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Sozialdemokraten gewinnen Wahl in Holland

Die sozialdemokratische PvdA von Regierungschef Wim Kok hat die holländische Parlamentswahl vom 6. Mai gewonnen. Sie erhöhte ihren Stimmenanteil von 24 auf 29 Prozent und gewann 45 Sitze im 150 Mitglieder starken Abgeordnetenhaus. Ihr bisheriger Koalitionspartner, die rechtsliberale VVD, verbuchte ebenfalls starke Gewinne und errang 38 Sitze. Die beiden Parteien verfügen damit über eine absolute Mehrheit und sind nicht mehr auf die Demokraten ( D'66) als dritten Koalitionspartner angewiesen. Die D'66 verlor zehn ihrer bisher 24 Sitze.

Die christdemokratische CDA, Schwesterpartei der CDU/CSU und bis 1994 stärkste Partei im niederländischen Parlament, setzte ihren Niedergang fort und brachte es nur noch auf 18 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Wim Kok hat den Wahlsieg als Bestätigung des von ihm vertretenen „Polder-Modells" gewertet. Dieses Modell verbindet eine ultraliberale Wirtschaftspolitik mit einer weitgehenden staatlichen Reglementierung ihrer sozialen Auswirkungen. Eine rigorose Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, eine drastische Senkung des Lohnniveaus und ein radikaler Abbau von Sozialleistungen wird mit der aktiven Förderung von Niedriglohn- und Teilzeitarbeit und Zwangsarbeit für Arbeitslose verbunden.

Die offizielle Arbeitslosenzahl, die in Ländern wie Deutschland und Frankreich bei 12 Prozent liegt, ist auf diese Weise unter fünf Prozent gesenkt worden - allerdings zu einem horrenden Preis. Über ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse sind Teilzeitjobs mit entsprechend niedriger Bezahlung - ein Rekord in Europa. Die Folge ist weit verbreitete Armut. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Zahl der Millionäre um ein Drittel, während jeder zehnte Haushalt vom Existenzminimum lebt.

Die Kombination von rechter Wirtschaftspolitik und staatlichen Eingriffen hatte 1994 die Grundlage für das Bündnis von Sozialdemokraten und Rechtsliberalen geschaffen, die bis dahin als entgegengesetzte Pole im niederländischen Parteienspektrum galten. Beide Parteien sind nun gestärkt worden, aber das ist - wie eine genauere Analyse zeigt - noch lange kein Freibrief für die Fortsetzung ihrer Politik.

Die PvdA konnte trotz der hohen Gewinne die Verluste nicht völlig aufholen, die sie 1994 nach einer vierjährigen Koalition mit den Christdemokraten erlitten hatte. Ihr Ergebnis liegt um 3 Prozent unter dem von 1989, der vorletzten Wahl. Die für sie abgegebenen Stimmen haben zudem nicht mehr dieselbe Bedeutung wie etwa in den siebziger Jahren, als viele Arbeiter fest hinter der Sozialdemokratie standen. Unter Umständen, wo fast alle Parteien identische Programme vertreten und keine die dringenden Bedürfnisse der Massen artikuliert, ist das Wählerverhalten viel stärker als früher momentanen Stimmungen und Einflüssen unterworfen.

Ein Wahlkampf hatte so gut wie gar nicht stattgefunden. „Zum ersten Mal seit 70 oder 80 Jahren sitzen Sozialdemokraten und Liberale zusammen in der Regierung," kommentierte dies ein bekannter Wahlforscher, Maurice de Hond. „Und sie wollen nach der Wahl wieder gemeinsam regieren. Sie sind keine Gegner mehr. Sie ziehen eine Schau ab. Jeder, einschließlich der Parteien selbst, weiß, daß sie nach der Wahl wieder zusammenarbeiten werden, und daher haben wir keinen Wahlkampf."

Unter der ruhigen Oberfläche gibt es aber zahlreiche Anzeichen für scharfe politische Spannungen. Da die Parteien die sozialen Probleme im Wahlkampf nicht zur Sprache brachten, bildete sich eine merkwürdige Koalition aus katholischer Kirche, Jungsozialisten, Gewerkschaftern, mittelständischen Unternehmern, die unter der Parole „Nimm dir Zeit um zu leben" gegen die unerträgliche Arbeitshetze und wachsende Armut protestierte. Sie sammelte innerhalb von drei Wochen über 300.000 Unterschriften gegen die „Nonstop-24-Stundenwirtschaft".

In der Wahl selbst kam das Streben nach einer Alternative in hohen Zuwächsen am linken Rand des Parteienspektrums zum Ausdruck. GrünLinks und die Sozialistische Partei konnten ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln und stellen im neuen Parlament elf, bzw. fünf Abgeordnete. GrünLinks vertritt eine ähnliche Politik wie die deutschen Grünen, legt allerdings mehr Gewicht auf soziale Fragen. Die Sozialistische Partei ist aus einer maoistischen Gruppierung hervorgegangen.

Die rechtsextremen Zentrumsdemokraten, die bisher über drei Abgeordnete verfügten, sind dagegen fast vollständig von der Bildfläche verschwunden.

Das »niederländische Modell«
Wie Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer die Umverteilung hinter den Deichen organisieren

[1 Mai 1998]