalt und Unterdrückung aussetzen.

Barley und die SPD verfolgen mit ihrer Unterstützung der MeToo-Bewegung zutiefst reaktionäre Ziele. Zum einen will die SPD um jeden Preis vom arbeiterfeindlichen Charakter und Kriegsprogramm der Regierung ablenken – alle reden über MeToo, keiner über Krieg und soziale Ungleichheit. Zum anderen benutzen sie MeToo als Vehikel, um Teile der Mittelschichten, insbesondere der Medien- und Kulturwelt, für sich einzuspannen – im Gegenzug verteilen sie Gelder und Posten und schaffen für Frauen größere Karrierespielräume. Und außerdem eignen sich hysterische Medienkampagnen wie die über sexuelle Belästigung hervorragend, um innere Aufrüstung, Gesetzesverschärfungen und Zensur zu legitimieren.

Barley selbst hatte die MeToo-Frage von Beginn an genutzt, um für schärfere Gesetze zu werben. Auf der Veranstaltung prahlte sie damit, dass die Große Koalition unter dem Slogan „Nein heißt Nein“ das Sexualstrafrecht verschärft hat. Endlich könnten auch „Begrapschungen“ als Straftat geahndet werden.

Der weitreichenden Verschärfung des Sexualstrafrechts im Sommer 2016 ging eine monatelange rassistische Medienkampagne rund um die „Ereignisse“ der Kölner Silvesternacht voran. Damals wurde behauptet, ein Mob arabischer Männer hätte Frauen massiv bedrängt und vergewaltigt. Obwohl sich bald herausstellte, dass die Medienhysterie auf Sand gebaut war und in der Silvesternacht nicht mehr passiert war, als bei anderen Großveranstaltungen leider auch, hatte sie bereits die gewünschten Folgen gezeitigt: eine Stärkung rechter Kräfte wie Pegida und AfD und die notwendige Stimmung für eine Verschärfung des Strafrechts und für innere Aufrüstung.

Im Zuge der Hetze gegen muslimische Männer, die nach Köln die Zeitungen füllte, verbündeten sich Feministinnen wie Alice Schwarzer mit offen rechten Kräften. Diese Allianz war kein Zufall. Auch die MeToo-Bewegung, die an antidemokratische und reaktionäre Traditionen anknüpft, ermutigt die rechtesten Tendenzen.

Das zeigte am vergangenen Montag eine Aktion der Gruppe #120db, die zur rechtsextremen Bewegung der Identitären Bewegung gehört. Sie stürmte das Podium der MeToo-Veranstaltung, auf dem nach Barleys Rede einige bekannte Schauspieler und führende Vertreter aus Rundfunk und Fernsehen über die Einführung von Quoten und Verhaltensregeln am Filmset debattierten. Die rechtsextreme Truppe warf unter dem Sirenengeheul eines Taschenalarms Flyer ins Publikum und entrollte ein Plakat mit der Aufschrift „Die Stimme der vergessenen Frauen“. Gemeint sind Frauen, die angeblich Opfer von „importierter Gewalt“ – also sexuellen Übergriffen von Migranten – geworden sind.

Dass diese rassistischen Hetzer jetzt auftrumpfen können, ist ein Ergebnis der Politik der etablierten Parteien, insbesondere der SPD. Sie haben die Grundlage geschaffen, auf der rechtsextreme Kräfte wie Pegida und die AfD wachsen konnten. Jetzt integrieren sie die AfD in die offizielle Politik.

Bezeichnend war dann auch die Reaktion des Podiums auf den kurzen Störauftritt der Identitären. Während aus dem Publikum lautstarker Protest und „Nazis Raus“-Rufe zu hören waren, hieß es auf dem Podium, man müsse „auch mit diesen jungen Frauen reden“. So Barbara Rohm, Mitbegründerin und Vorsitzende der Initiative ProQuote Film. Kein Podiumsgast setzte dem etwas entgegen oder kritisierte die rechtsextreme Aktion. Stattdessen führte die Moderatorin und FAZ-Journalistin Verena Lueken das oberflächliche Gespräch fort, als sei nichts gewesen.

Obwohl viele Künstler auf der Berlinale die MeToo-Bewegung unterstützten, gab es auch kritische und skeptische Stimmen. Einige äußerten gegenüber den unablässigen Fragen der Journalisten nach #MeToo ihren Überdruss. Die Forderung einer Initiative, bei der Berlinale einen schwarzen statt einen roten Teppich auszurollen, um ein „Zeichen“ für MeToo zu setzen, stieß bei einigen Anwesenden auf Unverständnis. Der Filmregisseur Michael Haneke hatte MeToo noch vor der Berlinale scharf kritisiert. Auch die deutschen Schauspielerinnen Heike Makatsch und Hanna Schygulla brachten Kritik vor.

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