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Präsidentschaftswahlen in Österreich

Vorbereitung auf Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen

»Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie sich gleich«, sagt der Volksmund. Das gilt auch umgekehrt. Mitunter finden wichtige politische Veränderungen fast unbemerkt, im Verborgenen, hinter einer Fassade scheinbarer Stabilität und Kontinuität statt. So ist das gegenwärtig in Österreich. Am vergangenen Sonntag wurde dort der bisherige Bundespräsident für weitere sechs Jahre gewählt.

Mit 63,5 Prozent der Stimmen erhielt Thomas Klestil bereits in der ersten Wahlrunde erheblich mehr Unterstützung als vor sechs Jahren. Damals war es ihm erst im zweiten Wahlgang gelungen, die notwendige absolute Mehrheit zu erreichen. Kommentatoren verweisen auf Amtsbonus und Popularität. Doch der Stimmenzuwachs läßt sich nicht aus »überragender Amtsführung« erklären.

Vor sechs Jahren hatte Klestil seinen Wahlkampf als Kandidat der christlich konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) geführt und dabei das heilige Sakrament der Ehe und intakte Familienbeziehungen betont. Wenige Monate nach der Wahl 1992 verließ seine Ehefrau unter Protest und Medienrummel die Präsidentenvilla, nachdem bekannt geworden war, daß ihr Mann seit Jahren ein Verhältnis mit einer Mitarbeiterin im Präsidialamt hatte. Es folgte eine Affäre wegen einer Beamtenpension, die Klestil zuzüglich zu seinem üppigen Präsidentengehalt bezog. Und schließlich war er im vergangenen Jahr auch gesundheitlich stark angeschlagen.

Die Wiederwahl von Klestil entspringt also nicht politischer Leistung oder persönlicher Autorität, sondern ist das Ergebnis von Absprachen führender Politiker in Österreich, die für den alten und neuen Bundespräsidenten eine ganz besondere Aufgabe bereithalten. Er soll den rechtsradikalen Jörg Haider und seine Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in die Regierungsverantwortung einbinden.

Thomas Klestil bringt dafür gute Voraussetzungen mit. Als sein Vorgänger im Präsidentenamt Kurt Waldheim aufgrund seiner Rolle im Naziregime vom damaligen amerikanischen Präsidenten auf die Watchlist gesetzt wurde und in den USA Einreiseverbot erhielt, war Klestil Botschafter in Washington. Zwar konnte er die internationale Ächtung Österreichs damals nicht verhindern, aber er arbeitete intensiv daran, die diplomatischen Verbindungen im Ausland wieder aufzubauen und soll, bei einer Regierungsbeteiligung von Jörg Haider, eine erneute Isolation der Alpenrepublik verhindern.

Während des Wahlkampfs der vergangenen Wochen hat Klestil immer wieder betont, daß er Haider und seine Freiheitliche Partei als durchaus regierungsfähig betrachte. Eine weitere Ausgrenzung der Haider-Partei sei eine Mißachtung des Wählerwillens und undemokratisch. Haider antwortete prompt und gab eine eindeutige Wahlempfehlung zu Gunsten des bisherigen Amtsinhabers aus.

Um diese Unterstützung der Rechtsradikalen zu gewinnen, hatte Klestil sich diesmal nicht mehr als ÖVP-Kandidat um das höchste Staatsamt beworben, sondern war als unabhängiger, über den Parteien stehender Bewerber angetreten.

Von vier weiteren Kandidaten stützten sich zwei auf die weitverbreitete Opposition gegen Haider, waren aber von Anfang an ohne ernsthafte Erfolgsaussichten. Zum einen die Vorsitzende des Liberalen Forums, Heide Schmidt, die bei den Präsidentschaftswahlen vor sechs Jahren noch als Haiders Stellvertreterin kandidiert hatte, aber kurze Zeit später die FPÖ verließ und das Liberale Forum gründete. Ihre Abneigung gegen Haider begründete sie vorwiegend mit seinem »autoritären Führungsstil«. Das änderte nichts daran, daß sie selbst eine erzkonservative Politik vertritt. Gemessen am früheren Wahlergebnis verlor Heide Schmidt mehr als fünf Prozent und erreichte nur noch 11 Prozent der Stimmen.

Auf Drängen der Grünen kandidierte nach langem Zögern auch die evangelische Theologin Gertraud Knoll und forderte mehr »Menschlichkeit und Rückgrat in der Politik«. In den wenigen Wochen ihres Wahlkampfs ist sie unter dem Druck einer gezielten Medienkampagne allerdings von ihrer ursprünglichen Forderung nach einem Bleiberecht für alle Ausländer weitgehend abgerückt. Von den vorhergesagten 20 erreichte sie nur 13,5 Prozent der Stimmen.

Eine Schlüsselrolle für die Wahl Klestils und für den weiteren politischen Aufstieg Haiders spielen die Sozialdemokraten der SPÖ. Zum ersten Mal stellten sie keinen eigenen Kandidaten auf, obwohl sie früher das Präsidentenamt als ihre politische Domäne betrachteten.

Die SPÖ ist die älteste und mitgliederstärkste Partei Österreichs. Seit 1970 – fast drei Jahrzehnte lang – stellt sie ununterbrochen den Bundeskanzler in Wien. Seit zwölf Jahren regiert sie mit der ÖVP in einer großen Koalition.

Die Jahre, in denen die Sozialdemokraten auf sozialen Ausgleich bedacht waren und Reformen im Interesse der Bevölkerung durchsetzten, sind schon lange vorbei. Die Vormacht internationaler Finanzmärkte und Kapitalströme hat das Sozialstaatsgefüge auch in Österreich aufgebrochen und seit Jahren setzt die Regierung ein Sparprogramm nach dem anderen durch. Viele Staatsbetriebe wurden privatisiert und die Arbeitslosigkeit stieg, wie im Nachbarland Deutschland, auf Rekordhöhe wie in den dreißiger Jahren.

Schon vor anderthalb Jahren dokumentierte ein Sozialbericht der »Caritas« ein sprunghaftes Ansteigen der Massenarmut. Vor allem Familien mit Kindern seien betroffen. In einem hochindustrialisierten Land mit einer Bevölkerung von knapp neun Millionen Menschen leben diesem Bericht zufolge fast eine Viertelmillion Kinder unter der Armutsgrenze.

Dieses soziale Desaster bildet den politischen Nährboden für das immer aggressivere Auftreten des rechtsradikalen Demagogen Jörg Haider. Der mehrfache Millionär und Großgrundbesitzer gehört zu den reichsten Männern Österreichs, gibt sich aber gern als Anwalt der kleinen Leute und sozial Schwachen aus.

Haider hat nie einen Hehl daraus gemacht, wes Geistes Kind er ist. 1990 erklärte er öffentlich seine Bewunderung für Adolf Hitler und das »Beschäftigungsprogramm der Nazis«. Drei Jahre später initiierte er einen Volksentscheid »Österreich zuerst!«, in dem er die rigorose Ausweisung von Ausländern und Asylbewerbern forderte und einen umfassenden Kampf »gegen die Überfremdung Österreichs« ankündigte. Systematisch lenkt er den wachsenden Widerstand gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau in rechte, rassistische Bahnen und verbreitet ungestört das Gift des Rassismus in immer breiteren Schichten der Bevölkerung.

Die Sozialdemokraten reagierten auf den schnell wachsenden politischen Einfluß Haiders, indem sie seine reaktionären Parolen übernahmen, um, wie sie erklärten, »ihn überflüssig zu machen«. Mit immer schärferen Gesetzen und Verordnungen ging die Regierung gegen Ausländer und Asylsuchende vor. Haider klatschte Beifall. Als der frühere sozialdemokratische Innenminister Löschnak ausländerfreie Bezirke forderte und eine extrem restriktive Ausländerpolitik durchsetzte, bezeichnete ihn Haider als »mein bester Mann in der Regierung«. Als kurz darauf der Arbeitsminister der SPÖ einen »gemeinnützigen Pflichtdienst« – sprich Arbeitsdienst – für Langzeitarbeitslose forderte, verwies Haider auf seine Urheberschaft dieser Forderung.

Das Ergebnis dieser Politik waren immer spektakulärere Stimmengewinne der Rechtsradikalen. In den zwölf Jahren, seit Haider die Leitung der FPÖ übernommen hat, ist ihr Stimmenanteil von knapp fünf auf 27,6 Prozent (bei den Europawahlen im Oktober 1996) gestiegen. In drei von acht Bundesländern (Kärnten, Tirol und dem Land Salzburg) und in fünf Landeshauptstädten (Bregenz, Innsbruck, Klagenfurt, Graz und Salzburg) wurde die FPÖ zur stärksten Partei. SPÖ und ÖVP mußten hingegen drastische Stimmenverluste hinnehmen.

Angesichts dieser Entwicklung findet nun ein wichtiger politischer Umbruch in Österreich statt. Die Weichen werden in Richtung Regierungsbeteiligung bzw. Regierungsübernahme durch die Rechtsradikalen gestellt. SPÖ und ÖVP wetteifern im Liebeswerben um den früher verschmähten Bündnispartner. Viktor Klima, früher Finanzminister der SPÖ, Architekt vieler Sparprogramme und gegenwärtiger Bundeskanzler, betonte, er könne sich trotz vieler Unterschiede eine Zusammenarbeit mit der FPÖ gut vorstellen. Immerhin seien er und Haider seit geraumer Zeit Duzfreunde.

Auch die Führer der Gewerkschaften bieten nun Haider Zusammenarbeit an. Auf allen Funktionärsebenen hat ihm der Vorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) Posten zur Verfügung gestellt. Der Vorsitzende Fritz Verzetnitsch (SPÖ), der auch den europäischen Gewerkschaftsbund leitet, erklärte gegenüber der Presse, die FPÖ habe ohnehin ihre Ausländerpolitik vom Gewerkschaftsbund abgeschrieben.

Die Vorbereitung auf eine Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen leitet ein qualitativ neues Stadium der politischen Entwicklung ein. Die Politik des Sozialreformismus, die auf gesellschaftlichen Ausgleich und möglichst weitgehende soziale Gerechtigkeit ausgerichtet war, ist am Ende. Alle Parteien haben nur noch eine Antwort auf die wachsenden wirtschaftlichen Probleme: drastische Sparmaßnahmen und Kürzungen in allen Sozialbereichen.

Das Ende der Sozialpartnerschaft kennzeichnet aber auch das Ende des sozialen Friedens. Die Regierung erwartet Widerstand und bereitet sich auf heftige Auseinandersetzungen vor. Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen bedeutet, daß die Regierung in Zukunft die verelendeten und verzweifelten Schichten der Gesellschaft aufhetzt und als Rammbock gegen die Arbeiterklasse einsetzt.

Unter diesen Bedingungen einer immer tieferen Spaltung der Gesellschaft verschiebt sich die politische Macht vom Parlament weg, hin zum Staatsapparat mit seinen jurististischen, polizeilichen und militärischen Unterdrückungsinstrumenten. Das sind die Verhältnisse, unter denen der völlig farblose Bürokrat Thomas Klestil in der Donaumetropole wie ein leibhaftiger Monarch der Habsburger Dynastie auftritt und ankündigt, er werde dem Präsidentenamt weitaus größere politische Bedeutung verschaffen als bisher.

Die österreichischen Ereignisse sind symptomatisch für die Entwicklung in vielen europäischen Ländern und werden daher vor allem von Deutschland aus aufmerksam verfolgt. Nicht zufällig nahm der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker an der Abschlußkundgebung von Klestils Wahlkampf teil. Auch hierzulande stehen die politischen Zeichen auf Sturm. Es gibt viele Anzeichen dafür, daß mit dem Ende der Regierung Kohl auch die CDU, die sich oft als Volkspartei bezeichnet, auseinanderbricht und eine starke Rechtspartei entsteht, die die verschiedenen, gegenwärtig konkurrierenden Neonazi-Gruppen in sich vereinigt.

Jahrzehntelang waren Arbeiter und die übergroße Mehrheit der Bevölkerung daran gewöhnt, sich nicht direkt in die politischen Angelegenheiten einzumischen. Das ändert sich jetzt. Die systematische Vorbereitung auf eine Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen macht es notwendig, die Sturmglocken zu läuten, um daran zu erinnern, welch verheerende Konsequenzen es hat, wenn Arbeiter nicht ihre eigene Partei aufbauen, mit der sie als eigenständige gesellschaftliche Kraft in die politische Entwicklung eingreifen.

Gegenwärtig wird immer wieder behauptet, eine sozialdemokratische Regierung sei eine fortschrittliche Alternative zu Kohl. Die Ereignisse in Österreich widerlegen das. Das angeblich »kleinere Übel« hat dort einen gewaltigen politischen Rechtsruck und ein rassistisches Monster hervorgebracht, und das in einem Land, welches die Schrecken der Naziherrschaft in der Zeit von 1934-45 am eigenen Leib schmerzhaft erleben mußte. Nirgendwo in Westeuropa erreichten die Neonazis in jüngster Zeit derart großen politischen Einfluß, wie in dem Land, in dem seit fast dreißig Jahren ununterbrochen ein sozialdemokratischer Regierungschef an der Macht ist.