David North
Verteidigung Leo Trotzki

Vorwort des Herausgebers zur zweiten Auflage

Anlass für die zweite, stark erweiterte Auflage der Verteidigung Leo Trotzkis von David North ist die breite Diskussion, die die erste Auflage seit 2010 unter Historikern, Feuilletonredakteuren, Verlegern und Buchhändlern ausgelöst hat. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der in diesem Buch ausführlich kritisierten Trotzki-Biografie des britischen Autors Robert Service durch den Suhrkamp Verlag nahmen die Auseinandersetzungen in Deutschland besonders heftige Formen an – ein deutliches Indiz für die Aktualität des vor 70 Jahren durch einen stalinistischen Agenten ermordeten Revolutionärs Leo Trotzki, seiner Ideen und politischen Konzepte; ein deutliches Indiz aber auch für die Relevanz der grundlegenden Fragen geschichtswissenschaftlicher Methodik, die North mit seiner Kritik aufgeworfen hat. Worum geht es?

Gut fünfzehn Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 waren in kurzen Abständen drei Biografien von britischen Historikern über Leo Trotzki, Führer der Oktoberrevolution von 1917 in Russland und unversöhnlicher Gegner des Stalinismus, erschienen. Die Botschaft war bei allen drei Autoren, Ian Thatcher, Geoffrey Swain und Robert Service dieselbe: »Trotzki war keine Alternative zu Stalin! Nichtswürdig war er nicht nur als Politiker, sondern auch als Mensch! Auf sein umfangreiches schriftstellerisches Werk, auf seine Ideen und politischen Konzepte näher einzugehen lohnt sich nicht!« Und alle drei wurden in den Medien der angelsächsischen Welt, auch in mancher Fachliteratur hoch gerühmt.

Aber was ist, abgesehen vom medialen und kommerziellen Erfolg, der wissenschaftliche Wert dieser Biografien? Unter diesem Gesichtspunkt hat sie David North umfassenden und aufschlussreichen Analysen unterworfen. Kern seines Befundes: Sie genügen nicht im Entferntesten den etablierten wissenschaftlichen Standards für den Umgang mit historischen Tatsachen, Personen und Quellen, auch die Regeln verlegerischer Sorgfalt und Integrität sind gröblich verletzt.

Unter Historikern erhielt David North von Autoritäten ihres Faches uneingeschränkte Unterstützung. Bertrand Patenaude, als Professor der Hoover Institution, Stanford University, der Sympathien für Trotzki unverdächtig, verfasste im Auftrag der angesehenen amerikanischen Historiker-Zeitschrift The American Historical Review eine detaillierte Parallel-Besprechung[1] der Trotzki-Biografie von Robert Service und des Buches Verteidigung Leo Trotzkis. Er bekräftigte darin die Kritik von David North und schloss mit dem vernichtenden Urteil: »North nennt Services Biografie ein »zusammengeschustertes Machwerk«. Starke Worte, aber völlig berechtigt. Harvard University Press hat sein Imprimatur unter ein Buch gesetzt, das die elementaren Regeln der Geschichtswissenschaft missachtet.« Bis heute haben weder Robert Service noch seine Verlage die von Patenaude bestätigten Vorwürfe David Norths widerlegt oder auch nur versucht, sie zu widerlegen.

Auf Grund dieser Sachlage hatten dann im Sommer 2011 Professor Hermann Weber, Nestor der Stalinismus- und DDR-Forschung, und Professor Helmut Dahmer, als Herausgeber einer wissenschaftlich-kritischen Ausgabe der Werke Leo Trotzkis international anerkannter Experte, in einem zunächst vertraulichen Brief an den Suhrkamp Verlag erhebliche Bedenken gegen die dort geplante Veröffentlichung des Buchs von Robert Service angemeldet.[2] Es handele sich nicht um eine wissenschaftliche Streitschrift, sondern um eine ideologisch motivierte Schmähschrift, argumentierten sie unter Verweis auf das Buch von North und das Gutachten von Patenaude. Zwölf weitere namhafte Historiker und Politikwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten den Brief mit unterzeichnet. Der Verlag reagierte zunächst, indem er das bereits druckfertige Buch von Service stoppte und einer erneuten Prüfung unterzog. Doch im Juli 2012 erschien es mit mehr als einem Jahr Verspätung dann doch – gegenüber dem englischen, von Harvard University Press herausgegebenen Original fast unverändert, mit all seinen Fehlern und Fälschungen. Von zahlreichen Rezensenten, aber auch von Freunden des Suhrkamp Verlages und vielen Buchhändlern wurde dies als Skandal empfunden. In den darauffolgenden Wochen erschienen in den großen deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen, in Hörfunkjournalen und Online-Medien an die zwanzig, für Service und Suhrkamp überwiegend vernichtende Buchbesprechungen. Selbst diejenigen Rezensenten, die Leo Trotzki und seinem Verteidiger David North politisch ablehnend gegenüberstehen, mussten einräumen, dass das Buch von Robert Service wissenschaftlich unhaltbar, die Kritik von North zutreffend ist.

Es gab aber auch einige Verteidiger von Robert Service. Abgesehen von der Jungen Freiheit, einem Sprachrohr rechtsradikaler Kreise, stellten sich auch die Rezensenten der Neuen Zürcher Zeitung und Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausdrücklich auf die Seite von Service. Sie leugneten die von North aufgedeckte Unzahl von Fehlern und Fälschungen in seinem Buch nicht, vertraten aber die Ansicht, dass es gleichwohl von Suhrkamp aus rein ideologischen Gründen, allein wegen seiner Feindschaft gegenüber Leo Trotzki unbedingt veröffentlicht werden müsse.

David North hielt im Laufe dieser Auseinandersetzungen drei weitere Vorträge, um dazu Stellung zu nehmen, zwei davon in Deutschland. Er erläuterte unter anderem den engen Zusammenhang zwischen dem Kampf der marxistischen Linken Opposition gegen die stalinistische Bürokratie und dem Schicksal der deutschen Arbeiterklasse in den 1920er- und 1930er-Jahren. Dieser erkläre auch, so North, die Heftigkeit der Diskussionen über Trotzki gerade in Deutschland.

Die drei Vorträge sind nun in der zweiten Auflage als neues Material der Verteidigung Leo Trotzkis dokumentiert, ebenso die Besprechung von Bertrand Patenaude und der Brief der 14 Geschichts- und Politikwissenschaftler an den Suhrkamp Verlag.

Natürlich ist ein Verlag stolz, wenn er dem Leser ein Buch nach kurzer Zeit in einer zweiten, wesentlich erweiterten Auflage vorlegen kann und dies folgendem Umstand zu verdanken ist: Die in der ersten Auflage vom Autor vorgetragenen Ausführungen haben in der Fachwelt Unterstützung gefunden und ganz offensichtlich einen zentralen Nerv wissenschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen getroffen. Verteidigung Leo Trotzkis ist ein solches Buch. Wer die historische Wahrheit über Leo Trotzki, über seine Ideen und sein Wirken erfahren will, dem wird es unentbehrlich sein und immer wieder neue Anregungen zum Nachdenken, Forschen und Diskutieren bieten.

September 2012, Wolfgang Weber


[1]

The American Historical Review, Vol. 116, No. 3 (June 2011), pp. 900–902. Siehe Anhang, Dokument I.

[2]

Siehe Anhang, Dokument II.